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Die Weimarer Republik

Demokratie in der Krise

AutorHorst Möller
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783492990493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die erste deutsche Republik, 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ausgerufen, stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Die Erfahrung der Niederlage und die harten Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages waren eine schwere Hypothek. Links- wie rechtsradikale Strömungen untergruben das Vertrauen in den demokratischen Staat ebenso wie Inflation und Arbeitslosigkeit. Anschaulich schildert Horst Möller Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der Weimarer Republik. Er zeigt, dass die Erwartungen an den neuen Staat wohl zu hochgesteckt waren, die junge Demokratie jedoch erheblich mehr leistete, als unter den extremen Bedingungen der Zeit zu erwarten war. Für die Neuveröffentlichung wurde dieses Standardwerk komplett überarbeitet, deutlich erweitert und spiegelt den aktuellen Stand der Forschung wider.

Horst Möller, Professor Dr. phil., geboren 1943 in Breslau, gilt als einer der führenden Historiker in Deutschland. Fast zwei Jahrzehnte leitete er das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen 'Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763 - 1815', 'Europa zwischen den Weltkriegen' und 'Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell'.

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Leseprobe

II.Reichskanzler und Außenminister 1923 – 1929


Gustav Stresemann und der Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik


Und wie verhielt es sich mit den Reichskanzlern? Zwischen 1919 und 1930 hatte die Weimarer Republik neun Reichskanzler, die mit parlamentarischem Rückhalt im Amt waren oder es zumindest versuchten. Unter ihnen war nur ein überragender Staatsmann, Gustav Stresemann . Unter den anderen Regierungschefs waren zweifellos ehrenwerte Politiker wie die Sozialdemokraten Philipp Scheidemann , der erste Regierungschef 1919, und Hermann Müller , der letzte Kanzler, der 1928 bis 1930 über eine Mehrheit im Reichstag verfügte und schon 1920 einmal regiert hatte. Und Achtung verdienen auch die zur Zentrumspartei zählenden Reichskanzler Konstantin Fehrenbach (1920), Joseph Wirth (1921) sowie 1923/24 und 1926/27 Wilhelm Marx , zweifellos der stärkste unter diesen dreien.[121] Der politisch fähigste unter den beiden parteilosen Reichskanzlern Wilhelm Cuno (1922/23) und Hans Luther (1925/26) war zweifellos Luther , der zeitweilig Reichsbankpräsident beziehungsweise Oberbürgermeister von Essen war. Allein die große Zahl von neun Reichskanzlern in nur elf Jahren, die dieses Amt überdies in mehreren wechselnden Koalitionen innehatten, zeigt die Instabilität der Weimarer Reichsregierungen.

In den knapp drei Jahren vom 30. März 1930 bis zur Ernennung Hitlers am 30. Januar 1933 amtierten drei Reichskanzler, die nicht mehr zur parlamentarischen Mehrheitsbildung im Reichstag in der Lage waren und nur noch vom Vertrauen des Reichspräsidenten von Hindenburg abhingen. Doch sind diese Präsidialkabinette des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning , der mit zeitweiliger Tolerierung durch die SPD sogar zwei Jahre und drei Monate Reichskanzler blieb sowie seiner nur kurzzeitig amtierenden Nachfolger Franz von Papen und General Kurt von Schleicher sehr unterschiedlich, obwohl sie insgesamt die Auflösung der Weimarer Demokratie repräsentieren.

Ursachen der Instabilitäten der Reichsregierungen vor 1930 waren kaum oder doch nur begrenzt die einzelnen Amtsträger, sondern die fragilen Koalitionsbildungen der Parteien, die ihrerseits Spiegelbild der schweren ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme der Republik waren. Selbst der mit Abstand bedeutendste Reichskanzler, Gustav Stresemann , übte das Amt 1923 zwei Mal insgesamt nur wenige Monate aus. Allerdings war er der einzige Regierungschef, der einer vergleichsweise kleinen Koalitionspartei, der rechtsliberalen DVP, entstammte. Doch war er ohne Zweifel einer der bedeutendsten deutschen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und neben Friedrich Ebert die größte Hoffnung der Weimarer Republik. Obwohl er als Reichskanzler nur kurz agierte, verkörperte er doch zwischen 1923 und 1929 als Außenminister in wechselnden Kabinetten ununterbrochen die Kontinuität der Weimarer Außenpolitik und steht für die besten Jahre der Weimarer Demokratie. Doch war diese Rolle keineswegs selbstverständlich, erschien vielmehr am Ende des Kaiserreichs und des verlorenen Weltkriegs sogar eher unwahrscheinlich. Warum?

Gustav Stresemann war ursprünglich Monarchist und wurde danach zum pragmatischen Vernunftrepublikaner, zählte also zu dem Teil der Politiker beziehungsweise der politisch Engagierten, die der aus Kriegsniederlage und Revolution 1918/19 geborenen Republik zunächst ablehnend gegenüberstanden, sich dann aber doch zu ihr bekannten. Wer waren diese Vernunftrepublikaner, wie entwickelte sich Gustav Stresemann zu ihrem markantesten Repräsentanten?

