1. Abschnitt: Relativierung zentraler Rechtsgrundsätze aus politischer Opportunität
I. Grundsätzliche Ausgangslage
In den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurden unsere Studenten mit den grundlegenden Prinzipien und Werten des Rechts wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Moral, Ethik, Treu und Glauben u.a.m. vorab durch die bekannten Rechtsgelehrten GIACOMETTI, KÄGI und NÄF sowie OFTINGER vertraut gemacht. Die Prinzipientreue prägte das rechtliche Gewissen und die Rechtsanwendung in all ihren Ausdrucksformen, bewegte sich strikt und ohne Ansehen der Person innerhalb der eng gezogenen Grenzen normativer Auslegung. Die Stringenz solcher Erfordernisse ist im Lauf der Zeit mehr und mehr als überflüssiger Ballast über Bord geworfen worden. In unserer Zeit erachtet man solche Denkstrukturen weitgehend als verzichtbaren Luxus. Was zählt, sind facts and figures, praktische Argumente, direkte Ansprache und schematisierte Entscheide. Was theoretisch anmutet, wird von einer sich dynamischen Regeln verpflichtet fühlenden jungen Garde als moralisierend und daher wenig aussagekräftig abgelehnt, gewissermassen als Relikt aus tiefster Vergangenheit. Es ist dies eine Attitüde, die der europäische Nachahmer des «American way of life» zusehends übernimmt. Im wesentlichen führt dies auf das Tempo zurück, das uns der wirtschaftliche und informationsbezogene Wettbewerb aufdrängt. An dieser Schnittstelle beginnt das Problem: Es gibt nicht nur im individuellen menschlichen Leben, sondern auch in Gesellschaft und Staat Problemkomplexe, die sich mit modernen Mitteln nicht befriedigend bereinigen lassen. Eine Problemlösung verlangt gerade mit Bezug auf die für das Kollektiv oft von grösster Tragweite verbundenen Entscheide nicht nur eine punktuelle Prüfung, sondern vielmehr eine umfassende Auseinandersetzung mit den anwendbaren Normen. Stets muss dies aber mit Blick auf das Ganze, eine strukturelle wie anderweitige Zusammenhänge und Auswirkungen miteinschliessende Analyse unter Beizug auch der fundamentalen Grundsätze unseres Rechts geschehen[15]. Es geht dann aber auch darum, die normativen Begriffe nicht einem Interpretationswettbewerb auszusetzen. Die dem Menschen normalerweise immanenten oder zumindest von ihm erworbenen Fähigkeiten, zu differenzieren, grössere Zusammenhänge zu durchschauen und die Folgen einer Entscheidung abzuschätzen, sind durchaus abrufbar. Die Überlebensstrategie im Erwerbsleben verlangt, dass wir nicht nur zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden können. Es geht vielmehr darum, dass wir nicht den inneren Massstab verlieren, der uns je nach Materie signalisiert, ob sich eine Problemsituation anhand konkreter Entscheidungskriterien lösen lässt oder ob bereits der Erkenntnisprozess Berücksichtigung von grundsatzabhängigen Überlegungen verlangt.
II. Schleichender Ideologiewandel
Bekanntlich haben die Menschen schon früh erkannt, dass ein erträgliches Zusammenleben Organisationssysteme voraussetzt[16]. Seit Hammurabi[17] hat die Reglementierungsfreude stets zugenommen und sich zu einer eigentlichen Sucht entwickelt[18]. Die Gefahr liegt dabei in der Verdrängung der Qualität durch die Quantität. Das Recht hat auf diesem Weg mehr und mehr den Zauber einer ideologieverhafteten, von Grundprinzipien[19] durchwirkten Ordnung – ohne entbehrlichen Ballast – verloren. Die Konsequenz besteht in einer fast unendlichen Anzahl von Detailanordnungen, deren Anwendung roboterartiges Subsumieren fordert. Ein solcher Automatismus dispensiert den Rechtsanwender vom differenzierten Gebrauch aller rechtlichen Instrumentarien. Nur die von der Überzeugung einer gerechtigkeitsfokussierten Erfassung aller fallbezogenen erkenntnisrelevanten Fakten unter das System des Ineinandergreifens der verschiedensten für eine Entscheidung notwendigen speziellen wie auch allgemeinen Normen des Rechts mit regulierender Grundsatzausrichtung wird das Ziel einer gerechtigkeitskonformen Konfliktslösung erreichen. In einem Werk über «Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat» von Bundesratspräsident i.R., Uni. Prof. em. Dr. Dr. mult. Herbert SCHAMBECK[20] finden sich analoge Wertungen und Befürchtungen, wörtlich: «Die Grundrechte sind Ausdruck des Strebens des Menschen nach Rechtssicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Ein Streben, das auch mit dem Anwachsen der Gesetzesflut unserer Tage nicht ab-, sondern zugenommen hat, da der Einzelne sich nur selten in der Rechtsordnung seines Staates auskennt und kaum mehr den Ausgang eines Rechtsstreites berechnen kann. Dies wird begleitet von einem immer mehr schwindenden Vertrauen in die Gesetzgeber, deren Kompetenzen ständig anwachsen, weil ihnen eben Aufgaben im Dienste des Rechts- und Machtzweckes auch solche der Kultur- und Wohlfahrt übertragen werden. Der Staat ist ja heute nicht allein für die Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit, sondern auch für kulturellen Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit zuständig; Aufgaben, zu deren Erfüllung er nicht nur in der Hoheitsverwaltung, sondern auch als Träger von Privatrechten, sei es unternehmensführend, auftragvergebend oder subventionsverwaltend, tätig wird». Der damit kurz skizzierte, in Erinnerung gerufene Zustand trägt als Sekundärfolge der Regelungsdichte mit seinem Überforderungscharakter zur Desorientierung weiter Bevölkerungsschichten bei. Eine gesamtheitliche Wertung dieses Phänomens offenbart, dass insbesondere der Informationsbereich darunter leidet: Die Überproduktion von Normen führt nicht selten zu Informationspannen im primären Anwendungsbereich: Wie soll der Bürger, insbesondere im KMU-Bereich, eigenverantwortliche Entscheide treffen, wenn ihm die verwirrende Anzahl von Vorschriften, die sein Leben und Wirken reglementieren, unbekannt ist, zu Normkonflikten führt und er so Gefahr läuft, gesetzgeberische Anordnungen zu verletzen?
