Deutsche Universitäten und Fachhochschulen bieten zunehmend unterstützende Maßnahmen für die Studieneingangsphase an (Biehler et al. 2011, Colberg et al. 2016). Im ersten Unterkapitel soll ein Überblick über die verschiedenen Angebote gegeben werden. Dabei werden verschiedene Praxisbeispiele und entsprechende Forschungsergebnisse über ihre Wirkungsweisen vorgestellt. Im Anschluss wird das Learning Center der WWU ausführlich erläutert.
Die Unterstützungsangebote in der Studieneingangsphase der Mathematik teilen ein allgemeines Ziel. Sie versuchen der im Kapitel zwei dargestellten Problematik des Übergangs von Schule zu Hochschule entgegenzuwirken und so unter anderem die hohen Studienabbruchquoten zu senken (Colberg et al. 2016a).
Ein wichtiger Akteur in diesem Zusammenhang ist das Kompetenzzentrum Hochschuldidaktik Mathematik (i. F. KHDM) an den Universitäten Kassel und Paderborn. Es hat zum Ziel, die universitäre Mathematikausbildung in allen relevanten Studiengängen zu verbessern und hat dabei einen zentralen Fokus auf dem „Kulturschock zwischen schulischer und universitärer Mathematik“ (Biehler et al. 2011: 111). Eines der wenigen Forschungsprojekte zu diesem Themenfeld ist das Projekt Wirkung und Gelingensbedingungen von Unterstützungsmaßnahmen für mathematikbezogenes Lernen in der Studieneingangsphase (Colberg et al. 2016a). Ein Ziel ist dabei auch, einen Überblick über die bestehenden Angebote in Deutschland zu geben und diese zu strukturieren. Eine Vergleichbarkeit ist zwar schwierig, da kaum einheitliche Ziele, Vorgehensweisen oder Standards vorliegen, jedoch können die Unterstützungsangebote nach Zielkategorien, Maßnahmen und Rahmenbedingungen aufgeteilt werden, sodass folgende Systematik entsteht:
Abbildung 2: Systematik zur Unterscheidung von Unterstützungsmaßnahmen für mathematikbezogenes Lernen in der Studieneingangsphase (eigene Darstellung; Colberg et al. 2016b)
Jedes dieser Merkmale mit seinen Unterpunkten wird dabei weiter aufgeschlüsselt, sodass die unterschiedlichen Angebote eingeordnet werden können. Dadurch wird deutlich, auf welche Weise sich die Angebote unterscheiden können und wie vielfältig sie sind.
Eine systematische Evaluation der existierenden Unterstützungsangebote in Deutschland liegt bisher ebenfalls nicht vor. Bestehende Ansätze sind häufig keine Untersuchungen der übergeordneten langfristigen Auswirkungen des Angebotes, sondern beispielsweise Befragungen der unmittelbaren Zufriedenheit der Nutzer (Colberg et al. 2016a). Es gibt daher wenig Wissen über die Effektivität und Erfolgsfaktoren der Angebote.
Das KHDM teilt die Unterstützungsmaßnahmen in vier Bereiche ein: Vor- und Brückenkurse, die vor allem schulmathematische Defizite ausgleichen und auf den Studienstart vorbereiten sollen, sowie semesterbegleitende Maßnahmen und Lernzentren (Colberg et al. 2016a). Auch wenn es sich beim Learning Center schon dem Namen nach um ein Beispiel der Lernzentren handelt, ist es gleichzeitig ebenfalls eine semesterbegleitende Maßnahme. Im Folgenden werden daher aus diesen beiden Bereichen Beispiele vorgestellt, um das Learning Center einordnen zu können.
Die Vielfalt der Unterstützungsangebote zeigt sich besonders bei den semesterbegleitenden Maßnahmen. Ein Beispiel ist die Mathe-Hütte (De Wiljes, Hamann 2013), welche unter anderem zum Ziel hat während des ersten Studienjahres bei Lehramtskandidaten das Interesse an Mathematik zu stärken. Dafür wird im zweiten Semester eine freiwillige Exkursion mit Dozenten der Mathematik angeboten, während der sich Studierende in Gruppenarbeit tiefergehend mit mathematischen, extracurricularen Inhalten beschäftigen können. Bezogen auf Zufriedenheit, spätere Klausurergebnisse und mathematischem Interesse hat die Evaluation positive Ergebnisse erzielt. Die Autoren stellen jedoch auch heraus, dass derartige Angebote in ein umfassenderes System von Maßnahmen eingebettet sein müssen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen (ebd.).
Ein weiteres Beispiel ist das Mathe-MAX-Projekt in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen der Hochschule Saarbrücken (Pulham 2013). Das wesentliche Ziel ist hier die Verbesserung des Studienerfolgs in mathematischen Kursen, da viele Studierende an den mathematischen Anforderungen scheitern. Ein Projekt im Rahmen des Mathe-MAX-Projektes sind die Mathe-Cafés. Dort sind studentische Tutoren und mindestens ein Hochschuldozent anwesend, um die Studierenden bei mathematischen Problemen auf flexible Weise zu unterstützen. Für Studierende, die die mathematischen Prüfungen nicht bestehen, werden zudem Repetitorien gehalten, um sie auf die Wiederholungsversuche vorzubereiten (ebd.).
