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E-Book

Neue Rechte, altes Denken

Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker

AutorKlaus-Peter Hufer
VerlagBeltz Juventa
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783779949190
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Zweifelsohne vollzieht sich seit einiger Zeit ein 'Ruck nach rechts': Das zeigt sich in Organisationsformen wie Pegida, AfD, rechtsextremen Kameradschaften, in rassistischen Übergriffen, populistischen Ressentiments und in einem intellektuellen Netzwerk alter und neuer Rechter. Die Autoren und die Autorin setzen sich mit der Ideologie, den von Rechten umkämpften und umdefinierten Begriffen auseinander und zeigen am Beispiel prominenter 'Vordenker', dass es eine konsequente Entwicklung der deutschen alten Rechten hin zu den neuen Rechten gibt. Das, was jetzt neu ist, hat tiefe Wurzeln.

Klaus-Peter Hufer, Dr. rer. pol. phil. habil., ist apl. Prof. an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg Essen.

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Leseprobe

2 Exkurs: Die Identitären


„Ihr macht eine Politik, die unsere Werte und Traditionen
für eine multikulturelle Utopie opfert.“

„Ihr wollt uns einreden, dass wir keine Identität haben,
zu homogen sind. Wir sollen verdrängt und ausgetauscht werden.“

„Ihr schafft euch ein neues Volk und macht uns zu Fremden.“

Das sind drei von mehreren Aussagen, die junge Männer und Frauen in eine Kamera sprechen. Sie alle sind ohne erkennbaren Migrationshintergrund und haben ein Erscheinungsbild ohne die für die rechtsextreme Szene typischen Zeichen und Codes.

Es ist ein Clip, in dem sich die „Identitären“ selbst darstellen. Veröffentlich wurde er am 21. Januar 2016, am 8. Juni 2017 hatte er bereits 413.346 Aufrufe (siehe: Zukunft für Europa … 2016).

Mit den drei zitierten, entschieden und proklamatorisch vorgebrachten Erklärungen wird der Kern der Ideologie der Identitären deutlich: Es geht um das Gegenüber von „ihr“ und „wir“, wobei „ihr“ das „Volk“ verdrängt und „austauscht“. „Wir“ werden Fremde.

Dieser Entwicklung hat „die Identitäre Generation“ den Krieg erklärt, so Martin Willinger, einer der profilierten Vertreter dieser Bewegung (Willinger 2013). Und adressiert an „ihr“: „Der Wille zur Identität ist stärker als eure künstliche Ideologie“ (ebd., 80).

In einer Selbstbeschreibung heißt es: „Wir wollen endlich eine offene Debatte über die Identitätsfrage im 21. Jahrhundert. Das etablierte Meinungsspektrum verengt diese Frage lediglich auf die Utopie einer einheitlichen One-World-Ideologie. Wir hingegen fordern eine Welt der Vielfalt, Völker und Kulturen. Die Bewahrung unserer ethnokulturellen Identität muss als Grundkonsens und als Grundrecht in der Gesellschaft verankert werden.“17

„Die Identitäre Bewegung hat ihre Ursprünge in Frankreich und wurde spätestens im Oktober 2012 darüber hinaus bekannt. Damals besetzten einige Dutzend Personen der GÉNÉRATION IDENTITAIRE, der Jugendorganisation des extrem rechten BLOC IDENTITAIRE, über mehrere Stunden das Dach einer im Bau befindlichen Moschee in Poitiers. Dabei entrollten die Identitären ein Banner mit der Zahl 732 und dem Symbol der Bewegung: dem griechischen Lambda auf gelbem Grund. Der Bezug auf dieses historische Ereignis spielt bei fast allen Aktionen der Identitären eine wichtige Rolle. Im Jahr 732 errang Karl Martell in Poitiers den Sieg gegen die Mauren. Der symbolisch und pathetisch aufgeladene Aktionismus der Identitären ist seitdem Kennzeichen der Bewegung […]“ (Henßler 2016, 1).

Mit seinem Buch „Die Identitäre Generation“ will der 1992 geborene Österreicher Markus Willinger einmal Europa retten und zum anderen erklärt er den „68ern“ den Krieg. Beides hängt für ihn zusammen: „Die Völker Europas haben ihren Lebenswillen verloren […] Die Ideologie der 68er durchsetzt Europa“ (Willinger 2013, 7). Weiter heißt es: „Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit drangen fremde Völker in derartigem Ausmaß in einen Erdteil ein, ohne dass es Widerstand der eigenen Bevölkerung gegeben hätte. Dass Europa nun nach 1000 Jahren stolzer Geschichte am Ende ist, liegt nicht an der Stärke der Anderen, sondern an unserem Unwillen, für unser eigenes Überleben einzutreten.

Die 68er haben uns das Bekenntnis zur eigenen Identität schlecht gemacht“ (ebd., 8).

