2.
Von den Anfängen bis zu den Han-Kommandanturen
Frühe archäologische Zeugnisse
Knochenfunde scheinen zu belegen, dass die koreanische Halbinsel bereits vor etwa 500.000 Jahren vom Homus erectus bewohnt war. Funde aus Sŏkchang-ni (wo zwei Schichten auf ca. 30.000 bzw. 20.000 v. Chr. datiert werden) und weiteren Orten legen nahe, dass die ersten Angehörigen der Spezies Homo sapiens vorwiegend an Flussläufen wohnten und sich vermutlich durch Fischfang und Jagd ernährten.
Wohl aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. stammen kleinere Gefäße, die mehrheitlich nicht verziert waren und an den Küsten und an Flussläufen gefunden wurden. Erste Exemplare der sogenannten Chulmun- bzw. «Kamm»-Keramik sind für die Zeit um 5000 v. Chr. an der Westküste belegt. Diese verbreitete sich zur Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. auf der gesamten Halbinsel. Ihre Form weist deutliche Unterschiede zur chinesischen Töpferei dieser Epoche auf, lässt aber Bezüge zur frühen japanischen Jōmon-Keramik erkennen.
Ackerbau scheint auf der Halbinsel seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. betrieben worden zu sein. Erste Hinweise auf den Anbau von Reis finden sich für das darauffolgende Jahrtausend im Südwesten der Halbinsel. Etwa gleichzeitig kam es offenbar auch auf anderen Gebieten zur Einführung einer Reihe von Kulturtechniken, die mit der Zuwanderung mehrerer Volksgruppen aus dem mandschurischen bzw. nordchinesischen Raum in Verbindung gebracht werden: Bis ca. 1000 v. Chr. verbreiteten sich verschiedene Formen von Dolmen- und Steinkistengräbern flächendeckend auf der Halbinsel.
Etwa zeitgleich taucht mit der zumeist unverzierten Mumun-Keramik ein Töpfereistil auf, der ebenfalls um 1000 v. Chr. überall auf der Halbinsel zu finden ist. Dabei weist insbesondere die schwarze Variante auf Verbindungen zur Halbinsel von Liao-tung hin. Aus dieser Gegend wurde vermutlich im 1. Jahrtausend v. Chr. die Technik der Bronzeherstellung importiert. So zeigen Bronzedolche aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. noch eine große Ähnlichkeit mit Funden aus Liao-tung. Entsprechendes dürfte wohl auch für die Einführung des Eisens gelten. Zwar ist dessen Gebrauch für 300 v. Chr. nachgewiesen, die Herstellung von Eisen dürfte jedoch erheblich später anzusiedeln sein.
Mythen um frühe Staatsgründungen
Obgleich die Errichtung von Dolmengräbern einen größeren Organisationsgrad wie auch eine Stratifikation der Gesellschaft erwarten lässt, ist damit dennoch kein hinreichender Hinweis auf den Entstehungszeitraum der ersten Staaten auf der koreanischen Halbinsel gegeben. So greifen Historiker für die Beantwortung dieser Frage vornehmlich auf die traditionelle koreanische Geschichtsschreibung zurück.
Häufig wird der Beginn der koreanischen Geschichte auf das Jahr 2333 v. Chr. datiert. Zu diesem Zeitpunkt soll der aus einer Verbindung des Himmelsgottes Hwanung und einer Bärin hervorgegangene Herrscher Tan’gun im Gebiet von P’yŏngyang den ersten koreanischen Staat gegründet haben. Während Elemente dieser erstmals im Samguk yusa («Überlieferte Geschehnisse aus den drei Reichen») des buddhistischen Mönches Iryŏn (1206–1289) hervortretenden Erzählung auf älteren «totemistischen» Vorstellungen zu basieren scheinen, deuten eine große Zahl ebenfalls enthaltener anachronistischer buddhistischer Elemente darauf hin, dass es sich bei der uns bekannten Fassung um eine – möglicherweise im Zusammenhang von Auseinandersetzungen über die Wahl der Hauptstadt, vielleicht aber auch erst vor dem Hintergrund der Mongoleneinfälle entstandene – geschichtliche Projektion der Koryŏ-Zeit handelt.
Nachdem der Tan’gun-Mythos bereits in Historiographien der Chosŏn-Zeit dazu diente, die Ursprünge des koreanischen Volkes zu erklären, wurde er von Nationalisten des 20. Jahrhunderts wie Ch’oe Namsŏn (1890–1957) als Gegennarrativ zu japanischen Theorien aufgegriffen, die die Kolonialherrschaft über Korea rechtfertigen sollten. Während die Erzählung in gängigen südkoreanischen Geschichtsdarstellungen heutzutage nur noch unter Hinweis auf ihren mythischen Charakter Erwähnung findet, gilt Tan’gun der offiziellen nordkoreanischen Geschichtsschreibung als historische Person. So «entdeckten» nordkoreanische Archäologen nach einer entsprechenden Aufforderung durch Kim Il Sung (Kim Ilsŏng) im Jahre 1993 die heute in einem Mausoleum ausgestellten Gebeine von Tan’gun und dessen Ehefrau. Unter Kim Jong Il (Kim Chŏngil) wurde nach weiteren archäolo gischen «Funden» die Erzählung schließlich zur Lehre von der Taedong- Kultur ausgeweitet, der zufolge bereits vor 5000 Jahren und damit noch vor der chinesischen Shang-Dynastie am Tae dong-Fluss eine frühe ostasiatische Hochkultur entstanden war.
