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E-Book

In besserer Gesellschaft

Der selbstgerechte Blick auf die Anderen

AutorLaura Wiesböck
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783218011457
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
'Aber wir sind doch alle gleich!' Der Schlachtruf der aufgeklärten Gesellschaft ist zugleich ihr größter Stolperstein: Kaum eine Annahme ist so fragil. In Wirklichkeit sind wir bestrebt, uns anderen Menschen, anderen Bevölkerungsgruppen, anderen Denkmustern, anderen Verhaltensweisen gegenüber abzugrenzen. Mann oder Frau, jung oder alt, stark oder schwach, arm oder reich, ungeachtet der sozialen Stellung, Religion oder Nation - die Mechanismen sind immer dieselben: Weniger Privilegierte pochen auf ihren ehrlichen 'Arbeiterstatus' und wettern gegen die Schnösel 'da oben'; das sogenannte Bildungsbürgertum schüttelt den Kopf pikiert über Wähler rechtspopulistischer Parteien und bestellt mit wohligem Gefühl das Bio-Kisterl. Konsumverhalten wird zum Statussymbol, der Beruf zur Identität und politische Andersartigkeit zum Feindbild. Die Soziologin Laura Wiesböck geht unserer Sehnsucht nach Überlegenheit mit Verve, Witz und Wissen auf den Grund - und fördert dabei auch unangenehme Wahrheiten zutage.

Laura Wiesböck ist Soziologin an der Universität Wien. Schwerpunktmäßig arbeitet sie zu Ursachen und Formen von sozialer Ungleichheit sowie deren (Re-)Produktion durch Sprache. Für ihre akademische Arbeit wurde sie mit dem Theodor-Körner-Preis und dem Bank Austria Forschungspreis ausgezeichnet. Neben wissenschaftlichen Artikeln publiziert sie regelmäßig in Tagesmedien, wie 'Zeit Online', 'Standard', 'Wiener Zeitung' oder 'orf.at' zu Themen wie Sexismus, politischer Kommunikation oder den Auswirkungen von Arbeitsmigration in Europa.

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Leseprobe

DO WHAT YOU LOVE


In welchem Job kann ich mich am besten selbst verwirklichen? Wie kann ich meine Leidenschaft zum Beruf machen? Das sind historisch betrachtet sehr neue Fragen, die bisher bei der Berufswahl nur eine nachgeordnete Rolle gespielt haben. In unserer Zeit lautet das Mantra hingegen „Do what you love“ – du kannst alles erreichen, wenn du nur deiner Leidenschaft nachgehst, hart dafür arbeitest und fest an dich glaubst. Dieser bekannte Mythos des American Dream dient heute jungen Menschen als Motivation. Die Social-Media-Kanäle sind voll von Sprüchen von Unternehmer*innen, die ihren Erfolg darauf zurückführen, stets die eigene Passion beruflich verfolgt zu haben.

Auf den ersten Blick ist daran auch nichts auszusetzen, denn es lässt uns darüber nachdenken, was uns Freude bereitet und gleichzeitig daraus einen wirtschaftlichen Nutzen generieren. Aber warum sollten wir unsere Leidenschaft eigentlich gegen Geld eintauschen und zu einer Pflicht machen? Liegt das Vergnügen an unseren Hobbys nicht auch darin, dass sie spielerisch und gerade eben nicht zweckgerichtet betrieben werden, und wir uns mit ihnen freiwillig in unserer Freizeit zur Erholung beschäftigen? Natürlich, ein großer Teil der Lebenszeit wird im Berufsleben verbracht und wir würden uns wohler fühlen, wenn wir die dortigen Tätigkeiten schätzen könnten oder zumindest nicht verachten.

