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Philosophie des Unbewußten

Speculative Resultate nach inductiv-naturwissenschaftlicher Methode

AutorEduard von Hartmann
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl1067 Seiten
ISBN9788026883975
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Philosophie des Unbewußten' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Eduard von Hartmann (1842-1906) war ein deutscher Philosoph. Er gilt auch als 'der Philosoph des Unbewussten'. Von Hartmann versuchte in seinem Werk Philosophie des Unbewussten zwei verschiedene Denkweisen (Rationalismus und Irrationalismus) zusammenzuführen, indem er die zentrale Rolle des Unbewussten betonte. Sein Werk hatte Einfluss auf Tiefenpsychologen wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.

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Leseprobe

b. Methode der Untersuchung und Art der Darstellung


Man kann drei Hauptmethoden in der forschenden Wissenschaft unterscheiden, die dialektische (Hegel'sche), die deducirende (von oben nach unten), und die inducirende (von unten nach oben). Die dialektische Methode muss ich, ohne mich hier auf Erwägungen für oder wider einlassen zu können, 12 schon rein um deswillen ausschliessen, weil sie, wenigstens in ihrer bisherigen Gestalt, der Gemeinverständlichkeit entbehrt, auf welche es hier abgesehen ist; die Vertreter derselben, welche die relative Wahrheit an Allem ja mehr als jeder Andere anzuerkennen verpflichtet sind, werden hoffentlich auch dieses Werk seines naturwissenschaftlichen Charakters wegen nicht verdammen, zumal es ihren Tendenzen durch einen gewissen positiven Gegensatz gegen gemeinschaftiche Gegner und durch einen propädeutischen Werth für Nichtphilosophen in vieler Hinsicht entgegen kommen dürfte. Wir haben also noch das Verhältniss der deductiven oder herabsteigenden, und der inductiven oder hinaufsteigenden Methode zu betrachten. –

Der Mensch kommt zur Wissenschaft, indem er die Summe der ihn umgebenden Erscheinungen zu begreifen und sich zu erklären versucht. Die Erscheinungen sind Wirkungen, zu denen er die Ursachen wissen will. Da verschiedene Ursachen die gleiche Wirkung haben können (z.B. Reibung, galvanischer Strom, und chemischer Process die Wärme), kann auch Eine Wirkung verschiedene Ursachen haben; die zu einer Wirkung angenommene Ursache ist mithin nur eine Hypothese, die keineswegs Gewissheit, sondern nur eine sich anderweitig bestimmende Wahrscheinlichkeit haben kann.

Es sei die Wahrscheinlichkeit, dass U1 die Ursache der Erscheinung E sei = u1, und die Wahrscheinlichkeit, dass U2 die Ursache von U1 sei = u2, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass U2 die entferntere Ursache von E ist = u1 u2; woraus man sieht, dass bei jedem Schritt rückwärts in der Kette der Ursachen die Wahrscheinlichkeitscoefficienten der einzelnen Ursachen in Bezug auf ihre nächste Wirkung sich multipliciren, d.h. aber immer kleiner werden (z.B. 8/10 neunmal mit sich selbst multiplicirt, giebt circa 1/10). Wüchsen nicht die Wahrscheinlichkeitswerthe der Ursachen beim Fortschreiten wiederum dadurch, dass der anzunehmenden Ursachen immer weniger werden und immer mehr Wirkungen aus Einer Ursache erklärbar werden, 3 so würden bald die Wahrscheinlichkeiten durch die beständige Multiplication unbrauchbar kleine Werthe erhalten. Wären nun von allen Erscheinungen in der Welt die Ursachen rückwärts so weit erkannt, bis sie auf eine oder wenige letzte Ursachen oder Principien zurückgeführt wären, so wäre die Wissenschaft, die Eine ist, wie die Welt Eine ist, in inductiver Weise vollendet.

Denkt man sich nun, dass irgend Jemand diese Aufgabe in vollkommenerer oder unvollkommenerer Form gelöst habe, so steht die Frage offen, ob derselbe, um seine Ueberzeugung Anderen mitzutheilen, besser thue, sie den Weg von den Erscheinungen rückwärts und aufwärts bis zu den letzten Ursachen zu führen, oder ihnen aus diesen Principien von oben herunter die Welt, wie sie ist, zu deduciren. Es handelt sich hier um eine einfache Alternative; denn wenn Schelling in seinem letzten System die Nothwendigkeit einer Verbindung beider Wege behauptet, indem er (s. Werke Abth. II. Bd. 3. S. 151 Anm.) mit einer negativen, von unten aufsteigenden Philosophie beginnt, und mit einer positiven, von oben herabsteigenden Philosophie schliesst, so ist diese Doppelheit nur dadurch möglich, dass er für beide die Gebiete sondert, und zwar erstere auf rein logischem Gebiete hält, d.h. ihre inductive Methode nur auf Thatsachen der inneren Erfahrung des Denkens basirt (vergl. Werke II. 1. Seite 321 u. 326), während er die so als Resultat gewonnene höchste Idee in seiner positiven Philosophie als das wirklich Existirende und das Princip alles Seienden (vgl. II. 3. S. 150) zu erweisen sucht, indem er von derselben nach deducirender Methode die Thatsachen der äusseren Erfahrung abzuleiten unternimmt. (Aehnliches gilt für Krause's aufsteigenden und absteigenden Lehrgang.) Selbst wenn die Resultate letzterer Deduction den Ansprüchen der Wissenschaft irgendwie genügten, so würde doch eine solche willkürliche Trennung der innern und äussern Erfahrung wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen sein, jedenfalls aber für letzteres Gebiet unsere obige Alternative sich wiederholen, ob die aufsteigende oder absteigende Methode der Darstellung vorzuziehen sei. Die Entscheidung fällt zweifelsohne zu Gunsten der von unten aufsteigenden oder inducirenden Methode aus; denn

