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Heilen aus eigener Kraft

Wie ein neues Verständnis unseres Immunsystems die Medizin revolutioniert

Autor
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641193836
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Revolutionäre Zellen: neue Erkenntnisse, wie sich die körpereigene Abwehr im Kampf gegen Krankheiten entfesseln lässt
Das Immunsystem ist der Schlüssel zu unserer Gesundheit. Die Fähigkeit des Körpers, Krankheiten selbst zu bekämpfen, ist eines der großen Wunder der Natur, dem man erst in den letzten Jahrzehnten genauer auf die Spur gekommen ist. Professor Daniel M. Davis, einer der führenden Immunologen, lässt uns an den Meilensteinen der Immunforschung teilhaben. Er schildert, was die Wissenschaft über das vielschichtige und komplexe Geflecht unseres Immunsystems herausgefunden hat. Und er legt dar, wie diese Erkenntnisse dazu beitragen, wirksamere Impfstoffe, neue Medikamente und vor allem bahnbrechende Therapien gegen Krankheiten wie Krebs zu entwickeln. Nicht zuletzt zeigt sein Buch, was wir selbst dafür tun können, um die natürlichen Verteidigungsmechanismen unseres Körpers zu nutzen.

Daniel M. Davis, geboren 1970, ist Professor für Immunologie und aktuell Forschungsdirektor am Manchester Collaborative Centre for Inflammation Research an der Universität von Manchester. Seine Forschung, insbesondere seine Erkenntnisse über die Biologie der Immunzellen, gilt als bahnbrechend. »Heilen aus eigener Kraft« wurde in England mehrfach als Buch des Jahres ausgezeichnet und war für den Royal Society Science Prize nominiert. Es ist sein erstes Buch auf Deutsch.

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Leseprobe

ÜBERBLICK


»Schau dir diese Blüte an; sieh nur, wie wunderschön sie ist«, sagte einmal ein Künstler zu seinem Freund. »Die Kunst ehrt und würdigt solche Schönheit, die Naturwissenschaft dagegen zerpflückt sie einfach nur. Wissenschaft nimmt der Blüte allen Reiz.«

Der Freund, an den diese Worte gerichtet waren, war der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman, und er fand den Standpunkt des Künstlers »ein bisschen hirnrissig«. Feynman konterte, auch er vermöge durchaus die Schönheit der Blüte zu würdigen, wisse aber als Wissenschaftler, dass die ihr innewohnende Struktur mit all ihren Zellen, dem ganzen chemischen und biologischen Geschehen, den vielen ineinander verzahnten Systemen nicht minder wunderbar sei. Hinzu komme, erklärte Feynman, dass der Umstand, dass die Blüte Insekten anzieht, den Eindruck erwecke, auch Insekten fänden sie ästhetisch ansprechend, was nun wieder alle möglichen Fragen zu Evolution, Wahrnehmung und Licht aufwerfe. »Naturwissenschaft«, so Feynman, »stimuliert und begeistert, vertieft das Mysterium und die Ehrfurcht vor einer Blüte nur noch mehr. Sie wirkt als Verstärker.«1

Feynman berichtete 1981 in einem Fernsehinterview der BBC über den inzwischen berühmt gewordenen Wortwechsel, ich war damals elf. Ich wusste bereits, dass ich Naturwissenschaftler werden wollte, aber Feynman mit seinem ausgeprägten New Yorker Akzent und den sich im Wind wiegenden Rosen vor dem Fenster in seinem Rücken fasste den Grund dafür weit besser in Worte, als ich es je vermocht hätte. Heute, an der Spitze eines Teams aus Wissenschaftlern, die menschliche Immunzellen bis ins kleinste Detail erforschen, erlebe ich immer wieder aus erster Hand, in welchem Maße die Wissenschaft Schönheit offenzulegen vermag, Schönheit, die andernfalls womöglich verborgen geblieben wäre. Das Innere des menschlichen Körpers ist im Laufe der Evolution vielleicht nicht so ästhetisch ansprechend geworden wie eine Blüte, aber in seinen Details offenbart sich wahre Pracht.

