Die mentale Entwicklung Ihres Babys verläuft in Sprüngen
Auf einmal kann es viel mehr!
Wenn ein Baby schreit, ist das eine Qual für jeden. Schließlich will man sein Kind gesund und glücklich sehen. Fast alle Eltern1 machen sich immer wieder Sorgen um ihr Baby. Und denken dann oft, sie seien die Einzigen, die nicht den ganzen Tag froh und glücklich sind. Die Einzigen, die sich unsicher, ängstlich, verzweifelt oder ärgerlich fühlen, wenn ihr Baby anstrengend ist und sich nicht trösten lässt. Die Einzigen, die weiß sind wie die Wand und erschöpft von zu wenig Schlaf. Sorgen, Müdigkeit, Ärger, Schuldgefühle und gelegentlich auch Wut wechseln einander ab. Wir können Ihnen jetzt schon versichern: Sie sind nicht die Einzigen, denen es so geht.
Das Schreien des Babys kann auch zu Spannungen zwischen den Eltern führen. Besonders wenn sie sich nicht einig sind, wie damit umzugehen ist. Und gut gemeinte Ratschläge von Freunden, Verwandten, Nachbarn und sogar Fremden machen alles nur noch schlimmer. »Ruhig brüllen lassen, das stärkt die Lunge« ist nicht gerade die Lösung, die Eltern hören wollen. Und das Problem herunterspielen hilft genauso wenig.
Unsere Forschung
Wir haben 35 Jahre lang untersucht, wie Babys sich entwickeln und wie Väter und Mütter darauf reagieren. All unsere Untersuchungen haben wir bei Eltern zu Hause gemacht. Wir haben ihren Alltag beobachtet. Wir haben viele Fragen gestellt, sind in Gesprächen näher darauf eingegangen. Und dabei stellten wir fest: Von Zeit zu Zeit erleben alle Eltern dieses heulende Elend. Mehr noch: Zu unserer Überraschung waren normale, gesunde Babys jeweils im selben Alter weinerlicher, empfindlicher, fordernder und anstrengender als sonst. Kurzum, sie brachten ihre Eltern zeitweise zur Verzweiflung. Wir können inzwischen fast auf die Woche genau vorhersagen, wann Eltern mit so einer schwierigen Phase zu rechnen haben. Zu den gleichen Resultaten wie wir kamen übrigens auch Wissenschaftler aus England, Schweden und Spanien, die unsere Untersuchungen nachgestellt haben.
Es gibt einen Grund für die schwierigen Phasen
Babys schreien nicht ohne Grund. Sie sind verunsichert, weil ihre Entwicklung plötzlich eine drastische Wendung nimmt und damit auch die Art und Weise, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen. Das bringt auch Vorteile mit sich, denn dem Baby eröffnet sich die Möglichkeit, Neues zu lernen. Ein Anlass zum Feiern also! Wird ein Baby »schwierig«, bedeutet das im Grunde genommen, dass ein neuer, großartiger Fortschritt bevorsteht. Dem Kind selbst ist damit wenig gedient, denn die Veränderung erschreckt es zunächst und stellt seine vertraute Welt völlig auf den Kopf. Von einem Tag auf den anderen ist alles anders, gerade so, als wäre es auf einem anderen Planeten aufgewacht.
Die mentale Entwicklung verläuft in Sprüngen
Eltern, die am Türstock regelmäßig Striche anbringen, wissen Bescheid: Kinder wachsen schubweise. Längere Zeit tut sich absolut nichts, und dann plötzlich wächst das Kind in einer Nacht um mehrere Millimeter.
Die mentale Entwicklung verläuft ebenfalls in Schüben. Eltern merken das daran, dass ihr Baby plötzlich mehr kann oder versteht als zuvor. Untersuchungen zeigen, dass diese Sprünge mit Veränderungen im Gehirn einhergehen. Sprünge in der mentalen Entwicklung stehen aber nicht immer mit Wachstumsschüben in Zusammenhang. Letztere sind zahlreicher. Auch die Zähne brechen nicht dann durch, wenn das Kind einen mentalen Sprung macht.
In diesem Buch beschreiben wir die acht Sprünge in der mentalen Entwicklung eines Babys im Laufe seiner ersten 14 Lebensmonate. Es ist für Eltern gedacht, die verstehen wollen, wie sich die Weltsicht ihres Kindes mit jedem Sprung verändert und wie sich dem Kind aufgrund dieser Veränderungen Möglichkeiten eröffnen, neue Fertigkeiten zu erlangen und zu verfeinern, die für seine weitere Entwicklung unabdingbar sind.
Ein Sprung:
Ihrem Baby eröffnet sich eine neue Welt
Mit jedem Sprung, den Ihr Baby macht, bekommt es eine neue Wahrnehmungsfähigkeit, die es ihm ermöglicht, eine Vielzahl neuer Dinge zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen, zu fühlen. Was das Baby als neu wahrnimmt, war als solches natürlich schon vor dem Sprung da, nur konnte sein Gehirn es noch nicht verarbeiten. Mit der plötzlich vorhandenen neuen Fähigkeit, bestimmte Dinge wahrzunehmen, ändert sich viel im Leben des Babys. Es muss sozusagen die Welt neu entdecken, und dabei hilft ihm Ihre Unterstützung sehr.
