Ulrike Krieg-Holz
Textmuster und Textsorten
Parameter für eine Systematisierung aus linguistisch-stilistischer Perspektive
Textsorten stellen als sozial-tradierte und prototypische Formen schriftlicher Kommunikation Gestaltungs- und Formulierungsmodelle dar, die das sprachliche Handeln produzenten- und rezipientenseitig erleichtern. Sie basieren zu einem erheblichen Teil auf der Verwendung bestimmter Textmuster, weshalb in diesem Beitrag ein Vorschlag zur Typisierung derartiger Muster aus linguistisch-stilistischer Perspektive gemacht wird. Ausgegangen wird dabei von Kriterien zur Klassifikation von Textsorten. Daran anschließend werden Textmuster nach inhaltlich und strukturell bedingten Anforderungen an Textsorten systematisiert. Abschließend wird ihre Relevanz für den Schreibunterricht dargelegt und es werden ihre Integrationsmöglichkeiten in ein didaktisches Modell für die Textmustervermittlung skizziert.
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Im Zentrum der linguistischen Stilistik stand lange Zeit die Analyse bestimmter Einzelphänomene. Dass ein Textproduzent bei der Gestaltung eines Textes an unterschiedliche Konventionen und Restriktionen gebunden ist, die keinesfalls nur auf der Ebene der Lexik und Grammatik liegen, sondern vor allem auch komplexere Strukturen der stilistischen Gestaltung betreffen, fand wenig Berücksichtigung, obwohl es als zentrales Kriterium für eine Textsortentypologie anzusehen ist. Gerade der Umstand, dass Textrezipienten bestimmte Textexemplare aufgrund ihrer Textstruktur und ihres Stils einer Textsorte zuordnen können, zeigt, dass es Usuelles, Normatives und mehr oder weniger feste Muster gibt. Derartige Muster können in formaler – mitunter auch funktionaler – Hinsicht beschrieben werden. Dabei ist natürlich ein gewisses Maß an Generalisierung notwendig, denn ebenso wie kein Text bei genauer Betrachtung einem anderen gleicht, stimmen Textmuster in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht vollkommen überein.
In diesem Beitrag soll gezeigt werden, wie sich für die Textsortendifferenzierung relevante stilistische Textmuster isolieren und analysieren lassen und wie sie mitunter auch hinsichtlich ihrer potentiellen Stilwirkung beschrieben und interpretiert werden können. Dazu wird zunächst auf die Merkmale von Textsorten sowie die Kriterien für deren Klassifikation eingegangen, um bestimmte Textmuster innerhalb dieser zu verorten. Im Anschluss daran wird ein linguistisch-stilistisches Modell zur Klassifikation von Textmustern vorgestellt, das auf der grundlegenden Unterscheidung zwischen inhaltlich und (textsorten-)strukturell geprägten Textmustern basiert. Schließlich werden die theoretischen Konzepte auf den Schreibunterricht im Fach Deutsch und dessen didaktische Modelle bezogen. Besondere Beachtung findet in diesem Zusammenhang das umfassende Modell zur Textmustervermittlung von Rezat/Feilke (in diesem Heft).
1. Textsorten und ihre Differenzierung
Unter dem Begriff »Textsorte« werden bestimmte sozial-tradierte Abstraktionen über eine Menge von Textexemplaren gefasst, die sich durch eine prototypische Verbindung von textexternen und textinternen Merkmalen beschreiben lassen (vgl. Krieg-Holz/Bülow 2016, S. 222). Das heißt, Textsorten sind über die individuelle Sprachkompetenz hinaus Bestandteil des Regel- und Erwartungssystems der Sprechergemeinschaft. Sie erleichtern das kommunikative Handeln erheblich, indem sie auf der Produzentenseite als Gestaltungs- und Formulierungsmodelle fungieren und somit die Produktion von Texten vereinfachen. Den Rezipienten können sie Hinweise darauf geben, was sie vom jeweiligen Text erwarten dürfen und wie sie ihn zu rezipieren haben (vgl. Renner 2007, S. 333).
In Bezug auf die Beschreibung und Klassifikation von Textsorten ergibt sich in der linguistischen Forschungsliteratur kein einheitliches Bild, wenngleich bestimmte Dimensionen stets mehr oder weniger prominent enthalten sind. Dazu gehören vor allem situative, funktionale, strukturelle und stilistische Aspekte (vgl. Krieg-Holz 2016, S. 84 ff.), wobei die beiden erstgenannten als textexterne, die beiden letztgenannten als textinterne eingestuft werden.
Situative Aspekte manifestieren sich zunächst in bestimmten materiellen Voraussetzungen wie der Gestaltung der Textträger, also der formalen Sichtbarmachung der sprachlichen Zeichen, und der Medialität (vgl. Fix 2008, S. 347). Denn es wirkt sich auf die Form eines Textes aus, ob er mit Tinte auf ein Papier geschrieben wurde oder eine Art von elektronisch vermittelter Kommunikation darstellt (vgl. Habscheid 2000). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die mediale Verfasstheit von Kommunikaten, ihre Mono- oder Multimodalität (z. B. ausschließlich sprachlich oder mit Bildern und Abbildungen). Zentrale Faktoren der Kommunikationssituation betreffen darüber hinaus das Verhältnis von Produzent und Rezipient (z. B. symmetrisch vs. asymmetrisch, Grade von Nähe und Distanz sowie positiver oder negativer Bewertung) und die raum-zeitliche Situierung, die vielfach nur sehr abstrakt gefasst werden kann (z. B. »Privatraum«, »halböffentlicher Raum«, »öffentlicher Raum«).
