VERHALTEN VERSTEHEN
Warum macht sie das? Ihre Katze kann darauf leider nicht antworten. Darum ist es wichtig, die Persönlichkeit als auch Verhaltensweisen und Bedürfnisse Ihrer Gefährtin zu kennen. Und schon verstehen Sie vieles und können Problemen erfolgreich vorbeugen.
Jeder spricht davon: natürliches Verhalten, normales Verhalten, erwünschtes oder unerwünschtes Verhalten, Verhaltensprobleme. Aber was versteht man unter „Verhalten“? Schlagen wir im Wörterbuch der Verhaltensforschung von Karl Immelmann nach, steht geschrieben: „In der Ethologie versteht man unter Verhalten in der Regel die Bewegungen, Lautäußerungen und Körperhaltungen eines Tieres sowie diejenigen äußerlich erkennbaren Veränderungen, die der Verständigung dienen und damit beim jeweiligen Partner ihrerseits Verhaltensweisen auslösen können.“ So ist das Verhalten eines Tieres als Anpassungsleistung an seine Umgebung zu verstehen.
DIE UMWELT FORMT PERSÖNLICHKEITEN
Jeder Katzenhalter weiß von den Besonderheiten seiner Samtpfote zu erzählen, und in diesen Beschreibungen ist keine Katze der anderen gleich. Die Wesenszüge, die den grundverschiedenen Tieren zugeordnet werden, sind ebenso vielfältig wie menschliche Charaktereigenschaften. Die einmaligen psychischen Besonderheiten, durch welche sich Katzen unterscheiden, bezeichnet man als „Individualität“. Und so ist jede Katze ein Individuum mit einer einzigartigen Persönlichkeit, die durch viele Faktoren als auch durch ihr Lebensumfeld bestimmt wird.
EINFLUSS DER GENE
Gemäß den Grundsätzen der Vererbung erhalten Nachkommen von ihren Eltern bestimmte Eigenschaften. Was grundsätzlich einfach klingt, kann in Katzenkreisen durchaus kompliziert werden. Es ist nicht einfach zu sagen, welches Jungtier welches Wesensmerkmal in welcher Ausprägung als Startgrundlage in das Leben bekommt. Besonders schwierig wird eine Vorhersage der Charakterzüge, wenn Informationen über eines oder sogar beide Elterntiere fehlen, was oftmals bei freilebenden Bauernhofkatzen oder aufgefundenen Kätzchen der Fall ist. Katzenwelpen eines Wurfs können sogar verschiedene Väter haben, wenn es zu einer Begattung durch mehrere Kater gekommen ist. Werden während des Eisprungs die Eizellen von Sperma verschiedener Väter befruchtet, so können Kätzchen eines Wurfs dann ziemlich unterschiedlich aussehen.
Während die beliebte Hauskatze, auch als Europäisch Kurzhaar bezeichnet, eher einem Überraschungspaket an Anlagen gleicht, ist es bei Rassekatzen einfacher, Charaktereigenschaften zuzuordnen. Sie zeigen nicht nur die gemäß Rassestandard geforderten körperlichen Merkmale, sondern verfügen dazu über typische, von Generation zu Generation vererbte Wesenszüge. Ebenso lassen sich zwischen Temperament und äußerem Erscheinungsbild Übereinstimmungen finden. So werden hochbeinige und kurzhaarige Rassen als extrovertiert und ausgesprochen lebhaft bezeichnet, während langhaarige Tiere von gedrungener Statur als ausgeglichener und ruhiger beschrieben werden. Beispielsweise gelten Siamkatzen als übermütig und gesprächig, während Perser als friedfertig und gemächlich beschrieben werden. Doch Vorsicht vor Verallgemeinerungen: Die in Rasseporträts dargestellten Eigenschaften und auch das Temperament sind lediglich Richtlinien.
FRÜHE ERFAHRUNGEN
Bei der beeindruckenden Entwicklung tollpatschiger Kätzchen zu selbstbewussten Katzen spielt jeder Augenblick eine große Rolle. Katzenmutter, Wurfgeschwister und Mensch wirken auf das Kätzchen: Alles was begeistert, beeindruckt, erschreckt oder in Angst versetzt, bleibt im Gedächtnis der Kleinen. Für den Züchter beziehungsweise den Tierhalter bedeutet dies eine enorme Verantwortung. Denn in den ersten Lebensmonaten kann das Verhalten von Klein-Mieze entscheidend geformt werden. Wird diese Chance nicht wahrgenommen, lernen unsere vierbeinigen Hausgenossen dennoch – doch vielleicht nicht unbedingt das, was Sie Ihnen beibringen wollten. Es ist dies auch die Zeit, in der Ängste oder unerwünschte Verhaltensweisen erlernt werden.
Prägung In früher Jugend sind Tierkinder besonders empfänglich für Erfahrungen und Lernprozesse, denn in freier Natur müssen sie in wenigen Wochen für das Leben auf eigenen vier Pfoten gerüstet sein. Eine kleine Katze muss also lernen, vor einem gefährlichen, überlegenen Gegner zu fliehen, wenn sie ihre Haut retten will, oder wird ihrer Mutter abschauen, was sie bedenkenlos fressen kann.
Einen in früher Jugend erfolgenden, verhältnismäßig schnellen Lernvorgang, der sich durch eine ausgeprägte „sensible Phase“ und ein relativ stabiles Lernergebnis auszeichnet, nennt man in der Verhaltensbiologie Prägung. Demnach sollten Katzenkinder in ihren ersten Lebensmonaten alles erlernen, was sie im späteren Leben benötigen.
