Die Herren der Daten
Tim Cole
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Die Digitale Transformation beginnt und endet zwar in der Chefetage, aber dazu ist der Boss auf Hilfe angewiesen. Die alles entscheidende Frage lautet deshalb: Wer sorgt dafür, dass Führungskräfte den Überblick behalten und die richtigen Weichen stellen können?
Das ist die Aufgabe des Controllings, nämlich Transparenz zu schaffen und vor Risiken zu warnen. Leider eilt diesem Berufsstand aber nicht zu Unrecht der Ruf nach, hauptsächlich aus Erbsenzählern zu bestehen, und ihre Mitglieder fühlen sich deshalb oft ungeliebt. Dieses Vorurteil hat sich auch tief in die Selbsteinschätzung vieler Controller eingegraben. Und auch wenn sie heute nicht mehr mit Ärmelschonern herumlaufen, so sind doch viele Controller eher gewohnt, nach hinten zu schauen als nach vorn. Das muss sich aber ändern, wenn Unternehmen im Zeitalter von Big Data und Predictive Analysis die Orientierung behalten wollen.
Controller müssen lernen, Daten als Teil des Firmenvermögens zu verstehen und sie in den Dienst der strategischen Unternehmensführung zu stellen. Er oder sie muss verstehen, dass Daten eine Quelle von strategischen Erkenntnissen über die Zukunft der Unternehmen sind. Und Controller müssen vor allem umdenken. Sie müssen denken wie ein CDO, ein „Chief Digital Officer“ – eine Stelle, die wie für sie geschaffen scheint.
Der Seufzer von Siemens-Chef Heinrich von Pierer ging um die Welt: „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß“, so der legendäre Vorstandschef, „dann wären unsere Zahlen noch besser.“ Das war auf der Bilanzpressekonferenz von Deutschlands größtem Technologiekonzern in München – im Jahre 1995!
Tatsächlich schlummern in jedem Unternehmen ungeahnte Schätze in Form von digitalen Informationen. „Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts“, schrieb der niederländische Gründer und Finanzier Joris Tonders von Yonego, einem Spezialisten für Internet-Marketing, im amerikanischen Kultmagazin Wired.
Daten sind heute ein Teil des Betriebsvermögens, wie Maschinen, Gebäude, Rohstoffe und Fahrzeuge. Nur sehen das viele Unternehmer und Manager nicht so. Für sie ist das Sammeln und Verarbeiten von Daten kein Teil der Gewinnstrategie, sondern ein Kostenfaktor. Doch damit kommt man im Digitalzeitalter nicht weiter.
Controller arbeiten ihr Leben lang mit Daten. Sie sichten und sammeln sie, bewerten sie und versuchen, anhand einer Vielzahl von Indikatoren und Werttreibern herauszufinden, wie das Unternehmen in der Vergangenheit gewirtschaftet hat und ob man „im Plan“ ist. Doch das bedeutet ja, dass Controller ständig nach hinten schauen müssen. Im Zeitalter der Digitalen Transformation genügt der rückwärtig gewandte Blick aber nicht mehr. Controller müssen lernen, nach vorne zu schauen und verlässliche Vorhersagen über die Chancen zu machen, die sich dem Unternehmen in der Zukunft bieten werden. Sie müssen künftige Risiken erkennen und diese auch kalkulieren können, um das Management rechtzeitig zu warnen, bevor das Schiff auf ein Riff fährt. Sie müssen die Strategie des Unternehmens überblicken und wissen, wie man es auf Erfolgskurs bringt.
Dazu brauchen sie Daten – Unmengen von Daten. Jedenfalls viel, viel mehr als je zuvor. Wenn es ihnen gelingt, die Datenflut zu bändigen, werden sie in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Aus den Erbsenzählern von einst werden mächtige Herren der Daten!
Schluss mit den digitalen Müllhalden
Daten kommen heute in vielen Formen und Formaten daher: als Einträge in Datenbanken, aber auch per Mail, Fax oder als Tonaufnahmen, etwa von Unterhaltungen zwischen Kunden und Callcenter-Mitarbeitern. Fachleute sprechen von „nicht-kodierbaren Daten“, und sie liegen in fast jedem Unternehmen bis heute brach – riesige digitale Müllhalden, ungenutzt und ungeliebt.
