ZWEITES KAPITEL
Durch den Urwald und über das Micogebirge
Jeder sorgt für sich selbst – Punta Gorda – Ein Besuch bei den karibischen Indianern – Eine Taufe – Der Río Dulce – Izabal – Gefährliche Bergpassage
Wir hatten einen Diener gemietet, einen jungen französischen Spanier, in Santo Domingo geboren und in Omoa erzogen, mit Namen Augustin. Früh am Morgen fragte er uns, was wir zum Frühstück wünschten. Wir gaben ihm unsere Weisungen und setzten uns, als aufgetragen war, zum Frühstück nieder. Während des Essens erfuhren wir rein zufällig, daß alles, was auf dem Tisch stand, mit Ausnahme des Tees und Kaffees, dem Padre gehörte. Ohne uns danach erkundigt zu haben, hatten wir angenommen, daß das Dampfboot für die nötige Verpflegung Sorge tragen würde, erfuhren aber jetzt zu unserem Erstaunen, daß das Boot sich nicht darum kümmere und die Passagiere für sich selbst sorgen müßten. Der Padre hatte ebensowenig davon gewußt; aber einige gute katholische Freunde, die er getraut oder deren Kinder er getauft hatte, hatten Vorräte verschiedener Art zusammengepackt und an Bord gesandt, unter anderem, ein seltsames Gepäck für einen Reisenden, einen ganzen Korb voll Hühner.
Es war ein schöner Tag. Unser Kurs ging fast geradewegs nach Süden, immer an der Küste von Honduras entlang. Kolumbus entdeckte diesen Teil des amerikanischen Kontinents auf seiner letzten Reise, aber seine smaragdenen Reize vermochten ihn nicht zu gewinnen, den Fuß ans Ufer zu setzen. Ohne zu landen, fuhr er nach dem Isthmus von Darien weiter, um jene Durchfahrt nach Indien zu finden, die das Ziel all seiner Hoffnungen war, die er aber niemals erblicken sollte.
Wir setzten uns unter ein leinenes Schirmdach, wo wir Schutz vor der glühend heißen Sonne fanden. Die Küste nahm jetzt den Charakter des Großartigen an und machte meine Vorstellungen von tropischen Gegenden zur Wahrheit. Dichter Wald trat bis ans Ufer heran. Dahinter erhoben sich hohe Berge, bis zu ihren Scheiteln mit ewigem Grün bekleidet. Höher und höher türmten sich die Berge, bis sie sich endlich in den Wolken verloren.
Um 11 Uhr kam Punta Gorda, eine Ansiedlung karibischer Indianer, in Sicht. Als wir näher kamen, sahen wir eine Lichtung hart am Ufer mit einer Reihe niedriger Häuser. Es war nur ein Flecklein auf der großen Küstenlinie, und zu beiden Seiten stand der Urwald. Dahinter ragte ein höchst merkwürdiger Berg empor, der wie entzweigebrochen aussah, gleich dem Rücken eines doppelhöckrigen Kamels. Als unser Dampfboot zum Dörfchen einbog, wo nie zuvor ein Dampfboot erschienen war, geriet alles hier in Bewegung. Frauen und Kinder kamen ans Ufer gelaufen, und vier Männer eilten zum Wasser hinab und fuhren uns in einem Kanu entgegen. Der Padre fragte uns, ob wir etwas einzuwenden hätten, wenn er die Gelegenheit zu Taufen und Trauungen benutzte, und da wir nichts dagegen hatten, erschien er im Augenblick der Landung auf dem Deck mit einem großen Waschbecken in der einen Hand und in der anderen mit einem vollgepfropften Tuch, das seine priesterliche Kleidung enthielt.
In geringer Entfernung vom Strand warfen wir Anker und ruderten mit dem kleinen Boot ans Ufer. Sofort sahen wir uns unter einer brennenden Sonne mitten in den ganzen Reichtum einer tropischen Vegetation versetzt. Baumwolle, Reis, Cahoon, Kakao, Ananas, Orangen, Limonen, Pisangs und viele andere Früchte, die wir nicht einmal dem Namen nach kannten, alles wuchs hier in solcher Fülle und Üppigkeit, daß im ersten Augenblick ihr bloßer Duft uns berauschte. Die meisten Einwohner saßen im Schatten der Bäume beisammen, und der Padre verkündete ihnen, daß er gekommen sei, um sie zu trauen und zu taufen. Nach einer kurzen Besprechung wurde ein Haus zur Vollziehung der Zeremonien bestimmt, während Herr Catherwood und ich, von einem Kariben geführt, der in Belize einige Brocken Englisch aufgeschnappt hatte, die Ansiedlung durchwanderten.
Die Häuser waren aus etwa zolldicken Pfählen erbaut, die aufrecht im Boden steckten, mit Baumrinde zusammengebunden und mit Blättern überdeckt. In jedem Haus befand sich eine Hängematte aus Gras.
Als wir zurückkehrten, fanden wir unseren Freund, den Padre, in den Inhalt seines Tuches gekleidet, worin er sich ganz respektabel ausnahm. Neben ihm stand unser Waschbecken vom Dampfboot, mit heiligem Wasser gefüllt. In seiner Hand hielt er ein Gebetbuch. Augustin stand dabei und hielt den Stummel eines Talglichts.
