WIE ICH ZUM THEMA TABLETTEN KAM
Wenn jemand wie ich sich beruflich mit Fitness, Sport und Gesundheit beschäftigt, enden viele Gespräche früher oder später bei genau diesen Themen. Und mit zunehmendem Alter passiert das immer öfter. Freunde und Bekannte berichten von ihren Wehwehchen oder Krankheiten und erzählen mit einem Seufzer, wie viele Tabletten sie inzwischen nehmen oder dass die Dosis schon wieder erhöht werden musste. Ich sage dazu meist nichts, weil ich nicht wie der »Herr Professor« oder der Besserwisser dastehen will.
Doch irgendwann fragt mich immer jemand: »Und wie steht’s mit dir, Ingo? Sag du auch mal was! Was nimmst du eigentlich an Tabletten?« Ich antworte dann wahrheitsgemäß: »Gar keine!«, und ernte ein ungläubiges Staunen.
Das Gleiche passiert mir auch bei Arztbesuchen, wenn mich die Sprechstundenhilfe nach meinen aktuellen Medikamenten fragt: »Das kann doch nicht sein – Sie sind doch schon über 60!« Oder wenn ich dort einen langen Anamnesebogen zu eventuell vorhandenen Krankheiten ausfüllen soll, die ganz offensichtlich in unserer Gesellschaft Standard sind: Ich muss nirgendwo ein Kreuzchen machen und werde jedes Mal überaus verwundert angeschaut.
Das wiederum wundert mich dann und ich frage mich: »Wie kann es sein, dass es normal ist, krank zu sein, und dass die Leute alle so viele Tabletten schlucken?« Deswegen habe ich einmal genauer hingeschaut und das Ergebnis meiner Recherchen entsetzt mich bis heute.
WAS LÄUFT FALSCH? FOLGE DEM GELD!
Für 2017 summiert das Statistische Bundesamt die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland zum ersten Mal auf über 1 Milliarde Euro – und jetzt kommt’s: pro Tag! Kaum ein Wachstumsmarkt der letzten 20 bis 30 Jahre war so außergewöhnlich erfolgreich wie die gesamte Medizin und hier besonders die Pharmaindustrie. Damit meine ich nicht nur die rezeptabhängigen Medikamente, die bei bestimmten Krankheiten und Diagnosen wirklich nützlich sind. Auch der Umsatz der frei verkäuflichen Medikamente steigt stetig an und zweistellige Zuwachsraten pro Jahr sind keine Seltenheit. Es gibt mittlerweile Pillen für fast alles – und anscheinend werden sie alle gekauft. Haben es die Heilsversprechen der Pharmawerbung geschafft, die gesellschaftliche Meinung so stark zu beeinflussen, dass gute, bewährte Hausmittel durch Pillen ersetzt werden? Dass jeder denkt, Gesundheit könne nur durch die passenden Tabletten erkauft werden? Anscheinend sogar nach dem Motto »Viel hilft viel«?
Ist Pillenschlucken ganz normal?
Mein Schwiegervater ist mittlerweile über 80 und nimmt regelmäßig 11 Medikamente ein. Sie wirken völlig unterschiedlich und niemand weiß, ob und wie sie sich gegenseitig beeinflussen – auch seine Ärzte nicht. Vielleicht wissen sie nicht einmal von den Arzneien, die der jeweils andere dem Schwiegervater verschrieben hat. Ihm nur ein einziges Mittel auszureden, klappt aber nicht: Tabletten gehören einfach zu seinem Leben und er will damit ausreichend versorgt sein. Hier wurde über Jahrzehnte eine Abhängigkeit geschaffen, an der viele verdienen.
Mein Schwiegervater ist kein Einzelfall, wie der Arzneimittelreport der Barmer Krankenkasse von 2018 zeigt: Menschen zwischen 60 und 65 Jahren nehmen durchschnittlich drei bis fünf Medikamente täglich.
Ebenso fatal ist ein anderer Punkt in diesem Report: Bereits Kinder und Jugendliche nehmen viel zu früh viel zu viele Arzneien. Beispielsweise um Kopfschmerzen in der Schule zu bekämpfen oder um mit der viel besprochenen Hyperaktivität überhaupt Leistung für die nächste Prüfung zu ermöglichen. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, in der schon Teenager auf Antidepressiva zurückgreifen?!
Es scheint, als hätten wir uns daran gewöhnt, gegen und für alles eine Pille einzunehmen, als wäre dieses Verhalten schon zur gesellschaftlichen Norm geworden. Gerade das aber ist fatal, denn: keine Pille ohne Nebenwirkungen!
Die meisten Medikamente lindern nur die Symptome, gehen aber nicht ihrer Ursache auf den Grund. Wenn wir die aber nicht abstellen, kommen die Beschwerden immer wieder und wir werden zum Langzeitpatienten mit Tabletten für jeden Tag.
Nebenbei auch noch schädlich
Pillen, Tabletten und Pülverchen sind nichts anderes als hochpotente Überredungskünstler: Sie schleusen fremde Substanzen in unser ausgeklügeltes Biosystem und bringen unseren Körper zu bestimmten Reaktionen – und das sind leider nicht nur die erwünschten. So bekämpfen Antibiotika bekanntlich nicht nur die »bösen« Bakterien, die eine Krankheit verursachen, sondern nebenbei auch die »guten«, die uns im Darm helfen, unsere Nahrung aufzuspalten. Sie verscheuchen erfolgreich die Lungenentzündung, schädigen aber als Nebenwirkung nachhaltig den Verdauungstrakt.
