Vorteile des Fastens für Körper, Seele und Geist
Wir haben alles, können uns jederzeit von allem noch mehr besorgen und finden immer und überall neue Möglichkeiten, uns etwas zu „gönnen“ und uns abzulenken. Wir konsumieren, wann immer wir wollen und wo immer wir wollen. Wir orientieren uns sehr nach außen, leben im Außen und oftmals für „die Anderen“. Dadurch nehmen wir unsere eigenen Bedürfnisse zu wenig wahr. Wir definieren uns auch häufig über Äußerlichkeiten und sehen ständig diejenigen, die am Essen und am Feiern sind, die sich vergnügen und es sich gut gehen lassen. Wir haben immer das Gefühl von Mangel, obwohl wir in der Fülle leben, weil uns die Werbung suggeriert, dass wir noch mehr brauchen. Wir kommen mit vollen Einkaufstaschen nach Hause, haben aber dennoch das Gefühl, dass noch einige Spurenelemente und Mineralstoffe fehlen. Wir kaufen neue Kleidung und sind damit nach einer Saison schon wieder nicht mehr im Trend. Wir machen Urlaub und haben das falsche Hotel gebucht, wir gehen aus und sind im verkehrten Lokal und wir sind immer gerade dort, wo es nicht so schön, so modern, so gemütlich ist. Wir sind in Konkurrenz mit den „Anderen“ und so entsteht häufig das Gefühl von Mangel und Unzulänglichkeit – und das hält uns am Laufen und Hetzen. Wir halten Ausschau nach Neuem, Besserem, Schnellerem – und doch führt der Weg nicht ins Glück oder zu Zufriedenheit.
Wir können freiwillig reduzieren, bevor dieser Überfluss zu einem Überdruss führt oder eine Krankheit uns dazu zwingt, und wir können durch ein bescheideneres Verhalten Umweltsünden in den Herkunftsländern der Konsumgüter und der exotischen Lebensmittel vermeiden helfen. Dieser Gedanke ist gleichermaßen banal wie radikal, denn wir sind immer mit allem verbunden und deshalb auch immer für alles mitverantwortlich. Wir sind Teil eines großen Ganzen und wirken deshalb auf das Ganze – mit jedem Gedanken und mit jeder Tat, mit jeder Kaufentscheidung und mit unserem Essverhalten.
Die Lösung lautet: innehalten und fasten auf allen Ebenen.
Es kommt auf jede/n Einzelne/n an. Jede/r ist Teil der Veränderung – zum Guten oder zum Schlechten.
Fasten ist viel mehr als nicht essen
Das Wort „fasten“ bedeutet „fest-halten“ und „beobachten“ und wird zu einem spannenden Prozess, wenn wir uns darauf einlassen. Die Zeit des Fastens ist ein „Beobachten von sich selbst“ und seinen Gewohnheiten, von Tagesabläufen und Eigenheiten, die sich bewährt haben, und von solchen, die sich eingeschlichen haben und uns schaden. Es ist auch ein Beobachten unserer Gedanken, Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte, die im Alltag oft verdeckt sind und zu kurz kommen. Es ist im positiven Sinn auch ein „Fest-Halten“ von Gedanken und Bedürfnissen, die einem lieb und wertvoll sind. Die Zeit des Fastens ist kostbar, weil man mit sich selbst in Kontakt kommt und die Umwelt und die Mitmenschen anders wahrnimmt. Beim Fasten kommt es selbstverständlich zu einer Körperreinigung und zum gewünschten Verlust von Gewicht. Genauso wichtig – und als Erfahrung vielleicht sogar noch entscheidender – ist der innere Prozess, der beim Fasten für geistige Klarheit und seelisches Wohlbefinden sorgt.
Wenn wir unser Augenmerk nicht nur aufs Essen bzw. aufs „wenig Essen“ legen, kommen wir dem eigentlichen Sinn des Fastens wieder näher – denn Fasten nur wegen ein paar Kilo wäre viel zu schade.
Alles, was wir freiwillig und gerne machen, fällt uns leicht. Alles hingegen, was uns von außen aufgezwungen wird oder was wir uns selbst als Zwang auferlegen, wird anstrengend.
Wenn wir uns neugierig und freiwillig dazu entscheiden, einige Tage zu fasten, ist der Einstieg schon geschafft. Mit einer guten Vorbereitung wird die Fastenzeit zu einem ganz besonderen Erlebnis und in weiterer Folge zu einem Fixpunkt im Jahresablauf, den wir nicht mehr missen möchten.
Vor nicht allzu langer Zeit war der Freitag aus religiösen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ein Reduktionstag, weil gespart werden musste. Heute haben wir jeden Tag das „volle Sortiment“ und überfordern uns dadurch körperlich, geistig und seelisch.
Die Kilo rutschen ganz nebenbei, wenn wir uns auf den Fastenprozess einlassen.
