DIE REISE BEGINNT ….
EIN GASTBEITRAG VON IRIS PFAFF
Die Zimmer sind richtig toll und hübsch renoviert: Naturfarben und Naturmaterialien wie Holz und Stein beherrschen den Raum, das Logo der Familie findet sich an den Stirnseiten des Bettes und die Größe „meines“ Zimmer ist auch überzeugend, 35 m2. Auch ich, der Rucksack, bin gut im Raum positioniert:, an der Wand angebracht mit Blick in den Raum.
Ich bin ein Hübscher: Hellbraun, aus Leinen, ein großes Innenfach und außen verzieren zwei Taschen mit braunen Schnallen das Ganze. Diese Schnallen müssen aber nicht geöffnet werden, sie sind mit einem Magnetverschluss ausgestattet und ermöglichen so ein schnelles Öffnen und Verschließen. Der absolute Hingucker und auch mein absolutes Highlight ist der Sticker mit dem Logo des Hotels „Autentic Adler“, der ebenfalls in Naturfarben kreiert ist.
Oh, jetzt geht die Tür auf. Neue Gäste kommen. Ausrufe der Freude, des Staunens, der Begeisterung. Es scheint ihnen hier in meinem Zimmer zu gefallen. Sie fotografieren. Und jetzt bin ich sogar dran. Gern würde ich mich noch richtig in Pose bringen, aber das geht hier alles ganz schnell. Zack, Bild ist gemacht. Hoffentlich bin ich gut getroffen?!
Jetzt wird scheinbar ausgepackt. Ein geschäftiges Hin und Her beginnt, Bügel klappern, Schranktüren werden geöffnet, Schubkästen herausgezogen. Unaufgeregt und routiniert läuft alles ab. Dann Ruhe. Irgendwann kommen sie wieder und man hört so die Dinge, die vor dem Schlafengehen üblich sind: Toilettenspülung läuft, Wasserhähne sprudeln, das Wasser gurgelt im Mund, die Zähne werden geputzt und man hört förmlich den Schaum quellen.
Der nächste Tag mit meinen neuen Gästen ist unspektakulär. Sie gehen nach dem Frühstück, kommen am Nachmittag zurück, genießen anschließend die breit gefächerte Saunalandschaft im Hotel und gehen dann zum Abendessen.
Aber dann, am dritten Tag, soll mein erster großer Auftritt bevorstehen: Sie wollen mich mitnehmen auf ihre Tour. Ich bin aufgeregt und Fragen quälen mich. Wo wird es hingehen? Spielt das Wetter auch mit? Nass möchte ich nämlich nicht werden. Passen all die Dinge, die sie mitnehmen wollen, auch in mein Innerstes?
Behutsam nehmen sie mich von der Wand, begutachten mich von allen Seiten. Nicht nur mit den Augen. Anfassen, fühlen – das scheint wichtig zu sein. Schwupps wird eine Flasche Mineralwasser, die Geldbörse und Taschentücher in meinem Innern untergebracht. Probetragen. Wohlwollende Worte des Lobes ertönen bezüglich des Tragekomforts. Los geht’s. Vorsichtig werde ich auf der Rückbank des Autos abgelegt. Zum Glück, denn in dem dunklen Kofferraum soll meine erste Ausfahrt nicht beginnen. Die beiden Gestalten meinen es gut mit mir, als würden sie meine Befürchtungen kennen. Sie gefallen mir. Die Fahrt dauert nicht lange. Auf dem Parkplatz kommt noch der Autoschlüssel in meine Seitentasche. Dann werde ich auf dem Rücken der Frau gut positioniert und ruhigen Schrittes beginnt die Tour. Der Pragser Wildsee ist das Ziel, auch als „Perle der Dolomiten“ bezeichnet. Alles an diesem Tag ist bestens: Die Sonne scheint, ringsum die Leute wirken alle entspannt, keine störende Betriebsamkeit. Wir begegnen aktiven Wanderern mit Nording Walking- oder Wanderstöcken, Familien, teilweise sogar mit Kinderwagen, ach, was sag ich: alle Altersklassen sind unterwegs mit unterschiedlichen „Ausrüstungen“.
Meine beiden jetzigen „Gasteltern“ bleiben staunend stehen – ein erster Blick auf den See. Begeisterung pur. Grandios, der atemberaubend in verschiedenen Farben schimmernde See, im Hintergrund das Bergpanorama, eine Holzhütte, in dem See erste Bootsfahrer, einfach eine Postkartenidylle. Jetzt spiel ich auch eine Rolle. Meine „Gastmama“ positioniert sich mit Blick auf den See und der „Gastpapa“ fotografiert. Natürlich, der See und das Panorama sollen verewigt werden, aber es geht auch um mich. Ja, ich soll unbedingt im Vordergrund stehen. So ein schönes Gefühl.
Meine „Gasteltern“ entscheiden sich bei dem Rundweg für die Variante „im Uhrzeigersinn“. Sie bleiben immer wieder stehen, staunen, entdecken immer wieder neue Blickwinkel auf den Ruhe vermittelnden See, der mal blau oder grün schimmert oder das Bergpanorama und Bäume widerspiegelt. Die „Gastmama“ fotografiert.
