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E-Book

Hans Fallada

AutorJürgen Manthey
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644403604
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Hans Fallada (1893-1947), eigentlich Rudolf Ditzen, war einer der wichtigsten Romanautoren deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Seine von der Neuen Sachlichkeit geprägten Werke handeln vom Leben der «kleinen Leute» in unwirtlichen Zeiten, ihrer Ratlosigkeit und Lebenstapferkeit. Romane wie «Kleiner Mann - was nun?» (1932) und «Wer einmal aus dem Blechnapf frisst» (1934) gehören mittlerweile zu den literarischen Klassikern ihrer Zeit. Seitdem sein letzter, postum erschienener Roman «Jeder stirbt für sich allein» in den USA unter dem Titel «Alone in Berlin» erschien und Furore machte, erlebt Fallada weltweit eine Renaissance. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Jürgen Manthey, geboren 1932 in Forst (Lausitz). Er leitete die Literatur-Redaktion beim Hessischen Rundfunk und war viele Jahre Lektor im Rowohlt Verlag, wo er unter anderem die Reihe «das neue buch» herausgab. Von 1986 bis 1998 lehrte er als Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Essen. Jürgen Manthey lebt als freier Autor und Literaturkritiker in Lübeck.

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Leseprobe

Jugend und erste literarische Versuche


Sowohl die Memoiren des Vaters wie auch die der Mutter lassen den ferneren Weg Falladas völlig im Dunkeln. Die Mutter erwähnt noch den Fahrradunfall, dann heißt es: «Die nächste Zeit ist für uns eine schwere gewesen, von der ich nicht erzählen will.» Der Name des ältesten Sohnes taucht von da ab in ihren Erinnerungen nicht mehr auf. Ähnlich allgemein ist der Ausdruck des Vaters, der nur schreibt, dass das «Schicksal» die Familie «manchmal sehr rauh» behandelt habe. Die Eltern sind mit diesem «Schicksal» so wenig fertig geworden wie Fallada selbst. Sie meinten, die Erinnerung an die Verirrungen des Sohnes auslöschen zu können, indem sie sie verschwiegen. Die Mutter hat auch später noch, als Fallada schon berühmt war, Briefe und Manuskripte aus den frühen Jahren vernichtet, soweit sie ihr in die Hände fielen. Gegen den ausdrücklichen Protest der Geschwister Falladas: Die Nachwelt sollte den Sohn nur im Licht seines schriftstellerischen Ruhms sehen.

Diese Haltung schloss jedoch nicht aus, dass Fallada in all den nun folgenden Jahren von seinen Eltern unterstützt wurde. Vom Vater eigentlich nur materiell, aber das bedeutete für diesen Mann, der nicht einmal an das Talent seines Sohnes glauben konnte, mehr als eine Überwindung zu rein äußerer Unterhaltspflicht. Wir werden an entsprechender Stelle Dokumente vorlegen, die das Verhältnis zwischen Vater und Sohn in diesen dunklen Jahren beziehungsreich erhellen.

Wir können es uns aber auch darüber hinaus nicht leisten, diese Jahre im Dunkeln zu belassen. Schon deshalb nicht, weil in ihnen entgegen allem flüchtigen Augenschein der Erzähler Fallada heranreifte. Das spätere Werk ist nur scheinbar unberührt von dieser Zeit, in der Fallada, zwischen wilder Selbstauslöschung und genauso rigoroser Selbsterhaltung schwankend, nicht nur den Stoff für seine wichtigsten Romane in sich anlegte. Die sehr geschlossene, in einer eigenen Harmonie beschlossene Welt seiner Bücher ist überhaupt nur vor dem Hintergrund der Wesensspaltung, die sich in diesen Jahren konsolidiert, verständlich.

