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E-Book

Zwischen den Welten

Mein Weg auf die großen Opernbühnen

AutorElina Garan?a
VerlagecoWing
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl255 Seiten
ISBN9783711052551
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Zu Hause auf den großen Bühnen der Welt El?na Garan?a schildert in ihrem Buch ihren eindrucksvollen Lebensweg - vom lettischen Bauernhof auf die großen Opernbühnen der Welt, von der jungen Frau, die ganz nach oben will, hin zur strahlenden Mezzosopranistin, die bei ihren Auftritten frenetisch bejubelt wird. Zwischen Kind und Karriere, Talent und Selbstdisziplin, den heimatlichen Wurzeln und den Bühnen in weiter Ferne - das ist die Welt, in der sich El?na Garan?a bewegt. In ihrer Autobiografie erzählt sie von ihrer außergewöhnlichen Karriere. Von Engagements auf den wichtigsten Opernbühnen, von ihren Rollen, von ihren großen Erfolgen, aber auch von den Schwierigkeiten, ständig unterwegs zu sein, zumal als Mutter von zwei kleinen Kindern, von der Herausforderung, immer Topleistungen abrufen zu müssen, und von Schicksalsschlägen wie dem Tod ihrer Mutter. Die unterhaltsam und bewegend geschriebenen Erinnerungen der Mezzosopranistin - in einer aktualisierten und stark erweiterten Ausgabe. »El?na Garan?as Stimme macht süchtig nach viel mehr.« Kurier

Elina Garanca, 1976 in Riga in Lettland geboren, zählt zu den renommiertesten Opernstars der Welt. Ihre Karriere begann sie als Ensemblemitglied am Meininger Staatstheater. Weitere Engagements führten sie unter anderem nach New York, Wien, Paris und Berlin. Für ihr Wirken wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. erhielt sie viermal den Echo Klassik. El?na Garan?a ist mit dem Dirigenten Mark Chichon verheiratet, gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in Riga und Malaga.

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Leseprobe

1


ZWISCHEN KUHSTALL UND MUSIKSALON


Opernstar. Diva. Stimm-Malerin. Kühle Blonde aus dem hohen Norden – Beschreibungen, die in den letzten Jahren mit meinem Namen verbunden wurden. Mein Selbstbild ist jedoch ein anderes. Die Elīna Garanča von der Bühne hat wenig mit der privaten Elīna gemein. Ich sehe mich nicht als Künstlerin im Stil der legendären Diven aus dem vergangenen Jahrhundert, die auch am Tag nach der Vorstellung ihre Rolle vom Vorabend weiterlebt. Die Bühne ist für mich etwas ganz Besonderes. In Lettland würde sich niemand trauen, mit Straßenschuhen die Bühne zu betreten. Der Schmutz der Außenwelt und der Alltag gehören nicht ins Theater. Hier taucht man in eine andere Welt ein, gönnt sich ein paar Stunden Zauber, Fantasie und starke Emotionen. Während der Vorstellung gehöre ich ganz dem Publikum. Aber wenn die Show vorbei ist, der Vorhang fällt, der Applaus verstummt ist, gehe ich in die Garderobe, streife mein Kostüm ab, ziehe mich ins Hotel oder in die Mietwohnung zurück und bin sehr oft allein. Der Erfolg schützt den Künstler nicht vor der Einsamkeit. Der Zauber hat sich verabschiedet, und an diesem Punkt beginnt für mich das echte Leben – der Alltag als Mutter und Ehefrau, Tochter und Frau. Ich lebe in zwei Welten. Führe eine Art Doppelleben. Und das schon seit meiner Kindheit.

