Persönliche Anleitung zum Ruhegebet
Auswahl des persönlichen Gebetswortes
Beim Erlernen des Ruhegebetes ist es wichtig, in den Fußstapfen der Altväter zu gehen und die Tradition zu wahren. Man sollte sich nicht herausnehmen, dieses oder jenes besser zu wissen und entsprechend seinen Weg selbst auszugestalten. Auch müssen wir uns davor hüten, Unterscheidungen vorzunehmen, die nur auf unser eigenes Urteil gestützt sind. Was uns die Väter tradiert haben, sowohl durch ihre Lehre als auch durch das Beispiel ihres Lebens, danach sollten wir uns richten.
Die Lehrer, die den Weg aus eigener Erfahrung kennen, können uns zuverlässig und sicher anleiten und uns erfahren lassen, dass der Weg auf keinen Fall durch das Verdienst der eigenen Anstrengung zu gehen ist.
Nur diejenigen sollen in das Ruhegebet eingewiesen werden, die sich auch wirklich nach diesem Weg sehnen. Die Wüstenväter wollten vermeiden, Menschen zu belehren, die mit etwas sehr Kostbarem, das anderen unendlich wertvoll und heilig ist, grob und fahrlässig umgehen. Denn für viele Menschen ist es schwer zu begreifen, dass – je näher sie an die letzte Wahrheit herangeführt werden – alles sich so sehr vereinfacht, dass man es kaum glauben kann. Hier besteht die große Gefahr, der die Wüstenväter zuvorkommen wollten: die Wahrheit nicht mehr ernst zu nehmen, da man meint, das Wesentliche müsse weitaus komplizierter sein und geleistet werden.
Demjenigen, der das Ruhegebet erlernen möchte, wird ein kurzes Gebet oder eine Anrufung Jesu Christi oder des Vaters gegeben. Es besteht auch die Möglichkeit, dass er sich von einer kleinen Auswahl von Gebeten eines aussucht, das jetzt für ihn zum Ruhegebet wird. Das Gebet kann in der Muttersprache sein, aber auch in Latein, Griechisch oder Aramäisch.
Das Gebetswort
Stehst du im aktiven Arbeitsleben, das heißt, du gehörst keiner kontemplativen Ordensgemeinschaft an und bist noch nicht um die sechzig oder siebzig Jahre alt, solltest du dir ein kurzes Gebetswort aussuchen. Die längeren Gebete wie „Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen“ oder „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, sei mir Sünder gnädig“ sind eher für kontemplativ lebende Ordensleute bestimmt und alle, die sich den ganzen Tag über mit ihrem christlichen Glauben beschäftigen.
Wähle ein Gebetswort aus der christlichen Tradition, das sich bereits seit zweitausend Jahren bewährt hat. Auf der folgenden Seite stehen neunundzwanzig von den Wüstenvätern überlieferte Gebetswörter. Lass dir Zeit und lies sie langsam der Reihe nach – ohne dich dabei anzustrengen oder gar theologische Erwägungen anzustellen. Besser noch ist es, wenn du die kurzen Gebete, die Anrufungen Gottes oder die Anrufungen Jesu Christi betest. Spürst du, dass dir das eine oder andere Gebet entgegenkommt, so wähle eines von ihnen als dein persönliches Gebetwort aus. Stelle bei der Auswahl keine großen Überlegungen an, sondern lass dein Gefühl sprechen anstatt zu denken.
Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner
Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner
Herr Jesus Christus, erbarme dich unser
Jesus Christus, erbarme dich meiner
Jesus Christus, erbarme dich unser
Herr Jesus Christus, Sohn Gottes
Jesus, Messias, Sohn Gottes
Jesus Christus, Sohn Gottes
Herr, erbarme dich meiner
Mein Gott und mein alles
Herr, erbarme dich unser
Dein Wille geschehe
Herr Jesus Christus
Herr, erbarme dich
Komm, Herr Jesus
Jesus Erbarmen
Christe eleison
Jesus Christus
Kyrie eleison
Jesus Liebe
Maranatha
Jesus, Herr
Herr Jesus
Immanuel
Jesus, du
Christos
Adonai
Jesus
Abba
Wenn du dir ein Gebet ausgesucht hast, bleibe bei diesem Wort und tausche es nicht mehr durch ein anderes aus. Durch das häufige Wiederholen lernst du es schnell auswendig, sodass weder ein Gedankenimpuls notwendig ist noch später das Erinnerungsvermögen aktiviert werden muss, da sich erfahrungsgemäß das Gebetswort ganz von selbst beim Beten einstellt – innerlich. Inhaltlich oder theologisch sagt dir das Wort nichts Neues, daher halte es nicht fest auf der Ebene des Denkens, sondern lass es einfach in dein Herz fallen. An diesem Ort ist es zu Hause.
