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Welcome to Borderland

Die US-mexikanische Grenze

AutorJeanette Erazo Heufelder
VerlagBerenberg Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783946334453
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die berühmteste Grenze der Welt seit der Berliner Mauer. 1950 Meilen vom Pazifik bis zum Golf von Mexiko. Donald Trump will hier eine Mauer bauen. Dabei sind in dieser Grenzregion die Menschen schon immer und überall in beiden Richtungen unterwegs gewesen. Ehe es Übergänge wie die von Tijuana oder Lukeville gab, wo keine Maus mehr ohne gültigen Pass von ­Süden nach Norden kommt, oder in Ciudad Juárez, wo es lebensgefährlich ist, war die Grenze ein Strich im Sand. Er zog sich durch spektakuläre Landschaften, die einst zu Mexiko gehörten, wo Indianer lebten und wo heute jene gefährlichen Routen verlaufen, über die Menschen ohne Pass in die USA zu kommen versuchen. Jeanette Erazo Heufelders Bericht aus 'Borderland' erscheint zur rechten Zeit und beschreibt die mythenumwobene Vergangenheit und die von Gewalt, Drogenmafias und friedlichem Miteinander geprägte Gegenwart.

Jeanette Erazo Heufelder wurde 1964 in Bayern geboren. In Dokumentarfilmen, ­Biografien und literarischen Reportagen beschäftigt sich die studierte Ethnologin vor allem mit Latein­amerika. Zuletzt erschien 'Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule' (2017).

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Leseprobe

II.


Corridos, Mythen, Pferde Kulturgeschichtliches Kompendium


Wenn die Wahrheit über die Legende herauskommt, drucken wir trotzdem die Legende.

(»Der Mann, der Liberty Valance erschoss«)

»Remember the Alamo!«


»Der große Unterschied zwischen Texas und allen anderen amerikanischen Staaten besteht darin, dass Texas eine Geschichte hat«, schreibt T. R. Fehrenbach 1968 in Lone Star: A History of Texas and the Texans. Der Satz wird in Texas so häufig zitiert wie John Steinbecks Bonmot, demzufolge Texas eine eigene Geschichte hätte, die auf Fakten beruhe, von denen es sich aber nicht beirren lasse.59 Bei Fehrenbach heißt es: »Die Geschichte der Rangers, Cattle Drives, Indianer und der vielen Schießereien mag Mythologie sein, aber zumindest ist sie unsere Mythologie.« Auf über 700 Seiten erzählt er Texas’ Geschichte aus der Perspektive der weißen anglo-europäischen frontiermen – so gut, dass die Texaner gar nichts anderes mehr lesen wollten. Dass sie so begeistert von den Erzählungen waren, die sie über ihre Vergangenheit zu hören bekamen, erklärte Fehrenbach damit, dass die Texaner von allen US-amerikanischen Staaten der Idee eines Volkes am nächsten kämen. Während überall in den USA Landeskunde an den öffentlichen Schulen nur ein Jahr unterrichtet wird, sieht der texanische Lehrplan dafür zwei Jahre vor. Doch noch in den 1990er Jahren wurden die mexikanischstämmigen Schüler mit einer Texas-Saga konfrontiert, in der die eigenen Vorfahren die Bösen verkörperten. Die Rolle der Guten war den Helden von Alamo vorbehalten: den Männern um Davy Crockett, James Bowie und William Travis, die sich in der Schlacht um das Fort von Alamo dreizehn Tage lang der Belagerung durch die überlegenen mexikanischen Truppen unter dem oberkommandierenden Präsidenten Santa Anna widersetzten und ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten. Letztlich war es die verlorene Schlacht von Alamo, die zu Texas’ Unabhängigkeitserklärung führte.

Jede Generation müsse die Geschichte überarbeiten, vor allem, wenn es sich um ein so großes Ereignis wie die texanische Rebellion handle. Das sagt der US-amerikanische Historiker David J. Weber, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die gängige Interpretation der amerikanisch-mexikanischen Beziehung maßgeblich überarbeitet hat.60 1982 erschien The Mexican Frontier, 1821–1846, das den Zeitraum zwischen 1821, dem Jahr der mexikanischen Unabhängigkeit, und 1846 behandelt, dem Jahr, in dem es zum mexikanisch-amerikanischen Krieg kam. Seither ist die Berücksichtigung der mexikanischen Perspektive wissenschaftlicher Standard. Auch populärwissenschaftliche Bücher kommen inzwischen nicht mehr umhin, zu erwähnen, dass in der Schlacht von Alamo Mexikaner an der Seite der anglo-europäischen Rebellen kämpften. Doch ein grundsätzlicher Perspektivenwechsel setzte erst in den 1990er Jahren ein, obwohl schon im Texas des Mid-Century Wirklichkeit und Mythen so weit auseinanderklafften, dass nur noch Traditionalisten glaubten, irgendwo in Texas könnte noch das Erbe des Old West überlebt haben; die »Vereinigung der Söhne und Töchter der Republik Texas« zum Beispiel, die 1903 mit der Absicht gegründet worden waren, das angloamerikanische Erbe Alamos zu bewahren, das für sie Sinnbild für die Singularität des texanischen Staates war. »Die Truppen der anderen Bundesstaaten müssen den Ruhm erst noch gewinnen, den die Söhne der Verteidiger von Alamo nur zu bewahren brauchen.« Mit solchen Sätzen wuchsen in Texas Generationen von Schülern auf. Erst Ende der 1990er Jahre wurden die Schulbücher im Fach Landesgeschichte endlich den gesellschaftlichen Realitäten angepasst. Jetzt wurde die Re-Interpretation von geschichtlichen Ereignissen aus einer Perspektive vorgenommen, die im 21. Jahrhundert verankert war. Schließlich stellte die mexikanisch-amerikanische Bevölkerung in Südtexas längst die Mehrheit. Der 2013 verstorbene Fehrenbach beharrte allerdings bis zum Schluss darauf, dass die texanische Gemeinschaft aus der Entmythologisierung ihrer Geschichte keinen Nutzen zöge. Und er widersprach dem Mythos, dass in Texas das Spanische nie verstummt sei, die Mexikaner nie weggewesen wären und das Land eigentlich ihnen gehöre.61 Schon 1850 sei der Anteil der deutschen Einwanderer in Texas höher als der der dort lebenden Mexikaner gewesen. 1860 – ein Jahr vor dem amerikanischen Bürgerkrieg – hätten nur noch 12.000 Mexikaner in Texas gelebt. Und während des Bürgerkriegs hätte es für die Mexikaner keinen Grund gegeben, nach Texas zu ziehen. Aber mehr als einen, Texas zu verlassen.62