Die totale Reglementierung unseres privaten wie auch beruflichen Lebens und die damit verbundene überbordende Tendenz, den Lebensraum der Rechtsunterworfenen umfassend zu kontrollieren und letztlich auch zu bestimmen, bringt zwangsläufig eine Umformung der Rechtsanwendung mit sich: Durch die Marginalisierung unserer Grundsätze und Werte des Rechts ist der Subsumtionsvorgang in Gefahr, zum rein «mathematischen» Experiment degradiert zu werden. Es fehlt zunehmend die Durchwirkung mit den regulierenden Grundsätzen der Normdeutung. Gewiss, man wollte über den Weg einer möglichst umfassenden Regulierungsdichte alle nur erdenklich möglichen Konstellationen erfassen. Das Leben ist aber zu komplex, um durch allzu viele kasuistische gesetzgeberische Anstrengungen eine direkt ablesbare Lösung zu finden. Lebens- und Verhaltensmuster sind unlimitierbar. Daher muss man sich im Bereich der Normenproduktion nach dem Grundsatz richten «weniger ist mehr». Generalklauseln, die interpretationsfreie Räume schaffen, bergen zwar auch verschiedene Gefahren von Fehlinterpretationen. Sie lassen sich aber durch Mitberücksichtigung der bekannten allgemeingültigen Prinzipien des Rechts unter Kontrolle halten.
2. Abschnitt: Information als bestimmendes Element der Meinungsbildung
I. Stellenwert der Information im Koordinatensystem zwischenmenschlicher Kontakte
Wer von «Information» spricht, betritt – so scheint es – die Arena der Banalitäten: Es ist dies ein Wort, dem man in allen Sprachkulturen primitivster wie elitärster Stufe, an allen Orten dieser Welt, in den verschiedensten Gruppierungen und Konstellationen begegnet. Ein jeder kann sich darunter etwas vorstellen. Nur wenn es darum geht, ihre begrifflichen Konturen nachzuzeichnen, ihre Bedeutung im Bereich menschlicher Beziehungen festzulegen, sich mit ihren Vorteilen wie Nachteilen vertraut zu machen, die Gefahren zu erkennen und gegen Auswüchse etwas zu unternehmen, herrscht zumeist Schweigen. Das mehr intuitive Erfassen führt nämlich über individuelle Erlebnisinhalte, über persönlichkeitsgebundene Erkenntnisquellen und einem dem ureigensten Erkenntnispotential angepassten geistigen Erstfassungsvermögen. Daraus resultiert zwangsläufig eine variable Auffassung über das Phänomen «Information» und damit auch zu deren multifunktionalem Einsatz.
Unser Zeitalter ist beherrscht von Technik und Industrie, Handel und Wirtschaft sowie elektronischer Datenverarbeitung, welche in die «Digitalisierung» mündet. Sie bemächtigen sich unserer Lebensweise mehr und mehr. Es erweist sich daher als unumgänglich, ausser den biologisch-physikalischen auch die individual- und sozialpsychologischen Umweltprobleme zu bewältigen. Sie entstehen im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung: Der Prozess der Sozialisation des Menschen ist untrennbar mit dessen engerer und entfernterer Umwelt verknüpft. Sie gibt ihm nicht nur den Rahmen, sondern auch das spezifische Gepräge. Menschsein bedeutet Angeschlossensein am sozialen Kreislauf, Teilnahme am Umweltgeschehen, Kommunikation. Von einem bestimmten Niveau an funktioniert das alles nur durch das Mittel der Sprache. Information ist das Zauberwort, welches qualitativ und quantitativ den eigenen Stellenwert im Koordinatensystem mitmenschlicher Kontakte ausmacht; bestimmt sie doch wesentlich Erziehungs- wie Bildungsprogramm und damit indirekt auch die Formung der Persönlichkeit. Diese wenigen Hinweise wollen an die zentrale Bedeutung der...