Hypnose als kooperativer Prozess
Hypnose kann als kooperativer Prozess, Prozedur oder Ritual aufgefasst werden, in der eine Fachperson (Psychologe, Coach, Arzt, Heilpraktiker) einer anderen Person (Klient, Patient) Vorschläge und Anregungen (Suggestionen) unterbreitet, die Veränderungen des Erlebens beim Klienten bewirken sollen. Diese gewünschten Veränderungen zielen auf das Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Verhalten. Die Erfahrung vieler Klienten und Fachpersonen sowie ausgiebige wissenschaftliche Erforschung seit etwa 1950 zeigten eindeutig, dass viele Klienten diese Vorschläge tatsächlich – teilweise unwillkürlich – verwirklichen, mit messbaren Einflüssen auf das Verhalten, das Denken, das Fühlen und auf viele Körperfunktionen.
Früher gingen Hypnotiseure davon aus, dass sie Macht über ihre Klienten haben und hypnotische Phänomene in ihnen erzeugen. Die Klienten wurden zu dieser Zeit Subjekte genannt (in der Forschung nutzt man diesen Begriff teilweise immer noch). Diese Einstellung führte meist zu einem autoritären Hypnosestil, der die angebliche Macht der Fachperson betonte. Noch 1982 enthielt ein damaliges Standardlehrbuch für Hypnose des französischen Psychiaters Dr. Léon Chertok folgende einleitende Passage im Vorwort, das vom Neurologen und Psychiater Dr. Henri Mari Jean Louis Ey verfasst wurde. Chertoks Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und besonders in Laienkreisen über viele Jahrzehnte sehr geschätzt.
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Die angebliche Macht der Hypnotiseure über andere Menschen
»Einen Menschen hypnotisieren bedeutet, Macht auf ihn auszuüben, einen Einfluss, der ihm etwas ›suggeriert‹. Zur Kraft des Hypnotiseurs muss jedoch auch die Schwäche des Hypnotisierten kommen, seine unbewusste Mitarbeit, damit die ›Trance‹, der Zustand des ›provozierten Somnambulismus‹, der ›hypnotische Schlaf‹, durch Techniken erzeugt werden können, die entweder die Suggestion oder die Suggestibilität zu intensivieren trachten. Der Suggestionswert der therapeutischen Handlung hängt zweifellos von der Person des Hypnotiseurs ab. Weniger von dem, was er ist, als von dem, was er zu sein scheint […] Die Übertragung ist hier massiv und ›wild‹. Sie gleicht einem ›Fluidum‹, dessen Wirkung notwendig, wenn nicht gar überwältigend ist.« (Dr. Henri Ey [1900–1977] im Vorwort des Buches »Hypnose« von Dr. L. Chertok, 1982)
Im zitierten Vorwort wird auf die Macht des Hypnotiseurs fokussiert. Heute würden wir von Präsenz und Engagement sowie von kommunikativer Kompetenz sprechen. Henri Ey meint, dass eine hypnotisierte Person schwach sein müsse. Dieser Eindruck entstand im 19. Jahrhundert als Begleitphänomen der autoritären Beziehung zwischen Ärzten und Patienten (die Allwissenden da oben, die Unwissenden da unten). Eine Hypnose in einer solchen Beziehung funktionierte gut, wenn sich ein Patient dem autoritären Gebaren unterordnete.
Heutige Klienten und Patienten möchten zunehmend auf Augenhöhe gesehen werden. In einer solchen Beziehung geraten andere Kompetenzen in den Fokus. So wissen wir jetzt, dass ein Klient vielmehr eine gewisse Fantasiebegabung benötigt sowie Vertrauen, Angstfreiheit und Zustimmung zum Prozess in der konkreten Beziehung. Von Fluidum und wilder Übertragung sprechen wir nicht mehr. Aber solche – angeblich wissenschaftlich fundierten – Lehrbücher und laienhaften Darstellungen der Hypnose haben bis in die heutige Zeit dazu beigetragen, dass viele Menschen (Ärzte übrigens ebenfalls!) sehr veraltete Vorstellungen von der Hypnose haben und die Methode mit Macht, Manipulation und esoterischem Hokuspokus verbinden. Bevor ich in Universitätskursen jungen Medizinern beispielsweise erklären und zeigen kann, was Hypnose ist, ist es meistens notwendig, zunächst zu erläutern, was Hypnose nicht ist. Denn selbst heutzutage hegen zahlreiche Medizinstudenten eine Unzahl »alter« Vorstellungen über Hypnose, wenn sie eine Fortbildung in dieser Methode beginnen.