Das Geschäftsmodell von Daniel Fallmann ist deshalb sozusagen ein Teil der Abfallwirtschaft: das Recyceln digitaler Datenberge. Der Chef der Linzer Firma Mindbreeze möchte eine Art „Google für Unternehmen“ schaffen: Ein System, das tief in das Innerste von Systemen eindringt und die dort schlummernden Informationsschätze durchsuchbar und damit auffindbar macht. Damit will er Chefs und Sachbearbeitern ein Werkzeug in die Hand geben, das vorhandenes Wissen in einen verwertbaren Rohstoff umwandelt – sozusagen die Antwort auf von Pierers 20 Jahre alte Frage: „Was weiß Siemens?“
Fallmanns Lösung ist eine „black box“, ein Gerät, das aussieht wie ein typischer Server und der vollgestopft ist mit Software, die in der Lage ist, Verbindungen zu allen vorhandenen digitalen und semidigitalen Systemen im Unternehmen herzustellen und die dort gespeicherten Daten zu katalogisieren – so wie es die Suchroboter von Google für das globale System des World Wide Web ständig tun.
Damit steht die kleine Firma aus Oberösterreich mit an der Spitze einer weltweiten Bewegung, die sich etwas irreführend „Big Data“ nennt – ein Begriff, den nur ein technikverliebter Computerfreak lieben kann. Jeder andere denkt dabei unwillkürlich an George Orwells schaurigen Zukunftsroman 1984 und an den Big Brother, der Herrscher über einen utopischen Unrechtsstaat, in der Bürger ausgespäht, verfolgt und am Ende gleich- oder ausgeschaltet werden – eine Vision, die mit den Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowdon eine ungewollte Aktualität bekommen hat.
Nur: Das Ziel von Big Data ist ja eigentlich gar nicht das Sammeln möglichst vieler Informationen, sondern die Umwandlung des „Rohstoffs“ Information in verwertbares Know-how: Wissen um die Kunden und ihre Vorlieben und Abneigungen, das Wissen um die Abläufe der Unternehmensprozesse und deren Aussteuerung, das Wissen um Reibungsverluste, die es zu vermeiden gilt, um die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen. Es geht, kurz gesagt, um Transparenz.
Die Analysten der Altimeter Group haben eine Definition von Digitaler Transformation geliefert, die genau diese Aufgabe in den Mittelpunkt stellt, nämlich die „Neuausrichtung von Technologien und Geschäftsmodellen, um die Zusammenarbeit mit den digitalen Kunden an möglichst jedem Berührungspunkt mit dem Unternehmen und den Lebenszyklus der Kundenbeziehung zu verbessern“.
Umgekehrt bedeutet das: Nicht jede Investition in Dinge wie Big Data, Social Media oder mobile Anwendungen zahlt sich automatisch aus. Sie müssen im Gesamtzusammenhang des Unternehmens und seiner Geschäftstätigkeit gesehen, eingebunden und nutzbar gemacht werden.
Digitale Transformation hat deshalb im Grunde weniger mit Technologie und mehr mit Infrastruktur, mit Organisationsmodellen und mit Führungsqualität zu tun. Es geht um ein neues Bewusstsein, das vielleicht am besten mit dem Schlagwort „digital first“ beschrieben werden kann: Die Ausrichtung aller unternehmerischen Aktivitäten darauf, den maximalen Nutzen aus dem Einsatz neuer Digitaltechnologien zu ziehen.
Das heißt, nicht das Sammeln von Daten ist wichtig, sondern die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen den Daten zu verstehen. „Eine wesentliche Stärke von Big Data ist die Chance, mit Hilfe des Computers dort Korrelationen und Muster zu erkennen, wo Menschen nur Datenchaos sehen“, wie Daniel Fallmann behauptet. In einem Report der Analystenfirma Gartner über das Mindbreeze-System heißt es: „Maschinen werden in Zukunft intuitiv genug sein, um menschliche Absichten zu verarbeiten, statt nur auf Anweisungen zu reagieren.“
In jedem Unternehmen werden täglich Tausende von elektronischen „Briefen“ empfangen, aber auch „richtige“ Briefe auf Papier mit Unterschrift und Eingangsstempel, die irgendwann – im einen Unternehmen früher, im anderen später, also erst nach der Bearbeitung, gescannt und archiviert werden. Faxgeräte arbeiten heute längst schon zumindest intern digital, aber das Ergebnis wird meistens als Papierdokument abgelegt. Viele Unternehmen betreiben eigene Seiten auf Facebook oder anderen Kanälen im Social Web, die gelesen, gescannt, kategorisiert und dann an die entsprechenden Mitarbeiter weitergeleitet werden müssen. Geschieht das manuell, dauert es viel zu lang, und der Mensch macht nun einmal hin und wieder Fehler, legt die Information falsch ab und vertippt sich ganz einfach. Ergebnis: Die Information ist zwar noch da, aber nicht verwertbar, nutzlos – eben digitaler Müll.
Hier muss das Controlling ansetzen und dafür sorgen, dass alles Wissen, das im Unternehmen vorliegt, erschlossen und eingesetzt werden kann. Als Herren der Daten ist es ihre Aufgabe, die Sicht auf die Datenberge zu verbessern.
Reporting – Unternehmensführung im Rückspiegel
Das wichtigste Werkzeug des Controllers ist heute immer...