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E-Book

Recht auf Widerstand

Zur Theorie politischer Verweigerung

AutorLea Eisleb, Markus Tiedemann
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl167 Seiten
ISBN9783170343573
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Politische Akteure von rechts und links berufen sich häufig auf das Recht auf Widerstand. Allerdings ist dies keinesfalls selbstverständlich. Dagegen spricht etwa die Rechtstreue, ohne die ein Zusammenleben unmöglich erscheint. Ist es nicht paradox, ein Recht auf die Entbindung vom Recht zu fordern? Existiert eine rote Linie, bei deren Überschreitung legale Vorschriften die Legitimität verlieren? Das Buch thematisiert zentrale Aspekte des philosophischen Diskurses von Widerstand und führt dabei kategoriale Unterscheidungen, historische Entwicklungen und aktuelle Beispiele zusammen. Das Buch setzt sich zum Ziel, den Blick dafür zu schärfen, wann Rechtstreue als geboten ist bzw. Widerstand als legitim angesehen werden sollte.

Dr. Markus Tiedemann ist Professor für Ethik und Didaktik der Philosophie am Philosophischen Institut der Universität Dresden. Lea Eisleb hat dort und an der Humboldt Universität zu Berlin studiert.

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Leseprobe

2          Phänomene, Begriffe und Unterscheidungen


 

2.1       Der weite und der enge Widerstandsbegriff


Bevor der Streit um die Legitimität des Widerstandes geführt werden kann, ist es erforderlich, den Begriff »Widerstand« genauer zu bestimmen und unterschiedliche Erscheinungsformen voneinander abzugrenzen. Grundsätzlich lassen sich eine weite und eine enge Verwendung des Widerstandsbegriffes unterscheiden. Der weite Widerstandsbegriff umfasst nahezu jede Handlung oder Unterlassung, die einen Mangel an Akzeptanz gegenüber einer Rechtsordnung oder einem Herrschaftsanspruch zum Ausdruck bringt. Christopher Daase definiert Widerstand als »soziales Handeln, das gegen eine als illegitim wahrgenommene Herrschaftsordnung oder Machtausübung gerichtet ist« (Daase 2014: 3). Subjekt, Objekt und Motiv des Widerstandes erfahren in dieser weiten Begriffsverwendung keine genauere Klassifikation. Dagegen fokussiert eine enge Verwendung des Widerstandbegriffes auf ein besonderes, rechtsphilosophisches Problem. Es handelt sich um das Spannungsverhältnis von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, Gesellschaftsvertrag und Naturrecht, positivem Recht und Moral. Widerstand im engen Sinn der Wortverwendung bezeichnet »die bewusste, illegale Handlungen oder Unterlassungen von Untertanen, mit dem Ziel der Veränderung oder Zerstörung der positiven Rechtsordnung ohne Akzeptanz von Strafe« (Daase 2004: 3). Im Folgenden sollen die Subjekte, Objekte und Formen dieses Widerstandsverständnisses genauer bestimmt werden. Auf diese Weise lassen sich die Unterschiede des weiten und engen Widerstandsbegriffs herausarbeiten. Selbiges gilt für verschiedene Phänomene, die von einem Begriffsverständnis inkludiert werden, vom anderen nicht.

Widerstand als bewusstes Handeln


Beginnen wir damit, Widerstand auf bewusstes Handeln festzulegen. Widerstand ist ein bewusster Akt. Unbeabsichtigte Handlungen – und sei ihr Effekt noch so politisch, provokativ oder illegal – sind keine Manifestationen von Widerstand. Wer unwissentlich vorherrschende Kleiderordnungen missachtet oder aus Unkenntnis in einem jüdisch-orthodoxen Kibbuz während des Schabbat seinen Rasen mäht, leistet keinen Widerstand. Widerstandssubjekte sind bewusst handelnde Personen.

Subjekte eines engen Verständnisses von Widerstand sind politische Akteure, während ein weiter Widerstandsbegriff auch all jene umfasst, die einem Anspruch oder einem Einfluss entgegenwirken. Die Auseinandersetzung kann dabei auf den Raum des Privaten beschränkt bleiben und bedarf keiner juristischen oder politischen Dimension. Wer im engen Sinne des Wortes Widerstand betreibt, verfolgt hingegen bewusst ein politisches Ziel, das nicht der herrschenden Rechtsauffassung entspricht. Klassischer Weise handelt es sich dabei um Untertanen. Die Bezeichnung Untertan steht dabei nicht für ein spezielles politisches System, sondern für den generellen Anspruch des Souveräns auf Unterwerfung. Dabei können Untertan und Souverän – wie im Fall der Demokratie – durchaus formal identisch sein. Klassisches Subjekt des engen Widerstandsbegriffes ist also ein politisch handelnder Akteur, der bewusst gegen den Unterwerfungsanspruch eines Souveräns agiert. Da die Bezeichnungen Souverän bzw. Untertan sowohl Fremd- als auch Selbstzuschreibungen sein können, ist diese Beziehung nicht immer eindeutig. Gleichwohl wird hier eine weitere Abgrenzung von einem weiten Widerstandsbegriff deutlich. Neben Personen können auch Kollektive als Widerstandssubjekte auftreten. Staaten gehören zu den größten, uns bekannten Kollektiven und natürlich können sie einander Widerstand leisten. Allerdings sind die entsprechenden Beispiele schwer zu fassen, da als Objekt des Widerstandes nun keine staatliche Rechtsordnung, sondern internationales Recht bzw. bilaterale Beziehungen oder Verträge angesehen werden müssen. Als Frankreich und Deutschland es im Jahre 2003 ablehnten, sich am Einmarsch in den Irak zu beteiligen, ließe sich dies als Akt des Widerstandes gegen einen als illegitim empfundenen Bündnisanspruch der Bush-Administration auslegen. Gleichwohl sind in diesem Beispiel zwar Ansprüche auf Gefolgschaft, nicht aber auf generelle Unterwerfung zu identifizieren. Frankreich und Deutschland sind keine Untertanen der USA. Es kann also nur darum gestritten werden, ob eine Verletzung von Vertrags- bzw. Bündnispflichten vorlag. Ein enger Widerstandbegriff könnte bestenfalls greifen, wenn ein Staat in Konflikt mit einer multinationalen Instanz gerät, der freiwillig Souveränitätsrechte übertragen wurden. Beispielsweise sind Polen, Tschechien und Ungarn Mitglieder der Europäischen Union. Sie haben freiwillig und in voller Kenntnis des Regelsystems eine Mitgliedschaft angestrebt und bereits zahlreiche Vorteile in Anspruch genommen. Gleichzeitig weigern sich diese Staaten aber an der mehrheitlich beschlossenen Verteilung von Flüchtlingen zu partizipieren.

