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Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

Ein Handbuch

VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl476 Seiten
ISBN9783823300267
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Dieses Handbuch liefert einen umfassenden, systematischen und sprachenübergreifenden Überblick über die Forschungsrichtungen und -methoden der Fremdsprachendidaktik. Es geht von den drei grundständigen Forschungsrichtungen der historischen, theoretischen und empirischen Forschung aus und zeichnet die großen Entwicklungslinien der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum nach. Davon ausgehend werden alle wichtigen Erhebungs- und Analyseverfahren von ausgewiesenen Expertinnen und Experten vorgestellt, disziplinspezifisch erläutert und an zahlreichen Beispielen konkretisiert. Ein weiteres Kapitel stellt Hilfen und Handlungsempfehlungen für den gesamten Prozess einer wissenschaftlichen Arbeit von der Ideenfindung bis zur Präsentation und Publikation zusammen. Zwölf Referenzarbeiten aus den letzten 15 Jahren, die beispielhaft unterschiedliche Forschungsmethoden verwenden, bilden den gemeinsamen Bezugsrahmen. Besonderes Gewicht wird auf die interne Kohärenz des Handbuchs gelegt, die sich in übersichtlicher Struktur, begrifflicher Konsistenz und systematischen Querbeziehungen zeigt.

Prof. Dr. Daniela Caspari ist Professorin für Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen an der Freien Universität Berlin. Prof. Dr. Friederike Klippel ist Professorin em. für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Dr. Michael Legutke ist Professor em. für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Prof. Dr. Karen Schramm ist Professorin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien.

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Leseprobe

2.1 Was ist Forschung? Und was beeinflusst sie?


Diese grundlegende Frage wird in den bisher erschienenen deutschsprachigen Handbüchern bzw. Einführungen in die fremdsprachendidaktischen Forschungsmethoden nicht thematisiert. Obwohl auch im Rahmen dieses Handbuches keine grundlegende Abhandlung möglich ist, erscheint es gerade in Hinblick auf die Zielgruppe „Forschungsnoviz_innen“ sinnvoll, sich die Unterschiede zwischen Beobachtungen im Alltag oder in der beruflichen Praxis einerseits, so wie sie z.B. von angehenden Lehrkräften im Praktikum oder Referendariat verlangt wird, und der wissenschaftlichen Erforschung von Fragestellungen andererseits bewusst zu machen. Diese Unterschiede sind – wie z.B. bei der Darstellung der historischen Forschung (Kapitel 3.1), an bestimmten forschungsmethodischen Ansätzen (Kapitel 4.2) oder einigen Verfahren zur Datengewinnung (z.B. Kapitel 5.2.3 und 5.2.4) zu erkennen ist – eher gradueller als grundsätzlicher Natur. Denn es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, Phänomenen in seiner Umwelt auf den Grund zu gehen, nach Gesetzmäßigkeiten zu suchen sowie auf der Basis von Beobachtungen und Erfahrungen Theorien aufzustellen und Vorhersagen zu machen. Während dies im Alltag in der Regel eher zufällig, unbewusst und ad hoc geschieht, zumeist um konkrete Herausforderungen und Probleme des täglichen Lebens zu meistern, zeichnet sich wissenschaftliche Forschung durch eine systematische und methodisch kontrollierte Herangehensweise aus.

Bei wissenschaftlicher Forschung handelt es sich um einen Prozess, der von dem/der Forscher_in beständig bewusste Entscheidungen verlangt: von der Wahl des Forschungsgegenstandes (Thema), über die Forschungsfrage/n, die Erhebungs- und Auswertungsverfahren bis hin zu Art und Ort der Veröffentlichung der Ergebnisse. Da diese Entscheidungen von vielen, nicht immer bewusst gemachten Faktoren beeinflusst werden, sollen in diesem Kapitel einige dieser Faktoren ebenfalls angesprochen werden.

Grundlegend für die Wahl des Forschungszugangs sind die jeweiligen Annahmen über die Beschaffenheit der sozialen Wirklichkeit und die Möglichkeiten ihrer Erforschung. Cohen/Manion/Morrison (2011: 37) unterscheiden in Anlehnung an Burrell und Morgan (1979) vier voneinander abhängige Ebenen (s. Tabelle 1):

A scheme for analysing assumptions about the nature of social science

The subjectivist approach to social science

The objectivist approach to social science

Nominalism

Ontology

Realism

Anti-positivism

Epistemology

Positivism

Voluntarism

Human nature

Determinism

Idiographic

Methodology

Nomothetic

The subjective-objective dimension

Subjektivistischer und objektivistischer Forschungszugang (Nachzeichnung von Cohen/Manion/Morrison 2011: 7)

Grundsätzlich werden ein subjektivistischer und ein objektivistischer Forschungszugang unterschieden (subjectivist approach vs. objectivist approach), die sich auf drei Ebenen voneinander unterscheiden: der ontologischen, der epistemologischen und auf der Ebene der Auffassung über die Natur des Menschen. Auf der ontologischen Ebene (ontology) geht es um grundlegende Annahmen über die Wirklichkeit und die Natur der Dinge. Gehe ich davon aus, dass es eine objektive, vom jeweiligen Betrachter unabhängige Welt gibt (realist position), oder bin ich der Überzeugung, dass Wirklichkeit erst durch den Betrachter geschaffen wird und somit das Produkt subjektiver Wahrnehmung ist (nominalist position)?

