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E-Book

Erebus

Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See

AutorMichael Palin
Verlagmareverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783866483743
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
19. Mai 1845, Greenhithe, England: Sir John Franklin macht sich mit 134 Männern und zwei Schiffen, der 'Terror' und der 'Erebus', auf den Weg ins arktische Eis, um den letzten weißen Fleck der Nordwestpassage zu kartieren. Drei Jahre später verschwinden die Schiffe, ihr Schicksal und das ihrer Crews bleibt mehr als anderthalb Jahrhunderte lang ein Rätsel - bis 2014 vor der Nordküste Kanadas ein wahrhaftiger Schatz gefunden wird: das Wrack der HMS 'Erebus'. Michael Palin - Monty-Python-Star, Weltenbummler und begnadeter Erzähler - entfaltet in seinem lebendigen und atmosphärischen Bestseller die so glanzvolle wie tragische Geschichte der 'Erebus'; von ihrem Stapellauf über zahlreiche Fahrten auf allen Weltmeeren und die legendäre Reise in die Antarktis, die ihr und den vom Forschungsgeist getriebenen Entdeckern Ruhm brachte, bis hin zu der verhängnisvollen Expedition in die Arktis, die in einer Katastrophe endete.

Sir Michael Palin, geboren 1943 in Sheffield, war Mitglied der britischen Komikergruppe Monty Python und ist bekannt aus zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen. Er hat mehrere Reiseberichte, Romane und Tagebuchbände veröffentlicht und vielbeachtete Reisedokumentationen gedreht. Von 2009 bis 2012 war er Präsident der Royal Geographical Society, 2013 wurde er zum BAFTA Fellow ernannt, Ende 2018 von Queen Elizabeth II zum Ritter geschlagen. Er lebt in London.

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Leseprobe

Kapitel 1


MADE IN WALES


7. Juni 1826, Pembroke, Wales. Wir schreiben das sechste Jahr der Regentschaft von George IV., dem ältesten Sohn von George III. und Königin Charlotte. Er ist dreiundsechzig Jahre alt, mit einer zänkischen Frau verheiratet, pflegt einen obszön extravaganten Lebensstil und zeigt Interesse an Architektur und den schönen Künsten. Robert Jenkinson, 2. Earl of Liverpool, ein Tory, ist seit 1812 Premierminister. Die Zoological Society of London wurde soeben gegründet. Britische Forscher sind auf der ganzen Welt unterwegs, nicht nur in der Arktis. Alexander Gordon Laing erreicht im August des Jahres Timbuktu, wird aber nur einen Monat später ermordet, weil er sich weigert, dem Christentum abzuschwören. Im Norden von Wales werden derweil zwei Meisterwerke des Ingenieurwesens gefeiert: Die Menai Bridge und die Conway Bridge gehören zu den ersten Hängebrücken weltweit und werden im Abstand von wenigen Wochen eröffnet.

Am anderen Ende von Wales, an einem Meeresarm unweit der von dicken Mauern umgebenen Stadt Pembroke, versammeln sich die Menschen am Morgen dieses Junitages für eine nicht gar so ausschweifende Feier. Unter dem Beifall einer Gruppe Ingenieure, Zimmerleute, Schmiede, Büroangestellter und ihrer Familien gleitet das korpulente, ein wenig dickbäuchig geratene Kriegsschiff, das sie in den vergangenen Jahren gebaut haben, mit dem Heck voraus von der Helling der Werft von Pembroke. Als es sanft ins Wasser des Milford Haven eintaucht, jubelt die Menge auf. Es tanzt, wackelt und schüttelt sich wie ein gerade geschlüpfter Wasservogel. Der Name des Schiffes lautet Erebus.