Funktionale Aspekte der Textsortenbeschreibung stehen bei verschiedenen Klassifikationsversuchen im Vordergrund und werden traditionell an eher abstrakte Kategorien gebunden. So modifiziert Brinker (1985) die Illokutionstypologie Searles (vgl. 1975) in Hinblick auf die Illokutionstypen »Repräsentativ« und »Expressiv« und führt stattdessen eine »Informationsfunktion« und eine »Kontaktfunktion« ein, so dass er zu einer Unterscheidung von fünf grundlegenden Textfunktionen kommt: »Informationsfunktion«, »Appellfunktion«, »Obligationsfunktion«, »Kontaktfunktion« und »Deklarationsfunktion« (vgl. Brinker 1985, S. 98 ff.). Aus pragmatischer Perspektive scheinen vor allem Parametrisierungen geeignet, die einzelne Kommunikationsbereiche in den Blick nehmen und deren Funktions- und Aufgabensystem in die linguistische Klassifikation einbeziehen (vgl. Krieg-Holz 2017, S.304 ff.). So hat sich für den Bereich der journalistischen Texte eine generelle Differenzierung zwischen Information, Meinungsbildung und Unterhaltung etabliert. Diese Grundfunktionen journalistischer Texte können sich vielfach überlagern, deshalb wird nach der jeweiligen Primärfunktion weiter unterschieden, etwa zwischen meinungsbetonten und informationsbetonten Texten. So ist etwa der Kommentar eindeutig den meinungsbetonten Textsorten zuzuordnen, während die Meldung oder der Bericht zu den informationsbetonten gehören.
Strukturelle Aspekte beziehen sich auf die äußere Form von Textsorten, die in engem Zusammenhang mit der Kommunikationsform (z. B. Brief, Zeitungsartikel) bzw. den materialen und medialen Merkmalen der Kommunikationssituation stehen. Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus der kompositorisch-architektonische Aufbau von Texten, der sich prototypisch als Musterhaftigkeit von Textsorten ausbildet. Diese Musterhaftigkeit betrifft die graphische Gliederung der beschrifteten Fläche, das heißt Einheiten wie Teiltexte, Absätze, bestimmte Rahmenstrukturen (z. B. Anrede, Betreffzeile) sowie die Anordnung von nicht-sprachlichen Elementen (z. B. Bilder, Logos). Sie ist bei den einzelnen Textsorten sehr unterschiedlich ausgeprägt. So ist gegenüber einer relativ standardisierten Textsorte wie dem Geschäftsbrief etwa eine private E-Mail deutlich weniger standardisiert, eine Textsorte in Formularform (z. B. Steuererklärung) wesentlich stärker. Neben den genannten Aspekten der Textgliederung spielen für die äußere Form von Texten auch Merkmale der Textabgrenzung eine Rolle, die besonders leicht zu identifizieren sind, wenn sie mit den materialen Grenzen des Zeichenträgers zusammenfallen (z. B. Bucheinband) und somit sinnlich stark wahrnehmbar sind (vgl. Krieg-Holz/Bülow 2016, S. 10 f.). Eine Abgrenzung einzelner Textsorten innerhalb von Textsammlungen kann auch sehr klar durch das Layout/Design erfolgen, beispielsweise durch den schwarzen Rand um eine Todesanzeige. Zu den strukturellen Aspekten von Textsorten kann auch der Textumfang gezählt werden. Dies ist an journalistischen Textsorten wie »Meldung«, »Bericht« und »Dokumentation« zu erkennen, die allesamt als informationsbetont gekennzeichnet werden können und sich primär durch ihren Umfang unterscheiden.
In enger Relation zu den bisher genannten Dimensionen der Textsortenklassifikation steht die stilistische Gestaltung von Textsorten, die Spezifik ihrer sprachlichen Formulierung (vgl. Krieg-Holz 2016, S. 86). Sie basiert auf einer Vielzahl von Aus-wahlen aus dem Optionsraum des sprachlichen Systems und betrifft grundsätzlich alle sprachlichen Beschreibungsebenen, wobei die lexikalische und die grammatische traditionell im Zentrum der Betrachtung stehen. Auf der Ebene des Wortschatzes geht es etwa um die Abstufung verschiedener Stilebenen oder die Unterscheidung von neutralen und markierten Elementen, wobei Letztere aus vielfältigen Begrenzungen resultieren können (z. B. sozialer, regionaler, fachlicher, emotionaler Art). Dabei werden Einzelelemente (Wort- oder Wortgruppenlexeme) erfasst, die zusammen mit kookkurrierenden Elementen als stilistisches Merkmalsbündel beschrieben werden können. Neben derartigen Einzelelementen innerhalb der verschiedenen...