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E-Book

Das unendliche Spiel

Strategien für dauerhaften Erfolg

AutorSimon Sinek
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783962671051
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Und das Einzige, was wir entscheiden können, ist wie wir spielen Es gibt Spiele mit bekannten Mitspielern, Regeln und einem Ziel, wie etwa Schach oder Fußball. Und es gibt »unendliche« Spiele, die keinen festen Strukturen folgen und immer weiter gespielt werden - etwa Wirtschaft, Politik oder das Leben an sich. Hier gibt es keine finalen Gewinner oder Verlierer und die Wettkämpfer kommen und gehen. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - das gilt insbesondere in der Unternehmenswelt. Gewinner sind die Führungskräfte, die erfolgreich durch die sich ändernde Welt navigieren und anderen dabei helfen. Wie, zeigt Bestsellerautor Simon Sinek.

Bestsellerautor Simon Sinek ist Business-Berater von Unternehmen und Institutionen wie unter anderem UN, Microsoft und American Express. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel sowie Kommentare zu den Themen Inspiration und Erfolg in renommierten Tageszeitungen und Magazinen wie The New York Times, Wall Street Journal, The Washington Post und Huffington Post und lehrt strategische Kommunikation an der Columbia University. Sein Vortrag auf TED.com ist mit der häufigste angeklickte TED-Talk aller Zeiten. Von Simon Sinek sind bei Redline außerdem erschienen: Frag immer erst: Warum, Finde dein Warum, Gute Chefs essen zuletzt und Zusammen sind wir besser.

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Leseprobe

Zweites Kapitel


EINE GERECHTE SACHE


Erst verspeisten sie die Tiere aus dem Zoo. Dann aßen sie ihre Hunde und Katzen. Manche verzehrten in ihrer Not sogar Tapetenbrei und gekochtes Leder. Dann geschah das Unvorstellbare. »Ein kleiner Junge starb, er war erst drei Jahre alt«, schrieb Daniil Granin, einer der Überlebenden. »Seine Mutter legte seinen Körper zwischen die Scheiben des Doppelfensters und schnitt jeden Tag ein Stück ab, um ihr anderes Kind zu ernähren.«1

Zu solchen Extremen wurden die Bürger Leningrads während der 900 Tage dauernden Belagerung der Stadt durch die Nazis vom September 1941 bis zum Januar 1944 getrieben. Über eine Million Menschen starben, darunter 400.000 Kinder – viele an Hunger. Was kaum einer wusste: Die ganze Zeit über lagerten mitten in der Stadt im Verborgenen gewaltige Mengen an Saatgut, tonnenweise Kartoffeln, Reis, Nüsse und Getreide.

Etwa 25 Jahre vor Beginn der Belagerung begann ein junger Botaniker namens Nikolai Wawilow mit dem Aufbau seiner Saatgutsammlung. Aufgewachsen in einer Zeit, in der Russland von schweren Hungersnöten heimgesucht wurde, widmete er sein Leben und seine Arbeit der Beendigung des Hungers und der Verhütung künftiger Umweltkatastrophen. Was aus Idealismus begonnen hatte, wurde für Wawilow letztlich zu dem Anliegen, worauf er sich mit aller Kraft konzentrierte. Er bereiste die Welt, um verschiedene Arten von Nutzpflanzen zu sammeln und mehr darüber zu erfahren, warum manche widerstandsfähiger waren als andere. Bald hatte er Saatgut für mehr als 6.000 verschiedene Arten von Nutzpflanzen zusammen. Er befasste sich auch mit Genforschung und experimentierte mit der Entwicklung von Pflanzensorten, die weniger anfällig waren für Schädlinge oder Krankheiten, schneller wuchsen, unwirtlichen Bedingungen standhielten oder höhere Erträge brachten. Im Zuge seiner Arbeit kristallisierte sich Wawilows Vision von einer Genbank heraus. Wie wir für den Fall eines Systemabsturzes wichtige Daten sichern, wollte Wawilow Saatgutreserven für alle pflanzlichen Nahrungsmittel der Erde vorhalten, falls eine Art ausstarb oder aufgrund von verheerenden Naturereignissen oder menschengemachten Katastrophen nicht mehr angebaut werden konnte.

