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Grundfragen der Maschinenethik

Misselhorn, Catrin - Philosophie, Informatik und Robotik; wissenschaftliche Erläuterungen - 19583 - 4., durchges. und überarb. Aufl.

AutorCatrin Misselhorn
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheReclams Universal-Bibliothek 
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783159613826
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Maschinen werden immer selbständiger, autonomer, intelligenter. Ihr Vormarsch ist kaum mehr zu stoppen. Dabei geraten sie in Situationen, die moralische Entscheidungen verlangen. Doch können Maschinen überhaupt moralisch handeln, sind sie moralische Akteure - und dürfen sie das? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich der völlig neue Ansatz der Maschinenethik. Catrin Misselhorn erläutert die Grundlagen dieser neuen Disziplin an der Schnittstelle von Philosophie, Informatik und Robotik sachkundig und verständlich, etwa am Beispiel von autonomen Waffensystemen, Pflegerobotern und autonomem Fahren: das grundlegende Buch für die neue Disziplin. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Catrin Misselhorn ist Professorin für Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen.

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Leseprobe

[7]Einleitung: Maschinenethik – eine neue Disziplin an der Schnittstelle von Philosophie, Informatik und Robotik


Seit jeher verbindet sich mit dem Einsatz von Maschinen die Hoffnung, dass sie Menschen von Tätigkeiten entlasten, die schwer, schmutzig, gefährlich oder einfach nur unangenehm sind. Manchmal sind die Leistungen von Maschinen auch einfach schneller oder präziser als diejenigen des Menschen. Das eröffnet die Aussicht, dass die Menschen freigestellt werden für kreative und sinnstiftende Aktivitäten, aber es bringt auch die Sorge mit sich, der Mensch könne von Maschinen verdrängt werden.

So geht der Begriff Roboter auf ein 1920 erschienenes tschechisches Theaterstück zurück, in dem es um menschenähnliche Maschinensklaven bzw. Androiden geht, die dafür geschaffen wurden, den Menschen das Arbeiten abzunehmen. Doch schlussendlich wenden sie sich gegen ihre Schöpfer und versuchen die Menschheit auszulöschen. Die Digitalisierung befeuert sowohl diese Hoffnungen als auch diese Ängste noch einmal, denn sie ermöglicht die Konstruktion von Maschinen, die intelligent genug sind, um auch komplexe Aufgaben zu meistern, ohne auf die permanente Überwachung durch den Menschen angewiesen zu sein.

Je intelligenter und autonomer Maschinen werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Situationen geraten, die ihnen moralische Entscheidungen abverlangen. Doch können Maschinen überhaupt moralisch handeln und sollen sie es? Wie baut man eine moralische Maschine? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Maschinenethik, ein neues Forschungsgebiet an der Schnittstelle von Philosophie, Informatik und Robotik.

[8]Die Maschinenethik unterscheidet sich von anderen Formen der Technikethik, weil ihr Gegenstand die Entwicklung einer Ethik für Maschinen im Gegensatz zu einer Ethik für Menschen im Umgang mit Maschinen ist. Es geht nicht nur um die Frage, wie die Menschen mit einer bestimmten Technologie (beispielsweise Atomkraft) aus moralischer Sicht umgehen sollten. Das Ziel ist vielmehr, darüber nachzudenken, ob und wie man Maschinen konstruieren kann, die selbst moralische Entscheidungen treffen und umsetzen können, und ob man dies tun sollte.

Dieses Thema ist in der Geschichte der Ethik neu, weil es erst mit der Entstehung des Computers überhaupt in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz im letzten Jahrzehnt beflügelte die Maschinenethik und macht sie zugleich unabdingbar, damit diese technologische Entwicklung segensreich verläuft. Man spricht analog zu Artificial Intelligence auch von Artificial Morality. Während Erstere das Ziel hat, intelligentes Verhalten zu modellieren oder zu simulieren, geht es Letzterer darum, künstliche Systeme mit der Fähigkeit zum moralischen Entscheiden und Handeln auszustatten.

Lange Zeit stand die Maschinenethik zu Unrecht im Verdacht, bloß Science-Fiction zu sein. Doch schon eine so simple Maschine wie ein Staubsaugerroboter steht vor moralischen Entscheidungen: Soll er einen Marienkäfer einfach einsaugen oder soll er ihn verscheuchen bzw. umfahren? Und wie sieht es mit einer Spinne aus? Soll er sie töten oder ebenfalls verschonen? Ein solcher Roboter ist in einem minimalen Sinn autonom, weil er im Unterschied zu einem konventionellen Staubsauger nicht von einem Menschen geführt wird. Die Entscheidung ist moralisch, weil sie sich darauf bezieht, ob man Tiere zu Reinigungszwecken töten darf. Gewöhnliche Staubsaugerroboter besitzen allerdings noch nicht die Fähigkeit, eine sol[9]che Entscheidung zu treffen. Es gibt jedoch erste Ansätze, eine um ein Ethikmodul erweiterte Version des populären Modells Roomba zu schaffen, die das Leben von Insekten berücksichtigt (der Prototyp ist mit einem optionalen »Kill-Button« für Spinnen ausgestattet).

