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E-Book

Globale Körper

AutorTaiya Mikisch
Verlagepubli
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783746710105
Altersgruppe1 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Argumentativer Ausgangspunkt der Arbeit Globale Körper ist, dass Prinzipien, die mit Globalisierung in Verbindung gebracht werden können, maßgeblich das Tanzfeld in Deutschland strukturieren: Neben der stark internationalen Verfasstheit des Tanzfeldes gibt es auch eine Vielzahl an Projekten, die Themen und Personen kombinieren, die verschiedenen Teilen der Welt zugeordnet werden und diese Kombination explizit thematisieren. Solche Projekte werfen Fragen nach Kategorien wie Mobilität, Vernetzung, Kontakt, Vermischung oder Grenzüberschreitungen auf und bewegen sich damit im diskursiven Feld von Globalisierung. Innerhalb solcher Projekte (vier Tanzstücke namhafter ChoreographInnen und zwei renommierte Festivals) wurden ethnographische Forschungssequenzen durchgeführt. Das ethnographische Material wird entlang einer praxeologischen Methodologie diskutiert, die die Kategorien Körper und Bewegung als theoretische und methodische Ausgangspunkte setzt. Argument ist, dass über Praktiken im Tanzfeld Formen von Welt - die ob ihrer Verortung in Globalisierungsdiskursen als Globalitäten bezeichnet werden - hervorgebracht werden. Anhand der ethnographischen Beispiele werden politische Dimensionen solcher Globalitäten beleuchtet, indem herausgearbeitet wird, ob sie sich bekräftigend oder widerständig gegenüber Praktiken und Diskursen verhalten, die sich im Feld des Kolonialismus verorten lassen. Darüber hinaus wird ein kritischer Blick auf wissenschaftliche Diskurse zu Bewegung und Raum geworfen und Ontologien von Widerständigkeit werden kritisch reflektiert.

Taiya Mikisch ist Ethnologin und Tanzwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit Körper und Kultur in Theorie und Praxis.

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2 Forschungsschritte: Methoden und Operationalisierungen


Eine wichtige ethnographische Grundprämisse ist das Offenlegen und Reflektieren der eigenen Forschungsschritte und verwendeten Methoden sowie ein Transparentmachen der Prozesse der Theoriebildung. Diese selbstreflexive Haltung entstand innerhalb der Ethnologie vor allem im Zuge der Writing Culture Debatte,{50} die auch in andere Disziplinen Einzug hielt und als ein Teil des Reflexive Turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften bezeichnet werden kann.{51} Immer noch legen allerdings viele Studien außerhalb der Ethnologie und gerade auch in der Tanzwissenschaft den eigenen Prozess der Wissensgenerierung nicht offen. In diesem Kapitel soll eine solche ausführliche Reflexion meiner Forschungsschritte und meiner jeweiligen Positionierung in den Forschungskontexten stattfinden. Gerade vor dem Hintergrund einer postkolonial motivierten Analyse ist wichtig, dass ich Analyseprozesse und Selbstverortungen offenlege, um auf diesem Weg immer auch meine eigenen Deutungen zu kontextualisieren und keinen positivistischen „Wahrheitsbegriff“ zu verfolgen.{52}

2.1 Kontaktflächen


Im Forschungsprozess habe ich mich auf drei (heuristische) Forschungsbereiche konzentriert, die ich hier Kontaktflächen nennen möchte. Ich unterscheide drei Konstellationen von Kontaktflächen. Die erste Konstellation von Kontaktflächen verorte ich am Ausgangspunkt einer Produktion: Hier findet immer in irgendeiner Form die Begegnung der ProjektinitiatorInnen mit Phänomenen oder Menschen statt, die wahrgenommen werden als einem „anderen“/„fremden“ Raum zugehörig. Die zweite Konstellation von Kontaktflächen siedle ich zwischen dem durch die ChoreographInnen gesammelten Material und den PerformerInnen sowie den spezifischen Arbeitsbedingungen und Probenstrukturierungen an. Die dritte Konstellation von Kontaktflächen verorte ich schließlich in der Aufführung, hier werden die im choreographischen Prozess vollzogenen Formgebung der Körper und Ideen mit dem Publikum geteilt.