Tipp
Am besten, Sie lesen kurz vor dem jeweils nächsten Sprung nach, worum es dabei geht. Dann wissen Sie, was sich im Wahrnehmungsvermögen Ihres Babys demnächst ändern wird und wie Sie es bei seiner Entdeckungsreise durch die neue Welt begleiten und unterstützen können.
Ein Vater schrieb uns Folgendes: »Wenn ich jemandem erklären soll, wie solch ein Sprung beim Baby vor sich geht, vergleiche ich ihn immer mit einem automatischen Computer-Update. Das kommt ganz plötzlich, und man hat keinen Einfluss darauf, aber hinterher kann der Computer auf einmal jede Menge Neues. Genauso verhält es sich beim Baby.«
Ein sehr guter Vergleich! Denn
- ein Sprung tritt ganz plötzlich auf, das Baby hat keinen Einfluss auf das Timing,
- hinterher kann das Baby auf einmal viel mehr als vorher.
Das Update ist dann sozusagen installiert.
Man kann den Vergleich noch ein wenig erweitern. Der Computernutzer hat nach dem Update wahrscheinlich erst einmal Mühe, mit all dem Neuen umzugehen. Auf gleiche Weise hat das Baby es erst nicht leicht, mit seinem plötzlichen »Gehirn-Update« zurechtzukommen.
Erst ein kleiner Schritt zurück, dann ein großer Schritt voran
Jeder Sprung besteht aus drei Teilen: einer Veränderung im Gehirn und zwei Phasen. Danach folgt eine unbeschwerte Zeit.
… und dann fängt es wieder von vorn an!
Die Veränderung im Gehirn
Wie aus dem Nichts ist sie auf einmal da: die neue mentale Fähigkeit. Einzig und allein das Baby bemerkt das. Sein Gehirn kann mit einem Mal neue Dinge wahrnehmen. Das bedeutet eine große Veränderung. Fast nichts ist mehr so, wie es war …
Phase 1: Die schwierige Phase
Einen Sprung zu machen ist für das Baby ziemlich heftig, weil sich so viel verändert. Darum ist das Erste, was Sie als Eltern bemerken, die schwierige Phase. Sie ist, wenn man so will, die »Visitenkarte« des Sprungs. Kennzeichnend dafür sind drei Dinge. Das Baby ist
- übertrieben anhänglich,
- weinerlich,
- launisch.
Mit anderen Worten: Es klammert sich geradezu an Sie, weint oder schreit öfter als sonst und ist nicht mit sich im Reinen.
Diese drei Verhaltensweisen treten bei jedem Sprung auf. Darüber hinaus gibt es in der schwierigen Phase Dinge, die nicht bei jedem Sprung vorkommen bzw. nicht alle bei jedem Kind. Sie werden in den einzelnen Kapiteln zu den Sprüngen behandelt. Weil Sie als Eltern rasch merken, dass »etwas nicht stimmt«, machen Sie sich Sorgen. Sie fragen sich vielleicht, ob Ihr Kind krank ist. Oder Sie sind verärgert, weil Sie nicht verstehen, warum es mit einem Mal so »schwierig« ist. Zugleich stellen Sie fest, dass es in seiner Entwicklung einen kleinen »Rückschritt« macht, dass es plötzlich wie ein kleineres Baby behandelt werden will, Dinge nicht mehr kann, die es vorher konnte, und insgesamt weniger selbstständig ist. Wenn Sie sich die drei oben angeführten Verhaltensweisen vergegenwärtigen, die für jeden Sprung typisch sind, werden Sie verstehen, warum man hier von einer »schwierigen Phase« spricht. Schwierig für das Baby, aber auch für Sie.
In welchem Alter beginnen die schwierigen Phasen?
Das lässt sich zum Glück ziemlich genau sagen. Innerhalb der ersten 14 Lebensmonate macht Ihr Baby acht Sprünge. Zu Anfang sind sie von kürzerer Dauer und folgen schneller aufeinander.
Hier finden Sie eine schematische Darstellung mit Angaben der Wochen, in denen der Sprung zu erwarten ist.
Berechnen Sie, wann Ihr Baby die jeweiligen Sprünge macht!
Es erleichtert Ihnen das Leben, wenn Sie im Voraus wissen, wann mit einem Sprung zu rechnen ist. Feststellen lässt sich das ganz einfach:
- Legen Sie das Sprüngeschema hinten im Buch neben Ihren Kalender und zählen Sie die Wochen durch.
- Schreiben Sie das Datum unter die Balken des Sprüngeschemas.
- Oder tragen Sie die Daten in Ihren Kalender ein.
- Vielleicht möchten Sie das Sprüngeschema auch kopieren und die Kopie an den Kühlschrank hängen.
Warum der errechnete Geburtstermin?
Die Hirnreifung ist ein stetiger Prozess, egal ob das Baby noch im Mutterleib oder schon auf der Welt ist. Man darf darum nicht von einem um Wochen zu früh geborenen Kind erwarten, dass es mal eben den Schnellgang einlegt. Und ebenso wenig steht der Prozess still, wenn das Kind einige Zeit »zu spät« geboren wird. Wenn Sie sich das vergegenwärtigen, ist es vollkommen logisch, dass die...