Jedes Ding hat drei
Seiten, eine positive, eine
negative und eine komische.
Karl Valentin
Humor ist eine Lebenskunst
Im Allgemeinen versteht man unter Humor, dass man trotzdem lacht, auch wenn das Leben schwierig wird. Das war ein Bonmot des Dichters Otto Julius Bierbaum. Und nun ist die Kernfrage: Wie entsteht dieser Humor? Kann man ihn lernen oder ist er angeboren? Nachdem ich vor 20 Jahren mit dem beliebten Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch telefonierte, fiel mir die Volksweisheit ein, dass uns der Humor mit der Muttermilch vermittelt wird. 4 Dann rief mich auch die Frau eines bekannten Fernsehmoderators an. Ihr Mann sei leider unterwegs, aber ansonsten sei es doch so: „Den Humor hat man, oder man hat ihn nicht. Es ist unmöglich, ihn zu erlernen.“ Damals war dies offenbar die gängige Überzeugung. Ich fand sie nachvollziehbar, denn Millowitsch ist zuzustimmen, dass es für den Humor kein einfaches Rezept gibt. Und doch gibt es manchmal Situationen, in denen wir um unseren Humor ringen müssen. Mariele Millowitsch schrieb einmal, sie habe in einer Krise die Erkenntnis beherzigt: „Wenn das Dach über Dir zusammenbricht, kannst Du die Sterne wieder sehen.“ Kann so nicht Humor entstehen?
Humorsteigerung: Training oder Krisenbewältigung?
Aber ist der Humor trainierbar? Das jedenfalls behauptete McGhee schon 1979 und neuerdings wird dies auch von der Psychiaterin Barbara Wild vertreten, die Humorkurse anbietet. Die Frage, ob der Humor wirklich trainierbar ist, bleibt also strittig. Fest steht: Man kann es lernen, komische Situationen zu erkennen. Man kann es auch lernen, innezuhalten und das Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen. Aber ist nicht bereits ein solches Innehalten, ein solcher Perspektivwechsel das Resultat einer Persönlichkeitsentwicklung? Ist nicht der tiefere Humor ein Geschenk dafür, dass wir eine tragfähige Lebensbasis gefunden haben? Dann wäre der Humor das Ergebnis eines erfolgreichen Ringens mit den Schwierigkeiten des Alltags.
Unser Humor lässt sich steigern, sofern es uns gelingt, unsere Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Selbst die trübste Tasse habe vielleicht die Chance, humorvoller zu werden – meint daher die Schriftstellerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier, nachdem sie zunächst ihre Zweifel betont und nachdenklich feststellt, Humor sei wie ein Naturell und habe nichts mit der aktuellen Lebensbelastung zu tun. Eine mit ihr befreundete Dame, die Jahre im KZ verbringen musste, habe mehr Humor gehabt als ihr Briefträger. Deshalb kommt sie zu dem Schluss, es gäbe Menschen, die humorlos seien und diese hätte sie immer gemieden. Und sehr hellsichtig erklärt sie, warum der Humor so schwierig zu erlangen sei. Denn der Humor setze eine Souveränität voraus, die letztlich durch einen Bewusstseinsakt entstehe. Erst durch diese geistige Haltung fänden wir jenen Abstand zur Welt, der uns lächeln und lachen lässt, trotz aller Probleme.
Offenbar gibt es Menschen, die auch in den schwierigsten Situationen lachen können und da ich als Psychotherapeut arbeite, interessiert mich vor allem die Frage: Wie können wir lernen, humorvoller zu werden? Wie gelingt uns jener Abstand zur Welt, der so unverzichtbar ist für den Humor? Welche Eigenschaften müssen wir dazu erwerben?
Es ist offenbar schwierig, aber nicht unmöglich, den Humor zu erwerben. Deshalb stellt sich erneut die Frage: Wie entsteht der Humor? Damit beschäftige ich mich seit Jahrzehnten und um den Humor in seiner ganzen Tiefe zu verstehen, habe ich einige umfangreiche Studien durchgeführt. Basierend auf ihren Ergebnissen habe ich ein Programm entwickelt, durch das ich Sie in den folgenden Kapiteln führe. Es beginnt damit, dass Sie den eigenen Humorstatus ermitteln. Bitte beobachten Sie sich für einige Tage und schreiben Sie auf:
- Wie oft haben Sie in den letzten fünf Tagen gelacht?
- Wann haben Sie als Kind gelacht?
- Welche Witze fallen Ihnen ein, was ist Ihr Lieblingswitz?
- Bitte schreiben Sie alle komischen Situationen Ihres Lebens auf, an die Sie sich erinnern.
- Und wann verlieren Sie Ihren Humor?