Diese heuristische Dreiteilung hat im Forschungs- und Analyseprozess zu Übersichtlichkeit beigetragen und die Vergleichbarkeit der untersuchten Projekte ermöglicht, wendete ich diese Dreiteilung doch auf alle vier Tanzstücke gleichermaßen an. Auch die untersuchten Festivals konnte ich mit den untersuchten Tanzproduktionen zueinander in Beziehung setzen. Gleichzeitig ist die Dreiteilung theoretisch fruchtbar, weil sie verschiedene Bereiche der Globalitätskonfigurationen in den Projekten in den Blick nimmt und sie zueinander in Bezug setzen kann: Hier tun sich oftmals Spannungsfelder auf, wenn beispielsweise der Wunsch einer Grenzüberschreitung (verortet in den Kontaktflächen # 1) im Probenalltag (Kontaktflächen # 2) an der Unüberwindbarkeit von Grenzen scheitert, oder ein Publikum (Kontaktflächen # 3) sich stark auf Grenzen bezieht. So kann ich, indem ich die Entstehungsprozesse in drei Bereiche teile, auseinanderklaffende Bewegungen innerhalb der Globalitätskonfigurationen einzelner Projekte mit in die Analyse einbeziehen und sie als Bestandteil der spezifischen Globalität bestimmen und kontextualisieren.

Die Bestimmung der Kontaktflächen richtet sich immer an der Perspektive des/der BetrachtersIn aus. Ich verwende den Begriff der Kontaktflächen im Plural, um nicht ein festgelegtes, umgrenztes Gebilde zu suggerieren. Vielmehr ist Ausgangspunkt dieses Modells, dass die Flächen nicht eine festgelegte, einheitliche Struktur haben, sondern ein prozesshaftes Feld verschiedener Kontaktmomente bilden – ich gehe daher auch nicht von fixierbaren Anfangs- und Endpunkten des Kontaktes aus, sondern verwende das Modell der Kontaktflächen, um an spezifische Momente eine Lupe anzulegen. Die Flächen können sich aber auf verschiedene Arten und Weisen zusammenfügen – sie können verschiedene Konstellationen bilden.

 

Kontaktflächen, Konstellation # 1

Hier geht es mir um das jeweils spezifische Zusammenspiel an Erfahrungen, Personen, Themen, Regionen o.ä., die als Initialimpulse für die Projekte funktioniert haben. Durch solche Initiationen, Ideen, Impulse und die an den Projekten beteiligten Personen werden bestimmte Konstellationen festgelegt, beispielsweise konstituieren sich Räume oder Themen und werden in Beziehung zueinander gestellt. Es geht immer um (politische) Festlegungen und Relationen und darum, wer die Deutung solcher Festlegungen und Relationen vollziehen kann.

 

Forschungsschritte und Datensätze

Ich habe für diesen Bereich qualitative Interviews mit den ProjektinitiatorInnen geführt und dadurch Motive, Ideen und Erfahrungen abgeklopft, die dazu führten, das jeweilige Projekt zu initiieren und einen thematischen Fokus zu entwickeln. Dazu zählen auch informelle Vorabgespräche, in denen ich nachfragte, ob ich am Projekt als Forscherin beteiligt sein könne und in denen die ChoreographInnen bereits erste lose Ideen zu den jeweiligen Stücken formulierten. Teilweise war ich an Emailkorrespondenzen zur Ideenentwicklung zwischen ChoreographInnen und DramaturgInnen beteiligt. Auch fließen in diesen Forschungsbereich Texte aus Förderanträgen mit ein oder anderweitige Texte wie Blogs oder Begleitpublikationen,  in denen die Stückentstehung reflektiert wird.

 

Kontaktflächen, Konstellation # 2

Hier geht es um Techniken, Praktiken und Aushandlungen von TänzerInnen, ChreographInnen, choreographischen Verfahren, Körpertechniken, Probenstrukturierungen, Themen usw. im Entstehungsprozess der Projekte.