Der Begriff stammt von einem der bedeutendsten Historiker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Friedrich Meinecke . In einem bereits Ende 1918 geschriebenen Zeitschriftenartikel, konstatierte er: »Zwar kann kein Zweifel daran sein, dass die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes noch heute monarchisch empfindet. Aber die Monarchie selber hat dieser Empfindung den Todesstoß versetzt durch die unwürdige Art ihres Endes, durch das völlige Versagen ihres letzten Trägers im Reiche … Ich bleibe, der Vergangenheit zugewandt, Herzensmonarchist und werde, der Zukunft zugewandt, Vernunftrepublikaner.«[122]

Der Begriff »Vernunftrepublikanismus« ist später in der Historiografie oftmals kritisch beurteilt worden und implizit den leidenschaftlichen Demokraten entgegengesetzt worden. Doch verkürzt ein solches Urteil das Problem: Es unterstellt die republikanische Staatsform als unbestreitbare Norm. Tatsächlich ist es aber keineswegs verwunderlich, dass Menschen, die Jahrzehnte ihres Lebens in einer Monarchie gelebt hatten, monarchisch gesonnen blieben. Das gilt umso mehr, als das Deutsche Reich und seine Einzelstaaten seit Beginn ihrer Existenz, also seit 1000 Jahren, Monarchien waren, sieht man einmal von den »Stadtrepubliken«, den Freien Reichsstädten und den Hansestädten ab.

Außerdem enthält die kritische Sicht auf die Vernunftrepublikaner eine fundamentale Verwechslung: Republik und Demokratie sind nicht identisch, vielmehr sind damals wie heute zahlreiche Monarchien zugleich Demokratien. Trotzdem gelten »republikanisch« und »demokratisch« für das politische Denken der Weimarer Republik immer häufiger als Synonyme. Aus diesem Grund wird auch der Antirepublikanismus zugleich als antidemokratisch interpretiert.[123]

Kennzeichnend für Vernunftrepublikaner war hingegen, dass sie sowohl den Untergang der Monarchie 1918 kritisch reflektierten, als auch die möglichen Alternativen 1918/19 pragmatisch überdachten. Nicht wenige dieser Vernunftrepublikaner waren schon vor der Revolution 1918 überzeugt, dass das Kaiserreich und insbesondere der Hegemonialstaat Preußen fundamentaler Reformen bedurften.[124] Wenn sie die politische Vernunft zum Maßstab machten, dann handelte es sich nicht zwangsläufig um klar definierte politische Inhalte, aber doch um das Ziel, mithilfe einer rationalen Analyse der historischen und aktuellen politischen Probleme pragmatische Lösungen zu finden – Lösungen, die einerseits eine Restauration ausschlossen, andererseits aber entschieden jeglichen politischen Irrationalismus ablehnten. Und dies schloss politische Gewaltakte und Morde, die die Republik von Beginn an erschütterten, ebenso aus, wie fanatische Ideologien, die nach 1918 immer stärker an Boden gewannen. So geißelte Thomas Mann 1923 in seiner Gedenkrede auf den ermordeten Reichsaußenminister Walther Rathenau die in der zeitgenössischen Jugend »unverkennbare Neigung und Gefahr der Verirrung ins Obskurantistische. Obskurantismus ist die Gefahr aller Zeiten, deren Begierde das Absolute ist«.[125] Sowohl der Kommunismus als auch der Nationalsozialismus strebten nicht nur totalitäre Herrschaft an, sondern auch umfassenden Geltungsanspruch ihrer absolut gesetzten ideologischen Utopien. Dem gegenüber gehört der Verzicht auf absolute Geltung zum Wesen der Demokratie, sie verkörpert das Relative und ist per definitionem pluralistisch.

Der Weimarer Vernunftrepublikanismus war folglich ein generationspezifisches Phänomen, das weder parteigebunden noch sozialspezifisch reduziert, aber demokratisch-rechtsstaatlich verwurzelt war. 1922 beschrieb Friedrich Meinecke diese organisatorisch in verschiedenen Parteien zu findende Haltung: »Zwischen den Gesinnungsrepublikanern der Arbeiterschaft auf der einen und den Gesinnungsmonarchisten im bürgerlichen Lager auf der anderen Seite steht dann eine große mittlere Schicht des Bürgertums, die man als neu gewordene Vernunftrepublikaner bezeichnen kann. Sie sind es in verschiedenen Graden und Dosierungen, von bloßer vorübergehend gemeinter Anpassung an Unvermeidliches bis zur endgültigen, vernunftgemäßen und ehrlichen Anerkennung einer geschichtlichen Notwendigkeit.« [126] In diesem Sinne zählten nicht allein die bekannten Repräsentanten dieser Richtung Friedrich Meinecke, Max Weber , Thomas Mann und Gustav Stresemann zu den Vernunftrepublikanern[127], sondern zahlreiche weitere, an ihrer Spitze der Sozialdemokrat Friedrich Ebert . Die Behauptung ist also irrig, die Weimarer Republik sei eine Republik ohne Republikaner gewesen, vielmehr geht es um die Frage, welchen quantitativen Anteil und qualitativen politischen Einfluss sie in der deutschen Bevölkerung besaßen und zu welchem Zeitpunkt sich Verschiebungen ergaben. Die Beantwortung ergibt sich aus den Wahlergebnissen beziehungsweise den Gewinnen und Verlusten der einzelnen Parteien. Ohne Zweifel jedoch schwächte sich der Vernunftrepublikanismus nach 1920 etwas und nach 1930 stark ab. Zwar zeigte er sich noch in der Tolerierung der Regierung Brüning durch die SPD, nach seinem Sturz durch Hindenburg aber resignierten selbst die meisten Vernunftrepublikaner. Und nicht zu vergessen: Der politisch bedeutendste und wichtigste unter ihnen, Gustav Stresemann, war bereits am 3. Oktober 1929 verstorben.

Anders als der im sozialdemokratischen badischen Arbeitermilieu verwurzelte Katholik Friedrich Ebert und der aus dem ostelbisch-preußischen Offiziersadel kommende Paul von Hindenburg stammte Gustav Stresemann[128] aus der unteren wirtschaftsbürgerlichen protestantischen Mittelschicht. Am 10. Mai 1878 wurde er als jüngstes von sieben überlebenden Kindern eines Großhändlers für Flaschenbier im überwiegend kleinbürgerlichen und...

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