Je komplexer die Einsatzbereiche autonomer Systeme sind, desto anspruchsvoller werden die moralischen Entscheidungen, die sie treffen müssen. Dies zeigt sich beispielsweise an Pflegesystemen, Kriegsrobotern und autonomen Fahrzeugen, drei paradigmatischen Anwendungsfeldern der Maschinenethik, die auch in diesem Buch behandelt werden. In allen drei Bereichen stehen autonome Systeme vor grundlegenden moralischen Entscheidungen, in denen es manchmal sogar um Leben und Tod von Menschen geht. Kann man Maschinen solche Entscheidungen überlassen, darf man es oder sollte man es gar? Das sind die grundlegenden Fragen, um die es in diesem Buch gehen wird.

Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt sich auch an der großen Aufmerksamkeit, die mögliche Dilemmasituationen beim autonomen Fahren in einer breiteren Öffentlichkeit erhalten haben. Was ist, wenn ein autonomes Fahrzeug ausschließlich die Möglichkeit hat, entweder eine alte Dame oder ein Kind zu töten? Was, wenn es nur dadurch fünf Menschenleben retten kann, dass es eine auf dem Gehweg stehende Person anfährt? Ist ein besonderer Schutz für die Insassen moralisch legitim oder kommt den anderen Verkehrsteilnehmern vom moralischen Standpunkt mehr Gewicht zu?

Gelegentlich wird eingewandt, solche Szenarien seien bloß hypothetisch und würden aller Wahrscheinlichkeit nach nie eintreten. Doch die ethische Bewertung von Technologien bezieht sich häufig auf Fälle, deren Eintreten nicht sehr wahrscheinlich ist. So wurde auch eine nukleare Katastrophe lange Zeit für unwahrscheinlich gehalten, und doch gehört ein sol[10]ches Szenarium zu den Kernproblemen der ethischen Diskussion der Atomkraft. Ein anderes Beispiel ist der Fall des Erlanger Babys im Jahr 1992, bei dem eine hirntote Schwangere, die in der 15. Woche einen tödlichen Unfall erlitt, über mehrere Wochen auf der Intensivstation behandelt wurde, um das ungeborene Kind auszutragen. Eine solche Konstellation ist ebenfalls sehr selten, löste jedoch in der breiteren Öffentlichkeit eine heftige ethische Kontroverse aus.

Entscheidend ist also nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern dass grundlegende ethische Fragen betroffen sind. An derartigen Fällen lässt sich die Überzeugungskraft unserer moralischen Grundsätze überprüfen, die in weniger extremen Situationen gar nicht in Zweifel gezogen würden. Genau das gilt auch für Pflegesysteme, Kriegsroboter und autonome Fahrzeuge: Diese müssen, wie wir sehen werden, über die Fähigkeit zum moralischen Entscheiden und Handeln verfügen, sollen sie ihre Funktion erfüllen. Zugleich versteht es sich nicht von selbst, dass das überhaupt möglich ist. Und selbst wenn es geht, ist noch nicht ausgemacht, dass dies von einem moralischen Standpunkt aus auch gutzuheißen ist.

Ein anderer Einwand gegen die Maschinenethik lautet, dass es nicht die Maschine ist, welche die moralische Entscheidung trifft, sondern der Mensch, der sie programmiert. Doch je größer die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz sind, desto stärker verwischt diese Grenze. Bereits bei einem Schachprogramm ist die Vorstellung inadäquat, die Entwickler hätten es mit Anweisungen ausgestattet, die unmittelbar den bestmöglichen Zug bestimmen. Das zeigt sich schon daran, dass ein solches Programm weit besser Schach spielt als seine Programmierer, die es sicherlich nicht mit einem Schachweltmeister aufnehmen könnten.

Das Gleiche trifft in noch höherem Maß auf das Brettspiel Go zu. Dieses galt lange Zeit als zu komplex und kognitiv, zu [11]anspruchsvoll für ein künstliches System. Doch dem von Google DeepMind mit den Mitteln des maschinellen Lernens entwickelten Programm AlphaGo gelang es 2016, einige der weltbesten Spieler zu schlagen. Ende 2017 folgte AlphaGo Zero, das im Unterschied zu...

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