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E-Book

Der Bankräuber & Shannon

AutorDamaris Kofmehl
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl528 Seiten
ISBN9783775174480
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Zwei Geschichten, zwei Kriminelle. Beide kämpfen um Anerkennung - alles ist erlaubt! Shannon mit der Straßengang in den USA. Der Flüchtlingsjunge Farzad als Bankräuber in Deutschland. Gott trifft beide am absoluten Tiefpunkt, sehr individuell, mit weitreichenden Folgen... Der Bankräuber: 16. September 1998: Ein maskierter Mann stürmt die Sparkasse in Bad Grönenbach und erbeutet 50 000 D-Mark. Der Täter ist Iraner und gerade mal 18 Jahre alt. Mit 14 klaut er sich seine erste Waffe. Es folgen Schießereien mit der Polizei, ein Banküberfall und schließlich der Knast. Doch dann wagt Farzad die Flucht aus einem Gefangenentransport ... Shannon - Ein wildes Leben: Shannon, Straßenmädchen und Anführerin einer kriminellen Gang in Cleveland (USA), lebt ein Leben jenseits aller Vorstellungen. Das Gesetz der Straße ist ihr täglicher Begleiter. Diebstähle und Drogenkonsum sind ihr Alltag. Brutale Straßenschlachten und Tötungsdelikte wechseln sich im Minutentakt ab. Es kommt zum Showdown. Die Polizei und die Gefängniszelle sollen Shannon schließlich in die Knie zwingen.

Damaris Kofmehl ist Bestseller-Autorin und erzählt wahre Begebenheiten als True-Life-Thriller, Fantasy und Biografien. Ihre Buchrecherchen führten sie unter anderem nach Brasilien, Pakistan, Guatemala, Chile, Peru, Australien und in die USA. Sie lebte lange unter Straßenkindern in Brasilien und heute wieder in ihrem Heimatland, der Schweiz. www.damariskofmehl.ch

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Leseprobe

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

4    HALABJA


Nicht lange nach Rashnos überraschender Rückkehr von den Toten wurde er auch schon wieder eingezogen, diesmal in das irakisch-kurdische Dorf Halabja. Und mit dieser Versetzung kam ein Stein ins Rollen, der mein Schicksal und das Schicksal von uns allen auf wundersame, wenn auch tragische Weise mit Deutschland verknüpfte – einem Land, das zu diesem Zeitpunkt niemand von uns kannte.

Es geschah im März 1988, einen Monat nach meinem achten Geburtstag. Obwohl meine beiden ältesten Brüder bereits ihre Pflicht für diesen sinnlosen Krieg erfüllten, blieb mein jüngster Bruder Milad, der damals 16 Jahr alt war, auch nicht verschont vom langen Arm der blutrünstigen Turbanträger. Eines Tages kam er von der Schule nach Hause und erklärte, sich stolz in die Brust werfend, er hätte sich freiwillig für den Kampfeinsatz an der Front gemeldet. Für diesen Satz kassierte er gleich eine Ohrfeige von Nasrin, gefolgt von Mamas Begründung: »Ich werde dich eher eigenhändig im Garten unseres Hauses begraben, als monate-, vielleicht sogar jahrelang voller Sehnsucht auf ein Lebenszeichen von dir zu warten, während deine zerfetzte Leiche irgendwo auf einem Minenfeld längst von Aasgeiern aufgefressen wurde!«

Doch die Gehirnwäsche, der Milad unterzogen worden war, hatte ganze Arbeit geleistet. Er war nicht von seiner sturen Entschlossenheit abzubringen. Schließlich griff mein Vater drastisch ein. Er verbot Milad jeglichen Religionsunterricht und sonstige Aktivitäten, die mit Krieg zu tun hatten, und verkündete dem Schuldirektor unmissverständlich: »Zwei Söhne habe ich diesem Land überlassen. Nehmen Sie mir meine zwei jüngsten nicht auch noch weg, oder bei Gott, ich werde Sie eigenhändig hier an Ort und Stelle erwürgen!«

Milads junges Leben war damit außer Gefahr. Doch das Leben meines Bruders Rashno war noch immer Spielball des Krieges, und die Lage spitzte sich gefährlich zu. Bis zu jenem furchtbaren Tag, der als einer der düstersten Tage in die Geschichte des ersten Golfkrieges eingehen sollte: der 16. März 1988.

