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Titelverteidiger

Wie die deutsche Industrie ihre Spitzenposition auch im digitalen Zeitalter sichert

AutorFrank Riemensperger, Svenja Falk
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783962670795
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Die Digitalisierung stellt Deutschlands Unternehmen vor massive Herausforderungen: Plattformökonomie, Künstliche Intelligenz, smarte Produkte, Big Data, Blockchain und vieles mehr. Frank Riemensperger und Svenja Falk analysieren den Industriestandort Deutschland im digitalen Zeitalter und zeigen anhand vieler Beispiele und aktueller Studien: mit Mut, technologischer Intelligenz, Fokussierung und radikal neuen digitalen Wertschöpfungs- und Geschäftsmodellen können deutsche Firmen auch künftig erfolgreich sein. Die Autoren entwickeln mit Titelverteidiger nichts weniger als eine Vision für den Digitalstandort Deutschland und seine Unternehmen.

Frank Riemensperger ist der Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture für die Ländergruppe Deutschland, Österreich und der Schweiz und Experte für Digitalisierung und komplexe IT-gestützte Business Transformation. Er sitzt im Senat der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech und im Präsidium des It-Branchenverbandes BITKOM sowie des Bundesverbandes des IT-Anwender VOICE. Svenja Falk ist Managing Director bei Accenture im Geschäftsbereich Health & Public Service weltweit und Mitglied im Vorstand der Accenture-Stiftung. Sie ist Expertin für digitale Geschäftsmodelle, Zukunft der Arbeit und Trends im öffentlichen Sektor und eine gefragte Referentin zu den Themen Digitalisierung und Innovation.

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Leseprobe

KAPITEL 1


Götterdämmerung: Ist das Wachstum der deutschen Wirtschaft am Ende?


»Nur kleine Kinder hätten sich träumen lassen, dass so ein magisches Fenster jemals real sein könnte.« Kevin Kelly, der Gründer des Technologiemagazins Wired und Visionär des digitalen Zeitalters, hat die Entwicklung des Internets von seinen ersten Anfängen an verfolgt und beschreibt es als eine Art Märchen, das wahr geworden sei. Vor seiner Erfindung habe man so etwas für einfach unmöglich gehalten – etwa Satellitenbilder der ganzen Erde, die man sich auf dem Handy ansehen kann: »Und wenn ich behauptet hätte, all dies käme kostenlos, hätte man einfach gesagt – du träumst ...«.1

Der erste Computer von Konrad Zuse konnte sich gerade mal 64 Worte merken und war so groß wie ein Wandschrank. 77 Jahre später, 2018, präsentiert IBM den Prototyp eines winzigen Rechners, der nicht größer ist als ein Salzkorn und nicht einmal 10 Cent kosten wird. Er soll als Sensor zum Teil des »Internets der Dinge« werden, in dem bereits weltweit bis 2030 125 Milliarden Geräte miteinander vernetzt sind und Daten generieren. Das gesamte globale Datenvolumen wird 2025 bereits über 160 Zettabytes erreichen, schätzen die Experten des US-amerikanischen Technologieanalysten IDC2 – eine unvorstellbar große Zahl und Dynamik der Aggregation, die nur von Künstlicher Intelligenz sinnvoll strukturiert und analysiert werden kann. Schon 1991 zwangen die wachsenden Datenströme die Pariser Generalkonferenz für Maße und Gewichte, eine neue Maßeinheit zu definieren: Seither gibt es das Yottabyte für 10hoch24 – oder auch eine Septillion – an Bytes.

Die Transformation der Welt in einen Kosmos von Daten ist unaufhaltsam, und viele der Folgen scheinen heute unvorstellbar, aber sie werden doch Wirklichkeit werden. Daten sind der neue globale Rohstoff, sie sind als Treiber von Wachstum und Wandel das, was das Öl im letzten Jahrhundert war, schreibt der Economist.3 Doch der Vergleich stimmt nur zum Teil, denn im Gegensatz zu den fossilen Energieträgern nimmt diese Ressource nicht ab, sondern wächst mit unfassbarem Tempo.

Wir sollten demnach gut darin werden, so auch das Fazit von Kelly, an das Unmögliche zu glauben, denn es wird Wirklichkeit. Die Dimensionen des Wandels zu beschreiben, ist eines der Ziele dieses Buches und auch, für Vertrauen in den menschlichen Gestaltungswillen zu werben, mit Mut in die Zukunft zu blicken, Ängste zu adressieren – denn zurückdrehen lassen sich die Erfindungen des digitalen Zeitalters – Computer, Internet, Miniaturisierung und Mobilkommunikation – genauso wenig wie die Erfindung des Rads. Sie drängen voran.

Deutsche Industrie am Scheideweg


Was bedeutet das für die deutsche Industrie? Wird sie ihren Spitzenplatz in der globalen Wirtschaft verteidigen können? Ihre Produkte sind gut, ihre Dienstleistungen renommiert, aber die Dynamik der globalen Veränderung ist ungeheuerlich. Alles ändert sich gerade gleichzeitig – die Produktionsweisen, die Kundennachfrage, die Wertschöpfungsketten, die Konkurrenten und Handelspartner.

Verantwortlich dafür ist die vierte industrielle Revolution – die Digitalisierung und Automatisierung, die Datenströme, die nicht zuletzt auch die Künstliche Intelligenz speisen, die wohl zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor der Zukunft wird. Wer seine Daten nicht nutzt, zur Optimierung seiner Prozesse, vor allem aber auch zur Entwicklung neuer servicebasierter Geschäftsmodelle, der wird über kurz oder lang abgehängt. Denn die Kunden erwarten völlig neue Werteversprechen.

