2 Wie verläuft das RLS?
Jeder RLS-Betroffene erlebt seine Erkrankung anders und in unterschiedlicher Ausprägung. Einige allgemeingültige Fakten zum Krankheitsverlauf gibt es dennoch.
Die RLS-Symptome können in jedem Lebensalter beginnen. Selbst Kinder können bereits betroffen sein (mehr dazu im Kapitel ▶ »Kann RLS bereits bei Kindern vorkommen?«). Meist setzen die RLS-Beschwerden jedoch erst im mittleren oder im fortgeschrittenen Lebensalter so deutlich ein, dass sie vom Betroffenen als ernsthafte Störung wahrgenommen werden. Wenn die Krankheit vor dem 30. Lebensjahr beginnt, spricht dies für eine erbliche Verursachung des RLS, wie im Abschnitt zur Vererbung (mehr dazu im Kapitel ▶ »Ist das RLS erblich?«) dargestellt wird.
Einige RLS-Patienten leiden jede Nacht unter den ruhelosen Beinen, bei anderen treten die Beschwerden nur wenige Male in der Woche oder noch seltener auf. Bei vielen Betroffenen werden die Beschwerden im Laufe des Lebens leider auch stärker und häufiger. Das muss aber nicht sein. Es gibt auch Fälle, bei denen das RLS über Monate oder sogar Jahre wieder zurückging, um dann wieder an Intensität zu gewinnen.
2.1 Einfluss der Hormone
Welche Faktoren den Verlauf des RLS beeinflussen, ist noch nicht bekannt. RLS-Beschwerden können zum Beispiel während einer Schwangerschaft stärker werden. Manche Patientinnen erleben RLS-Symptome sogar ausschließlich in der Schwangerschaft. Bei vielen RLS-Patientinnen werden die Symptome auch nach den Wechseljahren häufiger. Sowohl in der Schwangerschaft als auch während der Wechseljahre finden im weiblichen Körper hormonelle Veränderungen statt. Inwiefern diese allerdings konkret mit RLS zusammenhängen, ist bisher noch kaum wissenschaftlich untersucht worden.
Heike G., 58
Mein ganzes Leben wird vom RLS bestimmt
Schon als junge Frau war ich vom RLS betroffen. Damals hatte ich leichte RLS-Beschwerden während Kinovorstellungen, und zwar insbesondere bei Filmen, die mich langweilten. Über die Jahre hinweg hatte ich dann Ruhe. Auch habe ich nicht in Erinnerung, dass es während meiner drei Schwangerschaften zu einer deutlichen Beeinträchtigung gekommen wäre.
Der Schlaf wurde aber über die Jahre hinweg schlechter. Das führe ich auch auf meine Kinder zurück. Wenn man über Jahre hinweg kleine Kinder zu versorgen hat, dann verlernt man richtig, tief und lange durchzuschlafen. Zumindest ist dies meine Erfahrung.
Um das 40. Lebensjahr haben dann die RLS-Beschwerden zugenommen. Damals begann meine Leidensgeschichte. Zunehmend haben sich bei mir in Ruhe diese Missempfindungen, die mich zur Bewegung zwangen, eingestellt. Es ist bei mir ein Gurgeln und Ziehen in den Waden – meist mehr links als rechts. Insbesondere unsere Ferienfahrten nach Italien in die Toskana waren kaum zu ertragen.
Natürlich bin ich zu meiner Hausärztin gegangen, die aber gar nichts damit anfangen konnte. Schließlich kam die Überweisung zum Psychiater. Zwar hat es damals bei uns Partnerschaftsprobleme gegeben, aber an die Diagnose einer Depression habe ich nicht geglaubt. Das verordnete Präparat hat meine Beschwerden nur noch verschlimmert. Das habe ich nur ein paar Wochen eingenommen. Über Jahre bin ich kaum zur Ruhe gekommen.
Auf die Diagnose bin ich schließlich selbst gekommen, und zwar über eine Suche im Internet. Mit den Suchwörtetn ›Schlaf › und ›Beine‹ bin ich direkt auf das RLS gekommen. Über die Münchener RLS-Vereinigung und die Regionalleiterin bei uns habe ich einen kompetenten Arzt gefunden. Einfach ist es trotzdem nicht. Inzwischen nehme ich zwei Medikamente ein. Ich frage mich, ob deren Wirkung auch noch die kommenden Jahre anhalten wird. Auch bin ich in Sorge, ob meine Enkelkinder auch davon betroffen sein könnten. Zumindest eine meine beiden Töchter kennt auch das RLS.
2.2 Frauen mit Kindern sind häufiger betroffen
Sehr überraschende Hinweise zu den Ursachen des RLS erbrachte eine deutsche Bevölkerungsuntersuchung, deren Ergebnisse bereits vor mehr als zehn Jahren von der amerikanischen Fachzeitschrift »Archives of Internal Medicine« veröffentlicht wurden (Berger et al. 2004). Diese Untersuchung wurde zwischen 1997 und 2001 in Vorpommern, also im Nordosten Deutschlands an der Ostsee, in der Region um die Städte Stralsund, Greifswald und Anklam, durchgeführt. 4.310 zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählte Einwohner im Alter von 20 bis 79 Jahren nahmen an der Studie teil.
