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E-Book

David Hume zur Einführung

AutorHeiner F. Klemme
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783960600688
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
In Abgrenzung zu Metaphysik und Rationalismus versucht der schottische Philosoph David Hume (1711-1776) die in den Naturwissenschaften erfolgreich angewandte experimentelle Methode auch für die Erforschung der menschlichen Natur fruchtbar zu machen. Seine skrupolöse Orientierung an Beobachtung und Erfahrung führt ihn jedoch wider Erwarten in den Skeptizismus, einer Form der Philosophie, die zwar gedacht, aber nicht gelebt werden kann. Nach Hume sollte daher nicht die Vernunft, sondern die Natur der letzte Maßstab unseres Denkens, Fühlens und Handelns sein. Ausgehend von dieser Konzeption diskutiert die Einführung Humes innovative Beiträge zur Theorie der Erkenntnis, Moralphilosophie, Ästhetik und Religionsphilosophie, die noch heute systematisches Interesse beanspruchen dürfen.

Heiner Klemme ist Professor für Philosophie der Neuzeit an der Universität Mainz.

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Leseprobe

2. Verstand


Eindrücke und Ideen


Mit seiner Philosophie der menschlichen Natur stellt sich Hume in den Kontext philosophischer Debatten, die in der Weise, wie sie von ihm wahrgenommen werden, ihren Ursprung im 17. Jahrhundert haben. Welches sind die allgemeinen Prinzipien unseres Wissens und Erkennens? Gibt es angeborene Erkenntnisse? Wo verläuft die Grenze zwischen Wissen und Glauben? Was ist die Natur von Geist und Körper? Können wir die Existenz Gottes beweisen? Sind moralische und rechtliche Normen durch die Vernunft begründbar oder beruht ihre Geltung auf Übereinkunft? Die für Hume wichtigsten Philosophen des 17. Jahrhunderts, Descartes und Locke, sind sich trotz erheblicher inhaltlicher und methodischer Differenzen darüber einig, dass diese Fragen einzig und allein unter Rückgriff auf den Begriff der Idee (idea) zu beantworten sind. Ideen stellen ihrer Ansicht nach Wahrnehmungen (perceptions) dar, die dem menschlichen Geist (Verstand) entweder mittelbar oder unmittelbar bewusst sind. Diesem von Descartes, Locke, Berkeley und zahlreichen anderen Philosophen beschrittenen Weg der Bewusstseinsphilosophie, für den sich später der Ausdruck »way of ideas« einbürgern sollte, folgt auch Hume. Für ihn stellt der menschliche Verstand (understanding, reason) oder Geist (mind) die Bühne dar, auf der Perzeptionen auf- und wieder abtreten. Dabei gilt sein Interesse der Frage, welcher Art diese Inhalte sind, welchen Ursprung sie haben, in welcher Weise sie miteinander verbunden sind und welche Akte ihnen gegenüber durch den menschlichen Geist ausgeübt werden können. Als experimenteller Beobachter geht Hume also nicht von der Existenz von Tischen, Stühlen und Büchern aus, die er in seiner unmittelbaren Umgebung findet. Vielmehr fragt er nach den Prinzipien des menschlichen Verstandes, die die Verbindung unserer Perzeptionen zu Gegenständen der Erfahrung erklären.