Wahrscheinlich werden Sie nun feststellen, dass es nicht so einfach ist, den eigenen Humor zu analysieren. Schließlich sind wir alle gelegentlich humorvoll und in anderen Situationen nicht. Und mit den Entwicklungsschritten unseres Lebens verändert sich auch unser Humor. Denn der Humor ist nicht statisch, er hat nichts mit der Vererbung zu tun und deshalb ist auch die Schädelmethode so absurd, von der Mark Twain berichtet. Er ließ sich einmal seinen Schädel von einem Mann untersuchen. Dieser betastete seinen Kopf und stellte dann mit gelangweilter Stimme fest, Twain besäße erstaunliche Courage, unbegrenzte Furchtlosigkeit und außerdem hätte er überhaupt keinen Humor. Er führte das auf eine Delle im Schädel zurück, wo eigentlich eine Ausbuchtung sein müsste. Twain war so verletzt, gedemütigt und verstimmt, dass er sich nach drei Monaten nochmals untersuchen ließ. Und wieder machte der Mann eine erstaunliche Entdeckung: Die Delle war verschwunden und an seiner Stelle stand ein Mount Everest - bildlich gesprochen - 9000 Meter hoch, die erhabenste Humorbeule, der er in seinem ganzen Leben begegnet war! 5
Die Humor-Biographie
Tatsächlich ist unser Humor veränderbar. Bei manchen Menschen nimmt er ab, bei vielen jedoch im Laufe des Lebens eher zu. Deshalb wäre es sehr interessant, wenn Sie Ihre eigene Humor-Biographie schrieben. Ein wundervolles Beispiel für eine solche Biographie ist der vierseitige Text, den mir der Schriftsteller Heinz Knobloch zugeschickt hat. Dort schildert er eindrücklich, wie sein Lebenshumor entstand: „Meine Dresdner Großmutter, die während des Krieges über ein Jahr bei uns in Berlin wohnte, im vierten Stock, lächelte, wenn meine Mutter und ich in den Luftschutzkeller rannten. Und nach der Entwarnung stand sie schon am Herd und buk Kartoffelpuffer. …. Es ließ sich so vieles überwinden mit dem HEITEREN DARÜBERSTEHEN des Theodor Fontane…“. Dieser ausführliche Brief von Knobloch enthält so vielfältige Anregungen, dass ich ihn im Anhang in voller Länge abdrucke.
Gerhard Schröder als Hundehalter
Doch dann sollten Sie auch darüber nachdenken, wann Sie den Humor verlieren. Meist werden es Situationen sein, in denen wir unseren Willen nicht durchsetzen können, nicht Herr/ Frau unseres Lebens sind. So ging es auch Gerhard Schröder. Als er noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, antwortete er auf meine Frage nach seinem Lebenshumor: „Als Hundehalter trainiere ich täglich, mir den Humor zu erhalten: Mein Neufundländer Merlin führt mir täglich eindrucksvoll vor Augen, dass es viel leichter ist, die Richtlinien der Politik zu bestimmen als die des Hundeverhaltens. Alle ansonsten erfolgreich erprobten Instrumente der Durchsetzung versagen bei ihm völlig. Diese ständige Auseinandersetzung mit dem Hund beweist mir, wie relativ doch alles Sein und Tun ist. So ergibt sich auf wunderbare Weise und fast zwangsläufig die notwendige Distanz zu den Dingen.“
Offenbar sind es zunächst sehr individuelle Situationen, in denen unser Humor gefordert ist. Doch es gibt auch sehr klassische Belastungssituationen. Damit Sie Ihr eigenes Humorprofil erstellen können, sollten Sie sich daher ausführlicher mit den fünf Humor-Belastungen beschäftigen.
Humor-Belastung 1: Der Tag fängt gut an
Es gibt wirklich Tage, an denen man am besten wieder schlafen gehen sollte. This is not my day - pflegen wir dann zu sagen. Als ich an einem Nachmittag vier Analysanden dazu befragte, wurde ich sofort fündig. Eine junge Frau berichtete, dass sie morgens verschlafen habe. Dann sprang ihr Auto nicht an und sie musste mit dem Bus zum Arbeitsamt fahren. Als sie dort eine Stunde gewartet hatte, teilte man ihr mit, dass sie im falschen Amt sei. Sie setzte sich also in die S-Bahn und verfuhr sich, weil man inzwischen den Bahnhof umbenannt hatte. Als sie schließlich zum Arbeitsamt kam, hatte es schon zu. Sie fuhr wieder nach Hause und buchte alle Widrigkeiten mit der gelassenen Einstellung ab, es sei eben nicht ihr Tag.
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Wenn wir uns gelegentlich über schlechte Ergebnisse beim sportlichen Wettkampf oder über unsere Haustiere ärgern, können wir noch humorvoll sein, solange es uns gelingt, etwas Abstand zum kränkenden Geschehen einzulegen. Auch wenn wir aus Versehen morgens Salz in den Kaffee schütten, werden das die meisten komisch finden und die ‚Plörre‘ wegschütten. Und wenn Sie die Wohnungsschlüssel vergessen und vor Ihrer verschlossenen Tür stehen, werden Sie meist humorvoll reagieren, falls es irgendwo einen Ersatzschlüssel gibt. Das sind die kleinen Missgeschicke im Leben. Doch dieser Humor geht sehr schnell verloren, wenn wir unsere Geldbörse oder unser Smartphone suchen und nicht finden. Oder wenn die Arbeit eines ganzen Tages vergeblich war, weil wir die abgestürzte Computer-Datei nicht abgespeichert hatten.
Komisch ist so etwas meist nur für andere, sie können auch über das Missgeschick...