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E-Book

Langsamer Sommer

AutorToni Buchegger
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl372 Seiten
ISBN9783746023434
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Eine besondere Biographie, ebenso berührend wie witzig - auf alle Fälle ist sie authentisch. Der Beginn der Geschichte ist ein bedeutsamer, dramatischer Moment im Leben des Autors, einerseits eine vom Schicksal erzwungene Wende, andererseits die Gelegenheit, das bisher Erlebte Revue passieren zu lassen. Der Leser wird auf die Reise mitgenommen, teils mit biographischen Informationen, teils mit Episoden aus der jeweiligen Zeit. Dabei werden vergangene Jahrzehnte mit ihren Lebensumständen deutlich. Die Chronologie des Erzählten wird immer wieder durch Exkurse ergänzt, die weltpolitisches Geschehen beleuchten und zeigen, dass diese bedeutsamen Ereignisse direkt oder indirekt Auswirkungen auf das Leben des Autors haben. Das Ende zieht bisherige Bilanz und ist vor allem Gelegenheit, seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen.

Toni Buchegger, geboren 1948 in Ebensee, lebt als Pensionist nach wie vor in seinem Heimatort, zuletzt tätig in der Versicherungsbranche; hat nach einer Gehirnblutung und dem mühsamen Wiedererlernen der Sprache beschlossen, seine Biographie zu verfassen.

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Leseprobe

FAST ALLE MENSCHEN HABEN VIELE WÜNSCHE – KRANKE NUR EINEN!


10. JUNI 2001

Am 10. Juni 2001 bekam ich heftigste Kopfschmerzen. Sie waren so stark, wie ich sie im ganzen Leben noch nie hatte. Meine Frau und ich waren am Vortag in Obertraun zur Geburtstagsfeier vom Schwiegervater meines Sohnes Michael eingeladen. Er hatte den 50er und wir fuhren das erste Mal mit unserem alten, gebrauchten Wohnwagen zu dieser Feier. Den Wohnwagen hatten wir im Vorjahr von einem Nachbarn gekauft, als dieser sich einen neuen anschaffte, wir waren erstmals damit unterwegs. Der Hintergrund war der, dass wir nach der Geburtstagsfeier nicht die 42 Kilometer nach Hause fahren mussten.

Die Feier war um Mitternacht schon zu Ende, da einen Tag vorher mit Arbeitskollegen auch schon ein Fest stattgefunden hatte. Ich trank nur drei kleine Bier und ging dann schlafen. Wir frühstückten mit dem Geburtstagskind samt seiner Frau und fuhren anschließend mit dem Wohnwagen nach Hause. Mittags konnte ich auch nichts essen, da die Kopfschmerzen so heftig waren. Danach versuchte ich, ein neues Buch, welches ich von Flo zum Vatertag geschenkt bekommen hatte, zu lesen. Ich schlug es auf, konnte aber keine Zeile lesen und hatte den Eindruck, dass das ganze Buch verdruckt war, denn es war für mich „unleserlich“. Da ich so etwas noch nie gesehen hatte, fragte ich meine Frau, die mir aber sagte, dass das ganze Buch in Ordnung sei und keinen Druckfehler habe.