Der Tan’gun-Mythos wird im Samguk yusa mit einer Legende verwoben, die in dem anderen bedeutenden Geschichtswerk der Koryŏ-Zeit, dem Samguk sagi («Geschichtliche Aufzeichnungen aus der Periode der drei Reiche») des Kim Pusik (1074–1151), besondere Betonung erfährt, letztlich jedoch den klassischen konfuzianischen Schriften entstammt. Der Legende des Kija (chin. Chi-tzu) zufolge weigerte sich dieser nach dem Untergang der Shang, unter der neuen Dynastie zu dienen, und wurde von dem König der Chou aus Respekt vor dieser ausgeprägten Loyalität mit dem Gebiet von Ch’ao-hsien bzw. Chosŏn belehnt.
In Historiographien der späteren Chosŏn-Zeit (1392–1910) mutierte Chi-tzu/Kija zu einem Koreaner und wurde unter dem Eindruck der mandschurischen Fremdherrschaft über China zur Gallionsfigur eines Selbstverständnisses von Chosŏn als eigentlichem Überlieferer der konfuzianischen Tradition.
Folgt man der traditionellen Geschichtsschreibung weiter, wurde der heutzutage als Ko Chosŏn («Alt Chosŏn») bezeichnete erste Staat zwischen 194 und 180 v. Chr. durch das Reich des Wiman (chin. Wei-man) abgelöst. Nachdem dieser mit einem Gefolge von über 1000 Leuten aus dem von politischen Wirren ergriffenen Staat der Yen geflohen war, betraute ihn Chosŏns König Chun zunächst mit dem Schutz der westlichen Grenze des eigenen Staates. Wiman jedoch vertrieb seinen Lehnsherrn vom Thron und machte sich selbst zum Herrscher eines neuen Reiches, das freilich bald wiederum von China vernichtet werden sollte. Chun hin gegen floh in das südliche Chin, dessen König er wurde.
Neben diesen Mythen bzw. Legenden finden sich insbesondere im Samguk yusa diverse weitere Gründungsmythen für die frühen koreanischen Staaten, zu deren wiederkehrenden Motiven die Geburt aus einem Ei gehört. Die taditionelle Datierung der Entstehung dieser Staatswesen auf die Zeit um Christi Geburt scheint jedoch eher fraglich, wie noch zu zeigen sein wird.
Die Han-Kolonien
Schon Wimans Eroberung von Ko Chosŏn ist nur zu verstehen im Zusammenhang der Wirkkräfte, die das 221 v. Chr. unter dem Kaiser der Ch’in (Ch’in Shih-huang-ti) geeinte chinesische Staatswesen auf die umliegenden Regionen ausübte. Die 202 v. Chr. begründete Han-Dynastie entwickelte bald eine erstaunliche wirtschaftliche Dynamik und in deren Gefolge ab der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. einen starken Expansionsdrang. Die kaiserlichen Truppen drangen in die Tropenregionen vor, nach Zentralasien und in die Mongolei und ließen auch den Nordosten nicht aus: Um das Jahr 108 v. Chr. gründete der Han-Kaiser Wu-ti (r. 140–87 v. Chr.) zur Sicherstellung der Handelswege eines sich von der Mandschurei bis zum nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel erstreckenden Gebietes die vier Kommandanturen Hsüan-t’u (kor. Hyŏndo), Lo-lang (Nangnang), Lin-t’un (Imdun) und Chen-fan (Chinbŏn). Bereits im Jahre 82 v. Chr. jedoch wurden Lin-t’un und Chen-fan unter dem Druck militärischer Auseinandersetzungen aufgegeben, während Hsüan-t’u 75 v. Chr. auf die Halbinsel von Liao-tung zurückverlegt wurde. Die Kommandantur Lo-lang/Nangnang blieb indes bestehen und entwickelte sich zu einem kulturellen Zentrum, von dem aus die chinesische Kultur jahrhundertelang auf die Völkerschaften der Halbinsel ausstrahlen sollte.
Unter dem Interregnum von Wang Mang in China (8 v. Chr. – 25 n. Chr.) kam es um einen gewissen Wang T’iao zu einer Revolte der einflussreichen chinesischen Clans von Nangnang. Dieser Aufstand konnte erst 30 n. Chr. im Zuge der Ankunft eines neuen Gouverneurs niedergeschlagen werden und führte dazu, dass sieben östlich gelegene Präfekturen aufgelöst und deren Gebiete unter die Verwaltung lokaler Clan-Anführer gestellt wurden.
Der Zerfall der Han-Dynastie zweihundert Jahre später beeinträchtigte die Stabilität der politischen Verhältnisse, zunächst aber noch nicht die chinesische militärische Dominanz. Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. brachte der Vizekönig von Liao-tung, Kung-sun Tu (gest. 204), die Kolonie Nangnang unter seine Kontrolle, und sein Nachfolger...