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E-Book

Ton für Ton

Unterhaltungsmusik in Wien - ein Leben lang

AutorWolfgang Ortner
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783746041957
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wolfgang Ortners Musikerleben im Milieu der Wiener Unterhaltungsmusik von den 1950er Jahren bis heute. Der Autor erzählt, wie er Musiker wurde und seinen Weg bis an die Spitze der Wiener Ballorchester fand. In einer Kombination aus Autobiografie und Kulturgeschichte der Wiener Musik wird österreichisches Musik-, Kultur- und Gesellschaftsgeschehen aus dem Blickwinkel eines der führenden Musiker und Orchesterleiter erfahrbar gemacht. Die Kapitel spannen einen Bogen von Ortners Kindheit und Jugend in Linz, seinen musikalischen Anfangsjahren und dem Aufstieg in Wien bis zu seinen vielfältigen, auch internationalen Tätigkeiten als Pianist, Korrepetitor sowie künstlerischer und organisatorischer Leiter von Combo, Big Band, Chor und Orchester. Bei seinen zahlreichen Auftritten arbeitete Wolfgang Ortner mit vielen bekannten Sängern, Sängerinnen und Conferenciers wie Josephine Baker, Waltraud Haas, Mirjana Irosch, Else Rambausek, Birgit Sarata, Roberto Blanco, Rudi Carell, Michael Heltau, Heinz Holecek, Harald Serafin, Karl Terkal zusammen. In detaillierten Schilderungen werden unter anderem das Zeremoniell der Wiener Bälle, die Besonderheiten musikalischer Tanz-, Konzert- und Firmenveranstaltungen sowie die Ensemblebesetzungen für diese Anlässe vorgestellt. Aus den Begegnungen mit prominenten Künstlern resultieren viele amüsante Geschichten, die die Stars der Szene für den Leser fassbar machen. "Ton für Ton" zeichnet ein Stück österreichischer Musik/Kulturgeschichte nach, wie sie in dieser Form noch nicht erzählt wurde.

Geboren 1936 in Linz, Matura am humanistischen Gymnasium, Studium von Klavier und Tonsatz am Brucknerkonservatorium. 1954 Übersiedlung nach Wien, Studium an der Hochschule für Welthandel mit Abschluss Diplomkaufmann. Neun Jahre Tätigkeit in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei, anschließend bis zur Pensionierung als Steuer- und Bilanzfachkraft beim niederösterreichischen Energieversorgungsunternehmen EVN (vormals NEWAG-NIOGAS) tätig. 1963 Heirat mit Renate, fünf Kinder, davon zwei Berufsmusikerinnen. Seit 1954 in Wien musikalisch tätig als Ensembleleiter, Dirigent, Pianist, Korrepetitor, Komponist und Arrangeur. Als Musiker ausgezeichnet 1995 mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien und 2009 mit der Verleihung des Berufstitels Professor durch den Bundespräsidenten.

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Leseprobe

Die ersten Jahre in Wien


Am 5. September 1954 – es war ein Sonntag – stand ich aufgeregt mit einem großen Koffer auf dem Westbahnhof. Ich war in Wien, in der Großstadt, angekommen, um mein Studium an der Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität, zu beginnen.

Das alles war für mich doch etwas überraschend gekommen. Mein Berufswunsch, Musiker zu werden, kam für meine Eltern nicht in Frage : »Schau dir an, welche Möglichkeiten du in Linz hast – du kannst bestenfalls im Theaterorchester spielen, was anderes gibt es bei uns nicht, und mit diesem Honorar kannst du keine Familie durchfüttern. Such dir einen ordentlichen Büroposten, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

Als folgsamer Sohn bewarb ich mich um eine Stelle in einer Bank und mir wurde zugesagt, dass ich nach der Matura gleich würde beginnen können.

Dazu kam es aber nicht. Denn noch vor meiner Matura wurde mein Vater von Präses Josef Gegenbauer, dem Leiter des Wiener Kolpinghauses in der Gumpendorfer Straße, während einer Kolpingtagung gefragt : »Du hast doch einen Sohn, der heuer maturiert. Ich suche ab Herbst für mein Kolpinghaus einen Präfekten, der sich um die Lehrlinge, die in meinem Heim wohnen, kümmert. Das wäre doch etwas für deinen Wolfgang. Er könnte die Stelle für Kost und Logis annehmen und gleichzeitig ein Studium absolvieren.«

Als mir mein Vater das erzählte, war ich sofort einverstanden. In Linz gab es damals noch keine Universität. Ich wollte »ein möglichst kurzes« Studium wählen. Jus war mir doch etwas zu trocken und bürokratisch, also entschloss ich mich, einen Abschluss als Diplomkaufmann anzustreben.