Oder nehmen wir die Psychopharmaka mit ihren massiven Nebenwirkungen auf den gesamten Stoffwechsel (Metabolismus) und die Gewichtsregulation. Oder die weit verbreiteten Betablocker (siehe >) mit ihren starken Einflüssen auf die Vitalität und Leistungsfähigkeit oder auch die Cholesterinsenker, die sogenannten Statine (siehe >), deren massive Nebenwirkungen wissenschaftlich sehr gut beschrieben sind. Das sind nur einige wenige Beispiele von unzähligen Nebenwirkungen – bis hin zum Tod durch frei verkäufliche Schmerzmittel!
Davon redet leider selten jemand, doch das möchte ich mit diesem Buch ändern. Sie werden in den folgenden Kapiteln erfahren, wie die Pharmaforschung Medikamente entwickelt und mit Nebenwirkungen umgeht, und ich erkläre Ihnen sehr konkret, was die unterschiedlichen Arzneiwirkstoffe, die Sie gegen Schmerzen, Bluthochdruck und anderes nehmen, in Ihrem Körper anrichten können. Ich zeige Ihnen aber auch, wie es anders gehen kann.
Um größtmöglichen Nutzen aus diesem Buch zu ziehen, müssen Sie allerdings die Verantwortung für Ihre Gesundheit selbst übernehmen. Das tun Sie schon? Sind Sie sicher? Oder übernehmen Sie sie nur, wenn es bequem ist?
BEI WEM LIEGT DIE VERANTWORTUNG?
Erst kürzlich sprach ich mit einem 53-jährigen, stark übergewichtigen Mann: Er leidet unter Bluthochdruck und Diabetes Typ 2 – beides sind typische sogenannte Lifestyle-Erkrankungen, die allerdings tödlich enden können. »Klar weiß ich, dass ich mein Übergewicht loswerden und mich vielleicht auch mehr bewegen müsste. Aber meine Frau kocht so unheimlich gut und auf mein Feierabendbierchen kann ich nicht verzichten. Das habe ich mir nach einem anstrengenden Arbeitstag wirklich verdient. Außerdem tun mir auch die Gelenke schnell weh, wenn ich mal eine längere Strecke spazieren gehe. Aber mit den Medikamenten gegen Bluthochdruck und Diabetes bin ich ja gut eingestellt. Läuft doch alles ganz ordentlich so …«
Dieser Herr legt seine Gesundheit vollkommen in die Hand der Medizin und der Pharmazie. Er muss nur regelmäßig Rezepte abholen und die Werte überprüfen lassen und natürlich brav seine Pillen nehmen. Nebenwirkungen? Dagegen gibt es zum Glück auch gute Medikamente. Von Eigenverantwortlichkeit kann nicht mehr die Rede sein, ganz im Gegenteil: Er hat die Verantwortung für seine Gesundheit komplett abgegeben.
Ich kann nicht beurteilen, ob er sich damit wirklich wohlfühlt. Ob ihn die Gelenkschmerzen nicht stören. Ob es ihm nichts ausmacht, dass er in seine alten Klamotten nicht mehr reinpasst oder dass er kurzatmig im Büro erscheint, wenn der Lift ausfällt und er die Treppe nehmen muss. Ich vermute, wenn er wirklich ehrlich zu sich wäre, hätte er es gern anders. Mit der richtigen Ernährung und Bewegung wäre das auch mittelfristig problemlos möglich. Allerdings bedeutet es, den eigenen Lebensstil gründlich zu durchforsten und umzustellen. Das ist gerade in den ersten Wochen unbequem, denn wir alle hängen sehr an liebgewonnenem Verhalten wie dem Feierabendbierchen oder der Belohnungsschokolade. Eine Umstellung klappt nur unter der Voraussetzung, dass Sie die Verantwortung für Ihre Gesundheit wieder übernehmen!
Es geht mir nicht um Schuld
Klar, lebensstilbedingte Erkrankungen – und das ist der Großteil der Krankheiten in westlichen Gesellschaften – entstehen, weil die Betroffenen auf eine Weise leben, die ihrem Organismus nicht zuträglich ist. Trotzdem liegt es mir fern zu sagen: »Du bist doch selbst schuld!« Ich will Ihnen kein schlechtes Gewissen machen, denn das bringt niemanden weiter. Ich will Ihnen stattdessen erläutern, warum es sich generell lohnt, sich von Tabletten zu verabschieden, und Ihnen dann an einigen weitverbreiteten Gesundheitsproblemen zeigen, wie Sie es hinkriegen.
Tatsächlich sehe ich sehr genau, dass wir es in der modernen Welt schwer haben mit den Themen Essen und Bewegung. Essen wird bei uns überall appetitanregend und günstig präsentiert und Autos nehmen uns längere, aber auch kurze Wege ab. China ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Lebensstil und Übergewicht zusammenhängen. Das explosionsartige Wirtschaftswachstum und der zunehmende Wohlstand hat auch die Chinesen träge und bequem gemacht – und dick. Zu Tai-Chi oder Tanz im Park treffen sich immer weniger Menschen, die Massen an Fahrrädern sind in den großen Städten verschwunden, stattdessen gibt es jetzt Unmengen von Autos. Dazu passt: Die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle ist deutlich gestiegen. Hier wiederholt sich, was wir bei uns schon kennen: Der »faule« Lebensstil greift um sich und ihm zu widerstehen oder ihm etwas entgegenzusetzen ist oft schwierig.
Zumal die...