1. KAPITEL
MEILENSTEINE
Borussia Dortmund zählt zu den größten und erfolgreichsten Traditionsvereinen im deutschen Fußball. Die Meilensteine zeigen einige wesentliche Entwicklungsschritte in der 109-jährigen Geschichte des Klubs auf.
| Rebellion gegen einen fußballskeptischen Kaplan: Die Geburtsstunde von Borussia Dortmund |
»Goldene Zukunft braucht Vergangenheit«, heißt es in dem Lied »Am Borsigplatz geboren« von Andy Schade. Er singt über Borussia Dortmund und die glorreiche Vergangenheit der Schwarz-Gelben. Er singt über die Liebe zu einem Verein, der in 109 Jahren – und mit ihm eine große Anhängerschaft – durch die guten und die schlechten Zeiten gegangen ist. Wie durch eine Ehe. Er singt über die »Jungs von früher« und das ganz besondere Gefühl, Fan von Borussia Dortmund zu sein. Um zu begreifen, was den Verein ausmacht, muss man auf die langjährige Geschichte zurückblicken. Auf die Zeit, als ein paar Freunde um Franz Jacobi gegen den Widerstand der Kirche den BVB gründeten. Auf die Zeit, als der BVB erstmals den bis heute großen Rivalen FC Schalke 04 schlug. Auf die Zeit, als die Männer in schwarz-gelben Trikots die ersten Titel sammelten. Auf die Zeiten, als Schwarz-Gelb sportlich wie wirtschaftlich am Rande der Existenz stand. Und an die Zeit, als der Erfolg zurück nach Dortmund kehrte.
Es ist eine Geschichte, spannend wie ein Krimi: Anfang des 20. Jahrhunderts begehrten ein paar Jugendliche und junge Erwachsene in Dortmund gegen die katholische Kirche auf. Schon viele Jahre kickten die Mitglieder der katholischen Jünglingssodalität »Dreifaltigkeit« auf den Flächen rund um die gleichnamige Kirche. Der damalige Kaplan in Dortmund, Hubert Dewald, konnte dem »rohen« und »wilden Treiben«, wie er es nannte, aber nichts abgewinnen. Er tat alles dafür, dass die Gemeindemitglieder der Dreifaltigkeitskirche keine Zeit mehr für das Fußballspielen hatten. Er setzte an Sonntagen zusätzliche Andachten an, wollte die Spieler daran hindern, ihre Sitzungen in der benachbarten Kneipe »Zum Wildschütz« abzuhalten. Der Widerstand der Kirche gegen das neue Spiel aus England war groß.
Doch einige Dortmunder ließen sich davon nicht beeindrucken. Der Konflikt zwischen der Kirche und den Sportlern erreichte seinen Höhepunkt am 19. Dezember 1909 – es war der vierte Adventssonntag, kurz vor Weihnachten also – mit der Gründung von Borussia Dortmund. Es ist dem Mut von 18 Männern zu verdanken, dass dieser Verein heute die Massen begeistert und in den Bann zieht. Allen voran Franz Jacobi spielte damals im Spiegelsaal des »Wildschütz« eine prägende Rolle. Er schwor seine Mitstreiter ein, überzeugte sie davon, die Borussia mitzutragen – auch gegen den großen Widerstand der Kirche. Franz und Paul Braun, Heinrich Cleve, Hans Debest, Paul Dziendzielle, Franz, Julius und Wilhelm Jacobi, Hans Kahn, Gustav Müller, Franz Risse, Fritz Schulte, Hans Siebold, August Tönnesmann, Heinrich und Robert Unger, Fritz Weber und Franz Wendt. Das sind die Gründungsmitglieder des BVB. Sie sind die ersten Helden des Vereins.
| Vereinsname: Ein Bierplakat wird zur Inspiration |
Aber warum heißt Borussia Dortmund Borussia Dortmund? Ganz einfach: Die Vereinsgründung verlief so spontan an diesem Abend, dass sich keiner der 18 Gründungsmitglieder richtig Gedanken über einen Namen für den neuen Verein gemacht hatte. Franz Jacobi wusste sich aber zu helfen: Im Spiegelsaal hing ein Plakat der »Borussia-Brauerei«, die damals unweit des Borsigplatzes, der Wiege des BVB, ihr Bier braute. Jacobi schlug seinen 17 Mitstreitern den Namen vor – und er wurde angenommen.