1) steht der Andere noch unten, das Unten ist also für ihn der natürliche Ausgangspunct; er kommt bei dem Wege von unten nach oben stets vom Bekannten zum Unbekannten, während er sich auf den Standpunct der letzten Principien nur durch einen salto mortale versetzen kann, und dann während des ganzen Weges von Einem Unbekannten zum andern kommt, und ganz zum Schluss erst wieder zu Bekanntem;

2) der Mensch hält vorläufig immer seine eigene Meinung für die richtige und misstraut folglich jeder ihm neuen Lehre; darum will er wissen, wie der andere zu seinem sublimen Resultat gekommen ist, wenn sein Misstrauen sich nicht bis zum Schluss erhalten soll, und dies kann nur auf dem von unten aufsteigenden Wege geschehen;

3) der Mensch misstraut heimlich seinem eigenen Verstande ebenso sehr, als er auf seine einmal gefasste Meinung fast unerschütterlich baut, darum ist es sehr schwer, jemand durch Deduction zu überzeugen, weil er derselben immer misstraut, auch wenn er nichts dagegen zu sagen weiss, während er bei der Induction weniger scharf und anhaltend zu denken braucht, sondern mehr sehend und anschauend die Wahrheit herausfühlen kann;

4) die Deduction aus den letzten Principien, selbst angenommen, dass sie unwiderleglich richtig sei, kann wohl imponiren durch ihre Grossartigkeit, Geschlossenheit und Geistreichheit, aber nicht überzeugen denn da dieselben Wirkungen aus ganz verschiedenen Ursachen herstammen können, so beweist die Deduction glücklichstenfalls immer nur die Möglichkeit dieser Principien, keineswegs ihre Nothwendigkeit ja sie verleiht ihnen nicht einmal einen bestimmten Wahrscheinlichkeitscoefficienten, wie die inductive Methode thut, sondern kommt über den blossen Begriff der Möglichkeit nicht hinaus. Um ein Bild zu brauchen, ist es allerdings gleichgültig, wenn man den Rhein kennen lernen will, ob man stromauf oder stromab wandert, für den Bewohner der Rheinmündung ist aber doch der natürliche Weg stromauf, und wenn ein Hexenmeister kommt, der ihn mit einem Luftsprung an die Quellen versetzt, so weiss er ja gar nicht, ob dies auch die Quellen des Rheines sind, und ob er nicht etwa die ganze mühsame Wanderung vergebens antritt. Und kommt er dann an der Mündung dieses Flusses an, und findet sich in einer fremden Gegend statt in der Heimath, so macht ihm wohl gar der Hexenmeister weiss, dass dies seine Heimath sei, und mancher glaubt es ihm um der schönen Reise willen.

Nach alledem wäre es unerklärlich, wie jemand, der auf inductivem Wege zu seinen Principien gekommen ist, zur Mittheilung und zum Beweis derselben die deductive Methode nehmen sollte; dieser Fall kommt in der That auch niemals vor. Vielmehr sind alle Philosophen, die ihr System deduciren (sei die Methode klar ausgesprochen, oder in verhüllter Form), in der That durch das einzige Mittel, das ausser der Induction übrig bleibt, zu ihren Principien gekommen, durch einen Luftsprung von mystischer Natur, wie dies im Cap. B. IX. besprochen wird, und die Deduction ist alsdann der Versuch, von ihrem mystisch erworbenen Resultat zu der zu erklärenden Wirklichkeit herabzusteigen und zwar auf einem Wege, der durch die unstatthafte Analogie mit der ganz anderartigen Wissenschaft der Mathematik und durch die blendende Evidenz der in letzterer erzielten Resultate für alle systematischen Köpfe von jeher etwas Verlockendes gehabt hat. Für jene Philosophen ist nämlich allerdings die Deduction der natürliche Weg, da das Oben ihr gegebener Ausgangspunct ist. Abgesehen davon, dass sowohl die Deduction selbst als auch die zu beweisenden Principien immer nach menschlicher Weise mangelhaft sein müssen, und dass demgemäss die Deduction zwischen sich und der zu erklärenden Wirklichkeit stets eine weite Kluft offen lässt, ist das Schlimme an der Sache, dass die Deduction ihre eigenen Principien, wie schon Aristoteles wusste, überhaupt nicht beweisen kann, weil sie im günstigsten Fall ihnen nur die Möglichkeit, aber nicht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit erobert; darum gewinnen die Principien durch dieselbe wohl etwas an Verständlichkeit, aber nicht an Ueberzeugungskraft, und eine Ueberzeugung von ihrer Richtigkeit zu gewinnen, bleibt ausschliesslich der mystischen Reproduction überlassen, wie ihre Entdeckung in mystischer Production bestand. Dies ist der grösste Uebelstand bei der Philosophie, soweit sie sich dieser Methode bedient, dass die Ueberzeugung von der Wahrheit ihrer Resultate nicht wie bei inductiv-wissenschaftlichen Ergebnissen mittheilbar ist, und selbst das Verständniss ihres Inhalts, wie gekannt, grossen Schwierigkeiten unterliegt, weil es unendlich schwer ist, eine mystische Conception in eine adäquat-wissenschaftliche Form zu giessen. Nur zu häufig täuschen aber auch die Philosophen sich und den Leser über die mystische Entstehungsweise ihrer Principien, und suchen denselben in Ermangelung guter Beweise einen wissenschaftlichen Halt durch spitzfindige Scheinbeweise zu geben,...

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