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E-Book

Ich komme aus der Steinzeit

Ewiges Eis im Dschungel der Südsee

AutorHeinrich Harrer
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783105622209
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Heinrich Harrers Expedition zu den eisbedeckten Gipfeln der Tropeninsel Neuguinea wurde zu seinem gefährlichsten und strapaziösesten Abenteuer. Es gelang ihm jedoch als erstem, die Nordwand der berühmten Carstensz-Pyramide, des höchsten Fünftausenders der pazifischen Inselwelt, zu bezwingen. Aber sein Weg führte ihn auch über zahlreiche Gebirgsketten hinweg, durch unwegsame Täler und reißende Urwaldströme in die geheimnisumwitterten Dschungelgebiete zu den Siedlungen der Kopfjäger, die gerade erst aus der Steinzeit erwacht zu sein schienen: den Papuas. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Prof. Heinrich Harrer, 1912 in Kärnten geboren, vertrat bei der Olympiade von 1936 Österreich im Abfahrts- und Slalomlauf. 1938 bezwang er als erster die Eiger-Nordwand. 1939 nahm er an der deutschen Nanga-Parbat-Expedition teil. Bei Kriegsausbruch von den Engländern interniert, gelang ihm nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen 1944 die Flucht nach Tibet. Er blieb dort bis 1951, zuletzt als Lehrer und Berater des Dalai-Lama. In den darauffolgenden Jahren besuchte Heinrich Harrer viele Länder der Erde, wobei sein Interesse nicht nur der Bergbesteigung, sondern auch der Erforschung der Lebensverhältnisse in diesen Ländern galt. Heinrich Harrer starb 2006 in Kärnten.

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Leseprobe

Vorwort


Der Kreis ist vollendet: Ich hatte die Zivilisation verlassen; war aus dem Jahr eintausendneunhundertzweiundsechzig nach Christi Geburt zurückgewandert in eine Zeit, die etwa 30000 bis 50000 Jahre vor Christi Geburt zu suchen ist, und nun bin ich zurückgekehrt.

Mein Weg in die Steinzeit begann in München, wo die Lufthansa vor meinem Abflug eine erste Pressekonferenz veranstaltete. Der Plan, den ich den Journalisten entwickelte, schien sie zu interessieren. Ich hatte mein festes Haus in meiner Heimat verlassen, ein Haus, in dem es elektrisches Licht gibt, fließendes Wasser, verglaste Fenster und die Geborgenheit hinter gut schließenden Türen. Mein ersehntes Ziel aber war der unerforschte Teil einer Insel auf der rund zweihunderttausend Menschen leben, die schlafen gehen, wenn die Nacht kommt, die Flußwasser aus der hohlen Hand trinken, die noch nie durch eine Glasscheibe gesehen haben, die nicht wissen, was ein Rad ist, und die ein Messer aus Bambus und eine Axt aus Stein bis auf den heutigen Tag für das Optimum technischer Ausrüstung halten. Sie kennen keinen Topf zum Kochen, kein Metall zum Schmieden, kein Tuch zum Schneidern eines Gewandes, keine Schrift zum Aufzeichnen ihres spärlichen Wortschatzes. Sie sind gutmütig und verspielt wie Kinder, hilfsbereit wie Samariter, unberechenbar wie junge Hunde, und ihrer Grausamkeit stehen wir verständnislos gegenüber. Ich meine die Danis, die Bergeinwohner von West-Neuguinea (heute Irian Jaja, Indonesien).

Meine Expedition zu ihnen hat mich durch ihren bestürzenden Reichtum an Erlebnissen glücklich gemacht, obgleich sie die härteste und entbehrungsreichste meines Lebens war, obgleich ich dem Tod mehrmals entkommen bin und obgleich ich die Insel mit zerschundenem Körper und zerschlagenen Knochen verlassen habe.

Die erste Etappe meines Weges in die Steinzeit war die Steinwüste von New York, das zivilisatorische Extrem zum Ziel meiner Reise: Hier war der Stein gequadert und genormt, in Stahl gefaßt, chrom-, nickel- und bronzebeschlagen, von riesigen Glasflächen durchbrochen – hier hatte die Zukunft schon begonnen. In Zentral-Neuguinea aber hat die Vergangenheit noch nicht aufgehört. Hier sieht der Stein noch aus, wie er gewachsen ist, und wo die Danis ihn gespalten haben, hat blinder Zufall mehr zu seiner neuen Form getan als sehender Geist. Der Gegensatz zwischen den hängenden Gärten der Semiramis und den eisfunkelnden Gipfeln des Himalaja kann nicht krasser sein als der zwischen New York und Neuguinea.