An diesem Tag, in den frühen Morgenstunden, wurde die irakische Kleinstadt Halabja von der eigenen Luftwaffe mit Senfgas bombardiert. Das tödliche Gift war ein Kampfgas, das mit deutscher Hilfe in irakischen Chemiefabriken hergestellt worden war. Der Vizepräsident des Irak nannte es offiziell »Gift zur Vernichtung von Persern, Juden und anderen Insekten«. Und das irakische Regime scheute sich nicht einmal davor, das Gift gegen seine eigene Bevölkerung einzusetzen. Über 10 000 Menschen wurden lebensgefährlich verletzt, 5 000 von ihnen starben eines qualvollen Todes. Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder erstickten vor ihren Haustüren, in den Schulen und auf den Feldern.

Viele iranische Soldaten hielten die Bomben für Fehlzündungen und rannten auf sie zu. Als sie die aufsteigende Rauchwolke bemerkten, war es bereits zu spät. Rashno erkannte schon von Weitem, wie seine Kameraden sofort zu ihren Gasmasken griffen. Auch er setzte sich eilends seine Maske auf. Doch der Wind hatte den stillen Tod bereits zu seinen Nasenflügeln getragen. Er hatte keine Chance, dem Gift zu entkommen.

Zur selben Zeit, ohne zu wissen, dass unser eigener Bruder Opfer dieses fürchterlichen Giftgasangriffes geworden war, erhielt Nasrin von ihrer Redaktion den Auftrag, mit einem Militärhubschrauber in das Berggebiet zu fliegen, um für die Zeitung die brisantesten Fotos des Massakers einzufangen. Sie hatte als Reporterin eine erstaunliche Karriere hingelegt, durfte über die explosivsten Themen schreiben und hatte sogar ihre eigene Assistentin sowie einen eigenen Fotografen. Doch das schockierende Szenario, das sich ihr in Halabja bot, sprengte jegliche Vorstellungskraft. Wieder zurück in Teheran wurden sie und ihr Team ins Büro des Chefredakteurs zitiert, wo ihnen mitgeteilt wurde, der iranische Geheimdienst hätte sich eingeschaltet und ihnen verboten, die Bilder zu veröffentlichen. Man befürchtete, sie würden den Kampfgeist der Truppen sowie der Bevölkerung brechen.

Als meine Schwester zu Hause erzählte, was sie dort in den Bergen mit eigenen Augen gesehen hatte, bestand Barzin darauf, die zensierten Fotos sehen zu dürfen. Obwohl es Nasrin Kopf und Kragen kosten konnte, wenn sie dabei erwischt würde, schmuggelte sie die Fotos unter ihrem schwarzen Mantel aus der Agentur, um die Neugier Barzins zu befriedigen. Natürlich wollten auch meine Eltern die Fotos sehen, wandten aber nach den ersten Bildern angewidert ihre Blicke davon ab.

Barzin blätterte hingegen fasziniert durch den gesamten Fotoordner hindurch und beschloss unverzüglich, dass Daria, Shirin und ich uns die Bilder unter keinen Umständen ansehen durften. Doch zu spät. Ich hatte bereits einen Blick von der grausigen Realität erhascht, und die Bilder brannten sich tief in meine kindliche Seele ein. Das Bild von toten Kindern in meinem Alter, die mit weit aufgerissenen Augen im ganzen Klassenzimmer verteilt auf dem Boden lagen, werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen. Ein Bild zeigte eine etwa vierzigjährige Bäuerin, die dabei war, ihrem Säugling die Brust zu geben.

An diesem Abend, als ich in meinem Bett lag und das Kopfkissen vollheulte, weil ich von diesen abscheulichen Bildern verfolgt wurde, begriff ich zum ersten Mal das Grauen des Krieges in seinem ganzen furchterregenden Ausmaß. Ständig sah ich das Gesicht meiner Mutter anstelle der Bäuerin, und es kam mir vor, als wäre meine Mutter gestorben.

Was keiner von uns wusste, war, dass zum selben Zeitpunkt, wie meine Schwester in das Krisengebiet hineingeflogen, mein Bruder herausgeflogen wurde. Die anrückende Armee, die ihn gefunden hatte, hatte ihn zuerst für tot gehalten, bis einer seinen Puls fühlte und merkte, dass er noch lebte. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, in dem er nach einigen Tagen mit einer Amnesie und Wahnvorstellungen aus dem Koma erwachte. Nicht einmal an seinen Namen konnte er sich erinnern. Man fand seine Personalien anhand seiner Soldatenmarke heraus. Und so setzte man ihn einige Zeit später einfach vor unserer Haustür ab.