Zu den am intensivsten untersuchten und in ihren Einzelheiten am akribischsten charakterisierten Aspekten der Biologie des Menschen zählt die Reaktion des Körpers auf eine Verletzung oder Infektion. Die Vertrautheit der Symptome – Rötung, Berührungsempfindlichkeit und Entzündung – täuscht über die Wunder hinweg, die sich unter der Hautoberfläche entfalten, wo Schwärme unterschiedlicher Zellarten ausziehen, um Erreger abzuwehren, Schäden zu reparieren und Müll beiseitezuschaffen. Dieser Automatismus jenseits aller Kontrolle durch unser Bewusstsein ist für unser Überleben unerlässlich.

Eine stark vereinfachte Sicht auf das, was hier passiert, wäre, dass unser Körper Keime, die in eine Wunde eindringen, angreift, weil unser Immunsystem darauf programmiert ist, gegen alles vorzugehen, was nicht Teil von uns ist. Aber wenn man einmal kurz darüber nachdenkt, erkennt man, dass das nicht alles sein kann. Essen ist nicht Teil unseres Körpers, und doch darf das Immunsystem nicht auf alles reagieren, was wir zu uns nehmen. Mehr noch, das Immunsystem muss in der Lage sein, den Unterschied zu erkennen zwischen braven Bakterien, die in unserem Darm leben und in Ruhe gelassen werden sollten, und gefährlichen Erregern, die uns krank machen können und die wir in den Griff bekommen müssen.

Diese entscheidende Erkenntnis – dass nämlich eine Immunreaktion nicht einfach durch alles beliebige Fremde ausgelöst werden kann – wurde erst 1989 gewonnen, und es sollte noch viele Jahre dauern, bis ihr ein umfassenderes Verstehen folgte. In der Zwischenzeit nahm ein wissenschaftliches Abenteuer voller Mühsal seinen Lauf, dessen bahnbrechende Erkenntnisse uns das Tor zur Welt der Immunität auftun sollte, die sich nun als das offenbarte, was sie in Wahrheit ist: kein einfacher Schaltkreis, an dem ein paar Arten von Immunzellen beteiligt sind, sondern ein vielschichtiges, dynamisches Geflecht aus vielen ineinandergreifenden Untersystemen. Sie ist eines der komplexesten und wichtigsten uns bekannten Pioniergebiete der wissenschaftlichen Forschung. Wie dieses Buch zeigen wird, addieren sich die vielen Entdeckungen, die sich aus diesem Abenteuer ergeben haben, zu einer echten wissenschaftlichen Revolution in Bezug auf unser Verständnis vom menschlichen Körper, und diese ist im Begriff, die Medizin des 21. Jahrhunderts umzukrempeln.

Zunächst einmal ist uns klargeworden, dass sich die Fähigkeit unseres Körpers, sich gegen Krankheiten zu wehren, unablässig verändert. Die Stärke unseres Immunsystems schwankt unter dem Einfluss von Stress, Alter, Tageszeit und unserer seelischen Verfassung. Unser Immunsystem befindet sich ständig im Fluss; unsere Gesundheit ist ein Balanceakt auf einem Drahtseil. So ist zum Beispiel die Anzahl der Immunzellen in unserem Blut am Abend am höchsten und am Morgen am geringsten. Im Verlauf der Nacht, wenn unser Körper einen anderen Aktivitätszustand einnimmt und weniger Energie verbraucht, erfährt auch unser Immunsystem alle möglichen Veränderungen, und wie gut wir schlafen, hat offenbar Einfluss darauf, wie gut es arbeiten kann. Zu wenig Schlaf – weniger als fünf Stunden pro Nacht – geht einher mit einem erhöhten Risiko für Erkältungen und Lungenentzündungen.2 In diesem Buch sollen daher unter anderem die Auswirkungen von Nachtarbeit untersucht werden und auch, ob Praktiken wie Tai-Chi oder Achtsamkeitsübungen, die Stress zu reduzieren vermögen, uns helfen können, Infektionen zu bekämpfen, oder nicht.