Zwei zeitgenössische Pläne zeigen die Seitenansicht einer typischen Bombarde (oben) sowie das Orlopdeck und die Lagerräume der Erebus und ihres Schwesterschiffes Terror (unten)

Das ist kein sonderlich fröhlicher Name, aber sie war ja auch nicht gebaut worden, um Fröhlichkeit zu verbreiten, sondern um Feinde abzuschrecken, und der Name war mit einiger Überlegung gewählt. In der klassischen Mythologie galt Erebos, aus dem Chaos entstanden, als Personifikation der Finsternis und Teil der Unterwelt, eines Ortes also, der für Entwurzelung und Zerstörung stand. Der Name dieses Gottes stand Pate, um mögliche Feinde davor zu warnen, dass sie es mit einem Sendboten des Chaos und einem furchterregenden Überbringer des Höllenfeuers zu tun hatten. Die HMS Erebus – 1823 in Auftrag gegeben – war das vorletzte Exemplar eines Typs von Kriegsschiffen, der unter der Bezeichnung Bombarde bekannt wurde. Ende des 17. Jahrhunderts entstanden, diente dieser Schiffstyp zunächst den Franzosen, später auch den Engländern dazu, Küstenbefestigungen des Feindes aus schweren Mörsern unter Beschuss zu nehmen oder die Kugeln darüber hinwegzutragen und so größtmögliche Schäden anzurichten, ohne dafür Truppen an Land schicken zu müssen. Von den übrigen Schiffen dieses Typs waren zwei nach Vulkanen benannt – Hecla und Aetna –, und auch die anderen kündeten auf diese oder jene Weise von Raserei und Zerstörung: Infernal, Fury, Meteor, Sulphur und Thunder. Auch wenn sie nie so berühmt werden sollten wie manches Schlachtschiff, hat ihr letzter großer Auftritt, die Belagerung von Fort McHenry im Hafen von Baltimore während des Britisch-Amerikanischen Krieges von 1812, immerhin Eingang in die amerikanische Nationalhymne The Star-Spangled Banner gefunden. Wenn dort vom »grellen Licht im Flug explodierender Bomben« die Rede ist, dann sind damit die Geschosse der britischen Bombarden gemeint.

Die Werftarbeiter sahen mit einigem Stolz, wie die Erebus ins Wasser glitt, doch als sie endlich aus eigener Kraft schwamm und ihren Platz am Ufer des Milford Haven gefunden hatte, wusste niemand, was aus ihr werden würde. War sie ein Modell für die Zukunft, oder gehörte sie schon der Vergangenheit an?

Mit der vernichtenden Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 waren die Napoleonischen Kriege beendet, die Europa, von einer kurzen Pause nach dem Frieden von Amiens 1802 abgesehen, sechzehn Jahre lang in Atem gehalten hatten. Die Briten hatten sich in führender Rolle daran beteiligt und zum guten Schluss einen Schuldenberg von 679 Millionen Pfund angehäuft, das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Royal Navy hatte Unsummen ausgegeben, auf diese Weise aber immerhin Frankreich in die Schranken verwiesen, und herrschte nun unangefochten über die sieben Weltmeere. Damit verbunden waren auch Verpflichtungen wie die Unterbindung des Sklavenhandels, den England 1807 unter Strafe gestellt hatte, sowie die Bekämpfung der Piraterie entlang der Küste Nordafrikas. Nur in ihrem eigentlichen Aufgabengebiet, der Kriegsführung, gab es für die Navy nichts mehr zu tun. In den vier Jahren von 1814 bis 1817 sank die Zahl der Marineangehörigen von 145 000 auf 19 000 Mann. Für viele war der Einschnitt traumatisch. Zahllose unbeschäftigte Matrosen mussten sich als Bettler durchschlagen. In seinem Buch Royal Tars schildert Brian Lavery beispielhaft das Schicksal von Joseph Johnson, der mit einem Modell von Nelsons Victory auf dem Kopf durch die Straßen von London streifte, durch gleichmäßiges Nicken die Bewegungen des Schiffes in den Wellen imitierte und so ein paar Pennys verdiente. Ein arbeitsloser Matrose der Handelsmarine, der nur noch auf einem Kriegsschiff anheuern konnte, äußerte voller Verzweiflung: »Zum ersten Mal in meinem Leben empfand ich beim Anblick des monströsen Kastens, der mehrere Jahre mein Zuhause werden sollte, bodenlose Trauer.«