1920 hatte sich Wawilow schon einen gewissen Ruf aufgebaut (und eine noch größere Saatgutsammlung). Da verabschiedete er sich vom Leben als Akademiker und übernahm die Leitung des Allunionsinstituts für angewandte Botanik in Leningrad. Mit Hilfe von Staatsgeldern konnte Wawilow ein ganzes Team von Wissenschaftlern zusammenstellen, die ihn bei seiner Arbeit unterstützten und sein Anliegen vorantrieben. Als Wawilow in das Institut eintrat, schrieb er: »Ich möchte daraus eine unverzichtbare Einrichtung machen, die der Allgemeinheit möglichst viel Nutzen bringt. Ich würde gern die Sortenvielfalt der ganzen Welt einfangen, [sie alle ordnen] und das Institut in eine Schatzkammer für alle Getreidesorten und sonstige Flora verwandeln.« Und wie jeder gute, auf Unendlichkeit ausgerichtete Visionär schloss er: »Wie das ausgeht, ist ungewiss. … Aber ich möchte es dennoch versuchen.«2

Doch innerhalb von zwei Jahren sollte sich alles ändern. In Josef Stalins Sowjetunion war niemand sicher, nicht einmal der hoch angesehene Wawilow. Stalin soll während seiner Regierungszeit von 1922 bis zu seinem Tod im Jahr 1953 für den Tod von über 20 Millionen seiner Landsleute verantwortlich gewesen sein. Bedauerlicherweise fand sich auch der Wissenschaftler, der sein Leben dem Anliegen gewidmet hatte, den Menschen in seinem Land zu helfen, auf der Liste der von Stalin aus politischen Gründen Verfolgten wieder. Er wurde 1940 unter dem Vorwand der Spionage verhaftet und über vierhundert brutalen Verhören unterzogen, die zum Teil 13 Stunden dauerten und darauf angelegt waren, ihn zu brechen und zu dem Geständnis zu zwingen, dass er mit Stalingegnern sympathisiere. Doch Wawilow war nicht so leicht kleinzukriegen – auch nicht unter extremen Bedingungen. Er räumte die falschen Anschuldigungen gegen sich nie ein. Tragischerweise starb der visionäre Botaniker und Pflanzengenetiker, der sich sein Leben lang dem Kampf gegen den Hunger verschrieben hatte, mit nur 55 Jahren im Gefängnis an Unterernährung.

Als Wawilow starb, wurde Leningrad bereits belagert. Mitten im Kriegsgebiet, versteckt in einem unauffälligen Bau am Isaaksplatz, lagerten die Aufzeichnungen über die gesamte Arbeit von Wawilows Team und natürlich ihre kostbare Saatgutsammlung, die inzwischen aus Hunderttausenden Pflanzensorten bestand. Abgesehen von der offensichtlichen Bedrohung durch Bombenangriffe war die Genbank auch durch eine explosive Vermehrung der Ratten in der Stadt bedroht (die hungernden Menschen hatten alle Katzen aufgegessen, die die Rattenpopulation unter normalen Umständen unter Kontrolle gehalten hätten). Als wäre das noch nicht genug, hatte Wawilows Sammlung auch das Interesse der Nazis erregt. In seiner Besessenheit von Eugenik und seiner eigenen Gesundheit war Hitler sich des Werts der Genbank bewusst, und er wollte sie für sich und für Deutschland. Das Problem: Hitler wusste zwar, dass sie existierte, aber nicht, wo sie sich befand. Deshalb beauftragte er eine Spezialeinheit damit, sie zu finden.