Viele Frage sind noch offen, aber schon diese Entdeckungen bringen unsere lange gehegte, stark vereinfachte Sicht auf den Umgang unseres Körpers mit Infektionen und darauf, wie wir gesund bleiben, ins Wanken. Auch wenn es – sehr grob gesagt – stimmt, dass das Immunsystem angreift, was nicht Teil von uns selbst ist, so hat sich doch gezeigt, dass dieser Prozess auf jeder Stufe durch Kontrollmechanismen reguliert wird, die durch unzählige Zellen und Moleküle gesteuert werden. Je mehr wir den Geheimnissen und der Vielschichtigkeit dieser Abläufe auf den Grund gehen, desto näher kommen wir der Antwort auf Fragen, die von größter Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen sind: Warum bekommen manche Menschen Krebs? Und ist unser Immunsystem womöglich in der Lage, ihn zu bekämpfen? Wie wirken Impfstoffe, und wie können wir sie besser machen? Was genau ist eine Autoimmunkrankheit, und was können wir dagegen tun? Das Gros der Leiden, die uns befallen, wird von den natürlichen Verteidigungsmechanismen unseres Körpers geheilt. Diese zu verstehen und zu lernen, wie wir sie uns zunutze machen können, wird womöglich eines der wichtigsten Zukunftsgeschenke der Wissenschaft an den Menschen und seine Gesundheit sein.

Während manche Medikamente, beispielsweise Penicillin, Krankheitserreger direkt durch ihr Wirken zum Absterben bringen, lassen sich viele menschliche Leiden von Krebs bis Diabetes unter Umständen am besten mit ganz neuen Arten von Arzneimitteln behandeln, die die Aktivität des Immunsystems stärken (oder in manchen Fällen auch unterdrücken). Im Unterschied zu Penicillin und ähnlichen Wirkstoffen, die aus natürlicher Quelle stammen – im Falle des Penicillins von einem Pilz – und von Wissenschaftlern lediglich isoliert wurden, werden diese neuen Arzneien, die in unser Immunsystem eingreifen, von Wissenschaftlern designt. Wissenschaftler, die sich mit dem Immunsystem befassen, können auf Erkenntnisse stoßen, die in Therapien und Präparaten gipfeln, die Milliarden Dollar wert sein können. Aber diese Mittel müssen mit allerhöchster Präzision zum Wirken gebracht werden. Wenn wir das Immunsystem überaktivieren, werden gesunde Zellen und Gewebe zerstört, und wenn wir es ganz ausschalten, werden wir anfällig für alle möglichen Arten von Erregern, mit denen wir normalerweise locker zurechtkämen. Der potentielle Nutzen ist unermesslich, aber wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, können die Folgen furchtbar sein.

Das Riesenunterfangen, dem Immunsystem auf den Grund zu gehen, hat auch auf vielen anderen Gebieten der Humanbiologie neue Einsichten befördert, beispielsweise über Alterungsprozesse: 80 bis 90 Prozent aller Menschen, die an Grippeviren sterben, sind über fünfundsechzig Jahre alt.3 Warum werden unsere Verteidigungsmechanismen bei Infektionen mit zunehmendem Alter schwächer? Warum heilen Blessuren in fortgeschrittenen Jahren schlechter, und warum werden wir anfälliger für Autoimmunkrankheiten? Wir haben gelernt, dass dies damit zu tun hat, dass sich bestimmte Immunzellarten bei älteren Menschen im Blut verringern. Auch sind Immunzellen älterer Menschen nicht mehr so gut in der Lage, Krankheiten zu erkennen. Erschwerend kommt hinzu, dass ältere Menschen neben allen anderen Herausforderungen des Alterns häufig mit Schlafstörungen und Stress zu kämpfen haben, die sich beide auf das Immunsystem auswirken. Herauszufinden, in welchem Maße jeder dieser verschiedenen Faktoren unsere Gesundheit beeinflusst, gestaltet sich extrem schwierig, weil es nahezu unmöglich ist, sie gesondert zu betrachten. Stress wirkt sich negativ auf unser Immunsystem aus, korreliert gleichzeitig aber auch mit Schlaflosigkeit, so dass schwer festzustellen ist, welche Auswirkungen diese Faktoren jeder für sich haben.

Ja, so gut wie alles im Körper ist mit so gut wie allem anderen vernetzt – mehr noch, als Sie es sich vielleicht vorstellen können. Vor kurzem hat sich zum Beispiel gezeigt, dass das Immunsystem in ein Riesenspektrum an Krankheiten verwickelt ist, die mit seiner Rolle bei der Bekämpfung von Krankheitserregern nichts zu tun zu haben...

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