Jede Philosophie braucht einen Anfang. Hume findet diesen Anfang in den unmittelbar evidenten Akten des Verstandes und in seinen Inhalten. Sie stellen die »Elemente«34 der Erfahrung und damit seiner Philosophie dar. In ausdrücklicher Abgrenzung zu Locke, der alle Perzeptionen (Bewusstseinsinhalte) Ideen nennt, unterscheidet Hume zwischen Eindrücken (impressions) und Ideen (ideas). Eindrücke stellen ursprüngliche, distinkte oder gesonderte Existenzen35 dar, die keine ihnen zum Grunde liegenden Gegenstände oder Qualitäten repräsentieren. Sie weisen nicht über sich selbst hinaus und sind entweder äußere Sinneswahrnehmungen (sensations) oder Selbstwahrnehmungen (Affekte, Leidenschaften, Gefühle). Aufgrund ihrer Lebendigkeit und Stärke unterscheiden sie sich von ihren Abbildern (Kopien), die Hume Ideen nennt.36 Der Schmerz, den ich in meinem Mund empfinde, wenn ich in diesem Augenblick einen zu heißen Kaffee trinke, ist ein Eindruck; erinnere ich mich morgen an diesen Schmerz, dann habe ich eine Idee dieser Empfindung. Humes These über den ursächlichen Zusammenhang von Eindrücken und Ideen wird in der heutigen Literatur »copy-thesis« genannt. Sie besagt, dass wir im Prinzip keine Idee haben können, die nicht auf einem vorhergehenden Eindruck beruht. Ideen, die wir im Folgenden auch Vorstellungen nennen wollen, repräsentieren also die ihnen korrespondieren Eindrücke. »Wenn ich meine Augen schließe und an meine Kammer denke, sind die Ideen, die ich bilde, exakte Repräsentationen der Eindrücke, die ich fühlte.«37 Wie es Hume gelingt, eine Idee mit ihrem Eindruck zu vergleichen, obwohl er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt entweder nur der Idee oder des Eindrucks bewusst sein kann, teilt er seinen Lesern leider nicht mit. Zu offenkundig scheint ihm die Wahrheit seiner Beobachtung zu sein; sie entzieht sich jedem vernünftigen Zweifel.

Alle unsere Perzeptionen (Wahrnehmungen, Empfindungen, Bewusstseinsinhalte) sind entweder einfach (simple) oder komplex (complex). Einfache Eindrücke und Ideen wie einzelne Farbvorstellungen, Töne oder Geschmacksempfindungen stellen die kleinsten Einheiten unserer Erfahrungswelt und damit die Bestandteile unserer komplexen Eindrücke oder Ideen von Tischen, Melodien oder Äpfeln dar. Während wir uns mit unserem Gedächtnis (memory) an unsere Eindrücke erinnern, die als erinnerte Eindrücke Ideen sind, haben wir aufgrund unserer Einbildungskraft (imagination) auch die Fähigkeit, unsere einfachen Vorstellungen beliebig miteinander zu kombinieren oder komplexe Vorstellungen zu verändern. Wir können uns Pferde mit Flügeln oder fliegende Teppiche vorstellen, obwohl wir bisher weder das eine noch das andere in der Wirklichkeit wahrgenommen haben. Der Freiheit der Einbildungskraft, Ideen zu trennen und neu zu verbinden, sind keine Grenzen gesetzt. Hätten wir jedoch niemals eine Farbe gesehen oder Töne vernommen, dann könnten wir uns in unserer Phantasie weder farbige Gegenstände ausmalen noch Melodien vorstellen. Allerdings vertritt Hume im Traktat die Auffassung, dass wir uns sehr wohl einen Blauton vorstellen können, obwohl wir ihn in der Skala der uns vertrauten Blautöne bisher nicht wahrgenommen haben.38 Ob diese Ansicht mit seiner »copy-thesis« vereinbar ist, die ja besagt, dass der menschliche Geist von selbst keine neuen Vorstellungen hervorbringen kann, darf leise bezweifelt werden.