Da war ich also nun, nicht mehr im Schoße der Familie, allein auf mich gestellt, in einem Heim mit rund zweihundert fremden Menschen, und für einen Teil von ihnen sollte ich auch Verantwortung übernehmen.

Ich hatte es vor allem in meinem ersten Wiener Jahr nicht leicht, das für mich völlig neue gesellschaftliche Umfeld zu akzeptieren und mich darin zu behaupten. Mir waren an die vierzig Lehrlinge anvertraut, bei denen ich für Ruhe und Ordnung sorgen musste, deren Lernfortschritte ich zu überwachen hatte und überhaupt darauf achten musste, dass sie keine altersadäquaten Dummheiten machten. Die übrigen Hausbewohner standen alle schon im Berufsleben und gingen nicht sehr freundlich mit mir um ; sie sahen in mir den »G’studierten, der gratis im Haus lebt und nur ein bisserl auf die Buam aufpasst«.

Aber da halfen mir meine Begeisterung für Musik und Theater, um in der Hausgemeinschaft der arbeitenden und Geld verdienenden Burschen als gleichberechtigtes Mitglied anerkannt zu werden. Zunächst nahm ich Kontakt zur Kolpingbühne auf, die als Amateurtheater regelmäßig Operetten und Singspiele im stets ausverkauften Theatersaal des Kolpinghauses aufführte. Und als Neueinsteiger war ich erst einmal bei der Herbstaufführungsserie der Operette Die gold’ne Meisterin von Edmund Eysler der technisch versierte Vorhangzieher. Ich machte aber schnell Karriere und bei der Wiederaufnahme im Frühjahr 1955 spielte ich bereits die Rolle des böhmakelnden Gesellen Wenzl. Die Hauptrolle des Christian sang Franz Sibrawa, ein Beamter im Justizministerium, dessen Charakteristikum eine sehr nasal gefärbte Tenorstimme war. Wenn wir Hausbewohner gemütlich beisammensaßen und Präses Gegenbauer gut aufgelegt war, sagte er stets : »Geh, Ortner, sing den Sibrawa!« Und ich näselte zum allgemeinen Gaudium : »Du liiiiebe goooold’ne Meisterin …«

Im Theatersaal stand ein Flügel, den ich in meiner Freizeit gern und laut bespielte. Damals lebten im Haus viele Burschen, die in ihrem Heimatort als Mitglieder der Blaskapelle oder eines Schulorchesters ein Instrument erlernt hatten. Wegen meines Klavierspiels sahen sie mich sofort als Orchesterfachmann und vergatterten mich zum gemeinsamen Musizieren. Einige von ihnen spielten im Theaterorchester mit, aber jetzt wollten sie Tanzmusik machen. Dieser Gedanke wurde von der Kolpingsfamilie dankbar gefördert und so hatten wir beim »Kathreintanz« im November 1955 unseren ersten – selbstverständlich unbezahlten – Auftritt. Das Notenmaterial erhielten wir vom Theaterkapellmeister Walter Windsperger und vor allem von Franz Oswald, der Trompeter im Raimundtheater war und ein eigenes Salonorchester unterhielt. Zu dieser Zeit sandten die Musikverlage laufend gratis Orchesternoten von Neuerscheinungen und Neuarrangements alter Ohrwürmer an aktive Orchesterleiter, damit diese Titel gespielt wurden und die entsprechenden Tantiemen abwarfen. Es gab damals außer durch Druck oder Handschrift keine Möglichkeit, Notenmaterial herzustellen. Damit ja alles unter die Leute kam, verschickten die Verlage oft zweimal oder dreimal die gleichen Arrangements. Und solche Duplikate erhielten wir und probten mit Begeisterung die Schlager dieser Zeit, wie »Ganz Paris träumt von der Liebe«, »La Mer«, »Fascination« usw.

