LIEBE IN ZEITEN DES TERRORS
Bruno Balz schrieb den Text für den Schlager »Kann denn Liebe Sünde sein?«, den Zarah Leander 1938 im Film Der Blaufuchs sang. Balz wusste, wie so viele andere in Deutschland ab 1933, nur zu gut um die Sünde, zu der die Liebe in der NS-Zeit geworden war. Selbst bekennend schwul, wurde er in den Jahren des NS-Terrors wiederholt wegen seiner Homosexualität verhaftet. Beim zweiten Mal retteten die Ufa und der Komponist Michael Jary den Texter aus der Haft, da Jary den Behörden eindrücklich erklärte, dass er ohne Balz nicht weiter an dem Zarah Leander-Film Die große Liebe arbeiten könne.
Mit der Auflage innerhalb von 24 Stunden die Texte zu schreiben, wurde Balz aus der Haft entlassen. In diesen Stunden entstanden Texte für die Leander-Lieder »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen« und »Davon geht die Welt nicht unter«.1 Weiß man von den Umständen, unter denen Balz diese Texte schrieb, lassen sie sich nicht alleine auf die Geschicke NS-Deutschlands und die im Film erzählten Geschichten, sondern auch auf Balz’ Schicksal bezogen lesen.
Nazideutschland verlangte gesetzlich nichts außer der Liebe zwischen Mann und Frau, und diese nur zwischen Angehörigen »deutschen Blutes« und »artverwandten Blutgemeinschaften«.2 Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden auf Grundlage der »Nürnberger Gesetze« mit dem Vorwurf der »Rassenschande« ab 1935 gesetzlich verfolgt. Liebesbeziehungen, die von den Nationalsozialisten in ihrem Wahn als »undeutsch« und »rassezersetzend« verstanden wurden, standen im Fokus ihrer rassistischen Politik.
Wie drang diese Ideologie aber so rasch und unerbittlich in die Liebesbeziehungen ein, und was geschah 1933, im Jahr der nationalsozialistischen »Machtergreifung«, mit der Liebe, als Bücher verbrannten und ein Riss durch die deutsche Gesellschaft ging? Und fünf Jahre später, 1938, was geschah in Österreich, als der braune Terror nicht schleichend durch die Hintertür, sondern durch das blumengeschmückte Tor einzog?
Bereits ab 1933 versuchte der deutsche Staat Einfluss auf die Partnerwahl seiner BürgerInnen zu nehmen, spätestens aber mit den sogenannten »Nürnberger Gesetzen« von 1935 waren Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten.
Begriffe wie »Mischehe« und »Rassenschande« gehörten bald zum gängigen Sprachgebrauch in Deutschland. Die romantische Liebe, die erst im 18. Jahrhundert im Westen annähernd ihre heutige Bedeutung errungen hatte, rückte auf einmal ins Zentrum des Staatsinteresses und sollte vor allem dem Aufbau einer rassisch einwandfreien »Volksgemeinschaft« dienen. Was aber geschah, wenn man sich in Deutschland nach der »Machtergreifung« 1933 in den oder die »Falsche/n« verliebte, wenn man schon längst mit jemandem in einer Liebesbeziehung lebte, der nun zu den vom Staate Geächteten gehörte?
Versuchte der nationalsozialistische Staat, Beziehungen, die auf romantischer Liebe basierten, durch ideologisch genehme Partnerschaften zu ersetzen, und dienten diese tatsächlich nur mehr der Fortpflanzung zum Wohle des Staates?
Veränderten sich Beziehungen, die nicht mehr der gesellschaftlichen Norm entsprachen und unter dem Damoklesschwert der politisch geforderten Trennung weitergelebt wurden?
Welchen Einfluss hatte eine vom Staat getragene Dämonisierung auf die Bevölkerungsgruppe des Partners oder der Partnerin? Und wie lange hielt unter dem politischen Druck der Schwur der unauflöslichen Verbindung, den man sich bei der Vermählung gegeben hatte?
Welchen Schikanen waren Liebespaare in Nazideutschland ausgesetzt, die interkonfessionell, oder, wie es in der NS-Diktion hieß, »gemischtrassig« verheiratet oder liiert waren und im Rampenlicht standen?
Wie hielten es jene, die die Bevölkerung in Propagandafilmen des NS-Regimes unterhielten, vom Kriegsalltag ablenkten, gleichzeitig aber um ihre Liebe kämpften oder diese um der Karriere willen aufgaben?
Mit der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten standen auch die privaten Verbindungen der Stars nicht mehr nur im Fokus der deutschen Klatschpresse. Die neue politische Situation stellte die Möglichkeiten von Liebesbeziehungen zur Diskussion. Mit einem Mal ergab sich die Frage inwieweit es für die Karriere opportun war, in einer Partnerschaft zu verbleiben, die von den neuen Machthabern verfemt wurde. Denn wer wen liebte war mit einem Mal nicht mehr privat. Die Liebe wurde bespitzelt und denunziert.