Noch eines ist sehr wichtig: Sprich dein Gebetswort nicht mehr aus, sonst würdest du es wieder an die grobe Oberfläche holen, die es ja gerade verlassen hat. Stell dir ein Samenkorn vor, das du in den Erdboden pflanzt in der Hoffnung, dass es reiche Frucht bringt. Du würdest es nicht mehr ausgraben, nur um zu schauen, ob und inwieweit es schon gewachsen ist. Das kleine Pflänzchen, das sich immer tiefer in den Boden verwurzeln und andererseits hervorsprießen möchte, will in Ruhe gelassen werden, da es nicht nur Zeit braucht, sondern auch den Vorgang des Aufbrechens und Wachsens ganz von selbst vollziehen muss. Störst du es dabei – vielleicht durch deine Neugier oder Ungeduld –, würdest du es zerstören. Genauso ist es mit deinem Gebetswort, das sich mehr und mehr deinem Lebensrhythmus, deiner inneren Gangart und gewissen, dir eigenen Tiefenschwingungen anpasst, um von hier aus die dir zugedachten Wirkungen und Wandlungen zu vollziehen. Behalte es für dich, sprich es nicht mehr aus und sprich auch nicht darüber.
Lass dein Gebetswort in dein Herz hinabsteigen und kümmere dich nicht weiter darum. Erfreue dich an den Früchten, die es hervorbringt. Es bildet einen Schutzwall um dich, so dass dunkle Kräfte es immer schwerer haben, dich zu erreichen und in dich einzudringen. Dein Gebetswort strahlt durch dich hindurch Frieden aus, der auf andere übergeht; es richtet dich immer wieder neu auf den Schöpfer aus, der die Quelle allen Seins, die Liebe ist. Ungute Gedanken prallen an dir ab und werden nicht mehr zugelassen. Will dein Denken, das allzu leicht und gern nur spalten möchte, dir dein Gebetswort theologisch auslegen oder gar Zweifel an deinem diesbezüglichen Tun anmelden, so erteile deinem Denken eine Absage und sage ihm, du möchtest es als Ganzes bewahren und du hättest kein Interesse daran, es erklärt oder zerlegt zu bekommen. Wenn du dich so verhältst, darfst du sicher sein, dass dein Denken, das immer etwas tun und in Bewegung sein möchte, zur Ruhe kommt und auch dich in Ruhe lässt.
Richtiger Gebrauch des Gebetswortes
Du hast dir dein Gebetswort ausgewählt, indem du die Folge von immer kürzer werdenden Gebeten gelesen, ja, gebetet hast und dir dabei viel Zeit ließest. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird uns das eine oder andere Gebet intuitiv entgegengekommen sein, das wir dann zu unserem eigenen Gebet gemacht haben. Geschah dies nicht, haben wir ein Gebet genommen, das uns gefällt, ohne lange darüber nachzudenken oder gar theologische oder exegetische Exkurse anzustellen. Über die Inhalte der einzelnen Gebetsanrufungen sollte auch jetzt nicht reflektiert werden. Wir wissen, dass wir uns auf einem christlichen Gebetsweg befinden und dabei den Namen Gottes anrufen – den Namen, durch den nur Heil geschehen kann.
Geschieht all das anstrengungslos und ohne jegliche Erwartung, spüren wir körperlich die Schwerkraft, die uns anzieht und seelisch-geistig die Kraft, von der Jesus im Johannesevangelium spricht: Ich aber werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alle an mich ziehen (12,32). Kommen Gedanken, die diese anziehende Kraft der Liebe Gottes unterbrechen oder gar zunichtemachen – wir sollten sie als unabdingbar hinnehmen –, kehren wir bedenkenlos zu unserem Gebetswort zurück und wiederholen es innerlich. Während des Ruhegebetes sollten das Gebet und die dadurch eingeleitete tiefe Ruhe an der ersten Stelle stehen und kein Gedanke, kein Gefühl und keine Vorstellung. Daher geben wir der Anrufung Gottes immer den Vorrang und kümmern uns um alles andere einfach nicht.
Beim rechten Gebrauch des Ruhegebetes, das im einfachen inneren Wiederholen des kurzen Gebetes besteht, fügt der Betende von sich aus bewusst keine neuen Gedanken hinzu, sondern nimmt alles an, wie es kommt und geht.
Was geschieht, wenn der Betende sich zurückzieht und in dieser Weise das Ruhegebet aufnimmt?
- • Durch das sanfte und anstrengungslose Wiederholen des Gebetes – ein geistlich-geistiger Impuls von höchster Zartheit – bleibt der Betende wach und empfindet kein Bedürfnis, einzuschlafen. Sollte jedoch sein Schlafbedürfnis nicht erfüllt sein, stellt sich ein kurzer Schlaf ein, dem er nachgeben sollte.
- • Die aus einem kurzen Schriftwort bestehende Gebetsanrufung Gottes richtet den Betenden immer neu auf den Schöpfer aus und lässt somit eine bewusst gesteuerte Gedankenaktivität nicht zu.
- • Das Ruhegebet ist ein einfacher und hervorragender Weg zur Begegnung mit Christus und durch ihn mit dem liebenden Du des Vaters. Das Gebet hat teil am Ewigkeitscharakter des Wortes selbst, das Christus ist.
Da die Wüstenväter größten Wert darauf legten, kurz, aber mehrmals zu beten, wird...