Objekte des Widerstandes


Objekte des politischen Widerstandes sind menschliche Machtstrukturen. Die Alltagssprache hat sogar Formulierungen mit nicht menschlichen Widerstandsobjekten hervorgebracht. Dies ist der Fall, wenn wir davon sprechen, dass jemand oder etwas Widerstand gegen Naturgewalten leistet, etwa, wenn ein Deich der Sturmflut widersteht, oder ein Wanderer dem Sturm trotzt. Allerdings geht bei dieser Begriffsverwendung die Dimension der menschlichen Interaktion verloren. In der Rechtsphilosophie ist es daher sinnvoll, die Objekte des Widerstandes auf menschliche Machtstrukturen zu beschränken. Ein weites Verständnis von Widerstand umfasst dabei jeden als inakzeptabel betrachteten Anspruch bzw. jedes für illegitim empfundene Regelsysteme. Dies gilt für den Vorstand eines Sportvereins ebenso wie für eine berufliche Hierarchie, ein Finanzsystem oder die Erziehungshoheit der Eltern. Es handelt sich um persönliche Ansprüche oder um kollektive Regelsysteme. Demnach kann auch der empörte Austritt aus einem Verein oder einer Kirchengemeinschaft als Widerstand begriffen werden. Selbiges gilt für die Verweigerung gegenüber den Anweisungen eines Arbeitgebers. Auch physische Selbstverteidigung wäre in der weiten Begriffsverwendung eine Art von Widerstand. Der enge Widerstandsbegriff konzentriert sich hingegen auf den Staat und dessen Rechtsorgane. Die zuletzt genannten Beispiele wären demnach kein Widerstand, sondern Verweigerung und Stellvertretergewalt in Übereinstimmung mit dem Staat. Der Austritt aus einer nicht staatlich verordneten Organisation oder die Verweigerung einer beruflichen Anweisung beschreiben Konflikte, welche die staatliche Rechtsordnung an sich nicht in Frage stellen. Vielmehr ist der Staat jenes Medium durch das diese Konflikte rechtmäßig zu klären sind. Solange die entsprechenden Gerichtsurteile akzeptiert werden, besteht keine Konfrontation mit dem Rechtssystem an sich. Akte von Selbstverteidigung machen den Sachverhalt besonders deutlich. Selbstverteidigung ist ein legitimer physischer Akt um »einen direkten, unrechtmäßigen Angriff von der eigenen oder anderen Personen abzuwehren « (StGB: § 32, 2). Selbstverteidigung bedeutet Widerstand gegen einen Aggressor unter Einsatz jener Gewalt, die eigentlich dem Monopol des Staates obliegt. Dennoch besteht kein Konflikt mit der öffentlichen Ordnung. Wie der oben zitierte Paragraph belegt, handelt es sich vielmehr um ein geschütztes Stellvertreterrecht, das solange ausgeübt werden darf, bis die offizielle Staatsgewalt eingetroffen ist.

Dagegen ist das Objekt des engen Widerstandverständnisses immer auch der Staat selbst. Die Brisanz dieser Handlungen und Unterlassungen wird durch einen eigenen Straftatbestand unterstrichen: Widerstand gegen die Staatsgewalt (StGB §§ 110–122).

Formen des Widerstandes


Weiterhin gilt es zwischen den Formen des Widerstandes zu differenzieren. Prägende Adjektive sind aktiv, passiv, gewaltfrei, gewaltsam, militant und zivil. Leider sind diese Bezeichnungen weder trennscharf noch synonym. Aktiver Widerstand mag als direkte selbstverantwortliche Handlung definiert werden, während passiver Widerstand Unterlassungen bezeichnet. Allerdings werfen Handlungs- und Entscheidungstheorie die Frage auf, ob die Entscheidung zur Unterlassung nicht als aktiver Akt angesehen werden muss. Ist es möglich nicht zu handeln? Als Fritz Bringmann sich als Insasse des Konzentrationslagers Neuengamme weigerte, Mithäftlinge mittels Injektionen zu töten, war dies nicht nur eine heroische Unterlassung. Es war auch die aktive Untergrabung eines Autoritätssystems, dem er schutzlos ausgeliefert war (vgl. Garbe 2011). Die Grenze zwischen passiven und aktiven Widerstand besteht in einer sehr fragilen hermeneutischen Linie. Selbiges gilt für die Unterscheidung zwischen gewalttätigem und gewaltfreiem Widerstand. Das Einreichen von Protestnoten dürfte von den meisten Zeitgenossen als gewaltfreier Ausdruck angesehen werden, während Drohbriefe die Grenze zur psychischen Gewalt...

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