Diese grundsätzliche Position bestimmt Annahmen darüber, was und wie man etwas herausfinden und dies anderen mitteilen kann (epistemology): Kann ich soziale Wirklichkeit ‚von außen‘, d.h. durch Beobachtung wahrnehmen und erklären, ihre Gesetzmäßigkeiten erkennen und daraus Voraussagen über zukünftiges Verhalten ableiten (positivism)? Diese Auffassung legt einen etischen Zugang zum Forschungsfeld nahe, in dem von außen Kategorien an einen Untersuchungsgegenstand angelegt werden. Oder muss ich Menschen bzw. spezifischen Gruppen von Menschen und ihren Referenzsystemen möglichst nahe kommen, damit ich, soweit dies überhaupt möglich ist, ihre Innensicht auf sich selbst und ihr soziales Umfeld nachzeichnen kann (anti-positivism)? Diese Auffassung legt einen emischen Zugang zum Forschungsfeld nahe, der von den kultur- und sprachspezifischen Kategorien der Forschungspartner_innen ausgeht. Mit den beiden epistemologischen Positionen verbunden sind grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen über die menschliche Natur: Betrachte ich den Menschen in erster Linie durch seine Anlagen und seine Umwelt bestimmt (determinism) oder verstehe ich ihn als freies, selbstbestimmtes Wesen, das seine soziale Umwelt kreativ mitgestaltet (voluntarism)?

Der objektivistischen Herangehensweise entsprechen sog. nomothetische Forschungszugänge (nomothetic), die das Ziel verfolgen, allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten aufzustellen. Ausgangspunkt von Forschungsarbeiten in diesem, auch als analytisch-nomologisch bezeichneten, Forschungsparadigma (vgl. Grotjahn 1993: 229230) sind i.d.R. zuvor aufgestellte Theorien, Modelle oder hypothetische Kausalbeziehungen; das Ziel besteht darin, die daraus abgeleiteten Hypothesen zu überprüfen. Ein solches Vorgehen ist grundsätzlich dann möglich, wenn der Forschungsstand weit entwickelt und die Fragestellungen eng gefasst sind. Bevorzugte Forschungsverfahren in diesem Paradigma sind u.a. Tests, Experimente, repräsentative Befragungen.

Der subjektivistischen Herangehensweise entsprechen sog. ideographische Forschungszugänge (ideographic), die das Ziel verfolgen, das Individuelle, Besondere zu beschreiben, zu interpretieren und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Innerhalb dieses, auch als explorativ-interpretativ bezeichneten, Forschungsparadigmas (vgl. Grotjahn 1993: 230231) stehen somit Hypothesen und Konzepte bzw. Theorien nicht am Anfang des Forschungsprozesses, sondern sind dessen Ergebnis. Dieser Zugang bietet sich immer dann an, wenn der Gegenstand noch nicht gut erforscht ist oder wenn eine weite Forschungsfrage gestellt wird. Bevorzugte Forschungsverfahren in diesem Paradigma sind u.a. Fallstudien, Beobachtungen, Interviews.

Über diese grundsätzlichen Paradigmen bzw. Forschungszugänge hinaus werden die für jedes Forschungsprojekt notwendigen einzelnen Entscheidungen durch zahlreiche weitere Faktoren bestimmt. Von entscheidender Bedeutung sind selbstverständlich die Disziplin und innerhalb der Disziplin die jeweilige Forschungsrichtung, die mehr oder weniger explizit gemachte Vorgaben bzw. Erwartungen an eine konkrete Forschungsarbeit richten. Die in den Disziplinen vorherrschenden Traditionen sind, was sich besonders deutlich in der Rückschau zeigt, nicht selten aktuellen Moden und Tabus unterworfen. Zur Entstehung zu solchen, zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden Forschungspraktiken tragen neben der allgemeinen Forschungslandschaft und entsprechenden Tendenzen in den jeweiligen Bezugsdisziplinen auch einflussreiche Forscher_innen bzw. Forscher_innengruppen sowie nicht zuletzt große Geldgeber bei. So sind der Siegeszug der empirischen Bildungsforschung innerhalb der Erziehungswissenschaft und die aktuelle Vorliebe für Interventionsforschung innerhalb der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken auch durch Förderentscheidungen der Politik beeinflusst. In diesem Zusammenhang spielt ebenfalls der aktuelle gesellschaftliche Kontext eine Rolle: Welcher Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung wird von der Forschung erwartet? Welche Themen stehen im Zentrum des Interesses? Wie verläuft der mediale Diskurs zu diesen Themen?

Die Forschungstraditionen der einzelnen Disziplinen schlagen sich nicht selten in etablierten, sog. prototypischen Designs nieder, die gewisse Standards setzen und oft als modellhaft gelten. Gerade wenn solche Designs detaillierte Vorgaben hinsichtlich der Erhebungs- und Auswertungsverfahren machen, sind sie insbesondere für Anfänger_innen attraktiv und helfen, die notwendige methodische Qualität einer Forschungsarbeit zu sichern. Andererseits kann die Ausrichtung auf etablierte Designs dazu führen, dass bestimmte Forschungsfragen gar nicht erst gestellt werden oder dass die ursprüngliche Frage an die Erkenntnismöglichkeiten des Designs angepasst wird. Daher sollte ein Forschungsprojekt...

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