Lisi, meine Frau, reagierte sofort, rief beim Roten Kreuz an, es war Sonntag, um den zuständigen Arzt zu verständigen. Gleichzeitig verständigte sie unseren Sohn Michael, der auch sofort vorbeikam. Der Arzt war in kürzester Zeit bei uns, sah die Symptome und veranlasste die unverzügliche Einweisung in das Krankenhaus Bad Ischl. Michael fragte mich noch, ob ich die Turnschuhe selbst anziehen könne, was für mich problemlos ging. Er war früher beim Roten Kreuz Zivildiener und hatte demnach die Ausbildung zum Sanitäter durchgemacht. Die Rettungsleute brachten einen Liegesessel ins Haus, den ich aber ablehnte, und ich stieg selbst ins Rettungsauto ein. Nach einer ersten CT (Computertomografie)-Aufnahme im Krankenhaus wurde ich dann sofort in die Spezialklink nach Linz, ins Wagner-Jauregg, transportiert, bei dem Transport fuhr auch noch Michael mit. Es folgten noch Kontroll-MPT- (Magnetfeldresonanz) Untersuchungen und eine Angiographie. Ab diesem Zeitpunkt kann ich mich nicht an alles erinnern. Am nächsten Tag, am 13. Juni, war meine Frau bei mir, ich wurde für die Operation vorbereitet und unterschrieb das Erklärungsformular mit meinem Namen wie immer. Die OP war unvermeidlich, da meine Blutung größer war als vermutet. Meine Frau und auch Flo, der aus Wien kam, waren dabei, als mein ganzer Kopf kahl rasiert wurde, Lisi hielt das fast nicht aus, dabei zuzuschauen. Auch heute noch, wenn wir über das „Haareabschneiden“ sprechen, leidet sie schrecklich darunter. Ich war ganz entspannt, vermutlich bekam ich eine „Wurstigkeitsspritze“ und wurde in die Schleuse des OP transportiert. Man entschuldigte sich bei mir, da ich längere Zeit auf die OP warten musste, man sagte, es sei etwas dazwischengekommen. Mir war das sowieso ganz egal und ich wurde schließlich in den OP geschoben. Die zwei Ärzte, die mich operierten, unterhielten sich noch kurz mit mir und schon war ich weggekippt.

In der Intensivstation wachte ich wieder auf und musste feststellen, dass ich nicht der Einzige war, der hier lag. Meine Familie war immer bei mir und meine Frau und die Söhne wechselten sich ab. Zuerst meine Frau Lisi mit Flo, der in Wien lebt und auch dort studiert hatte. Wenn sie am Parkplatz vom Wagner-Jauregg waren, riefen sie Michael an, der dann in Ebensee wegfuhr und anschließend bei mir im Krankenhaus war.

Ich kann mich noch sehr gut an das alles erinnern, wusste aber nicht mehr, ob Tag oder Nacht sei, es brannte auch immer Licht. Ich hatte einmal einen zweiten Patienten im Zimmer, der mir sagte, dass er auch im Kopf operiert werde und einen Tumor habe. Er erzählte mir noch von seiner Familie, ich konnte der Geschichte nicht folgen, vermutlich schlief ich ein. Am nächsten Tag wurde er hinausgebracht, ich sah ihn dann nicht mehr. Einmal dachte ich mir, irgendwann sollte ich auf die Toilette gehen, vergaß es aber wieder. Dann verstand ich auch nicht, warum ich keinen Hunger hatte. Tatsache war, dass ich überall angeschlossen war und dies erst mitkriegte, als alle die Geräte bei mir entfernt wurden. Zwei Pfleger halfen mir aus dem Gitterbett, (vorher hatten sie wahrscheinlich Angst, dass ich davonlaufe könnte und joggen gehe)!! Das erste Mal wieder auf den Beinen, war es einfach unmöglich zu stehen oder zu gehen, doch wurde ich von den Pflegern tatkräftig unterstützt. Dann sah ich mich im Spiegel; ich war das blühende Leben und schloss sofort die Augen.

Nach zwei Wochen wurde ich ins Krankenhaus nach Gmunden überstellt. Es war eine wesentliche Erleichterung für meine Familie, da die Fahrzeit wesentlich kürzer war und die Entfernung nach zuhause nur 17 Kilometer betrug. Nach ein paar Tagen kam ein Arzt zu mir in mein Zimmer, da er die Fäden der Operation auf meinem kahlen Kopf entfernen sollte; ich wusste allerdings nicht, was er damit meinte.