In 41 Kapiteln ereifert sich Willinger u. a. gegen die

  • multikulturelle Gesellschaft: sie „bedeutet für uns nur Hass und Gewalt“ (ebd., 11). „Wir wollen nicht, dass Mehmed und Mustafa Europäer werden“ (ebd. 32 und etliche weitere Stellen);

  • Politik: „Wir erwarten nichts anderes, als dass die Politik uns belügt“ (ebd., 17), „Die Politiker aller Parteien sind uns gleich. Denn sie sagen ja auch alle das Gleiche“ (ebd., 18).

  • Angleichung der Geschlechter: „Wo sich einst das starke und das schöne Geschlecht freudig vereinigten, habt ihr die Allianz der Zwitter gesetzt, das Bündnis der Halben, die Vereinigung des Nichts“ (ebd., 21);

  • repräsentative Demokratie: „Wir aber behaupten, dass das Volk die entscheidenden Dinge tausendmal besser beurteilen kann als eure weltfremden Parlamentarier“ (ebd., 37);

  • Integration: „Muslime und Afrikaner! Brecht eure Zelte ab und verlasst diesen Kontinent. Ihr habt ganze Erdteile, die euch gehören“ (ebd., 84).

Und immer wieder geht es um Identität und gegen diejenigen, die sie vermeintlich verhindern: „Ihr könnt den Willen zur Identität nicht besiegen“ (ebd., 79).

Am Ende stellt Willinger klar, dass dieses Buch kein Manifest sei: „Es ist eine Kriegserklärung. Unsere Kriegserklärung an euch“ (ebd., 103).

Die Identitären werden als die „Jugendbewegung“ der Neuen Rechten bewertet. Ihre Jugendlichkeit verbinden sie mit Aktionismus, Popkultur und einer Corporate Identity (so „der schwarz-gelbe Einheitslook und das Lambda-Symbol“) (Bruns/Glösel/Strobl 2014, 59). Trotz erklärter Feindschaft gegen die „68er“, ja Hass auf sie (Willinger 2013, 7) orientieren sich die Identitären „an linken Aktionsformen“, an Störaktionen, Besetzungsversuchen und Flashmobs (Bruns/Glösel/Strobl 2014, 57). Damit sind sie in nahezu allen mittel-, west- und nordeuropäischen Ländern aktiv (ebd., 61–121). Auf ihrer Homepage präsentieren die Mitglieder der Identitären Bewegung ihre „Aktionen“, die mitunter sehr spektakulär sind.18

Für Götz Kubitschek, Verleger rechter Literatur und eine zentrale Schlüsselperson der Neuen Rechten, sind die Identitären eine Art Hoffnungsträger. Auf die entsprechende Frage eines Journalisten antwortete er, dass „die Identitäre Bewegung zu diesem Teil der Hoffnung [gehört], die ich noch habe. Also, das ist zur Verteidigung des Abendlands, zur Verteidigung des Eigenen zwingend notwendig. Dass es […] ne richtige Wende, ne richtige Revolte (gibt)“ (Kneser/Gogos 2016, 15:28).

Am Ende einer gründlichen Analyse der Identitären fasst eine Wiener Forschergruppe zusammen: „Die Identitären haben die Neue Rechte für eine junge Generation ein Stück weit vitalisiert, sie breitenwirksamer, aktionistischer gemacht und ihre Ziele unter ein länderübergreifendes gemeinsames Ganzes gestellt, das sie mit Hilfe einer Corporate Identity erreichen wollen“ (Bruns/Glösel/Strobl 2014, 220).

Die Identitären werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz und von Verfassungsschützern in neun Bundesländern beobachtet: „Wir sehen bei der ‚Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, sagte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. […]. Insbesondere in der Anti-Asyl-Agitation im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise habe sich eine weitere Radikalisierung gezeigt. ‚So werden Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise diffamiert.‘ […]“ (Bundesamt 2016).

Eine materialreiche Untersuchung der Identitären Bewegung Deutschlands (IBD) hat der Niedersächsische Verfassungsschutz veröffentlich (Niedersächsisches Ministerium 2016). Im Fazit heißt es u. a.:

„Die IBD versteht sich als Bestandteil einer europaweiten Bewegung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die nach ihrer Meinung bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von ‚Heimat, Freiheit, Tradition‘. An erster Stelle steht hierbei der Erhalt der ‚ethnokulturellen Identität‘, die durch einen befürchteten ‚demographischen Kollaps‘ sowie durch angebliche ‚Massenzuwanderung‘ und ‚Islamisierung‘ bedroht sei.

[…] Die Identitären richten sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagieren einen europäischen Ethnopluralismus, der erstens die vermeintlich zu verteidigenden kulturellen und zugleich angeblich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus begründet und der zweitens dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien fordert.

Ideologisch verfolgt die Identitäre Bewegung damit einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeit klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird...

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