Allerdings ist „Do what you love“ ein verkleideter, versteckter Elitismus, denn wer kann es sich schon leisten, stets seiner Leidenschaft nachzugehen? Ein junger Mann, dessen Eltern sein Studium an der Privatuniversität sowie die Unterkunft bezahlen, wahrscheinlich schon. Eine alleinerziehende Mutter, die sich ohne Unterstützung um die Versorgung ihrer Familie kümmern muss, wahrscheinlich nicht. Die Hingabe zum Beruf wird in privilegierten Kreisen zur noblen Geste der Selbstoptimierung. Demnach ist Arbeit nicht primär etwas, das man gegen Geld tauscht, sondern ein Akt der Selbstverwirklichung. Das Selbst wird über den Beruf erst wirklich legitimiert. Ich arbeite nicht als Grafikdesignerin, ich bin Grafikdesignerin.

Besonders in den USA ist die eigene Identität sehr stark mit dem Beruf verknüpft. Man möchte sich nicht mit jemandem identifizieren, der für acht Stunden eincheckt, um die Miete bezahlen zu können. Was in der amerikanischen Kultur schon lange etabliert ist, hält auch in unseren Breiten immer stärker Einzug. Hier ist das Ideal der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit jedoch eine ziemlich neue Idee. Noch eine oder zwei Generationen vor uns halten den Zugang, dass ein Job „Spaß machen“ und eine Passion zum Ausdruck bringen soll, für einen eitlen, egoistischen und überprivilegierten Anspruch. Und es ist nicht ganz abzustreiten, dass er das bis heute ist. Denn wer hat die Freiheit und den Luxus, die eigene Leidenschaft zum Beruf zu machen? Ein Blick auf die motivierenden Sprücheklopfer offenbart die soziale Vorselektion der „Erfolgreichen“.

“Don’t aim for success if you want it; just do what you love and believe in it, and it will come naturally.“

Diese Aussage stammt aus dem Mund des bekannten britischen Journalisten und Fernsehmoderator David Frost. Er hat sein Studium an der renommierten University of Cambridge abgeschlossen. Auch Zitate von Steve Jobs sieht man des Öfteren als inspirierende Motivation auf Facebook oder Instagram. Häufig wird ein Auszug aus seiner Rede an die Graduierten der Stanford University im Juni 2005 geteilt:

“You’ve got to find what you love. And that is as true for your work as it is for your lovers. Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do.“

In diesen vier Sätzen finden sich achtmal die Wörter „you“ und „your“. Die Autorin Miya Tokumitsu, die sich in ihrem Buch Do What You Love: And Other Lies About Success and Happiness mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, ist wenig überrascht, dass dieser starke Fokus auf das Selbst von Steve Jobs kommt, der von sich ein Image als leidenschaftlicher unprätentiöser Arbeiter kultiviert hat. Aber den Erfolg der Firma Apple so zu porträtieren, als wäre er ein Ergebnis von Jobs individueller Liebe und Leidenschaft, macht die Arbeit von tausenden Menschen in den Apple-Fabriken unsichtbar, die sich auf der anderen Seite des Globus befinden. Es ist die Arbeit dieser vielen Menschen, die es Steve Jobs möglich machte, seine Arbeit lieben zu können.

Auch Oprah Winfrey ist eine Koryphäe des „Do what you love“-Mantras:

“What I know is, that if you do work that you love, and the work fulfills you, the rest will come.“

Winfrey adressiert mit diesem Spruch uns alle („you“). Sie könnte auch einfach sagen, dass es bei ihr so war und funktioniert hat, aber sie legt die eigene Erfahrung als Gesetz für alle fest. Dieses Heilsversprechen kann in der Praxis sehr leicht gebrochen werden. Wenn dem so ist, dann liegt es diesem Spruch nach an einem selbst. Lässt die Karriere auf sich warten, dann war eben nicht genug Liebe dabe, und so bestätigt sich Winfreys Law immer selbst.

