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Kraftvolle Sprünge
Wenn man sich mit Trainern und Athleten über echtes Schnellkrafttraining unterhält - Widerstand mit größtmöglicher Geschwindigkeit überwinden im Gegensatz zum Gewichtheben mit hohen Lasten -, dann denken die meisten sofort an Sprünge: explosive Jumps, vertikal oder horizontal, ausschließlich gegen das eigene Körpergewicht.
Es gibt eine Menge triftige Gründe, warum so viele Trainer Sprünge in den Mittelpunkt ihres Explosivprogramms stellen: Schnelle und schnellkräftige Beine sind im Sport immer nützlich und notwendig. In der Antike glaubten die Menschen, dass die Sprungkraft der Beine die Quelle von Jugend und Athletik sei, und sie hatten recht - wie immer. Ohne explosive Schnellkraft in den Beinen ist Springen unmöglich. Schnellkräftige Akrobatikbewegungen wie Flips, Drehungen und Kunstsprünge hängen alle davon ab, dass man durch optimale Schnellkraft der Beine ausreichend Höhe gewinnt. Basketball, Fußball, Hürdenlauf, Kampfkunst, Parkour: Es ist schwer, eine Sportart zu finden, die ohne schnellkräftige Beine auskommt.
Viele behaupten, man würde Beinschnellkraft am besten mit Übungen wie schweren Squats oder gar Kreuzheben trainieren, aber das ist ein Trugschluss. Echte Schnellkraft setzt sich aus Kraft x Schnelligkeit zusammen. Wer aber ein schweres Gewicht auflegt, schließt aus, dass der Athlet sich schneller als normal bewegen kann. Für maximale Schnellkraft ist das Körpergewicht die Ultima Ratio. Zum Beweis: Kennst du irgendeine Sportart, in der man mit Hunderten von Kilo Last springen muss?
POWER JUMPS ANALYSIEREN
Sprungtraining hat in den vergangenen zehn bis 20 Jahren eine erstaunliche Renaissance erlebt. In jedem Fitnessstudio kann man Leute finden, die auf einen Kasten oder herunterspringen. Das Ganze hat angefangen, als die »Functional«-Bewegung in die Studios Einzug hielt, die bis dato von langsamen, unnatürlich aussehenden Bewegungen auf Maschinen beherrscht wurden. Einiges der neuen Welle hat auch mit CrossFit als Trainingsmethode zu tun.
Woran immer es liegen mag, ich finde es grundsätzlich gut, dass Athleten wieder springen. Aber ich habe dazu zwei Anmerkungen: Zunächst müssen sich Athleten und Trainer im Klaren darüber sein, dass das einfache Auf- und Abspringen mit Kasten nicht die einzig möglichen Trainingsinhalte sind. (Man braucht zum Springen keinen Kasten oder sonst was, aber die Leute stehen nun mal auf Ausrüstung.) Zweitens: Richtiges Körpergewichtssprungtraining ist mehr, als die Sprunghöhe zu steigern. Genauso wie das Herausbilden von linearer Schnellkraft in Form von Sprunghöhe muss Sprungtraining Übungen enthalten, die die folgenden vier Basisfertigkeiten entwickeln:
Absprung
Die meisten Sportler können keinen optimalen Squat (du hast deine Körpergewichts-Squats absolviert?), geschweige denn wissen sie, wie man für maximale Höhe nach oben explodiert. Der Schlüssel dazu sind: Körpersymmetrie, Hinsetzen statt Vorbeugen und Explosion nach oben unter Einsatz der kompletten Schnellkraft von Hüfte und Beinen. Am besten eignet man sich diese Qualitäten durch viele bewusste Wiederholungen der Basic Jumps an.
Hocke
Ein angemessener Sprungkurs muss dem Athleten die korrekte Hocke beibringen: die Knie nach dem Absprung vorn hoch bis zum Brustkorb ziehen. Im echten Leben ist die richtige Hocke unverzichtbarer Bestandteil funktionellen Springens. Stelle dir vor, du springst auf etwas oder darüber - dann musst du die Knie hochziehen, stimmt's? Das ist ohne schnellkräftige Hüftbeuger schwierig, aber die Steps der Power-Jump-Kette bereiten dich genau darauf vor.
Landung
Es ist paradox, dass viele Trainer der Landung so wenig Bedeutung beimessen. Sie sehen im Sprung nur den aufsteigenden Teil. Es ist deshalb paradox, weil für so viele Sportler -vor allem Einsteiger, Übergewichtige, Ältere oder die mit Gelenkschäden - die Landung der schwierigste und furchteinflößendste Teil der Übung ist. Du kannst aber trotz dieser Faktoren ein guter Springer werden. Alles, was du dazu brauchst: Bringe deinem Körper bei, wie er richtig landet. Wie beim Absprung heißen die Schlüsselfaktoren Symmetrie, Hüftbeugung im Squat und Abfangen der auftretenden Kräfte mit dem ganzen Körper und nicht nur mit Füßen und Sprunggelenken. Der Einstieg mit kleinen Sprüngen und Hops bereitet zudem das Bindegewebe vor.
Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus
Einer der Gründe, warum unsere Sehnen sehr elastisch sind: damit sie Kräfte absorbieren und umlenken können. Ein Extrembeispiel dafür sind die großen Beinsehnen eines Kängurus: Die Biester springen, und bei der Landung erleichtert die Elastizität ihrer Beine den nächsten Sprung. Zum Funktionieren dieses Phänomens gehört auch das Nervensystem, das den in der Landung (vor-)gedehnten Muskel im richtigen Augenblick kontrahiert, um zum Absprung noch mehr Leistung aus ihm herauszuholen. Experten bezeichnen das als Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus. Er ist die Grundlage plyometrischen Trainings (was nicht das Gleiche ist wie explosives Training, siehe S. 331). In Sachen Springen lernst du relativ leicht, diese Fertigkeit zu nutzen, und zwar indem du zwischen den Sprüngen keine Pause machst: In der Sekunde, in der du landest, springst du rhythmisch sofort wieder ab. Diese Technik kannst du in den meisten Steps der Kette anwenden. (Sie funktioniert auch in einigen der eingestreuten Übungen auf engem Raum.)
Athleten, die dynamischere und akrobatischere Bewegungen ausprobieren wollen, sollten sich eine fünfte Springfertigkeit draufschaffen:
Blocken
Blocken steht für das aktive Umwandeln horizontaler in vertikale Energie. Wenn du einen Athleten in der Vorbereitung eines Flip beobachtest, stellst du fest, dass er erst ein bisschen Anlauf nimmt, dann die Füße energisch parallel aufsetzt und abspringt. Dieses Manöver, das die meisten Athleten intuitiv ausführen und das ebenfalls den Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus nutzt, nennen wir Blocken.
Blocken in seiner Grundform: Du läufst ein paar Schritte, stellst beide Füße nach einem Hüpfer nebeneinander und springst unmittelbar nach oben.
Die genannten Fertigkeiten sind zum Bewältigen der Front- und Backflip-Ketten unerlässlich. Für Laien scheint klar, warum Absprung, Landung und Blocken für einen Flip notwendig sind. Tatsächlich aber ist die Hocke wichtiger. Sie ist für die Techniken so zentral, dass englischsprachige Turner immer noch vom Front und Back Tuck reden. Da siehst du's.
DIE POWER-JUMP-KETTE
Sorgfältige, intelligente Progression der Sprungkette verbindet alle fünf genannten Springfertigkeiten. Sie entwickelt Gelenkstabilität und stellt sicher, dass der Athlet über genügend reine Schnellkraft für ausreichend Höhe verfügt. Der Master Step - der Suicide Jump - ist ohne ausreichende Absprungschnellkraft unmöglich.
Den Anfang macht die leichteste Springübung: der gerade Hop (Step 1). Hoppen braucht kaum Platz und entwickelt die elastische Prallfähigkeit der Unterschenkel, ohne Knie und Rücken zu überlasten. Es lehrt auch die richtige Haltung der Füße und Sprunggelenke für die Landung.
Im nächsten Schritt integrieren wir Knie und Hüfte. Der Squat Jump (Step 2) stärkt die Knie und beginnt mit dem Abrunden der Schnellkraft. Sobald diese Bewegung geschafft ist, kommen die Arme ins Spiel, um ihren Teil zum Vertikalsprung beizutragen (Step 3). Vertical Jumps lehren (für mehr Schnellkraft und Schwung) den Athleten die Koordination von Unter- und Oberkörper. Sobald die statische vertikale Schnellkraft eingeführt ist, fügt der Athlet einen Anlauf hinzu und trainiert Block Jumps (Step 4). Damit lernt er, horizontale Energie in vertikale umzuwandeln - wie bereits erwähnt, eine für jeden Akrobaten unerlässliche Fertigkeit.
Die nächsten vier Steps beschäftigen sich mit der korrekten Hocke (siehe S. 53). Die Hocke erfordert starke Hüftbeuger, um die Knie bis an den Brustkorb zu ziehen. Wir beginnen sanft mit Butt-kick Jumps (Step 5), die ausreichend Höhe und Geschwindigkeit der Beine verlangen. Du musst hoch genug springen, um dir mit den Fersen in den Hintern zu treten, und schnell genug die Beine wieder strecken, bevor die Schwerkraft dich nach unten zieht. Diese Übung bereitet die Hüftbeuger perfekt auf die kommenden harten Hocken vor. Im Step 6 stehen Slap Tuck Jumps auf dem Plan, wobei du am höchsten Punkt mit den Händen auf die Knie schlägst. Dazu musst du etwa auf Taillenhöhe hocken. Weiter geht's mit Tuck Jumps (Step 7): Nach dem Absprung hebst du die Knie so hoch wie möglich zum Brustkorb. Catch Tuck Jumps (Step 8) stehen für das souveräne Beherrschen der Hocke: Du ziehst die Knie in der Luft voll zur Brust.
Der Thread Jump (Step 9) ist ein einbeiniger Tricksprung, bei dem der Athlet einen Fuß hält und darüberspringt. Das ist eine große Herausforderung, aber für alle, die die vorangegangenen Steps bewältigt haben, kein Problem. Step 10, der Master Step der Sprungkette ist der Suicide Jump. Man springt dabei über eine selbst gehaltene Stange oder einen Besenstil. Wer es vermasselt, landet wahrscheinlich auf der Nase. Wenn dir der Master Step gelingt, hast du viel Sprunghöhe, Beinschnelligkeit und eine beeindruckende Elastizität in der Hüfte erreicht - du bist jetzt ein Meisterspringer!
Viele beginnen ihr Sprungtraining, indem sie auf Gegenstände springen. Turnkästen sind sehr beliebt. Vermutlich werden 90% des Sprungtrainings in Studios mit den Kästen absolviert.
Kastensprünge sind großartig, aber es ist ein Fehler, sie ausschließlich zu benutzen. Ich rate meinen Schülern, das...