Ent-Scheiden heißt, sich von etwas trennen und sich für etwas Anderes einsetzen. Wer sich fürs Fasten entscheidet, lässt die alten Essensgewohnheiten für eine Zeit lang los. (Hildegard von Bingen)
Wir alle haben täglich genügend zu essen und zu trinken, wir haben sogar die Qual der Wahl und ein ständiges Angebot, das uns überhäuft und überfordert. Mussten die Generationen vor uns danach trachten, genügend Vorräte fürs Überleben anzulegen, sind wir heute gefordert, uns freiwillig zu beschränken. Und das ist eine tägliche Herausforderung, denn sobald wir uns für etwas entscheiden, entscheiden wir uns gleichzeitig gegen viele andere Möglichkeiten – und dies in allen Lebensbereichen. Wenn wir uns für ein Fernsehprogramm entscheiden, sehen wir Dutzende andere nicht. Wenn wir zu einer Veranstaltung gehen, versäumen wir andere, und wenn wir uns für die Zubereitung eines bestimmten Gerichts entscheiden, lassen wir andere Möglichkeiten außer Acht.
Warum Hildegard von Bingen zum Fasten rät
Die Genügsamkeit ist bei Hildegard eine wertvolle Tugend und dieser Ausspruch von ihr kann uns hilfreich durch die Fastenzeit begleiten – und er kann zu einem Lebensmotto werden. Die Genügsamkeit macht frei und gibt ein zufriedenes Gefühl, weil wir mit dieser Haltung die Erfahrung machen, dass wenig auch reicht und genug immer genügt.
Natürlich werden wir im Alltag immer wieder in unserer Genügsamkeit auf die Probe gestellt und die Verlockungen verlangen uns einiges an Stehvermögen ab. Auch Hildegard wusste das und so lockt bei ihr die „Schlemmerei“ mit folgenden Worten:
„Die Genügsamkeit nimmt nicht mehr, als sie braucht.“ (Hildegard von Bingen)
„Gott hat ja alles geschaffen, warum sollte ich dahinkümmern? Wenn Gott nicht wüsste, dass ich dies alles brauchen könnte, so hätte er es doch nicht geschaffen! Ich wäre ja dumm, wenn ich nicht meine Freude an all den schönen Dingen hätte, zumal auch Gott will, dass dem Menschen an seinem leiblichen Wohl nichts fehle.“
Diese Argumente der „Schlemmer“ kennen wir alle und sie wirken einleuchtend und schlüssig, aber die Enthaltsamkeit als der Gegenspieler erwidert bei Hildegard:
„Kein Mensch würde seine Zither so spielen, dass ihre Saiten zerspringen! Sind die Saiten einmal gesprungen, bleibt nichts mehr von ihrem Klang. Du Schlemmer stopfst deinen Bauch so voll, dass deine Adern dabei platzen … Ich aber (die Enthaltsamkeit) nehme Maß am Menschen, damit dem Leib nichts fehlt und er auch nicht zu voll gestopft wird von Speise und Trank. Ich bin eine Zither, die in schönster Harmonie ertönt.“
Zur Schlemmerei gehören bei Hildegard auch „Genusssucht und Unersättlichkeit“ als Untugenden, aus denen wiederum „Gier und Begierde“ erwachsen und aus der in weiterer Folge wiederum das Suchtverhalten resultiert.
Durch bewusstes Fasten und freiwillige Reduktion kann die Unersättlichkeit und das nagende Gefühl von Mangel in die wohltuende Genügsamkeit verwandelt werden. Auch wenn die Begriffe veraltet klingen und nicht gerne gehört werden, so treffen sie auf das heutige Essverhalten mit der Sucht nach Süßem und einem übermäßigen Fleischkonsum dennoch gut zu. Aber auch Verhaltensweisen wie Kaufsucht, Medien- und Alkoholkonsum und das ständige Streben nach mehr Leistung und höheren Erträgen gehören dazu.
Schlemmen und Konsumieren sind zu einem Freizeitvergnügen geworden – nach dem Motto: „Alles, jederzeit, überall, sofort und günstig – und frei Haus geliefert“. Wir sollten uns besinnen und uns fragen, ob wir wirklich alles brauchen.
Fasten auf körperlicher Ebene
Der freiwillige Verzicht auf Nahrung ermöglicht dem Körper, wichtige innere Reinigungsprozesse durchzuführen, Schlacken und Giftstoffe auszuleiten und Altlasten zu verbrennen. Da der Körper während des Fastens entwässert und von seinen eigenen Fettreserven lebt, kommt es zum gewünschten Gewichtsverlust und damit verbunden zu mehr Beweglichkeit und Spannkraft. Beim Hildegardfasten werden keine Kalorien gezählt oder Tabellen geführt, sondern die eigene Wahrnehmung und das Bauchgefühl werden zum Maßstab. Wir schwanken ja oft zwischen Lust und echtem Hunger und kennen sowohl Phasen von Schlemmerei als auch von...