Ich bin oft gefragt worden, warum ich mir für meine Unternehmungen Ziele gesucht habe wie die Eiger-Nordwand, den Himalaja, Tibet oder die Steinzeitinsel Neuguinea. Und ich konnte nur antworten, daß mich in meinem Leben immer wieder der Kontrast und Wechsel faszinierten, welcher zwischen unserer zivilisierten Welt und der Begegnung mit fremden, außergewöhnlichen Menschen und Umständen besteht, der neue Maßstäbe vermittelt für die Beurteilung des Lebens. Am Eiger versuchte ich mich zu bewähren, im Himalaja lernte ich die Einsamkeit kennen, in Tibet die außergewöhnlichen Menschen. Im Innern der Insel Neuguinea fand ich alles zusammen: lebensgefährlich reißende Bäche, Flüsse und Ströme, die unbestiegene Nordwand eines über 5000 Meter hohen, wunderbarerweise von Gletschern und ewigen Schnee bedeckten Tropenberges, die Einsamkeit des unberührten Gipfels, die Nächte des Alleinseins im Zelt, auf das der Regen trommelt, und schließlich die Danis, diese für uns nahezu unbegreiflichen Menschen, deren Leben noch heute verläuft wie das unserer Vorfahren in grauer Urzeit.

Eine Ahnung von dem, was mich erwartete, vermeinte ich also zu haben, und ich glaubte mich gut vorbereitet. Aber was wußte ich wirklich?

Im Sommer 1937 – ich bereitete mich gerade für die Besteigung der Eiger-Nordwand vor – hörte ich zum erstenmal etwas von einer holländischen Expedition, die gerade ins Innere Neuguineas vorgedrungen war und dort ein »Eisgebirge« gefunden hatte. Man gab dem Gebirge und seinem höchsten Berg, der 5030 Meter hohen Carstensz-Spitze, den Namen des Mannes, der vor mehr als 300 Jahren als erster Europäer den Schnee über dem Dschungel Neuguineas gesehen hatte: Jan Carstensz, Seefahrer im Dienst der holländischen Krone.

Mir war bekannt, daß es in Südamerika und in Afrika auch in Äquatornähe schnee- und gletscherbedeckte Berge gibt, den rund 6300 Meter hohen Chimborasso etwa in den ekuadorianischen Anden oder den 5200 Meter hohen Ruwenzori im zentralen Afrika. Aber auch auf einer Insel im Pazifik, über Palmen, Orchideen und feuchtwarmen Dschungeln? Ich konnte es kaum glauben.

Die Portugiesen hatten Neuguinea 1526 entdeckt. Aber sie waren an der Nordküste der Insel entlanggesegelt, und vorgelagerte Höhenzüge hatten ihnen die Sicht zu dem Schneewunder versperrt. Fast hundert Jahre später, 1623, segelte ein anderer Europäer, eben Jan Carstensz, mit den beiden Schiffen »Pera« und »Arnheim« an der Südküste Neuguineas entlang. Hier gibt es keine vorgelagerten Höhenzüge, und hier muß zufällig an dem Tag, an dem Carstensz vor der Küste kreuzte, einer jener glasklaren Schönwettertage über Land und Meer heraufgezogen sein, die wohl kaum irgendwo seltener sind als gerade in Neuguinea. Und Jan Carstensz sah als erster Mensch aus unserer Welt – er mag wohl zunächst an eine weiße Wolke gedacht haben – einen schneebedeckten Gipfel über dem Horizont schimmern. Carstensz segelte zurück nach Europa, er erzählte, was er gesehen hatte, und er erntete Gelächter und Unglauben. Aber sein Bericht wurde nicht vergessen, und fast 300 Jahre später brach eine englische Expedition ins Innere der Insel auf. Sie bestätigte, was Jan Carstensz behauptet hatte und was inzwischen bekannt geworden war. Über den Urwäldern Neuguineas thront ein Berg von unvorstellbarer Schönheit und von krassester Gegensätzlichkeit zu seiner tropisch-feuchten Umgebung.