Ob Juden und Nichtjuden in Lebensgemeinschaften lebten oder miteinander verheiratet waren, war für die braunen Machthaber von großem Interesse, entsprach es doch nicht der von ihnen entworfenen Gesellschaft, wenn Angehörige der »deutschen Volksgemeinschaft« Lebensgemeinschaften mit Juden unterhielten. Bei bloßem Interesse blieb es allerdings nicht: Auf Menschen, die gemäß den »Nürnberger Gesetzen« in sogenannten »Mischehen« lebten, wurde massiv Druck ausgeübt, und nur bedingt konnten interkonfessionelle Ehen für den jüdischen Teil notwendigen Schutz vor Verfolgung bieten.
Ehe für alle?
Seit der reichsweiten Einführung der Zivilehe im Jahr 1875 war es Deutschen unterschiedlichen Glaubens möglich zu heiraten. Man musste Dank der Zivilehe nicht mehr eine gemeinsame Konfession wählen, um den Bund fürs Leben überhaupt schließen zu können.
Unter den Habsburgern war es in der Donaumonarchie aufgrund der Maigesetze bereits ab 1868 möglich, die sogenannte »Notzivilehe« einzugehen, die BürgerInnen des Vielvölkerstaates eine Eheschließung unabhängig von Konfessionen ermöglichte. Damit war ein wichtiger und notwendiger Schritt für konfessionelle Gleichberechtigung innerhalb der jeweiligen Gesellschaft gesetzt. Gerade das jahrhundertelange Bestreben der jüdischen Emanzipation, die den Weg der Juden in Fragen der Religionsausübung, des Rechts und der sozialen Gleichstellung von der diskriminierten Minderheit zu einem anerkannten Teil der christlichdominierten Gesellschaft ebnen sollte, wurde im 19. Jahrhundert mit dem politischen Antisemitismus konfrontiert.
1897 fand in Basel der erste Zionistenkongress unter der Leitung Theodor Herzls statt, bei dem erstmals die Forderung nach einer »Heimstätte für Juden« formuliert wurde.3 Darin sah man Ende des 19. Jahrhunderts vor allem die notwendige Möglichkeit, einen sicheren Ort für verfolgte und unterdrückte Juden zu finden, schließlich waren die Pogrome gegen Juden in Osteuropa kein Geheimnis. So stand für die am Zionistenkongress in Basel teilnehmenden Juden und Jüdinnen fest, dass man sich gegen die Übergriffe organisieren musste. Die zionistische Bewegung erhielt, wenig verwunderlich, als Reaktion auf den stärker werdenden Antisemitismus breiten Zuspruch.
Mit seinem 1879 veröffentlichten Pamphlet Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum prägte der politisch linksstehende Journalist Wilhelm Marr den Begriff des modernen Antisemitismus. Damit wurde dem religiös motivierten Hass auf Juden eine politisch rassistische Feindschaft gegenüber allem Jüdischen zur Seite gestellt.4 Die jedoch, wie Theodor Herzl unterstrich, klar von einander unterschieden werden mussten.5 Der aus Magdeburg stammende Marr gründete ohne nennenswerten Erfolg die »Antisemiten-Liga« und gab deren Zeitschrift Die neue deutsche Wacht heraus. Zeitlich parallel kam es zum sogenannten »Berliner Antisemitismusstreit« zwischen dem jüdischen Historiker Heinrich Graetz und seinem antisemitischen Widerpart, Heinrich von Treitschke.
Zur Diskussion stand die Position der Juden innerhalb der deutschen Kultur. 1882 folgte in Dresden, wo die Stimmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits deutlich völkisch geprägt war, der erste »Internationale Antijüdische Kongress organisierter Antisemiten«.6
Die rasante Entwicklung der massiven antijüdischen Politik war aber nicht auf Deutschland alleine beschränkt: Frankreich wurde in den 1890er-Jahren von der »Affäre Dreyfus«, der Verurteilung des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus wegen vermeintlicher Spionage für Deutschland und dem Freispruch des eigentlich schuldigen Majors Ferdinand Walsin-Esterházy, erschüttert.
Émile Zola, der sich für Dreyfus einsetzte und dessen öffentlicher Brief J’accuse …! über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt wurde, musste das Land verlassen, da ihm mit einer Haftstrafe gedroht wurde.
In Wien wurde Karl Lueger, der eine deutlich antisemitisch geprägte konservative Politik verfolgte, 1897 Bürgermeister der kaiserlichen Metropole, und der antisemitische Agitator Georg von Schönerer, der Hitler ideologisch beeinflussen sollte, kehrte nach einer Haft im gleichen Jahr ins österreichische...