Obwohl er nicht wusste, wer er war, noch, was er vor dieser Villa tat, klingelte er an der Tür. Meine Mutter öffnete und war ziemlich überrascht, als Rashno vor ihr stand. Es war nicht seine Art, unangemeldet nach Hause zu kommen. Normalerweise kündigte er seinen Heimaturlaub vorher schriftlich an. Meine Mutter umarmte ihn und wunderte sich darüber, dass er sie nicht zurückumarmte. Dann führte sie ihn, wie es bei Iranern üblich ist, an der Hand ins Wohnzimmer und begab sich gleich in die Küche, um etwas für ihn zu kochen.

»Warum hast du uns denn nicht geschrieben, dass du vom Krieg heimkehrst?«, rief sie ihm beim Zerhacken von Zwiebeln und Fleisch zu.

»Welcher Krieg denn?«, fragte Rashno teilnahmslos zurück.

»Lass die Scherze, Rashno, und erzähl!«

Doch nach und nach merkte meine Mutter, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Als ich ein paar Stunden später von der Schule nach Hause kam, fand ich meine Geschwister Daria, Shirin und Milad im Garten vor, wie sie eifrig miteinander tuschelten. Sofort ließ ich meine Schultasche in einer Ecke stehen und gesellte mich zu ihnen. Milad und Daria spielten mit dem Wasserschlauch herum und begossen unter der drückenden Hitze die Rosen im Garten. Das Wasser auf dem bunten italienischen Marmor unseres Gartens löste sich bei der 50 Grad heißen Lufttemperatur augenblicklich in Dampf auf.

»Warum tuschelt ihr so?«, fragte ich. Daria und Milad drucksten herum und wollten nicht damit herausrücken. Nur Shirin plapperte gleich heraus: »Rashno ist nach Hause gekommen.«

»Wirklich?«, sagte ich erfreut. »Und weswegen macht ihr so ein großes Geheimnis daraus?«

»Er hat den Verstand verloren«, erklärte Shirin mit nicht allzu ernster Miene. »Er ist nicht mehr normal.«

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. »Ihr wollt mich nur auf den Arm nehmen«, sagte ich ungläubig.

»Es stimmt wirklich«, bestätigte Daria. »Geh und sieh selbst, wenn du uns nicht glaubst.«

Und das tat ich. Ich ließ die drei stehen, packte meine Schultasche und ging ins Haus, wo ich meine Mutter weinend in der Küche vorfand.

»Mama, warum weinst du denn?«, fragte ich sie.

»Ach, es ist nichts«, gab sie mir zur Antwort, während sie sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht wischte. »In einer halben Stunde ist das Essen fertig.«

Ich ging ins Wohnzimmer. Und da sah ich ihn. Mein geliebter Bruder Rashno war tatsächlich vom Krieg zurückgekehrt. Er saß auf dem Sofa und blickte mich mit einem Ausdruck des Erstaunens an. Ich freute mich riesig, ihn zu sehen. Im Gegensatz zu Barzin hatte Rashno mich nie gefoltert oder sonst schlecht behandelt. Alle meine Erinnerungen mit ihm waren wunderschön, die Zoobesuche, das Füttern der Fische in unserem Aquarium. Er hatte mir nie etwas zuleide getan, und ich liebte ihn. Stürmisch rannte ich auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.

»Rashno! Du bist wieder da!«

Anstatt meine Euphorie zu teilen, blieb Rashno jedoch apathisch sitzen und starrte mich an, als wäre ich eine ihm völlig fremde Person.

»Was ist los mit dir?«, fragte ich ihn verwundert. »Freust du dich etwa nicht?«

Mama kam eben mit einem Serviertablett und Tee in der Hand ins Wohnzimmer und sagte zu mir: »Geh und ruf die anderen zum Essen.« Während ich aus dem Raum hüpfte, hörte ich noch, wie meine Mutter zu Rashno sagte: »Das war dein jüngster Bruder Farzad.«

Langsam kapierte ich, dass wirklich etwas Merkwürdiges mit ihm geschehen war. Wie konnte es sein,...

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