Ist das alles Wirklichkeit oder doch nur ein schlechter Traum? Warum werde ich nicht wach? Ist das die Tatsache oder doch nur eine Vermutung? Lebe ich wirklich noch? Eine gute Woche vorher hatte ich mir im Fernsehen am späten Abend noch den Film mit Bruce Willis und Brad Pitt „Twelve Monkeys“ angesehen. Ich hatte diesem Film damals keine besondere Beachtung geschenkt, erst nach meiner Kopfoperation im Wagner-Jauregg in Linz ist er ein Thema geworden und hat mich seither unheimlich beschäftigt. Er handelt von Zeitsprüngen, von dem, was früher war, was jetzt ist, und davon, ob das alles stimmt oder nur eine Einbildung. Das Festbinden oder Festschnallen, dazu die totale Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein und dazu noch die Umgebung, die für mich erschreckend war. Bruce Willis, ohne Haare, direkt oberhalb des linken Ohres und am linken Hals mit „Barcode-“ beziehungsweise „Strichcode- Markierung“ und Verletzungen am Kopf. Wurde er auch operiert oder nur ich? Ich war mir nicht ganz sicher! Es beschäftigte mich über Jahre und ich sah damals verschiedene Gleichheiten beziehungsweise Übereinstimmungen.

Mich besuchten nun auch Freunde und Bekannte. Manche wollten vorbeikommen, kamen aber nicht, da sie nicht wussten, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollten.

Alleine die verschiedensten Aussagen über meinen Gesundheitszustand trugen noch zum Drama bei, wie: „Ich habe ihn gesehen, hätte ihn aber nicht mehr erkannt“, „er schaut schrecklich aus“ und „er war immer sehr nett“, die Betonung lag auf „WAR“. Bin ich jetzt nicht mehr nett oder schon tot? Dasselbe passiert auch Patienten, die Krebs haben, Freunde und Bekannte verschieben immer wieder den Besuch, weil sie mit solchen Krankheiten schwer umgeben können. Gerade hier wäre es immens wichtig, sowohl Kranken als auch Behinderten zu zeigen, dass man einfach da ist und man sie nicht vergessen hat. Eines ist ganz, ganz sicher, man soll einfach vorbeikommen und besuchen; es profitieren immer beide davon!

Der Krankenhausbetrieb beginnt schon um sechs Uhr und endet am Abend, dazwischen liegen Essen, Untersuchungen, Visite und Besuche. Lesen oder Fernsehen, beides war für mich nicht möglich, sogar Hörspiele verstand ich kaum, da mir das Ganze zu schnell ging und ich dem nicht folgen konnte. Das Beste war überhaupt, die Augen zu schließen und auf den nächsten Tag zu warten, denn so eine Nacht ist sehr, sehr lange. Was ich immer liebend gerne hatte, war die Musik, und so hatte ich den CD-Player samt CDs in meinem Nachttisch. Immer in der Nacht hörte ich die erste Zeit Musik von den Dire Straits, von Eric Clapton und Zucchero. Damals habe ich erst langsam realisiert, was mit mir passiert ist, konnte es aber trotzdem nicht fassen. Immer wieder glaubte und hoffte ich, dass das alles ein schrecklicher Traum war, doch es war Realität. Langsam wurde mir bewusst, dass es mich schlimm erwischt hatte, konnte aber den ganzen Umfang und das Ausmaß erst später begreifen. Warum es gerade mir passiert ist, habe ich nie hinterfragt, warum auch? Hatte ich doch in meinem Beruf sehr schöne Dinge erlebt, genauso aber sehr schwere Unfälle und auch Tote. Wenn mir jemals etwas passieren sollte, hatte ich eher an einen Autounfall gedacht, denn ich fuhr in der Nacht meistens zu schnell. Kurz nach acht Uhr abends hatte ich Besuch von einem meiner besten Freunde, er war das erste Mal bei mir im Krankenhaus. Über mein Befinden gab es nicht allzu viel zu erzählen, ich merkte aber, dass bei ihm etwas nicht stimmte. Er war völlig niedergeschlagen und fertig, konnte schließlich nicht mehr verhindern, dass er in Tränen ausbrach und mir sagte, dass seine Frau Krebs habe. So gut ich konnte, wollte ich ihn trösten und ihm Mut zusprechen. Doch dieser Krebs ist nicht heilbar und es war nur eine Frage der Zeit, wann seine Frau sterben muss. Wir hielten uns bei der Hand und weinten.

Als ich Ende des Monats entlassen wurde, konnte ich kaum etwas alleine machen als im Bett liegen und versuchen, langsam, (mit Unterstützung) aufzustehen. Damals musste ich täglich 13 verschiedene Medikamente nehmen, beim...

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