2.Theoretische Grundlagen
Alle Orte außerhalb der Schule können, sofern sie intentional in schulische Lern- und Bildungsprozesse einbezogen werden, zu außerschulischen Lernorten werden (vgl. Kapitel 1). Vor diesem Hintergrund gilt es, bildungstheoretische, schulpädagogische und allgemeindidaktische Grundlagen für die Einbeziehung außerschulischer Lernorte in schulische Lehr-Lernprozesse zu klären.
Die Bedeutung einer Orientierung an der Lebenswelt und an schulischen Nahraum von Kindern und Jugendlichen bringt außerschulische Lernorte stärker in den Fokus schulischer Bildungsarbeit. Dies wird in diesem Kapitel theoretisch vertieft, indem allgemeindidaktische und bildungstheoretische Überlegungen und Fragen der Öffnung der Schule aus Schulentwicklungsperspektive miteinander verknüpft (Kapitel 2.1) sowie sich verändernder Sozialisationsbedingungen als Grundlage für die Einbeziehung lebensweltlicher Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern dargestellt werden (Kapitel 2.2). Beide Bereiche erfordern, lebensweltliche Erfahrungen aufzugreifen, sie als Ausgangspunkt für bildungswirksames Lernen zu klären und auszudifferenzieren.
Eine dem entsprechende schulpädagogische Perspektive auf den Unterricht wird in Kapitel 2.3 dargestellt: Die Frage nach der Unterrichtsqualität wird aus schulpädagogischer und lehr-lerntheoretischer Perspektive erörtert, für außerschulische Lernorte geeignete Unterrichtskonzeptionen werden diskutiert. Als Grundlagen beschrieben werden das Verständnis von Lehren und Lernen, von Konstruktion und Instruktion sowie die Aufgabe, an die Vorstellungen, das Vorwissen, die Vorerfahrungen und subjektiven Deutungen und an Konzepte des Weltverstehens der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen. Authentische Lernsettings an außerschulischen Lernorten ermöglichen in Bezug auf Aufgabenqualität Lernaufgaben, die die aktuell geforderte Kompetenzorientierung von Lernen unterstützen. Sie sind komplex, problemhaltig, ermöglichen unterschiedliche Lernzugänge und legen vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten nahe. Die Qualität des Unterrichts zeigt sich damit an guten Lernaufgaben, an der Nutzung vielfältiger Möglichkeiten der inneren Differenzierung sowie an kompetenter Lernbegleitung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkräfte.
In Ergänzung zu den unterrichtlichen Grundlagen in diesem Kapitel werden in Kapitel 3 dann didaktische Grundlagen, vor allem die Fragen nach Bildungszielen und Bildungsinhalten sowie methodische Grundlagen für das Lernen an außerschulischen Lernorten, konkretisiert.
2.1Didaktische Theorien und bildungstheoretische Grundlagen
In diesem und im dritten Kapitel dieses Bandes wird für die Auswahl-, Planungs- und Gestaltungsüberlegungen des Lernens an außerschulischen Lernorten von didaktischen Grundfragen ausgegangen. Ziel von didaktischen Theorien und Modellen ist, Lehr- und Lernsituationen zu verstehen, zu gestalten, zu reflektieren und auch erforschen zu können. Ihr Schwerpunkt liegt in der Analyse von Unterricht; im Rahmen der Lehrerbildung werden sie auch oft als Planungsgrundlage oder -instrumente verwendet (vgl. z. B. Esslinger-Hinz et al. 2007).
Funktion didaktischer Modelle
Hallitzky, Marchand und Seibert systematisieren didaktische Modelle in Bezug auf ihre Funktion für die Unterrichtsforschung und die Planung und Gestaltung von Unterricht. Sie unterscheiden drei Gruppen relevanter Theorien und Modelle »für eine zeitgemäße Allgemeine Didaktik« (Hallitzky/Marchand/Seibert 2013, S. 160). Eine Entscheidung über Ziele, Inhalte und Methoden erfordere immer die Beachtung und Verknüpfung aller drei Perspektiven.