Wie die Zukunft der Royal Navy aussehen sollte, darüber wurde heftig gestritten. Einige begriffen das Ende der Feindseligkeiten als Chance, die Militärausgaben drastisch zu senken und den Schuldenberg abzutragen, der sich durch den Krieg angehäuft hatte. Andere meinten, dass dem Frieden nicht zu trauen war. Kaiser Napoleon schmorte auf der Insel St. Helena, doch schon einmal war ihm die Flucht aus der Verbannung gelungen, und viele zweifelten daran, dass das letzte Kapitel seiner Geschichte geschrieben war. Nach dieser Logik musste sich die Navy also für alle Eventualitäten wappnen.

Schließlich setzten sich die Kassandrarufer durch. Die Regierung stellte Geld für den Bau neuer Werften zur Verfügung, so auch für eine weitläufige Anlage in Sheerness in Kent und eine kleinere in Pembroke, Wales. In den Werftanlagen, die im Eiltempo am Ufer unweit von Milford Haven errichtet worden waren, wurde mit dem Bau von vier Kriegsschiffen begonnen: der Valorous, der Ariadne, der Arethusa und der Thetis.

Jener Teil der Werft, in dem die Erebus entstand, existiert noch heute, allerdings werden dort keine Schiffe mehr gebaut; von hier aus wird die riesige Ölraffinerie versorgt, die sich einige Kilometer flussabwärts befindet. Die Slipbahn, über die die Erebus im Sommer 1826 ins Wasser glitt, liegt heute unter einer dicken Betonschicht und gehört zu dem Anleger der Fähre, die Pembroke mit dem irischen Rosslare verbindet.

Bei meinem Besuch bekomme ich ein Gefühl dafür, wie es hier früher einmal ausgesehen haben muss. Die Anlage der Straßen, die an den wenigen, in den 1820er-Jahren für Vorarbeiter und leitende Angestellte erbauten schiefergrauen Reihenhäusern vorbeiführen, die noch erhalten sind, beeindruckt bis heute. Diese Häuser können es mit denen in der Zeit König Georges in London erbauten unbedingt aufnehmen. In einem davon lebte Thomas Roberts, seines Zeichens leitender Schiffbaumeister, der den Bau der Erebus überwachte. Er war 1815 in diese entlegene Ecke im Südwesten von Wales gekommen, als die Werft gerade einmal zwei Jahre alt war.

Die Leitung des noch jungen Unternehmens teilte sich Roberts mit seinem Stellvertreter Richard Blake und dem Finanzchef James McKain. Die Zusammenarbeit war wenig harmonisch. Edward Wright, der unter McKain als Buchhalter arbeitete, zeigte Richard Blake an, weil der ihn tätlich angegriffen habe. Dabei soll er ihm »mehrmals die Nase verdreht und mit seinem Schirm Prügel angedroht« haben. Roberts und McKain beschuldigten sich wechselseitig der Bestechlichkeit und der Unfähigkeit. 1821 hatte McKain genug und verließ Pembroke, um künftig auf der Werft in Sheerness zu arbeiten. Er wurde durch Edward Laws ersetzt. Die Atmosphäre war nicht mehr gar so vergiftet, als am 9. Januar 1823 die Nachricht eintraf, dass die Marineleitung in Anerkennung der Leistung der Werft beschlossen hatte, eine 372 Tonnen verdrängende Bombarde in Auftrag zu geben. Das Schiff nach einem Entwurf von Sir Henry Peake, einem ehemaligen Marineinspekteur, sollte den Namen Erebus tragen.

Sonderlich groß war dieses Schiff nicht, und mit knapp 32 Meter Länge war es nicht einmal halb so lang wie ein durchschnittliches Kriegsschiff. Im Vergleich mit der 2141 Tonnen verdrängenden Victory war die Erebus sogar ein kleiner Fisch. Aber robust sollte sie werden. Eher ein Arbeitsschiff denn eine ranke und elegante Jacht....

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