Ähnliche Angebote wie die Mathe-Cafés wurden deutschen Hochschulen im Rahmen des Projektes Lehrinnovation in der Studieneingangsphase „Mathematik im Lehramtsstudium“ des KHDM empfohlen. (Biehler et al. 2011, Püschl et al. 2016) Sie bieten eine bedarfsgerechte Unterstützung der Studierenden und diese wertschätzen insbesondere das besondere Betreuungsverhältnis (Voll, Schäfer 2013).
Die Universität Paderborn bietet im Sinne der Empfehlung mehrere Lernzentren sowohl für Lehramtskandidaten als auch für fachwissenschaftliche Mathematikstudierende an (Frischemeier et al. 2013). In diesen studiengangspezifischen Lernzentren können sich Studierende zum individuellen oder gemeinsamen Lernen aufhalten und dabei stets Betreuung, Unterstützung und Beratung durch anwesendes Personal in Anspruch nehmen. Zusätzlich werden Workshops und Thementage angeboten (ebd.). So umfassen Workshops beispielsweise Themen wie die erfolgreiche Bearbeitung von Übungszetteln, wobei der Fokus hier nicht auf den konkreten Inhalten, sondern auf übergeordneten Lernstrategien liegt. Die Teilnahme wird dabei positiv beeinflusst, indem stets die aktuellen Übungszettel als inhaltliche Grundlage dienen (ebd.).
Ähnliche Workshops können auch einzelne mathematische Begriffe wiederholend und tiefergehend behandeln, die Studierenden schwerfallen, viele Fehlvorstellungen mit sich bringen und für den weiteren Studienverlauf sehr wichtig sind. Ein Beispiel hierfür ist ein Workshop zum Begriff der Konvergenz ergänzend zur Grundlagenvorlesung in Analysis (Ostsieker 2016).
Eine weitere erfolgreiche Unterstützungsmaßnahme ist die Mathe-Klinik der Fachhochschule Eberswalde (Schmitz, Grünberg 2013). In Rahmen dessen wurden ergänzende wöchentliche Hausaufgaben eingeführt, die in kleinen Tutorien begleitet werden. Besonders interessant ist, dass hier trotz Freiwilligkeit der Nutzung eine Rücklaufquote von 74 Prozent erreicht wurde. Grund dafür ist eine Anreizstruktur, bei der die Studierenden mit den freiwilligen Hausaufgaben zehn Prozent der Prüfungsleistung erbringen können. In einer Befragung nach den wichtigsten Maßnahmen für die Bewältigung der Prüfung stellte sich heraus, dass die Studierenden diese Maßnahme der begleiteten Hausaufgaben als sehr sinnvoll ansehen, wohingegen der ebenfalls angebotene Brückenkurs, zur Verfügung gestellte Fachliteratur und die Vorlesungsskripte am geringsten geschätzt wurden (ebd.).
Als letztes Beispiel wird das Projekt MathePlus (Dehling et al. 2014) für Mathematik- und Informatikstudiengänge an der Universität Bochum erläutert, das gleich mehrere Besonderheiten aufweist.
Neben einem angebotenen Help-desk, an dem studentische Hilfskräfte wie bei den Mathe-Cafés Ansprechpartner für fachliche Fragen sind, wird der Hauptfokus des Projekts auf Lernstrategien und weniger auf inhaltliche Merkmale gelegt. Mit Lernstrategie ist in diesem Projekt vor allem das grundsätzliche Arbeitsverhalten der Studierenden gemeint, d. h. Anstrengungsbereitschaft, Selbstorganisation und -disziplin. Um diese Aspekte erfolgreich beeinflussen zu können, existieren Teilnahmevoraussetzungen für das Projekt MathePlus. Neben einem Leistungstest, der die Zielgruppe ermittelt, wird auch ein Bewerbungsverfahren durchgeführt, welches die Studierenden auswählt, die das Bewusstsein und die Bereitschaft mitbringen ihr Arbeitsverhalten für ein erfolgreiches Studium zu verändern. Im Leistungstest werden außerdem Studierende mit sehr schlechten Ergebnissen ausgeschlossen, was im Vergleich zu anderen Angeboten unüblich ist. Hiermit wird sich auf die Studierenden konzentriert, bei denen eine erfolgreiche Veränderung als realistisch eingestuft wird.
Das Projekt zeichnet sich unter anderem aufgrund des Auswahlprozesses und eines freiwillig unterschriebenen Vertrages über die Anstrengungsbereitschaft durch eine sehr hohe Verbindlichkeit der Teilnehmer aus. Eine Evaluation zeigte eine sehr hohe Nutzerzufriedenheit und ein gutes Abschneiden in den Klausuren, das sogar über der Gesamtheit der Studierenden des Semesters lag (Dehling et al. 2014).
Anders als in Deutschland, wo keine größer angelegte vergleichende Forschung über die semesterbegleitenden Unterstützungsangebote oder Lernzentren vorliegt, haben Lawson et al. (2003) in Großbritannien eine Untersuchung sogenannter Mathematics Support Centers (i. F....