KAPITEL 2
Schritt für Schritt zu einer
funktionierenden Ordnungsstruktur
Der Beginn des Schultages
Ein Schultag, der undiszipliniert und chaotisch beginnt, wird sich schwerlich in seinem weiteren Verlauf plötzlich zum Geordneten und Strukturierten wenden. Das ist vielen Lehrern nicht bewusst, die seelenruhig ihre Schüler im Klassenzimmer herumtoben, über Bänke springen und Fangen spielen lassen und währenddessen auf dem Gang noch ein Schwätzchen mit Kollegen halten. Die Kakophonie dieser Ouverture wird nicht beim Läuten der Schulglocke von alleine zu einem wohl klingenden ersten Satz der Symphonie gemeinsamen disziplinierten Lernens. Die Kobolde, die da durchs Zimmer toben, haben mit Schulkindern wenig gemein. Solche brauchen wir aber, wenn wir erfolgreich arbeiten wollen.
Die Schulkind-Rolle vermitteln
Wir alle haben in unserem Leben verschiedene Rollen inne. Abhängig von dem sozialen Kontext, in dem wir gerade agieren, sind wir Eltern, Ehepartner, Freunde, Kollegen, Chefs usw.
Bei Kindern ist das im Grunde genauso: Im Kreis ihrer Kameraden geben sie sich anders als zu Hause bei den Eltern oder auch in der Schulklasse. Die Rolle „Schulkind“ ist allerdings nicht bei allen Kindern mit dem ersten Schultag einfach „da“, sondern muss oft erst gelernt werden. Diesen Lernprozess können wir Lehrer bewusst begleiten und notfalls steuern – dann handeln wir professionell. Wir können aber auch blauäugig – siehe oben – von unseren Schülern erwarten, dass sie die Schulkind-Rolle einfach „intus“ haben. Dann werden wir allerdings Enttäuschungen nicht vermeiden können, denn wir geben uns unrealistischen Vorstellungen hin.
Kinder, die das Schulhaus betreten, sollten im Idealfall ganz von selbst zum Schulkind „mutieren“. Dieses unterscheidet sich vom Freizeit- und Familienkind dadurch, dass es eine Reihe von Regeln beherzigt, die im familiären Zusammensein oder beim Spiel am Nachmittag schlicht überflüssig, für ein gedeihliches Miteinander in der Schule aber höchst notwendig sind.
Nun gibt es zwar einige Kinder, die Ausnahmen darstellen, aber im Normalfall muss das Einhalten schulischer Regeln nicht nur gefordert, sondern auch trainiert werden. Sind alle Lehrer einer Schule sich über einen pädagogischen Minimalkonsens einig und dann auch tatsächlich bereit, das in diesem Konsens Vereinbarte tagtäglich durchzusetzen, gelingt das Einüben von Regeln rasch.
Meist sieht es aber so aus, dass in einer Konferenz zwar alle dafür sind, ein bestimmtes Verhalten zu fordern oder zu verbieten, dass aber das Durchsetzen von Regeln und Verboten nur von einigen wenigen Kollegen wirklich ernst genommen wird.
So sehe ich das Verabschieden dieser Konsens-Themen eher als diplomatische Maßnahme, damit alle das Gefühl bekommen, gefragt worden zu sein. Pädagogisch wirksam ist die Arbeit einiger weniger und je mehr sich diesbezüglich ein Netzwerk an der Schule bildet, desto besser ist es für alle.
An meiner Schule gab es zwei Konsens-Punkte: Das Verbot, im Schulhaus zu laufen und das Gebot, Lehrkräfte zu grüßen.
Beides kann man auch als Klassenlehrer bei den eigenen Schülern durchsetzen. Leichter ist es selbstverständlich immer, wenn eine Regel von allen getragen wird.
Doch ob Sie nun „Einzelkämpfer“ sind oder nicht, das spielt keine entscheidende Rolle für die Notwendigkeit, einen disziplinären Rahmen abzustecken. Auf jeden Fall gehört das „Laufverbot“ zwingend dazu, denn wer als „Rambo“ das Schulhaus stürmt, rücksichtslos Kleinere beiseite stößt und auf der Treppe drängelt und schubst, der wird sich schwerlich an der Garderobe oder beim Betreten des Klassenzimmers ordentlich betragen.
Laufen erlaubt?
Warum das Laufen im Schulhaus verboten werden muss, kann man leicht begründen. Bei einem Sturz auf den Steinboden einer Aula, auf die Kante einer Treppenstufe oder gegen sonstige Ecken und Kanten kann es zu ernsthaften, sogar zu lebensgefährlichen Verletzungen kommen. Als ich erst kurze Zeit im Schuldienst war, ging ein tragischer Fall durch alle amtlichen Bekanntmachungen: In einer oberbayrischen Schule hatte ein Fünftklässler beim Erstürmen der Treppe einen Erstklässler zur Seite gestoßen. Dieser fiel so unglücklich, dass er mit dem Hinterkopf auf eine Stufe prallte, einen Schädelbasisbruch erlitt und auf dem Weg ins Krankenhaus starb.