Theorien und Modelle wie das Berliner Modell von Heiman, Otto und Schulz oder das Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke »erklären, wie verschiedene Elemente von Unterricht aufeinander wirken« (Hallitzky/Marchand/Seibert 2013, S. 141). Sie untersuchen vor allem, welche Faktoren auf Unterricht einwirken und wie diese zusammenhängen. Die empirische Lehr-Lern-Forschung rekurriert häufig auf solche Modelle, eine normative Orientierung können sie allerdings nicht geben und als handlungsleitende Bezugswissenschaft sind sie daher nicht ausreichend (Hallitzky/Marchand/Seibert 2013, S. 159).
Bildungstheoretische Grundlagen
Geisteswissenschaftliche didaktische Theorien und Modelle wie z. B. Klafkis bildungstheoretische und kritisch-konstruktive Didaktik oder das Hamburger Modell von Schulz liefern als zweite Gruppe eine »normative Fundierung didaktisch-methodischen Handelns« (Hallitzky/Marchand/Seibert 2013, S. 159). Sie beziehen grundlegendere Leitziele wie Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit sowie soziale, gesellschaftliche und politische Gesamtzusammenhänge ein und bieten damit eine normative Orientierung in Bezug auf die vielen verschiedenen Möglichkeiten, unterrichtliche Entscheidungsprozesse zu treffen.
Die dritte Gruppe didaktischer Theorien und Modelle wie z. B. die systemtheoretisch-konstruktivistische Didaktik Reichs kennzeichnen Hallitzky, Marchand und Seibert ebenso als normativ, aber nicht in Bezug auf die Ziele, sondern auf die Gestaltung des Unterrichts.
Aufgrund der Offenheit und Vielfalt möglicher außerschulischer Lernorte und den daraus folgenden komplexen und anspruchsvollen Entscheidungs- und Gestaltungsaufgaben für Lehrkräfte ist eine bildungstheoretische Fundierung als allgemeiner Orientierungsrahmen erforderlich. Die orientierende bildungstheoretische Grundlage für alle didaktischen und methodischen Überlegungen zu außerschulischen Lernorten in diesem Band bildet das Modell der kritisch-konstruktiven Didaktik von Wolfgang Klafki aus der zweiten eben beschriebenen Gruppe. Konstruktivistische didaktische Überlegungen der dritten Gruppe werden im Rahmen der lerntheoretischen Perspektiven (Kapitel 2.3, S. 45 ff.) sowie bei den didaktischen und methodischen Überlegungen in Kapitel 3 einbezogen. Die erste Gruppe unterrichtsbezogener didaktischer Konzepte wird vor allem bei Unterrichtsgestaltungs- und -qualitätsfragen relevant (Kapitel 2.3, S. 38 ff.).
Bildungstheoretische Grundlagen
Bildungsziele: Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität
Klafki fordert in der kritisch-konstruktiven Didaktik die Ausbildung von drei Grundfähigkeiten. Ziel und Ergebnis von individuellen Bildungsprozessen ist der selbsttätig erarbeitete und personal verantwortete Zusammenhang der Grundfähigkeiten zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität:
Die Fähigkeit »zur Selbstbestimmung jedes einzelnen über seine individuellen Lebensbeziehungen und Sinndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer und religiöser Art«,
die »Mitbestimmungsfähigkeit, insofern jeder Anspruch, Möglichkeit und Verantwortung für die Gestaltung unserer gemeinsamen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hat«
sowie die »Solidaritätsfähigkeit, insofern der eigene Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung nur gerechtfertigt werden kann, wenn er nicht nur mit der Anerkennung, sondern mit dem Einsatz für diejenigen und dem Zusammenschluss mit ihnen verbunden ist, denen eben solche Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse, Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen vorenthalten oder begrenzt werden« (Klafki 1991, S. 52).
Lehrkräfte haben die...