Bei Katzen dauert diese sensible Phase im Durchschnitt von der 2. bis zur 7./10. Woche an. Erfahrungs- und Lerndefizite, die während dieser wichtigen Zeitperiode entstehen, können im Erwachsenenalter nur mit einigem Aufwand nachgeholt werden. Da die Länge dieser besonderen Phase auch von der Entwicklungsstufe des einzelnen Individuums abhängt, gibt es auch im Tierreich so genannte „Frühreife“ und „Spätzünder“. Auch Bedingungen, die durch das Lebensumfeld gegeben werden, sind ausschlaggebend. Kätzchen einer frei lebenden Katzenmutter haben ihren gleichaltrigen Artgenossen gegenüber, die in einer Wohnung leben, anfänglich einen Vorsprung betreffend Jagdfertigkeiten. Denn ab der fünften Woche bringt die Katzenmutter auch Beute nach Hause, damit die jungen Katzen ihr Jagdgeschick versuchen und schnell zu geschulten Jägern werden.
© Kurt Kracher/Kosmos
Den sanften Umgang mit der Hand muss Mieze von klein auf erlernen.
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Nicht nur für Menschenkinder. Krabbeldecken eignen sich zum Erkunden, Beobachten oder Jagen und sind das perfekte Training für Kätzchen.
Sozialisation In der Phase der Sozialisation oder der Sozialisierung wird der Grundstein für die gesellschaftliche Kompetenz des Tieres gelegt. Besonders dem Spiel kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, denn es unterstützt die soziale Entwicklung als auch die Anbahnung und Festigung von Beziehungen bedeutend. Spielerisch werden Erfahrungen im Umgang mit Artgenossen gesammelt und die Kontrolle der eigenen Aggression erlernt.
Wendet sich der Spielpartner ab oder reagiert gar mit einem Pfotenhieb oder Gegenbiss, wird schnell begriffen, wie stark man zubeißen darf, um nicht plötzlich allein im Spiel dazustehen. Bestimmte soziale Fähigkeiten können nur durch besondere Sozialkontakte während einer bestimmten Lebensphase erarbeitet werden.
Kommt es während der Jugendentwicklung des Tieres zu Erfahrungsentzug durch Isolation oder Vernachlässigung, entstehen Fehlentwicklungen im Verhaltensbereich, „Deprivationsschäden“. Katzen, die ohne Mutter und mit wenig menschlichem Kontakt aufgewachsen sind, werden sehr oft zu Einzelgängern, die ihrer Umwelt scheu gegenübertreten und soziale Kontakte vermeiden oder abbrechen. Denn nur eine nachhaltige Beschäftigung mit dem Jungtier bildet die Basis für eine respektvolle Beziehung, die von Vertrauen geprägt ist.
Entdeckermodus Kätzchen gehen mit großem Interesse an ihrer Umwelt und einer starken Lernbereitschaft durch ihr junges Leben. Unbekanntes wird genauestens untersucht, beschnüffelt und schon mal getestet, ob es vielleicht quietscht, wenn man zubeißt. Die Mutter ist Vorbild für die Kleinen. Sie zeigt ihnen nicht nur, wie die Katzentoilette zu benutzen ist, sondern die Welpen orientieren sich an ihren Verhaltensweisen. Wissen die Kleinen nicht so recht, wie auf Staubsauger & Co zu reagieren ist, imitieren sie einfach das Verhalten der Katzenmutter: Hat Mama keine Angst, muss es sich um etwas Harmloses handeln. Bei ihren Entdeckungstouren durch das Haus sollten die Katzenwelpen nicht nur Bekanntschaft mit alltäglichen Geräuschen von Geräten, Kindergeschrei oder Straßenlärm machen, auch optische Eindrücke, wie wehende Vorhänge, oder Küchengerüche sollten ihnen vertraut werden. Das Selbstbewusstsein im Erwachsenenalter ist umso stabiler, je mehr die Kätzchen in früher Jugend über ihre Umwelt erfahren haben. So legen Katzenzüchter großen Wert darauf, dass ihre Tiere ab der zweiten bis ungefähr zur zehnten Lebenswoche ausreichende Erfahrungen machen, denn in dieser Phase besteht die optimale Sensitivität gegenüber Umweltreizen.
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Sicheres Balancieren ist für die Samtpfoten ein Katzenspiel.
ERFAHRUNGEN UND LERNPROZESSE
Hat die Katze in der sensiblen Phase schlechte Erfahrungen mit ihrer Umwelt gemacht, so hat ein Lernprozess stattgefunden, der das Tier sein Leben lang beeinflusst und durchaus eine Verhaltensänderung hervorrufen kann. Eine prägende Auseinandersetzung mit einem Hund kann bewirken, dass Mieze Hunden ihr weiteres Leben lang misstrauisch begegnen wird. Je nach Stärke des traumatischen Erlebnisses wird sie – egal wie der Hund auf sie reagiert – nicht erst vorsichtig abwarten, sondern gleich die Flucht antreten oder gar in die Offensive gehen und versuchen, sich mit gezielten Krallenhieben auf die empfindliche Hundeschnauze zur Wehr zu setzen.
Lernen durch Nachahmung Auf das Lernvermögen von jungen Katzen hat das Lernen durch Beobachtung und Nachahmung den größten Einfluss. Katzen sind in der Lage, das Verhalten eines Vorbilds beziehungsweise eines Artgenossen nachzuvollziehen und dabei indirekt Erfahrungen zu sammeln....