Nie mehr habe ich seitdem von einem derart schrecklichen Unfall gehört, dennoch gehört so etwas in den Bereich des Möglichen, auch wenn es unwahrscheinlich ist. Den Eltern eines ernsthaft zu Schaden gekommenen Kindes ist es vollkommen gleichgültig, ob das mit hoher oder geringer Wahrscheinlichkeit passierte. Ihr Kind hat es zu 100 Prozent getroffen, nur das zählt.
Können Sie persönlich sich mit dem „Laufverbot“ wirklich nicht anfreunden, dann sollten Sie es auch nicht aussprechen. Ich bin von seinem Nutzen und seiner Notwendigkeit überzeugt und konnte das meinen Schülern auch vermitteln, habe mir allerdings auch immer die Mühe gemacht, seine Einhaltung zu fordern und durchzusetzen.
Wenn nun Ihre Schüler wissen, dass sie eventuell Gang oder Treppe auch ein zweites Mal passieren müssen, falls sie auf Anhieb zu stürmisch waren, so wirkt allein dieses Bewusstsein bereits dämpfend und das Ausmaß der Rempeleien, die sonst oft im Schulhaus stattfinden, bevor überhaupt das Klassenzimmer in Sicht ist, wird deutlich abnehmen.
Ordnung außen – Ordnung innen
Ganz egal, wie Ihre Schüler das Schulhaus betreten, spätestens an der Garderobe müssen sie sich wie ein Schulkind verhalten. Wer diese „Schleuse“ auf dem Weg in den Schulalltag nur undiszipliniert hinter sich bringt, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Klassenzimmer nicht an Regeln halten.
Ganz anders der Schüler, der seinen Schulranzen sorgsam abstellt, Straßenschuhe, Jacke und Mütze ordentlich am dafür vorgesehenen Platz verstaut und dann das Klassenzimmer betritt, wohlgemerkt: be-tritt und nicht be-rennt, be-springt, be-schlittert oder be-hopst. Er hat durch sein diszipliniertes Verhalten den schulischen Ordnungsrahmen implizit bereits akzeptiert und wird wesentlich konstruktiver und der Gemeinschaft zuträglicher in den Schultag starten als sein ungestümer Mitschüler.
Um die nötige Transparenz zu schaffen, erkläre ich meinen Schülern zuerst immer, wie sie ihre Sachen an der Garderobe aufräumen sollen und warum so und nicht anders.
Das Wie:
Jacken müssen am richtigen – dem Kind zugeordneten – Haken hängen. Die Straßenschuhe werden mit einer Wäscheklammer zusammengeklammert und gerade in das Schuhregal hineingestellt. Die Mütze wird auf den Mützenhaken gehängt, der Schal darumgeschlungen, Handschuhe werden in die Jackentasche gesteckt und auf der Bank bleibt nichts liegen. Nach dem Unterricht wechselt die Wäscheklammer von den Straßenschuhen zu den Hausschuhen, damit auch diese ordentlich im Regal stehen und nicht wild durch die Gegend fliegen.
Das Warum:
An einer ordentlichen Garderobe findet jedes Kind schnell seine Sachen. Es kommt nicht zu Streitereien, wem was gehört oder wer wo seinen Platz hat und das Anziehen nach der Schule oder vor der großen Pause geht viel schneller. Außerdem sieht eine ordentliche Garderobe schön und einladend aus. Ich sagte den Kindern auch, dass ich als Klassenlehrerin mich genierte, wenn meine Schüler an der Garderobe einen „rechten Saustall“ hätten, so ähnlich, wie auch ihre Mama sich genieren würde, wenn sie sich einem Besuch schmuddelig und schlampig präsentieren würden.
Der Nutzen, den alle von einer ordentlichen Garderobe haben, ist nicht von der Hand zu weisen und hierin liegt die Relevanz begründet. Die Konsequenz erlebten Schüler, die ich neu übernahm, täglich. In den ersten Tagen eines Schuljahres ging ich jeden Morgen mit der ganzen Klasse auf den Gang. Wir betrachteten den Zustand der Garderobe, besprachen die einzelnen „Verfehlungen“ und ich ließ alles richtig an seinen Platz räumen. Bald war allen klar, was ich verlangte.
Der nächste Schritt:
Kurz nach Unterrichtsbeginn warf ich täglich einen Blick aus der Tür und sah sofort, was nicht an seinem Platz war. Waren es nur vereinzelte Stücke, holte ich sie herein, fragte, wem sie gehören und ließ sie von den Besitzern aufräumen. Nach einer angemessenen Trainingsphase von einigen Wochen war es mit dem Aufräumen alleine nicht mehr getan.
Dann trat „Plan B“ in Kraft.
Vorher möchte ich jedoch noch kurz erzählen, was ich machen würde, wenn die Garderobe auch nach den ersten Tagen noch allgemein so unordentlich wäre, dass „Einzeltäter“ kaum mehr zu ermitteln sind. Das ist nun allerdings fiktiv, ich habe das bisher noch nicht...