In meinem Herzen bin ich ein intellektuelles Bauernmädchen. Meine lettischen Freunde, die mich fast mein Leben lang kennen, lachen oft – denn ich bin die beste melkende Sängerin. In Riga wuchs ich mit der Crème de la Crème der Intellektuellen auf. Musiker, Sänger, Schriftsteller, Maler gingen in der Wohnung meiner Eltern ein und aus. Wir lebten auf knapp hundert Quadratmeter. Ursprünglich war die Altbauwohnung im vierten Stock doppelt so groß. Aber wie im Kommunismus üblich, wurden Wohnungen von dieser Größe einfach geteilt – aus eins mach zwei. So mussten wir uns das Vorzimmer mit den Nachbarn teilen, wir lebten im linken Teil der Wohnung und unsere Nachbarn im rechten Trakt. Durch die Teilung des Appartements wirkte unser Zuhause wie ein langer Schlauch. Über einen schmalen Korridor nach rechts gelangte man in den Musiksalon. Er war das Herzstück meines Zuhauses. Mitten im Zimmer stand ein riesiger Flügel. Hier feierten meine Eltern Anita und Jānis viele Feste. In unserem kleinen Musiksalon diskutierten die intellektuellen Freunde meiner Eltern leidenschaftlich die Kompositionen von Tschaikowski oder Brahms. Hinter dem Musiksalon waren mein Zimmer und das Schlafzimmer meiner Eltern. Vom Korridor nach links gelangte man in eine Art Kabinett. Es war das kleine Reich meines Bruders, und am linken Ende der Wohnung kam erst die Küche. In Lettland ist eigentlich die Küche der Lebensmittelpunkt. Wenn etwas ganz Intimes besprochen werden sollte, zogen sich alle in die Küche zurück. Hier sind auch unsere Gäste dann oft bis in die Morgenstunden geblieben.

Die Wohnung meiner Eltern lag ganz in der Nähe des Nationaltheaters. Ich musste von zu Hause nur einen kleinen Park und eine Brücke über einen kleinen Kanal überqueren, um meine Mutter zu besuchen. Jeden Tag nach der Schule, die auch nicht weit vom Theater lag, lief ich zu meiner Mutter ins Theater. Auch sie war ein »Mezzo« wie ich und arbeitete als Gesangslehrerin am Nationaltheater. Meine Schulaufgaben erledigte ich irgendwo in der Garderobe zwischen Theater-Make-up und Kostümen. Danach hörte ich bei den Proben zu. Oft schlief ich auf einem Sessel in der Kantine erschöpft ein, bis mich meine Eltern nach den Proben oder einer Premiere nach Hause trugen und ins Bett legten.

Meine Eltern Anita und Jānis, mein Bruder und ich als Baby in Riga im Jahre 1977.

Ein Kontrapunkt dazu war die Welt meiner Großeltern. Sie waren Bauern. An den Wochenenden und in den Sommermonaten ging es ab aufs Land. Auf dem Bauernhof von Oma Nellija und Opa Albert, den Eltern meiner Mutter, gab es alle möglichen Tiere: Schweine, Kühe, Schafe, Hühner. Sie lebten in dem kleinen lettischen Dörfchen Mežarasas, 200 Kilometer von Riga entfernt. Wir reisten mit Bahn und Bus an, da hatten wir die paar Stunden Zeit zum Lesen. Die letzten paar Kilometer bewältigten wir oft mit dem Rad, sehr oft auch zu Fuß. Jeden Freitagabend fuhren wir aufs Land, auf dem Weg zu meinen Großeltern diskutierte ich gern mit meiner Familie über die Erlebnisse der vergangenen Woche. Später durfte ich auch allein zu meinen Großeltern reisen. Während ich die letzten Kilometer zu Fuß zurücklegte, habe ich den Kühen auf den Wiesen und den Nachbarn kleine Dialoge oder Lieder aus dem Theater vorgespielt, die ich in Riga gesehen hatte. Sie waren mein erstes Publikum.

Auto konnten wir uns damals noch keines leisten, denn Anfang und Mitte der achtziger Jahre war das Geld sehr knapp. Und der Bauernhof bot uns alles, was wir zum Leben brauchten – Gemüse, Milchprodukte, Fleisch. Montags standen wir für die Rückreise oft um drei in der Nacht auf, damit ich rechtzeitig wieder in der Schule war. Zu den Eltern meines Vaters hatte ich weniger Kontakt. Das lag daran, dass ihr Bauernhof noch weiter entfernt lag und mein Opa Anton bei einem Autounfall schon sehr früh gestorben ist.