Dorthin war ich nun unterwegs. Doch bevor ich das letzte Stück meiner Anreise in die Steinzeit antrat, leistete ich mir einen Luxus, den nur unsere hochzivilisierte Jetztzeit zu bieten hat: Ich setzte mich in New York in ein Flugzeug, flog nach den Hawaii-Inseln und erfüllte mir als passioniertem Skiläufer einen langgehegten Wunsch, einmal auf dem Ozean Wellen zu reiten.

Das Vergnügen währte nicht lange. Unaufhaltsam schritt das Jahr fort, und spätestens in der ersten Januarhälfte 1962 wollte ich in Neuguinea sein. Andererseits hatte ich mir vorgenommen, soviel wie möglich vom pazifischen Raum kennenzulernen. Die Zeit wurde also knapp. Ich mußte das hawaiische Paradies verlassen, zunächst freilich, um noch ein anderes kennenzulernen: Tahiti.

In Tahiti begann ich meine unmittelbaren Vorbereitungen für die Expedition ins Innere Neuguineas. Ich sammelte Kaurischnecken. Auch das macht deutlich, in welch andersartige Welt ich vordringen wollte. Denn normalerweise geht man, bevor man ein fremdes Land besucht, zu einer Bank, um Geld umzutauschen. Aber die Währung der Danis auf Neuguinea wird an keiner Bank der Erde notiert – man muß sie sammeln: Kaurischnecken. Und als ich Tahiti in Richtung Japan verließ, war ich für Dani-Verhältnisse ein wohlhabender Mann. Ich hatte fleißig gesammelt.

Die nächste Station, Japan, begann mit einer Enttäuschung: Ich wollte den heiligen Berg Fudschijama sehen. Leider war er in dichte Wolken gehüllt. Später indes, nach dem Start zum Flug von Tokio nach Hongkong – ich hatte mich bereits damit abgefunden, den Fudschijama nicht mehr zu sehen –, wurde ich für die erste Enttäuschung reichlich entschädigt. Wir überflogen den heiligen Berg, und sein Gipfel ragte rein und strahlend aus dem Wolkenmeer hervor.

Meinen Aufenthalt in Hongkong habe ich dazu benutzt, nach Kunstwerken und Kultgegenständen aus Tibet zu suchen. Das klingt zunächst absurd, denn Lhasa, die Hauptstadt Tibets, ist immerhin weit mehr als 2000 Kilometer entfernt. Aber es ging lange Zeit das Gerücht, die Rotchinesen hätten nach der restlosen Besetzung Tibets dort nahezu alle Kult- und Kunstgegenstände geraubt und mangels eines eigenen Marktes in Hongkong verkauft. Ich weiß nicht, wie dieses Gerücht zustande kam. Sicher ist, daß ich in Hongkong so gut wie nichts gefunden habe, was es bestätigen könnte.

Von Hongkong ging die Reise weiter nach Bangkog, wo ich mich noch über Möglichkeiten einer späteren Expedition nach dem Norden Thailands informierte, und dann flog ich nach Australien. Dort hielt ich Vorträge bei den Bushwalkers, einer pfadfinderähnlichen Organisation, und dabei lernte ich den Medizinstudenten Russel Kippax kennen. Er ist ein prächtiger Bursche. Und als er hörte, was ich vorhatte, war er Feuer und Flamme – ich hatte meinen Expeditionsarzt gefunden.

Die nächste und letzte Etappe vor Neuguinea war Neuseeland. Hier sprach ich vor dem Alpenklub von Christchurch über Bergsteigen in den Alpen und im Himalaja, und als ich meinem Plan erwähnte, die Carstensz-Spitze in Zentral-Neuguinea zu versuchen, schloß sich der junge Phil Temple an, der ein Jahr zuvor an einer Expedition ins Innere der Insel teilgenommen hatte. Der dritte Mann war da. Im Januar wollte er mir nach Neuguinea nachkommen.

Ich flog zurück nach Sydney und von dort nach Lae im australischen Teil Neuguineas. Anfang Januar traf Kippax dort ein, wenig später auch Temple. Unsere Expedition in die Steinzeit konnte beginnen, der Anmarsch auf die Carstensz-Pyramide stand unmittelbar bevor, genau 339 Jahre nach ihrer Entdeckung durch Jan Carstensz. Wir brachen auf...

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