Die deutsche Industrie hat das sehr wohl verstanden, aber sie hat nicht reagiert. Viele Unternehmen zögern noch, den Paradigmenwechsel zu vollziehen und suchen nach den passenden Strategien. Ja, es gibt eine Digitale Agenda der Bundesrepublik, und der Begriff Industrie 4.0 steht – ausgehend von Deutschland – inzwischen weltweit für die Digitalisierung der Produktion. In der Initiative Plattform Industrie 4.0 arbeiten Vertreter von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Forschung und Verwaltung gemeinsam an der wirtschaftlichen und technologischen Zukunft des Landes und in den Förderprojekten der Smart Service Welt wurde die gesamte deutsche Expertise gebündelt, um auf der Basis der Datenwirtschaft neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Aber: All das reicht leider nicht.

Deutschland schläft immer noch seinen Dornröschenschlaf im rosenumrankten Schloss seiner früheren Erfolge, während die Prinzen längst anderswo unterwegs sind. Die Einhörner, jene Start-up-Unternehmen, deren Wert von Investoren auf über eine Milliarde Dollar geschätzt wird, finden sie in den USA und zunehmend auch in China – beides Länder, die mit großen Schritten dabei sind, ihre Volkswirtschaften auf den Datenmarkt umzustellen. Vor allem China, das die Digitalisierung politisch forciert und durch Anreize zur Zentralisierung massiv unterstützt, ist bereits heute ein ernsthafter Konkurrent der vormals führenden Industriestaaten und damit auch Deutschlands geworden. China beschleunigt – unter anderem durch enorme Fortschritte auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz – die Disruption der wichtigsten Industrien. Wer jetzt nicht die Zeichen der Zeit erkennt, könnte sich in wenigen Jahren auf dem Abstellgleis der Geschichte wiederfinden, mit enormen Folgen nicht nur für die Ökonomie, sondern auch für Politik und Gesellschaft.

Trügerischer Glanz


Noch scheint es Deutschland gut zu gehen. Das Bruttoinlandsprodukt ist 2017 so stark gewachsen wie schon seit Jahren nicht mehr. Es wird gekauft statt gespart. Das Vertrauen der Deutschen in ihre Wirtschaft ist ungebrochen, Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen sich die wenigsten. Deutschlands Exporteure erlebten 2017 das vierte Rekordjahr in Folge. »Made in Germany« – resümiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung – »ist weltweit gefragt«.4

Ein Erfolg, der nicht nur Freude macht. Im Ausland wird Deutschland als übermächtiger Konkurrent wahrgenommen. Die USA, aber auch die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds, kritisieren den hohen Leistungsbilanzüberschuss, der mit einer Höhe von 7,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes deutlich über dem 6-Prozent-Schwellenwert der Europäischen Gemeinschaft liegt. Das dritte Jahr in Folge verzeichnet Deutschland den größten Überschuss weltweit. Mit umgerechnet 287 Milliarden Dollar fiel er 2017 mehr als doppelt so groß aus wie der des Exportweltmeisters China (135 Milliarden Dollar).5 2018 ist er weitergewachsen und hat fast 300 Milliarden Dollar erreicht.6 Von »Super-Exporteuren« wird gesprochen und von einer »Verzerrung«; eine mangelnde Investitionsbereitschaft wird kritisiert.

Alles nur Neid? Nicht nur die Kritik der Konkurrenten und Partner spricht dafür, dass die deutsche Führungsrolle in der Weltwirtschaft an einem kritischen Punkt angekommen ist, wo sich die Wege scheiden: Der eine, geradlinige, baut auf Tradition, Erfahrung, technische Perfektion und nicht zuletzt den guten Ruf der deutschen Industrie. Der andere führt in eine ungewisse Zukunft, in der ganz andere Dinge zählen und in der sich Deutschland erst noch beweisen muss.

Jahrzehntelang hat sich die deutsche Wirtschaft über Preis und Qualität von der Konkurrenz abgesetzt. Ihr Kosmos war eine produktzentrierte Welt mit hoch qualifizierten und zuverlässigen Produkten, vor allem Anlagen, Maschinen, Chemie und Automobile. Doch im digitalen Zeitalter verschwimmen die Grenzen zwischen physischen Produkten und der virtuellen Welt. Daten werden zum entscheidenden Teil der Wertschöpfung. Sie entstehen während der Produktion und im Betrieb vernetzter Anlagen, Maschinen und Geräte und ermöglichen neue Geschäftsmodelle. Diese beruhen auf smarten Dienstleistungen: Der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus zum Beispiel verknüpft Satelliten- mit Dronen-Informationen zu smarten Geo-Daten, die Versicherern, Stadtplanern oder Landwirten dienen.

Geschäftsmodelle wie dieses enthalten völlig neue Werteversprechen: Ihre Angebote lassen sich in hohem Maße personalisieren und in beinahe Echtzeit nutzen. Sie führen zu radikal verbesserten Ergebnissen in Qualität und Wirtschaftlichkeit. Sie liefern vereinfachten Zugang zu Services: Rolls-Royce etwa verkauft statt seinen Flugzeugturbinen deren Betrieb: »Power by the Hour«.7 Oder die spanischen Hochgeschwindigkeitszüge AVE: Sie schaffen es, durch datenbasierte Prozess- und Wartungsoptimierung zu 99,8 Prozent pünktlich zu sein.8 Das führt nicht nur zu einer Auslastung von 75 Prozent (die Fernzüge der Deutschen Bahn erreichten 2017 im Vergleich nur magere 55 Prozent)9 und macht die spanischen Reisenden zu zufriedenen Kunden, es kurbelt auch das Exportgeschäft an – denn der eigentliche Wettbewerbsfaktor ist...

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