Doch was Fehrenbach als Mythos bezeichnete, war aus mexikanischer Sicht Realität. In seinem Erzählband La Frontera de Cristal sinniert auch Carlos Fuentes darüber, dass Mexiko längst dabei sei, sich das Territorium mit urmexikanischen Waffen zurückzuerobern: sprachlich, rassisch, kulinarisch.63

Pancho Villas Revanche


Mexiko pflegt seine eigenen Mythen, was das historische Verhältnis zum großen Nachbarn im Norden betrifft. In vielen davon taucht Francisco Villa auf, besser bekannt als Pancho Villa, dem neben Emiliano Zapata berühmtesten Protagonisten der Mexikanischen Revolution. Als Mexikanische Revolution wird die Umbruchsphase der mexikanischen Politik und Gesellschaft zwischen 1910 und 1920 bezeichnet, die mit dem Sturz des diktatorisch regierenden Langzeitpräsidenten Porfirio Diaz begann und mit der Herausbildung einer neuen – aus den Reihen der verschiedenen Revolutionsbewegungen hervorgegangenen – politischen Führungsschicht endete. Wenngleich der Blick auf das, was an der Grenze passierte, nur einen Ausschnitt des politischen Umwälzungsprozesses in Mexiko zeigt, ist die Bedeutung der Grenzregion für die Revolution nicht zu unterschätzen. Mit Ausnahme Emiliano Zapatas stammten alle wichtigen Revolutionäre aus dem Norden.64 Bereits im Vorfeld der Revolution wurde die US-amerikanische Grenzstadt El Paso zum Rückzugsort und Treffpunkt mexikanischer Oppositioneller und aufständischer Rebellen. Außerdem begannen die Kämpfe in den Grenzregionen. Denn wer sich in den Grenzstädten behauptete, kontrollierte die Zolleinnahmen und den Waffennachschub.

Die Schlacht von Juárez im Mai 1911, die der Revolutionsgeneral Pancho Villa (siehe S. 46) für sich entschied, markierte das Ende des ersten großen Abschnitts dieser Revolution: Porfirio Diaz musste zurücktreten und ging ins Exil. Seine Niederlage war Pancho Villas Triumph. Der General der mexikanischen Revolutionsarmee wurde in den folgenden Jahren Oberkommandierender der División del Norte, in der sich die Rebellentruppen der nördlichen Provinzen zu einer 6000 bis 8000 Mann umfassenden Armee vereinten. Und eine Zeitlang sah es sogar so aus, als sei er derjenige, auf den die USA als kommenden Mann in Mexiko setzten.

Doch dann erkannte Präsident Woodrow Wilson nach der Ermordung von Francisco Madero im Oktober 1915 Venustiano Carranza als neuen Präsidenten Mexikos an. Pancho Villa fühlte sich fallengelassen. Um sich an den USA zu rächen, überfiel er im März 1916 mit 480 Mann das US-amerikanische Garnisonsstädtchen Columbus in New Mexico. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Fünf Tage nach dem Überfall marschierte General John Pershing mit 4800 Soldaten in Mexiko ein. Die Truppenstärke wuchs in der Folgezeit auf 10.000 Mann an. Es kam zu mehreren bewaffneten Zusammenstößen mit dem mexikanischen Heer, die Mexiko und die USA an den Rand eines Krieges führten. Elf Monate dauerte die Strafexpedition. Erst im Februar 1917, unmittelbar vor dem Eingreifen der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg, zogen sich die Truppen wieder auf die andere Seite der Grenze zurück, ohne Pancho Villa erwischt zu haben. Mit dem selbstmörderischen Angriff auf die US-Garnison in Columbus hatte Villa den großen Nachbarn herausgefordert. Dass es Pershing nicht gelungen war, ihn trotz eines Großaufgebots an Soldaten zu fassen, machte Pancho Villa, der 1923 durch ein Attentat ums Leben kam, in den Augen seiner Landsleute unsterblich.

Die Einnahme von Ciudad Juárez durch Pancho Villas revolutionäre Truppen ist bestens dokumentiert. In den Zeitungen von El Paso, auf der anderen Seite des Rio Grande, erschienen damals Anzeigen zum Verkauf von Ferngläsern. Während am südlichen Ufer des Rio Bravo gekämpft und geschossen wurde, sahen auch die nach El Paso geflohenen Bürger von Ciudad Juárez dem Treiben aus sicherem Abstand zu. Bevorzugt auf einem der für 25 Cent verkauften Logenplätze auf den Dachterrassen der grenznahen Häuser. Zusätzlich wurde Limonade serviert.

Die Schlachten von Juárez wurden aber auch von Fotografen geschlagen, und sie machten das Geschäft ihres Lebens, verdienten an Fotos von echten Kampfszenen,...

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