Erfolgsbeispiele à la Steve Jobs oder Oprah Winfrey, die Hürden wie die soziale Herkunft oder den finanziellen Hintergrund verschleiern, sind omnipräsent. Selten hören wir von der Vielzahl an Menschen, die versuchen, ihrer Leidenschaft professionell nachzugehen, die viel Herzblut investieren und trotzdem scheitern. Uns werden also nicht nur Menschen präsentiert, die beruflich verfolgen, was sie privat lieben, sondern jene, die damit auch großen kommerziellen Erfolg haben. Die Soziologin Nicole Aschoff spricht in diesem Zusammenhang von „Propheten des Kapitalismus“. Sheryl Sandberg, die Co-Geschäftsführerin von Facebook, Bill Gates, der Microsoft-Gründer und Milliardär, oder eben die Talkshow-Moderatorin und Unternehmerin Oprah Winfrey: Sie alle stützen kapitalistische Prinzipien, indem sie sich als progressive Denker*innen tarnen. Oprah Winfrey predigt, dass wir unsere Träume verwirklichen sollen („The biggest adventure you can ever take is to live the life of your dreams.“). Wie können wir das ihrer Ansicht nach am besten tun? Indem wir uns an den Status quo anpassen, und nicht, indem wir die Verhältnisse verändern. Forderungen stellen wir nur an uns selbst, nicht an Verantwortungsträger*innen, Interessensvertreter*innen, Arbeitsbedingungen, die Politik oder den kollektiven Apparat mächtiger Institutionen. Damit werden wir zu angepassten, entpolitisierten, selbstgefälligen neoliberalen Konsument*innen und Produktionsgehilf*innen.

Individuelle Liebe versus (Selbst-)Ausbeutung

Welche Konsequenzen kann es nun haben, wenn wir rein auf uns selbst fokussiert sind, darauf, uns individuell glücklich zu machen? Der Philosoph Byung-Chul Han zieht daraus drastische Schlüsse. Er geht davon aus, dass wir uns im Namen der Selbstverwirklichung kommerzialisiert und politisch entmündigt haben. Die Verbindung zwischen einem „gelungenen Leben“ und der unmittelbaren aktuellen politischen Situation scheint lose geworden zu sein. Es gilt, sich an die verändernden Verhältnisse anzupassen, nicht die Verhältnisse zu verändern. Der individuelle Fokus auf die bestmögliche Entfaltung der eigenen Persönlichkeit geht auf Kosten des gemeinschaftlichen Engagements. Soziale Probleme werden zu persönlichen Fragen nach Selbstsorge und dem guten Leben. Ein plakatives Beispiel: Eine junge Frau macht ein unbezahltes Praktikum in einem Kulturbetrieb, für den perfektes Englisch und ein eigenes MacBook Voraussetzungen sind. Statt sich für gewerkschaftliche Arbeit, Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung und die politische Mobilisierung von anderen prekären Arbeitnehmer*innen in der Branche zu interessieren, zieht sie es nach einem Zehn-Stunden-Tag vor, Yoga zu machen und einen Avocadosalat zu essen, um sich vom aufgestauten Arbeitsstress zu befreien. Oder allgemein formuliert in den Worten von Byung-Chul Han: „Burnout und Revolution schließen sich aus“.

Wenn Leidenschaft oder Hingabe das ist, was allein zählt, dann tritt die Bezahlung oder Pensionsvorsorge in den Hintergrund. Dann sind unbezahlte Praktika gute Möglichkeiten, um die Branche kennenzulernen und einen Einstieg zu gewinnen; Freelance-Jobs sind dann nicht Notlösungen in Ermangelung einer Vollzeitanstellung, sondern modern, flexibel und sprichwörtlich frei von jeder Bindung. Dann befreien wir uns von der Verpflichtung, uns mit anderen Menschen arbeitsrechtlich zu solidarisieren – ob diese ihre Arbeit lieben oder nicht. Ist man unzufrieden mit seiner Arbeit, liegt es in der eigenen Verantwortung. Scheitern und Missstände gelten dann als persönliches Versagen, nicht als Systemfehler. Das Problem sozialer Ungleichheit wird damit in den Verantwortungsbereich der betroffenen Person verschoben und reale gesellschaftliche Problemlagen werden nicht mehr benannt. Diese Denkart begünstigt ausbeuterische Strategien von...

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