Trotz aller Gefahren und der unmenschlichen Bedingungen, unter denen alle Einwohner Leningrads lebten, setzte Wawilows Team seine Arbeit während der Belagerung fort. So wagten sich die Botaniker beispielsweise mitten im Winter hinaus, um auf einem Feld in Frontnähe heimlich Kartoffeln anzupflanzen. Es gelang ihnen, Teile ihrer Arbeit aus der Stadt zu schmuggeln. Alles Übrige hielten sie wachsam unter Verschluss. Die Wissenschaftler nahmen so viel Anteil an Wawilows Vision, dass sie bereit waren, die Saatgutbank um jeden Preis zu schützen – selbst wenn es sie das Leben kosten sollte. Umgeben von Hunderttausenden Samen und Tonnen von Kartoffeln, Reiskörnern, Nüssen, Getreide und anderen Nutzpflanzen, die sie zu essen sich weigerten, verhungerten neun der Wissenschaftler.

Von Wawilow ist folgendes Zitat im Zusammenhang mit seinem Anliegen überliefert: »Und wenn sie uns auf dem Scheiterhaufen verbrennen – wir halten an unseren Überzeugungen fest.«3 Und alle, die er für seine Sache gewinnen konnte, nahmen Wawilows Worte sehr ernst und lebten danach. Wadim Lechnowitsch, einer der Überlebenden, der geholfen hatte, die Saatkartoffeln auszubringen, und sie bewacht hatte, während ihm die Kugeln um die Ohren flogen, wurde später gefragt, warum sie denn angesichts des Überflusses nichts davon gegessen hätten: »Es fiel uns schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wir schafften es kaum, jeden Morgen aufzustehen und unsere Hände und Füße zu bewegen, doch es war überhaupt nicht schwer, uns zurückzuhalten und unsere Sammlung nicht aufzuessen. Sie zu essen, war für uns undenkbar. Schließlich ging es um unser Lebenswerk und um das Leben unserer Kameraden.«4

Die Forscher, die Wawilows Arbeit während der Belagerung weiterführten, waren Teil von etwas Größerem. Die gerechte Sache, eine »Mission für die ganze Menschheit«, wie es Wawilow formuliert hatte, gab ihrer Arbeit und ihrem Leben einen Sinn und eine Bedeutung, die weit über das Persönliche oder über die ausgesprochen realen Probleme zur Zeit der Belagerung hinausgingen. Selbst satt zu werden oder die vielen hungernden Einwohner der Stadt zu ernähren, wäre eine endliche Lösung für ein endliches Problem gewesen. Sie hätten sicherlich manchen, die womöglich trotzdem gestorben wären, das Leben verlängern oder anderen das Leben retten können, doch Wawilows Team blickte über den unmittelbaren Horizont hinaus. Seine Leute dachten nicht an die paar Menschen, die sie in Leningrad retten konnten, sondern an eine Zukunft, in der ihre Arbeit vielleicht ganze Zivilisationen retten könnte. Sie widmeten sich nicht der Aufgabe, durchzuhalten, bis die Belagerung vorüber war, sondern wollten die menschliche Rasse so lange wie möglich erhalten.

Eine gerechte Sache – was ist das?


Howards Little-League-Mannschaft war eine der schlechtesten, wenn nicht gar die schlechteste der Liga. Am Ende jedes verlorenen Spiels sagte der Trainer zu den Spielern: »Es kommt nicht darauf an, wer gewinnt oder verliert, sondern darauf, wie wir gespielt haben.« Da meldete sich der kleine Howard vorlaut zu Wort und fragte: »Wieso zählen wir dann überhaupt die Punkte?«

In einem endlichen Spiel geht es um den Sieg. Selbst wenn wir in der Hoffnung antreten, gut zu spielen und Spaß zu haben, spielen wir nicht, um zu verlieren. In einem unendlichen Spiel ist die Motivation eine ganz andere: Ziel ist nicht zu gewinnen, sondern im Spiel zu bleiben. Es geht darum, etwas voranzubringen, das größer ist als wir selbst oder unsere Organisationen. Und jede Führungskraft, die im unendlichen Spiel an der Spitze mitmischen möchte, muss ein eindeutiges würdiges Anliegen haben.

Eine gerechte Sache ist eine konkrete Vision einer Zukunft, die noch nicht...

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