Die Kariben haben wie die meisten Indianer Zentralamerikas die Lehren des Christentums so empfangen, wie sie ihnen von den spanischen Priestern und Mönchen dargereicht wurden, und sie halten sich streng an die vorgeschriebenen Formen. Der Besuch eines Padre war in dieser Niederlassung ein seltenes, aber willkommenes Ereignis. Anfangs schienen sie Verdacht zu hegen, daß unser Freund kein Rechtgläubiger sei, weil er nicht spanisch sprach. Als sie ihn aber in seinem Priesterrock und der Stola und mit dem brennenden Weihrauch sahen, war alles Mißtrauen verschwunden.
Es gab nur wenig Trauungen, da die meisten Männer zum Fischfang und bei der Feldarbeit waren. Dagegen erschien ein langer Zug von Frauen, jede mit einem Kind auf dem Arm, zum Taufen.
Der Padre verstand nur wenig Spanisch. Sein Buch war lateinisch geschrieben, und da er nicht imstande war, es so rasch zu übersetzen, hatte er die Zeit unserer Abwesenheit dazu verwendet, den formellen Teil des Taufdienstes aus einem spanischen protestantischen Gebetbuch auf einen Streifen Papier abzuschreiben. In der Verwirrung war dieses Papierchen verlorengegangen, und der Padre war nun wieder auf sein Latein angewiesen, um es, sooft es nötig war, ins Spanische zu übertragen. Nachdem er sich eine Weile mühselig damit fortgeholfen hatte, wandte er sich an Augustin und sagte ihm die den Frauen vorzulegenden Fragen auf englisch vor. Augustin war ein guter Katholik und lieh ihm sein Ohr mit derselben Ehrerbietung, als ob er der Papst selbst gewesen wäre, verstand aber von allem, was er sagte, nicht ein Wort. Ich erklärte Augustin alles auf französisch, dieser erklärte es einem der Männer auf spanisch, und dieser verdolmetschte es nun wieder den Frauen. Natürlich entstand daraus ein wahrer Wirrwarr. Trotzdem aber waren alle so andächtig und ehrerbietig, daß das Feierliche der Handlung nicht darunter litt.
Wir kehrten zu unserem Dampfboot zurück und waren wenige Minuten später wieder unterwegs. Nach einigen Meilen tat sich eine schmale Öffnung in einem Gebirgswall vor uns auf, und nach wenigen Augenblicken fuhren wir in den Río Dulce ein. Auf beiden Seiten umschloß uns eine Mauer von lebendigem Grün. Zu beiden Seiten fielen von den Wipfeln der höchsten Bäume lange Ranken ins Wasser herab, als wollten sie trinken und den Stämmen, die sie trugen, Leben zuführen. Nach wenigen Minuten hatten wir nach einer Flußkrümmung das Meer aus dem Gesicht verloren und sahen uns von allen Seiten von einer Waldesmauer eingeschlossen. War es möglich, daß dies das Tor zu einem Land der Vulkane und Erdbeben, zu einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land war?
Manchmal schien es uns, als müsse das Boot mitten unter die Bäume hineinfahren. Gelegentlich ging die grüne Mauer auseinander, und die Sonne schoß ihre versengenden Strahlen hernieder, aber schon im nächsten Augenblick waren wir wieder im tiefsten Schatten. Nach den phantastischen Erzählungen, die wir gehört hatten, erwarteten wir, Affen in den Bäumen ihre lustigen Sprünge machen, Papageien über unseren Köpfen hinfliegen zu sehen; aber es herrschte eine Lautlosigkeit, als wäre nie zuvor ein lebendes Wesen hierher gekommen. Das einzige aus dem Reich des Lebendigen, was wir sahen, war der Pelikan, der stillste unter den Vögeln, und der einzige Ton, den wir hörten, war das unaufhörliche Brausen und Lärmen unserer Dampfmaschine.
Neun Meilen weit währte dieses einzigartige Naturgemälde, als plötzlich der schmale Fluß sich zu einem großen See ausweitete, von Gebirgen eingerahmt und mit zahlreichen Inseln. Wir weilten bis zur späten Stunde auf dem Verdeck und erwachten am nächsten Morgen im Hafen von Izabal. Es war 7 Uhr früh und schon heiß.
Die Ankunft des Padre rief eine gewaltige Bewegung im Städtchen hervor und wurde durch ein freudiges Läuten der Glocken verkündet. Eine Stunde danach erschien er schon in der Stola und las die Messe. Die Kirche war ebenso wie die Häuser aus Pfählen erbaut und mit Blättern überdeckt. Den Fußboden bildete die bloße Erde, aber er war rein gefegt und mit Fichtennadeln überstreut. Die Wände waren mit Blumengirlanden und Zweigen geputzt und der Altar mit Bildern der Jungfrau und der Heiligen und mit Blumenkränzen geschmückt. Da es eine lange Zeit her war, seit die Leute Gelegenheit hatten, die Messe zu hören, war die ganze Bevölkerung dem unerwarteten, aber willkommenen Ruf der Morgenglocke gefolgt. Der Boden war mit knienden Frauen...