Fachleute gehen mittlerweile eher davon aus, dass Hypnose immer eine Form der Selbsthypnose des Klienten ist. Daher glauben sie nicht, dass sie selbst hypnotische Phänomene in Klienten bewirken können. Stattdessen gehen sie davon aus, das sie lediglich Anregungen oder Vorschläge geben können, die ein Klient entweder selbst umsetzt oder auch nicht. Diese Haltung führt zu einem kooperativen oder partnerschaftlichen Rollenverständnis.
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Hypnose ist eine kooperative Interaktion
Hypnotherapie, Hypnosetherapie, Hypno-Coaching werden heutzutage kooperativ und am Klienten orientiert durchgeführt. Dies kann sowohl mittels direkter als auch mittels indirekter Methoden geschehen. Beides ist gleichermaßen effektiv. In Hypnoseshows wird manchmal noch ein altes, autoritäres Beziehungsmodell demonstriert oder sogar die Illusion von Magie geschürt.
Der Gesinnungswandel – hin zu einer kooperativen Haltung – ist einerseits Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Strömung und andererseits eine Folge der Erkenntnisse aus umfangreicher universitärer Hypnoseforschung und allgemeiner Therapieforschung seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Wechsel von einem autoritären zu einem kooperativen Stil geht nicht auf eine einzelne Person zurück (beispielsweise Milton Erickson), wie gelegentlich behauptet wird, sondern war auch Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Wandels. Dieses Thema werden wir später im Buch noch einmal aufgreifen.
Der Hypnoseprozess
Induktion: Der Beginn des Hypnoserituals – nach dem Vorgespräch – wird meist Induktion genannt. Eine Induktion enthält in der Regel Vorschläge zum Augenschluss, zur Entspannung, Ruhe, zum Wohlfühlen und zur Aufmerksamkeitsfokussierung. Diese Vorschläge enthalten meist Anregungen, sich etwas vorzustellen (Imagination) oder an etwas Bestimmtes zu denken.
Es gibt langsame und sanfte Formen der Induktion (sowohl direkt als auch indirekt), die die Selbstkompetenz des Klienten und die Kooperation betonen und es gibt schnelle und überraschende Induktionen (sogar Schreckinduktionen), die Zeit sparen sollen oder vielleicht auch manchmal nur das Können des Hypnotiseurs demonstrieren sollen.
Klienten lassen sich in unterschiedlichem Maße auf Vorschläge und Anregungen (Suggestionen) ein. Das liegt zum einen an der unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeit, die Anweisungen zu realisieren: Manche sind hierfür begabter als andere oder sie haben in der Vergangenheit positivere Erfahrungen mit solchen Vorgängen gemacht oder diese geübt. Zum anderen sind Vertrauen, realistische Erwartungen und Angstfreiheit erforderlich, wenn ein Klient sich auf die Vorschläge eines anderen einlassen möchte.
Vertiefung: Nachdem ein Klient »in Hypnose gegangen« ist, also die Induktionssuggestionen in eigenes Erleben gewandelt hat, kann dieser Zustand stabilisiert und vertieft werden. Denn normalerweise unterliegt der veränderte Bewusstseinszustand gewissen Schwankungen. Ohne eine Vertiefung würden manche Klienten sich nach einiger Zeit wieder in den normalen Wachzustand zurückorientieren (manche auch einfach einschlafen).
Bearbeitung der Anliegen: Nach der Vertiefung oder Stabilisierung wird meist auf spezifische Weise am Anliegen des Klienten gearbeitet. Hierfür gibt es eine Vielzahl methodischer Möglichkeiten, die auf den konkreten Klienten und das Anliegen zugeschnitten sein sollten. Einige Beispiele für mögliche Interventionen: Suggestionen, Tiefenentspannung, Metaphern, innere Reisen, Verhandlungen mit inneren Teilen, Rat innerer Instanzen (das Unbewusste, die höhere Weisheit, der innere Ratgeber), Reisen in die Vergangenheit (Regression), Reisen in die Zukunft (Progression) und vieles andere mehr. Diese und weitere Optionen werden Sie im Laufe des Buches kennenlernen. Anfänger nutzen für diese spezifischen Arbeitsschritte manchmal vorgefertigte Texte (Skripte), die sie den Klienten vorlesen. Fortgeschrittene kommunizieren eher mit ihren Klienten, während diese hypnotisiert sind, und arbeiten im Dialog mit den Imaginationen, Gefühlen und Gedanken, die die Klienten spontan im Prozess entwickeln. Dabei können Suggestionen passend eingeflochten werden.
Ausleitung: Nach der spezifischen Arbeit werden deren Ergebnisse auf die eine oder andere Weise gesichert. Dann folgt eine Reorientierung oder...