Wir erreichen das gegenüberliegende Ufer des Sees, vom Startpunkt aus gesehen. Es ist eben, eine breite Fläche wird von Steine gesäumt. Es scheint ein Ort des Verweilens, der Ruhe, des Spielens zu sein. Meine „Gastmama“ lässt sich auf einem großen Stein nieder, mein „Gastpapa“ interessiert sich für die vielen bunten Gesteine, die hier verstreut liegen. Kinder spielen, werfen Steine ins Wasser, berühren zaghaft mit den Füßen das Wasser, ziehen sie zurück oder gehen mutig hinein. Für einige ist es der Ort für eine kleine Stärkung. Brote werden ausgewickelt, die Wasserflasche rundum gereicht, Obst verteilt und alles geschieht in Ruhe und Gelassenheit.
Jetzt geht es wohl weiter, denn ich werde von dem Stein runtergesetzt. Nichts passiert erstmal. Dann werde ich leicht verrückt, etwas seitlich von dem großen Stein, auf dem wir eben noch gesessen haben. Mit erschließt sich der Sinn anfangs nicht. Doch dann erkenne ich schnell, dass ich das Fotoobjekt schlechthin werden soll: Ich, der Rucksack vor dem Stein mit Blick auf das Bergmassiv. Der Fokus wird auf mich gerichtet, ich spüre es einfach. Ja, ich bin stolz, solch eine Ehre wird mir zuteil. Super. Mehrere Fotos werden geschossen, meine Lage und Position geringfügig verändert und Klick. Fertig. Nun geht es weiter. Wir laufen jetzt auf der schattigen Seite zurück zum Parkplatz. Auch von hie eröffnen sich imposante Blicke auf den See und rufen Erstaunen und Bewunderung bei meinen „Gasteltern“ hervor. Aber mir hat die andere Seite weitaus besser gefallen…
Oh, jetzt steht wieder Fotoshooting mit mir an. Diesmal werde ich auf einen kleinen Felsen gesetzt. Das scheint sehr passend zu sein. Aber vielleicht möchte sich meine „Gastmama“ auch nicht mehr bücken? Zack, Foto. Ich werde wieder auf den Rücken bugsiert und der Rundweg neigt sich dem Ende zu. Ein letzter Blick auf den See und für mich das Highlight schlechthin. Ich werde wieder präpariert für ein Foto, diesmal auch auf einem Felsen. Klick, Foto. Es sollte das entscheidende Foto sein. Entscheidend für einen Facebook-Eintrag und entscheidend für dieses Buch.
Langsam schlendern wir zum Parkplatz zurück.
Nächstes Ziel: Toblacher See. Mit dem Auto geht es vom Pragser Wildsee zum ca. 20 km entfernten Toblacher See. Meine „Gasteltern“ wählen wieder die „Uhrzeigersinn-Variante“. Der „Gastpapa“ scheint etwas beunruhigt. Am Himmel zeigen sich dunkle Wolken und in unregelmäßigen Abständen hört man ein eigenartiges Grollen. Gewitter? Fast ohne Halt hasten die Ausflügler um den See. Der See ist nicht so groß und meines Erachtens auch nicht so spektakulär wie der Pragser Wildsee, er wirkt aber ebenfalls idyllisch. Aber vielleicht nehmen sich meine „Gasteltern“ auch nicht genügend Zeit, um die Schönheit des Sees zu erfassen. Das Grollen kommt näher. Die Schritte werden schneller. Es bleibt kaum Zeit für ein Foto mit mir. Immer wieder richten sie die Blicke gen Himmel und aufmerksam lauschen sie dem Grollen. Doch dann lachen beide. Kein Gewitter. Autos fahren über eine Brücke die aus Holzbalken besteht. Das Überfahren verursacht ein Rumpeln, ähnlich dem Donner bei Gewitter.
Zu Hause angekommen, werde ich „entleert“ und fein säuberlich auf meinen vorgesehenen Platz aufgehangen. Ich bin so glücklich. Es war ein wunderschöner Tag: eine herrliche Landschaft, schönes Wanderwetter, nette „Gasteltern“, die mich anscheinend sehr mögen. Ansonsten hätten sie mich nicht so oft abgelichtet.
Es sollte noch besser werden. Am Abend telefoniert meine „Gastmama“ mit ihrer Tochter, berichtet von der Wandertour und von mir. Ich horche auf und werde auch ein wenig verlegen. Sie schildert mein Aussehen, die gute Qualität, den hervorragenden Tragekomfort. Oh je, ich bin ja völlig überfordert mit solchem Lob. Und wenn ich es richtig verstanden habe, soll ich gekauft und dann mitgebracht werden. Ich bin hin und her gerissen: Zum einen freue ich mich, dass ich so gelobt und deshalb begehrt bin. Aber Südtirol, das Antholzer Tal, mein Hotel „Autentic Adler“ und DEN Toni, meinen jetzigen Eigentümer verlassen? Das macht mich ein bisschen traurig.
Aber JA! Ich fahre mit nach Deutschland, nach Thüringen, ins Eichsfeld. Meine neue Besitzerin ist total überwältigt. Wahnsinn. Sie stellt sich vor: „Ich bin DIE Toni“. Ich könnte weinen. Ich hab jetzt zwar DEN Toni nicht mehr, aber dafür DIE Toni. Und ich mag sie von der ersten Sekunde an. Sie ist so jung und frisch, so authentisch, so taff, voller Power und kuschelig. Und hübsch ist sie auch – genau wie...