Doch wo genau entspringen die Eindrücke und Ideen? Können wir etwas über ihre Ursachen oder die Anlässe ihrer Entstehung sagen? Wie bereits angedeutet, stammen alle unsere Eindrücke entweder aus unserer Sinneswahrnehmung (sensation) oder haben ihren Ursprung in unserem Reflexionsvermögen (reflexion). Über die Ursachen der aus unserer Sinneswahrnehmung stammenden Eindrücke schweigt Hume weitgehend.39 Wie diese Eindrücke ursprünglich in unserem Geist entstehen, stellt sich für ihn als ein Problem dar, das von den Naturphilosophen beantwortet werden mag, für den Moralphilosophen aber von keiner Wichtigkeit ist. Humes Interesse gilt – wie man es modern formulieren könnte – der Phänomenologie unseres Bewusstseins, nicht aber seinen materiellen Voraussetzungen. Zudem halten sich Humes – ähnlich wie Newtons – Erwartungen an eine naturwissenschaftliche Erforschung unseres Geistes in Grenzen: Die eigentlichen Ursachen der Eindrücke werden uns für immer verborgen bleiben. Ob sie durch äußere Objekte, uns selbst oder Gott verursacht werden, entzieht sich unserem Wissen.40 In keinem Falle würde dieses Wissen unsere Erkenntnis über die moralischen Angelegenheiten des Menschen erweitern oder gar überflüssig machen.

Im Gegensatz zu den Eindrücken der Sinneswahrnehmung leiten sich die Eindrücke der Reflexion, die Hume auch innere Eindrücke (internal impressions)41 nennt, zu einem großen Teil von den Ideen ab, die Kopien unserer Sinneseindrücke darstellen. Mit jedem unsere Sinne berührenden Eindruck ist eine angenehme oder unangenehme Empfindung der Lust oder Unlust verbunden. Ist die Empfindung vergangen, bleibt die Idee dieser Empfindung, die eine Kopie des ursprünglichen Eindrucks darstellt, im Geist zurück. Kommt dem Verstand diese Idee zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu Bewusstsein, dann stellt sich in ihm unweigerlich ein Eindruck des Verlangens oder der Abscheu, der Hoffnung oder der Furcht ein. Dieser neue, aus der Reflexion entstandene Eindruck wird dann seinerseits in unserem Gedächtnis als Idee abgelegt. Der gute Wein, den ich jetzt trinke, ruft in mir ein angenehmes Gefühl (Sinneseindruck) hervor; erinnere ich mich morgen Abend an dieses Gefühl (Idee des Eindrucks), steigt in mir unweigerlich das Verlangen auf, erneut ein Glas dieses Weins zu trinken (Eindruck der Reflexion). Sehe ich dann bei meinem nächsten Einkauf diesen Wein im Regal liegen, erinnere ich mich an mein Verlangen (Idee des aus der Reflexion stammenden Eindrucks) und kaufe vielleicht eine Flasche.

Humes Antwort auf den Ursprung und die Natur unserer ersten Eindrücke und Ideen fällt, gemessen am Umfang seines Traktats, sehr kurz aus. Zu evident erscheinen ihm die bereits erzielten Erkenntnisse über den menschlichen Verstand. Selbst auf die von dem Empiristen Locke noch sehr ernst genommene Frage, ob es, wie Descartes behauptete, angeborene Ideen (innate ideas)42 im menschlichen Geist gibt, die Gott selbst noch vor unserer Geburt in unserem Geist abgelegt hat, verwendet Hume nicht viele Worte. Haben ausnahmslos alle unsere Perzeptionen ihren Ursprung in der Sinneswahrnehmung oder (wie unsere Affekte und Leidenschaften) in der Reflexion, muss die Theorie angeborener Ideen falsch sein.

Wenn einfache Eindrücke und Ideen die Elemente unserer Wahrnehmung sind, bedarf es eines Prinzips der Verbindung dieser Elemente zu komplexen Gegenständen unserer Erfahrung. Wie erklärt sich diese Bündelung einzelner Vorstellungen zu den uns in der Alltagswelt vertrauten Dingen und Ereignissen? Als naive Alltagsbeobachter könnten wir meinen, dass diese Frage in die falsche Richtung zielt. Offenbart nicht gerade unsere gewöhnliche Erfahrung, dass die Gegenstände so, wie sie sind, auf uns wirken und ein Bild ihrer selbst in uns hervorrufen?...

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