Unsere Besetzung resultierte aus den im Haus wohnenden Musikern, und das waren zwei Saxofonisten, zwei Klarinettisten, zwei Trompeter, zwei Posaunisten – von denen einer Karl Kautsky war, der später beim Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester musizierte –, zwei Geiger, ein Cellist, ein Kontrabassist und ein Gitarrist. Schlagwerker hatten wir keinen im Haus, also setzte ich kurzerhand meinen Zimmerkollegen Ewald hinter die Trommeln, dem ich in einem Blitzlehrgang die erforderlichen Rhythmen beigebracht hatte. Er war dann nach kurzer Zeit der Erste, der von einem nicht im Hause wohnenden Musiker abgelöst wurde, nämlich von Otto Adam, der Konzertmeister im Theaterorchester war und außerdem Schlagwerk spielte.

Das Publikum nahm unsere Musik dankbar an. Es gab jedoch Beschwerden, dass wir zu wenig Walzer, Märsche und Polkas spielen. Ich bekam also vom Vereinsvorstand den offiziellen Auftrag, auf Kosten des Vereins ausreichend Notenmaterial für die sogenannten »runden« Tänze zu kaufen.

Nach dem Debüt unseres Kolpingorchesters beim Kathreintanz kamen im folgenden Jahr durch Mundpropaganda schon die ersten Engagements. So spielten wir zum Beispiel als Quartett auf einem Dentistenkränzchen in Hübners Meierei im Stadtpark.

Ein Problem mussten wir aber gleich zu Beginn unserer Tanzmusikkarriere meistern : Unter welchem Namen sollten wir auftreten? Wir begannen zunächst als KTO, die Abkürzung für »Kolping Tanz Orchester«, was aber von spöttischen Zungen sofort als »Kein Ton in Ordnung« interpretiert wurde. Also nannten wir uns bei Veranstaltungen im Kolpinghaus die »K-Boys«. Wenn wir außer Haus spielten, verwendeten wir dann schon meinen Namen : Wolfgang-Ortner-Quartett usw., je nach Besetzungsgröße.

Im Mai 1956 veranstaltete und dirigierte ich im Kolpingtheatersaal eine musikalische Revue mit dem Titel : Komm mit! Wir wandern in den Frühling! So lautete auch der von mir komponierte Titelsong. Ich hatte die musikalische Leitung über fünf Solisten, Chor und Orchester der Kolpingsfamilie sowie die K-Boys. Regie und Conference, wie damals die Moderation genannte wurde, lagen in den Händen von Peter Bauer, einem Theaternarren und Textilkaufmann, der aber später genug von der Theaterluft hatte, Theologie studierte und Religionslehrer und Diakon wurde.

Auf dem Dentistenkränzchen ( v. l. ) : Wilfried Scheutz, Alfred Fallmann, ich, Wilhelm Kopecky

In der Revue führten wir hauptsächlich unsere eigenen Werke auf : einen Sketch und Texte von Peter Bauer, eingebettet in Musikstücke von mir und Eugen Brixel, dem nachmaligen österreichischen Blasmusikexperten. Unter anderem spielten wir ein Potpourri – heute heißt so etwas Medley – aus der von Peter Bauer getexteten und mir komponierten, jedoch nie aufgeführten Operette Ewiger Dreivierteltakt. Das waren schmissige Titel wie »Sag im Amte niemals Tempo« oder »Drinnen im Schreibtisch wartet die Arbeit«. Peter Bauer war ein österreichischer Büroangestellter! Wir hatten aber auch lyrische Lieder vorgesehen mit Refrains wie »Wenn man im Dreivierteltakt sich selig dreht« oder »Du kamst in mein Leben wie heller Sonnenschein«.

Die K-Boys begleiten Othmar Wicke auf
der »Wanderung in den Frühling«.

Im Kolpinghaus wohnten auch zwei junge Gesangsstudenten, die ich regelmäßig – selbstverständlich gratis – korrepetierte. Othmar Wicke war Bariton und Albert Pfeifhofer Bassbariton. Beide steckten viel Geld in ihre Ausbildung und träumten von der großen Karriere. Im schönen Ehrbar-Saal in der Mühlgasse veranstalteten sie mit mir als Klavierbegleiter einen klassischen Liederabend, den alle Freunde aus dem Kolpinghaus besuchten, aber sonst niemand. Wie das Schicksal so spielt : Wicke bekam einen Job als Elektriker in der Staatsoper und Pfeifhofer wurde Hotelportier im Kaiserhof.

Ich war jedoch nicht nur Liedbegleiter, nein, ich begann mich in dieser Zeit mehr mit meiner und anderer Menschen Stimme im Solo-, Ensemble- und Chorgesang zu beschäftigen,...

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