Mein erster Weg am Freitagabend auf dem Bauernhof führte mich sofort in den Stall. Ich wollte sehen, was es Neues gab. Meine Oma sagte immer zu mir: »Geh in den Stall und schau, was alles geboren wurde.« Es faszinierte mich, wenn ich ein neugeborenes Kalb streicheln durfte oder wenn ich sah, wie die jungen Ferkel in einer Woche gewachsen waren. Ich liebte es als Kind, meine Hand in den Mund eines kleinen Kalbes zu stecken und zu spüren, wie es an meinen Fingern saugt. Dieses Gefühl der Wärme und Nässe fehlt mir heute manchmal, weil es für mich das absolute und pure Bauernhofgefühl symbolisiert. Was romantisch klingt, war für meinen Bruder Jānis und mich auch harte Arbeit. Denn das Leben auf dem Bauernhof bestand für uns nicht nur aus Spielen und Kälberstreicheln. Wir wurden von unseren Großeltern als vollwertige Arbeitskräfte eingesetzt. Zeit für Blödeleien, wie andere Kinder in den Ferien, hatten wir kaum. Wenn wir uns einmal vor der Arbeit drücken wollten, war unser Geheimversteck der Dachboden. Über eine unglaublich steile Treppe im Flur des Haupthauses gelangte man hinauf. Es war ein dunkler, verstaubter Raum, nur mit einem kleinen Fenster ausgestattet. Hier gab es jede Menge zu entdecken. Mein Bruder und ich kramten in den Büchern, fanden alte Fahrräder, Fotos, Wolle für Handarbeiten meiner Großmama, Militärstiefel und Sachen meines Opas. Aber auch Mäuse hatten hier ihr Zuhause, doch das störte uns nicht. Hier tauchten wir in eine eigene Welt ein, abseits des Bauernalltags.

Tagwache auf dem Land war um sechs Uhr. Morgens, nachdem meine Oma die Kühe gemolken hatte, musste ich diese aufs Feld treiben. Danach gab es erst Frühstück. Vormittags musste ich stundenlang Unkraut jäten oder andere Feld- und Gartenarbeiten erledigen. Vor dem Mittagessen durfte ich zur Abkühlung in den kalten Fluss springen. Hier, im kleinen Fluss in der Nähe des Bauernhofs, lernte ich auch als kleines Kind schwimmen. Nachmittags half ich meinem Großvater Albert beim Heumachen. Als ich älter war, durfte ich mit Opa Albert auch mit der Sense das Gras mähen. Mein drei Jahre älterer Bruder musste beim Holzhacken helfen, und ich durfte die Holzstücke stapeln. Abends wurden die Kühe in den Stall zurückgetrieben, dann standen Melken und Jungtierefüttern gemeinsam mit Oma auf dem Programm. Nach so einem Tag hatten mein Bruder und ich meistens einen ordentlichen Hunger, und es gab Abendessen. Uns blieb nicht viel Zeit für kindliche Unbekümmertheit. So habe ich gelernt, mir meine Zeit immer genau einzuteilen.

Das Haus meiner Großeltern war sehr schlicht möbliert, die Einrichtung war auf das Notwendigste beschränkt. In den Sommermonaten, wenn Verwandte zu Besuch kamen und im kleinen Haupthaus kein Platz mehr war, schliefen mein Bruder und ich auf dem Dachboden des Stalls, wo das Heu eingelagert war. Ich liebte den Geruch des frischen Heus, und es war einer unserer liebsten Spielplätze, wo wir etwa Robin Hood spielten. Doch einmal ging so ein Abenteuer beinahe schief. Aus dem Holz der Fensterkreuze schnitzten wir echte Pfeile und schossen aufeinander … Plötzlich hörte ich ein »Au!« Voller Stolz schrie ich: »Getroffen! Getroffen!« Bis mein Bruder aus dem Versteck kam und ich sah, dass sein Gesicht blutüberströmt war – ich hatte ihn am Augenbrauenknochen verletzt. Wenn ich mit dem Pfeil nur ein paar Millimeter tiefer getroffen hätte, hätte er blind sein können. Ich glaube, ich muss nicht weitererzählen, was passierte, als unsere Tat aufflog.

Auf dem Dachboden des Stalls fühlte ich mich so unheimlich erwachsen und unabhängig. Ganz allein im Stall schlafen zu dürfen, allein mit der Angst zurechtzukommen, das war Abenteuer pur. Auch wenn die Nächte im Sommer in Lettland nicht besonders lang dauern. Denn der Himmel färbt sich, ähnlich wie in den skandinavischen Ländern, erst nach Mitternacht...

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