Der Fokus auf das Wie, den Prozess der Herstellung, Findung, Verwerfung, Neuordnung kehrt sich von einer ausschließlichen Analyse der Bühnenversion eines Stückes ab. Damit einher geht, dass Brüche, Auslassungen, Verwerfungen mit in die Analyse einfließen können und ein differenzierter Blick auf Prozesse in der Entstehung der Projekte gerichtet werden kann. Die ästhetische Analyse der Bühnenversion fließt hier (ebenso wie in der dritten Konstellation an Kontaktflächen) immer wieder mit in die Prozessbeschreibung ein, ist sie doch ein zentraler Marker, weil hier die projektspezifischen Entscheidungen von Stimmigkeit (oder Fertigsein) abgelesen werden können.

 

Forschungsschritte und Datensätze

Ich führte während der Probenprozesse zahlreiche qualitative Leitfaden-Interviews mit den an den Projekten beteiligten Personen: PerformerInnen, DramaturgInnen, aber auch KostümbildnerInnen, BühnenbildnerInnen, TechnikerInnen. Hier ging es mir um die Motivationen der einzelnen Personen, an den Projekten mitzuwirken, um ihre Wahrnehmung des Probenprozesses und spezifischer des choreographischen Prozesses, außerdem um die Identifizierung wichtiger Themen, Situationen und Erfahrungen. Darüber hinaus führte ich Interviews mit den ChoreographInnen. Wenn es möglich war, filmte ich Proben, um auch hierüber Verläufe und Entscheidungsfindungen, Festlegungen und Veränderungen im Bewegungsmaterial und Auslassungen zu dokumentieren und für meine Analyse bereitzustellen. 

 

Teilnehmende Beobachtung

Die wichtigste Methode innerhalb meiner Forschungsschritte in den Probenprozessen war die Teilnehmende Beobachtung. Die in der ethnographischen Forschung zentrale Methode setzt die Anwesenheit und Teilnahme der Forscherin im Forschungsfeld strategisch ein.{53}

Ich war in den Forschungssequenzen auf verschiedene Weisen mit in den Entstehungsprozess involviert – ob als Regieassistentin, Gesprächspartnerin, Ausführerin organisatorischer Tätigkeiten, Beobachterin, Teilnehmerin an Workshops zusammen mit den PerformerInnen, Platzhalterin im Krankheitsfall oder bei Lichtproben. Je nach Produktion und Rolle variierte der Grad meiner Einbindung in den konkreten Entstehungsprozess. Ich habe viele Stunden am Rand der Probebühne verbracht, minutiöse Veränderungen im Material mitbekommen, unzählige Wiederholungen des gleichen Materials gesehen und dokumentiert.

Gerade dieses konstante Anwesend-Sein ermöglichte mir, Probleme oder Konflikte mitzubekommen, an denen sich beispielsweise Hierarchien ablesen lassen, oder Verwerfungen bereits entwickelter Materialien – hier können beispielsweise an den Motiven solcher Verwerfungen Konzepte zu ästhetischen Standards abgelesen werden.

Darüber hinaus hinterließ dieses Mitbekommen zahlreicher Wiederholungen in den Proben und dieses Involviert-Sein Spuren in meiner Wahrnehmung und meiner Vertrautheit mit dem Material. Vor allem die Bewegungsqualität einzelner Personen, Szenen oder ganzer Produktionen wurde dabei zu einer wahrnehmbaren Qualität für mich, die ich nur so mit in die Analyse einfließen lassen konnte.

Mit meinem methodologischen Ansatz der bodyscapes (eine ausführliche Diskussion erfolgt in Kapitel 3.4.1) geht auch einher, dass ich den Körperbezug auch auf mein eigenes methodisches Vorgehen hin mitreflektiere. Es geht also auch hier darum, mich selbst im Prozess meiner Forschung und Wissensgenerierung als körperlich zu denken. In der Ethnologie wird oft die Relevanz des sogenannten tacit knowledge betont, eine Wissensform, die sich nicht über versprachlichte Prozesse erschließt, sondern durch die...

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