Wir haben zunächst, so lange aufgehalten durch die Vervollständigung des Katalogs an äußeren Einflüssen, ein Stück innerer Entwicklung nachzutragen. Der siebzehnjährige Fallada – sechs Monate trennen ihn noch von seinem 18. Geburtstag, als er von zu Hause fortgebracht wird – ist, als er in Rudolstadt eintrifft, in einem schlimmen, krankhaften Zustand innerer Zerrissenheit. Die eigene Kränklichkeit, die dahinter immer wieder hervorbrechende körperliche Ungeduld, die ihn aber zugleich überfordert, die Verständnisohnmacht der Eltern, das alles zusammen ist darauf angelegt, den Abstimmungsprozess seiner Anlagen auf einen einheitlichen Charakter hin zu erschweren. Wir wissen nicht, wie viel eine Erziehung, die fähig gewesen wäre, den extremen Seelenzustand zu erkennen und zu berücksichtigen, in dieser Hinsicht hätte ausgleichen können. Überhaupt darf man die Kausalbeziehungen zwischen dem Außen und dem Innen wohl nicht nur in einer Richtung annehmen, in den Zufällen und Unfällen die Ursache und im Außenseitertum später dann die Wirkung und Folge sehen. Hier bedingte eine Anlage permanentes Missgeschick, und dieses wirkte aufs Ungünstigste zurück, die innere Konstellation zu fixieren.

Von vornherein hatte das Elternhaus dem Erlebnisdrang des Heranwachsenden zu enge Grenzen gesetzt. Hielt er sich nicht an diese Grenzen, suchte er Abenteuer und Bewegungsfreiheit außerhalb, so erwies sich, dass Anleitung und Beispiel der Eltern ihn nicht mit dem Rüstzeug versehen hatten, dort zu bestehen. Jeden Entschluss, sich auf eigene Faust zurechtzufinden, sehen wir daher immer wieder von Verhängnissen begleitet. Ohne die Hilfe einer lenkenden Erziehung ist er jedenfalls erst recht dazu verurteilt gewesen, aus allem als Pechvogel und nicht, wie er hoffte, als Phönix hervorzugehen.

Fallada hat auch schon früh das Gefühl gehabt, mit seinen Problemen allzu sehr alleingelassen zu sein. Genau wie Verschlossenheit und innere Abkehr durch jede erneute Begegnung mit der Außenwelt noch verstärkt wurden, so gab es auch Zusammenstöße mit den Eltern, die ihn weiter in die angelegte Richtung stießen. Fallada erinnerte sich zum Beispiel später an eine Bestrafung für angeblich leichtsinniges Zuspätkommen. Er ist der Ansicht, dass vieles in meinem Leben vielleicht anders gekommen wäre, wenn mein langmütiger Vater nicht gerade an diesem Abend die Geduld verloren hätte. Im Eifer, kleinere Verfehlungen zu ahnden und jeden Ansatz zu Zuchtlosigkeit und Schlendrian auszumerzen, übersahen die Eltern leider häufig, dass ein ungewolltes Versagen, dass Ängste und früh-neurotischer Zwang dahintersteckten. Das summarische Abstrafen verschloss dem Jungen überdem den Mund:

So habe ich meine ganze Jugend hindurch – und noch manches Jahr danach – an diesen immer wiederkehrenden fixen Ideen gelitten, und habe doch damals nie mit einem Menschen darüber sprechen können. Die Gelegenheit war mit jenem Prügelabend entgültig verpaßt. Manchmal waren diese Ideen vergleichsweise harmlos. So wenn ich stundenlang im Bett wach lag und darüber grübelte: hast du auch einen Punkt hinter dem letzten Satz deines Exerzitiums gemacht? Schließlich mußte ich dann doch aufstehen und nachsehen, und natürlich war der Punkt immer gemacht. Manchmal betrafen diese Ideen freilich auch Schlimmeres …

In einem Haus, in dem viel gelesen wurde, in dem auch die Kinder Anregungen zum Lesen erfuhren, lag es besonders nahe, dass Fallada früh in Berührung mit Büchern kam. Und ebenso nahe lag es dabei, dass er sich schnell daran gewöhnte, hier den Trost und die Bestätigung zu finden, die ihm die Umwelt vorenthielt. Er kam als Kind bereits mit überraschend wenig Schlaf aus, und zeitig, wenn in den Schlafzimmern der Eltern noch alles ruhig war, schlich er in die Bibliothek des Vaters, um heimlich eine Wahl nach seinem Geschmack zu treffen. Denn bald war er dahintergekommen, dass in Romanen alles möglicher war als in den Abenteuergeschichten, aus denen seine Kinderzimmer-Bücherei bestand. Er fand ganze Kästen voller Reclam-Bändchen, auf die er verfiel, weil der Vater den Bestand dieser Hefte nie nachprüfte. So las er Flaubert, Zola, Daudet, Cervantes, Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Dostojewski, Tolstoi, Dickens, Swift, alles durcheinander. Wahllos, maßlos:

Ich habe meinen Flaubert, meinen Daudet, meinen Zola zum ersten Mal wohl schon mit zehn oder elf Jahren gelesen, die Bovary nicht anders wie Fromont jr. und Risler sr. oder Germinal. Wenn ich damals auch vieles aus diesen Büchern nicht verstand, so entwickelte sich doch in mir damals der Sinn für die französische Literatur, und besonders Gustave Flaubert aus Rouen ist viele Jahre mein größter Hausgott geblieben.

Sein Erlebnisschwerpunkt verlagert sich zusehends in diese fiktive Welt, und schon bald kommt es auch zu den ersten eigenen Versuchen, Nachempfundenes niederzuschreiben. Zunächst wurden kurze Stücke verfasst und einstudiert. «Groß war die Neigung zum Theaterspielen bei Rudolf und Uli», schreibt die Mutter. «Ich habe gern meinen ‹Salon› für die Aufführungen, zu denen die ganze Verwandtschaft geladen wurde – Eintrittsgeld war sehr erwünscht –, hergegeben. Wir bedauerten nur, daß meistens Parodien auf klassische Stücke gewählt wurden.»

Noch früher hatte das Kind den Hang, Geschichten zu erzählen, entdeckt. In einem unveröffentlichten Manuskript (Meine Ahnen), das im letzten Lebensjahr Falladas entstanden ist, erinnert er sich:

Aber lange, ehe ich «richtig» mit dem Lesen begann, erzählte ich mir selbst Geschichten; diese Leidenschaft ist bei mir noch früher aufgetreten als das Lesen … Als Rohstoff benützte ich jene Märchen, die mir meine Mutter vorzulesen pflegte und deren Zauber heute noch nicht seine Macht über mich verloren hat. Ich war dann der Hans im Glück, der siegreiche Königssohn, der Junge, der das Gruseln lernen wollte – aber ich lernte es nie.

Wie sehr ihm die Welt dieser weitergesponnenen Geschichten von vornherein eine Zuflucht bedeutete, dessen ist sich Fallada zumindest später deutlich bewusst gewesen:

Es wurde dunkel, fremd, und mit leiser Drohung standen die am Tage so vertrauten Geräte meines Zimmers um mich, die Geräusche in der Wohnung nahmen etwas Unerkennbares, Beängstigendes an – da zog ich es vor, aus dieser vertrauten, nun so fremd gewordenen Welt zu flüchten. Ich wurde zum Robinson Crusoe und lebte ganz für mich allein auf meiner Insel, und selbst ein «Freitag» war mir in meiner Einsamkeit noch zu viel. Meine Hauptarbeit galt dann der Sicherung meines Alleinseins; ich dachte mir nicht zu bewältigende Klippen und Riffe um meine Insel aus, und die Pflanzungen, die den Zugang zu meiner Höhte verdeckten, konnten nicht breit und verwachsen genug sein.

Ich kann es gar nicht sagen, einen wie großen Einfluß das Buch des Engländers Defoe auf mich gehabt hat und wohl auch noch hat. Denn stets in meinem Leben, wenn meine Lage schwierig oder gefährlich wurde, nahm ich bei den Robinson-Phantasien meine Zuflucht, bis in die allerletzten Tage hinein. Als die Bombennächte in Berlin meinen Nerven fast unerträglich wurden, wurde ich wieder zum Robinson und baute mir und den Meinen einen Bunker, in dem wir nicht nur solche Bombennächte, sondern auch den Krieg und alles danach überdauert hätten. Schließlich wären wir in einer gänzlich verwandelten Welt zum Vorschein gekommen wie die Siebenschläfer, staunend und angestaunt.

Fallada hat bald nicht nur mit Müdigkeit und nachlassender...

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