Die Journalisten Jan-Hendrik Gruszecki und Marc Quambusch, beide auch Fans der Borussia, erkannten die wichtige Rolle Jacobis und widmeten ihm einen Film über die Gründungszeit: »Am Borsigplatz geboren – Franz Jacobi und die Wiege des BVB«. In diesem Film stellten sie die besondere Rolle des zweiten Vereinspräsidenten heraus: »Franz Jacobi war das Alpha-Tier. Er hat gesagt: ›Freunde, wir machen das jetzt.‹ Schon vor dem Gründungsdatum. Er wurde nicht umsonst der erste Geschäftsführer von Borussia Dortmund. Danach war er der zweite Präsident. Er hat den BVB in der Gründungszeit geprägt«, sagte Gruszecki einst gegenüber dem Portal goal.com.
| Die Premiere auf dem Feld |
Es dauerte über ein Jahr, bis der BVB nach der Gründung das erste offizielle Spiel bestritt. Am 15. Januar 1911 traten die Spieler in blau-weißen Trikots mit einer roten Schärpe gegen den VfB Dortmund an – und gewannen mit 9:3. Das erste Pflichtspiel, wie man es heute nennen würde, fand ein gutes halbes Jahr später statt. Am 15. September 1911 gastierte die Borussia bei der Spielabteilung des Turnerbundes Rauxel und gewann ebenfalls. Allerdings knapp mit 1:0.
In den Anfangsjahren spielte Borussia Dortmund in blau-weißen Trikots. Jenen Farben, die in Dortmund heute aufgrund der Vereinsfarben des großen Rivalen FC Schalke 04 geächtet sind. Das hatte allerdings einen einfachen Grund: Blau-Weiß waren die Farben der katholischen Kirche. Die Hemden hatten die Dortmunder ohnehin in ihren Schränken, als Mitglieder der Jünglingssodalität. Die rote Schärpe war ein Zeichen für den Arbeiterstand. Fast alle Spieler arbeiteten damals in den Stahlwerken rund um den Dortmunder Borsigplatz. Am 14. Januar 1913 war es dann vorbei mit den blau-weißen Trikots. Da dem BVB mit einem Trick in einer Zeit des Aufnahmestopps bereits 1910 die Aufnahme in den Westdeutschen Spielverband gelang, schlossen sich drei andere Dortmunder Vereine, Britannia, Rhenania und Deutsche Flagge, dem BVB an. August Busse war damals Wortführer der »Britannia«-Fraktion und ließ bei einer Versammlung der Mitglieder einen wichtigen Punkt auf die Tagesordnung setzen: »Änderung der BVB-Vereinsfarben«.
»Der BVB ist 1909 aus ›Dreifaltig‹ hervorgegangen. Alle Gründer waren also katholisch. Deshalb machte man die Kirchenfarben Blau-Weiß, ergänzt durch die rote Schärpe, zu den Vereinsfarben. Mittlerweile hat sich die Situation grundlegend geändert. Wir sind jetzt mehrheitlich evangelisch. Ich beantrage deshalb neue Vereinsfarben. Mein Vorschlag lautet Schwarz-Gelb, die früheren Farben von Britannia«, sagte er damals vor den rund 40 Mitgliedern des BVB. Dieser Vorschlag wurde angenommen. Seit 1913 spielt der BVB deshalb in den heute so einzigartigen schwarz-gelben Farben.
| Der erste Nationalspieler |
August Lenz war ein waschechter Dortmunder, wurde dort am 29. November 1910 geboren und trat 1922 dem BVB bei. Er spielte zunächst als Torhüter, doch sein Talent als Stürmer blieb nicht verborgen. Er war ausgestattet mit einer enormen Schnelligkeit und Dynamik sowie dem direkten Zug zum Tor. In seinem ersten Spiel (gegen den TBV Mengede) soll er beim 14:0-Sieg neun Tore beigesteuert haben. Von da an ging es stetig bergauf mit Lenz. Am 28. April 1935 feierte er schließlich sein Debüt in der deutschen Nationalmannschaft – gegen Belgien. Er traf gleich doppelt. Lenz war aber nicht nur Dortmunds erster Nationalspieler. Er war vor allem ein Wegbereiter für die ersten großen Erfolge des Klubs. Noch heute ziert deshalb sein Konterfei das Gruppenlogo der größten BVB-Ultra-Gruppe »The Unity«.
| 1956: Dortmund feiert die erste deutsche Meisterschaft |
Es dauerte rund 50 Jahre, bis Borussia Dortmund nach der Vereinsgründung die erste Meisterschaft feiern konnte. Stetig entwickelte sich der Verein auf sportlicher Ebene. 1935 etwa hatte die Mannschaft mit den Schalke-Legenden Fritz Thelen und Ernst Kuzorra die ersten Trainer der Geschichte. Der S04 und der BVB waren sich zunächst freundschaftlich verbunden. Nach Aufstiegen bis in die oberste Spielklasse feierten die Dortmunder Erfolg um Erfolg. 1949 spielte der BVB erstmals ein Endspiel um die deutsche Meisterschaft – verlor aber gegen den VfR Mannheim trotz zweimaliger Führung mit 2:3. Bis zum ersten Titel dauerte es dann sechs weitere Jahre. 1956 siegte Schwarz-Gelb im Berliner Olympiastadion im Endspiel um die deutsche Meisterschaft gegen den Karlsruher SC mit 4:2. Nur ein Jahr später wiederholten die Dortmunder ihren Triumph mit derselben Mannschaft. Heutige Legenden wie die »Drei Alfredos« Alfred Preißler, Alfred Kelbassa, Alfred Niepieklo standen damals auf dem Feld.
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