Kapitel 7.3, Kritik an frauenspezifischen Angeboten
In der Literatur, aber auch in der Praxis, wurde der Stellenwert frauenspezifischer Institutionen und Angebote häufig belegt, trotzdem wird deren Existenz in fachlichen Diskussionen immer wieder in Frage gestellt. Obwohl alle sechs befragten Expertinnen angaben, dass es in gewissen Bereichen von Nöten ist, Angebote oder Einrichtungen nur für Frauen zu errichten (siehe Kapitel 8.4), übten doch alle in irgendeiner Form auch Kritik an bestehenden Konzepten der frauengerechten Drogenhilfe.Die Argumentationen in der Fachdiskussion reichen von fehlenden, wissenschaftlich belegten Grundlagen bis hin zur Rentabilität von frauenspezifischen Angeboten. So führen zum Beispiel geringe Teilnehmerinnenzahlen zu einer Absetzung von Angeboten oder sie werden aufgrund mangelnder Akzeptanz des Arbeitsansatzes innerhalb des Teams erst gar nicht implementiert. Eine Expertin, die Erfahrung in der Leitung von sozialen Institutionen hat und daher auch die organisatorische und finanzielle Seite sieht, meint zu diesem Thema:
„Von der Finanzierung her kommt dann irgendwann einmal der Punkt, wo man schaut, was kostet es und was bringt es, wie sehen die Kontaktzahlen aus. […] Wir haben damit aufgehört, weil es sehr schlecht in Anspruch genommen wurde. Und wir wollen halt nicht - nur damit wir ein frauenspezifisches Angebot haben - irgendetwas machen. […] Wenn du nicht so viele Frauen im Team hast, denen das ein Anliegen ist, dann ist es halt noch schwieriger.“
Ferner gibt es nach wie vor Zweifel an geschlechtsspezifischen Unterschieden von DrogenkonsumentInnen und folglich an der Notwendigkeit von frauen- oder männergerechten Angeboten. Kritik wird zum Beispiel daran geübt, dass in den meisten Studien drogenkonsumierende Frauen mit drogenkonsumierenden Männern verglichen werden, anstatt mit einer nicht konsumierenden Kontrollgruppe. Noch seltener beschäftigen sich Untersuchungen mit beiden Aspekten. Dies führt dazu, dass es unklar ist, ob tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede erforscht wurden.Eisenbach-Stangl hingegen geht davon aus, dass es früher sehr wohl geschlechtsspezifische Unterschiede bei DrogenkonsumentInnen gab, dass diese traditionell-geschlechtsspezifisch getönten Konsumstile jedoch tendenziell durch geschlechtsunspezifische Konsumgewohnheiten abgelöst werden.
Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass es gewisse Parallelen in den Biographien drogenkonsumierender Frauen gibt, entsteht die Frage, ob die Prinzipien frauengerechter Arbeit aus feministischem Idealismus oder aufgrund der realen Bedürfnisse von Drogenkonsumentinnen entstanden sind. Eine Expertin warf im Interview die Frage auf, ob frauenspezifische Angebote nicht eher das Anliegen der Sozialarbeiterinnen als der Bedarf der Klientinnen sind, und übte auch Kritik an den Postulaten feministischer Sozialarbeit: „Ein Ding ist ja immer Solidarität stärken, oder Selbstwert stärken, aber ich glaube, dass das zwar uns als Sozialarbeiterinnen ein wichtiges Anliegen ist, was aber für die Klientinnen in ihren Lebenssituationen nicht so im Vordergrund steht.
“Es besteht demnach die Gefahr, dass durch den Idealismus der Sozialarbeiterinnen die Bedürfnisse der Klientinnen zu wenig beachtet werden. So ist das Ziel traumatisierende Erfahrungen anzusprechen und aufzuarbeiten oft nur die idealistische Vorstellung feministischer Sozialarbeiterinnen und nicht das Bedürfnis der Klientin. Gerade in der niederschwelligen Drogenhilfe bewegen sich SozialarbeiterInnen häufig im Spannungsverhältnis von Autonomie und Bevormundung. Einerseits muss im Beratungsprozess darauf geachtet werden, dass KlientInnen sich nicht zurechtgewiesen fühlen, andererseits müssen SozialarbeiterInnen, die KlientInnen zur Selbstbestimmung und Autonomie ermutigen, es auch akzeptieren können, wenn sich diese gegen eine Betreuung oder ein Angebot entscheiden. Dies gilt aufgrund der Arbeitsprinzipien insbesondere für frauenspezifische Projekte, wie eine Expertin im Interview bestätigt: „Das ist halt immer so eine Geschichte. Ist man froh darüber, dass die Frauen im Frauencafé sind, oder ist man glücklich darüber, dass sie nicht mehr kommen.
“Einen weiteren Kritikpunkt an frauenspezifischen Angeboten bildet die Wiederholung der Stigmatisierung als Opfer in Einrichtungen der Drogenhilfe. Viele der Mädchen und Frauen haben entweder vor ihrem Drogenkonsum und/ oder nach Beginn des Substanzenkonsums in der Szene Gewalt erfahren, wodurch sie oft eine Opferrolle eingenommen haben. Nach den Prinzipien frauenspezifischer Arbeit sollen Klientinnen bestärkt werden, ein autonomes und selbstbestimmtes Leben zu führen, auch um sich aus der Rolle des Opfers befreien zu können. In der Praxis sehen Sozialarbeiterinnen durch diesen Arbeitsansatz die Frauen häufig nur als Opfer der Handlungen anderer oder nur die Folgen von Traumata und dem Drogenkonsum. Dadurch machen sie „Betroffene zum zweiten Mal zum Opfer: Zum Opfer eines an Symptomen orientierten“ Hilfesystems.
Menschen sind schließlich nicht nur Objekte und damit Opfer ihrer Sozialisation, sondern gleichzeitig auch handelnde Subjekte, die Einfluss auf ihre Vergesellschaftung haben. In der Beratung und Betreuung von drogenkonsumierenden Frauen wird jedoch häufig übersehen, dass sowohl die Frau als Opfer in ihrer Biographie und die Frau als Täterin beleuchtet werden müssen, da erst beide zusammen die Lebensgeschichte ausmachen.Die Notwendigkeit frauenspezifischer Angebote ist also weitgehend unbestritten, es kommt jedoch darauf an, wie diese gestaltet sind und mit welchen Leitbildern Sozialarbeiterinnen derartige Projekte in Angriff nehmen. Eine geschlechtsneutrale Drogenhilfe könnte den Bedürfnissen von Frauen nicht gerecht werden, da diese Einrichtungen stets männerdominiert wären.