Wiederum zeigte sich auch bei dieser Untersuchung, dass sehr viele Menschen vom RLS betroffen sind. Frauen waren fast doppelt so häufig erkrankt wie Männer (siehe Abbildung rechts). Aufgrund der Vielzahl der Studiendaten konnten weitreichende Auswertungen über mögliche Ursachen des RLS und Zusammenhänge mit anderen Erkrankungen erfolgen. Dabei zeigte sich ein Resultat, das zwar großes Aufsehen unter RLS-Forschern erregt hat, aber nach wie vor nicht erklärt werden kann: Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des RLS-Syndroms bei Frauen und der Anzahl von Kindern, die eine Frau geboren hat. Frauen ohne Kinder wiesen in den verschiedenen Altersgruppen die gleiche RLS-Häufigkeit auf wie Männer. Das Risiko für Frauen, an einem RLS zu erkranken, verdoppelte sich jedoch mit dem ersten Kind, verdreifachte sich mit zwei Kindern und war dreieinhalbfach so hoch mit drei oder mehr Kindern!
Darüber hinaus fand sich ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten des RLS und dem Zigarettenkonsum. Raucher und Raucherinnen hatten gegenüber Menschen, die nie in ihrem Leben geraucht hatten, ein um etwa 50 Prozent erhöhtes Risiko für ein RLS.
2.3 Wie häufig ist das RLS?
Das Restless-Legs-Syndrom ist eine sehr häufige Erkrankung. Die Häufigkeit in der Bevölkerung wird auf 2 bis 10 Prozent geschätzt (siehe Abbildung rechts). Somit wären in Deutschland 1,6 bis 8 Millionen Menschen vom RLS betroffen. Lediglich bei einem Teil dieser Patienten sind jedoch die Beschwerden so deutlich ausgeprägt, dass eine medikamentöse Therapie erforderlich ist. Es ist unerklärlich, warum die Medizin das Restless-Legs-Syndrom über viele Jahrzehnte übersehen hat, obwohl derartig viele Menschen erheblich darunter leiden. Das RLS war eine »vergessene Erkrankung«! Erst seitdem wirksame Behandlungen zur Verfügung stehen, wurde die Bedeutung der Erkrankung erkannt. Es gibt allerdings auch erst seit zirka 25 Jahren genügend sogenannte Schlaflabore, in denen Schlafstörungen wie das RLS diagnostiziert werden können. Im weltweiten Vergleich scheinen Europäer bzw. diejenigen mit europäischer Abstammung besonders häufig vom RLS betroffen zu sein.
2.3.1 RLS nimmt im Alter zu
Die Häufigkeit des RLS steigt mit zunehmendem Lebensalter. Frauen sind öfter betroffen als Männer. Bei zirka 50 bis 60 Prozent der Patienten tritt das Restless-Legs-Syndrom im Rahmen einer anderen Erkrankung auf. Man spricht dann von einem sekundären RLS. Häufigste Ursache für sekundäre RLS-Erkrankungen ist die Niereninsuffizienz (das heißt, dass die Nieren nur noch unzureichend arbeiten). Immerhin sollen 20 bis 40 Prozent der Dialyse-Patienten, die aufgrund eines Nierenversagens auf eine Blutwäsche an der künstlichen Niere angewiesen sind, auch unter einem RLS leiden.
Die Abbildung zeigt, wer statistisch gesehen am häufigsten vom RLS betroffen ist (nach Berger et al. 2004).
2.3.2 RLS tritt oft familiär gehäuft auf
Viele RLS-Patienten berichten über weitere Fälle von RLS in ihrer Familie. Das spricht dafür, dass das RLS in diesen Fällen vererbt wurde. Diese familiären RLS-Erkrankungen sind häufig besonders schwer ausgeprägt und beginnen oft schon früh im Leben, teilweise bereits im Kindes- oder Jugendalter.
2.4 Welche Folgen hat die Störung des Schlafes?
Die Folge der unruhigen Beine ist eine Störung des Schlafes. RLS-Patienten haben starke Schwierigkeiten, einzuschlafen. Neben den Missempfindungen in den Beinen, die die Betroffenen aufwecken und zum Umhergehen zwingen, führen RLS-Patienten im Schlaf auch unwillkürliche Beinbewegungen aus, die sie selber häufig gar nicht bemerken. Diese können zu unmerklichen Weckreaktionen führen und die Schlafstruktur empfindlich stören. Das kann zur Folge haben, dass der Patient mitunter die ganze Nacht nicht in den erholsamen Tiefschlaf fällt.
2.4.1 Warum brauchen wir Schlaf?
Diese Frage ist wissenschaftlich immer noch nicht endgültig beantwortet. In der Schlafforschung wird insbesondere diskutiert, ob Schlaf und Gedächtnis eng zusammenhängen. Die Folgen fehlenden Schlafes sind jedoch allen bekannt. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Reizbarkeit und andere Symptome, die das Befinden maßgeblich beeinträchtigen. Schlaf führt zur Erholung. Unsere heutige Gesellschaft verlangt von allen eine fortwährend verfügbare Leistungsbereitschaft. Diese Leistung kann jedoch nur dann erbracht werden, wenn den Phasen der Beanspruchung immer auch eine ausreichende Erholung folgt. Diese Regeneration ist aber nur bei einem intakten Schlaf-wach-Rhythmus mit ausreichend langen Schlafphasen möglich.
2.4.2 Wann ist man ausgeschlafen?
Ein Maß für die...