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Liebe macht gesund: Die Heilkraft von salutogenen Beziehungen - essayistische Beiträge zu Liebe, Lust und Sexualität

AutorRotraud A. Perner
VerlagEdition Roesner
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl228 Seiten
ISBN9783903059603
FSK18
Altersgruppe18 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR

Durch Single-Dasein, falsch verstandene Selbstverwirklichung und rasche Scheidungen ist vieles verlorengegangen, das nun schmerzlich fehlt: das respektvolle, „be-herzte“ Sich-Einlassen auf den anderen, das Ringen um eine lebendige und salutogene Beziehung, sexuelle Lust statt sexueller Irrwege, das Ernst-Nehmen der Hoch-Zeit und der Ehe, die Magie des gemeinsam zelebrierten Rituals.
Rotraud A. Perner geht in ihren Beiträgen auf all dies ein – mit höchster wissenschaftlicher Sachkenntnis und zugleich mit erfrischend persönlichen Bekenntnissen.
Man ahnt oder weiß es ohnehin und findet es hier belegt: Unter dem Modewort „Wellness“ subsumiert man vieles und vergisst oft etwas Wesentliches: Liebe macht gesund!

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Leseprobe

Lust


 

„... während aus unseren Körpern die Liebe strömt ... “


(Gioconda Belli)

Reflexionen über das Tanzen

 

Ich tanze nicht. Nicht mehr.

 

Tanz bedeutet für mich nämlich Vorbereitung zum Geschlechtsverkehr – und sicherheitshalber erspare ich mir den Stress dieser lustvollen Form der Annäherung, indem ich mir seit Jahren nur mehr solche Männer als Objekt der Begierde aussuche, von denen ich annehmen kann, dass sie nicht mit mir tanzen werden: teils, weil sie Angst davor haben, dass ihre Ehefrauen – oder ihre sonstigen „Vorgesetzten“ – merken könnten, dass uns mehr verbindet als nur berufliches Interesse, und eifersüchtig, auf jeden Fall aber verbietend reagieren würden, teils weil sie Angst vor ihren eigenen begehrlichen Reaktionen haben.

Allerdings: wenn ich dann in der Zeitung lese, dass der Mann, dem ich mein Herz und einiges tiefer Liegendes dazu geschenkt habe, an einer Ballveranstaltung teilnimmt, regt sich bei mir das grünäugige Scheusal, die Eifersucht: Er könnte sich ja an eine andere Frau drücken – und Wohlgefallen daran finden.


 

Er soll aber keine anderen Göttinnen
haben neben mir ...

 

Ich bin mir bewusst, dass kurz nachgedacht hinter diesen Fantasien Erinnerungsspuren auftauchen – Erlebnisse aus meiner Tanzschulzeit. In Wiener Neustadt war es, der Heimstadt der Militärakademiker – und die waren auch, zumindest auf Bällen, unsere Tanzpartner: Männer im Vergleich zu den schwitzhändigen, pickelübersäten Gymnasiasten, die unsere weißen Tanzkleider ebenso beschmutzten wie unsere Dekolletés, wenn sie uns mehr oder weniger unproportionierten Teenagern fast besinnungslos vor Gier nach greifbarer Weiblichkeit an Hals und Busen hechelten. Die künftigen Offiziere waren da – zwar nur wenige Jahre älter – schon ganz anders. Sie demonstrierten „Haltung“: nicht nur im priesterlich aufrechten Gang und vollendeter Galanterie, uns Pummelchen gleich Fürstinnen Raum zu schaffen, ob an der Bar oder an der Balkonbrüstung des ersten Stockwerks, wohin sie uns den wachsamen Augen des leiblichen oder ersatz-weisen Tanzschulvaters Rezniczek entführten.

Nicht so auf dem Parkett: Dort drängten sie sich an uns, fassten mit hundert Armen und tausend Händen zu, wirbelten uns von einem Schwindel in den anderen, vor allem in den, wie begeistert sie von uns wären, zogen uns Schwebende wieder an sich und pressten ihre harte Männlichkeit an unsere Weichteile.

Ja, Haltung bestand für die Jungmänner auch darin, ihr erigiertes Fleisch an die unberührten Leiber zu halten und sich daran zu weiden, dass wir Unerfahrenen nicht wussten, wohin wir unsere Becken verlegen „verlegen“ sollten – und für die Jungfrauen, so zu tun, als merkten sie das alles nicht. Die Rolle der Unschuld musste durchgehalten werden.

 

Nähe und Distanz

 

Anstand hätte in Abstand bestanden. Aber das wussten wir Sechzehnjährigen nicht, damals, in den frühen 60er Jahren, als wir uns erstmals in dekorativer Fraulichkeit dem anderen Geschlecht nähern durften. Vorher gab es nur Begegnungen auf den angeblich geschlechtsneutralen Sportplätzen: Besonders das eher baumlos der Sonne ausgesetzte Ungarbad war begrifflich mit der Sportunion verbunden, das aus dem Park der Militärakademie herausgewachsene elegante Akademiebad hingegen eher den Schäfernachmittagen zugeordnet, ebenso wie die Reitstunden, die die Töchter der Oberen Fünfzig von Wiener Neustadt im Akademiepark genossen. (Es gab noch ein drittes Bad – das so genannte Saubad – aber das lag isoliert von jeglicher flirtfreundlichen Zivilisation am südlichen Stadtrand und war nur nach einem halbstündigen Fußmarsch durch menschenleere, staubige Straßen zu erreichen. Das taten sich nur Volksschulkinder an – oder die Jugendlichen, die in unmittelbarer Nähe wohnten.) Viel mehr Sportmöglichkeiten jenseits der Pflichtübungen auf den Schulsportplätzen gab es damals noch nicht – dafür aber eine professionell geführte Ballettschule. Und in die musste ich selbstverständlich, denn alle kleinen und jungen Mädchen, deren Mütter nur ihr Bestes – und daher Abwesenheit pene­tranter Männlichkeit – wollten, mussten dort hin. Dort lauerte auch, wie in der Ballettszene üblich, keine sexuelle Gefahr für Mädchen, denn außer dem ältlichen Klavierspieler gab es dort keine Männer. Leider auch keine heranwachsenden.

Die sexuelle Befreiung begann damals gerade erst in den Köpfen unserer Mütter Einzug zu halten – sofern sie intellektu­ell genug waren, Simone de Beauvoir zu studieren. Meine war es, und so war sie bald mehr damit beschäftigt, mir die Ballett­schule zu vermiesen, um nur ja keinen popscherlwackelnden Backfisch der alten Art zu erziehen ..., und statt dessen ih­re ureigenste Profession, das Klavierspiel, zu pro­pa­gie­ren; das war wohl ihre Art, mich auf die körperlichen Annäherungen Männer passenden wie unpassenden Alters vorzubereiten.

Jelineks „Klavierspielerin“ war zwar noch nicht geschrieben, aber die Geisteshaltung der dort verewigten Mutter kenne ich nur zu gut: Musik „macht“ man – aber man gibt sich ihr nur ja nicht hin. Wenn schon etwas bewegt werden muss, dann die Hände und – vielleicht! – noch ein bisschen die Füße, aber was dazwischen liegt „... geht niemand was an“.

Jelinek schreibt: „Mit dem Bewusstsein ihres körperlichen Ungenügens kann man jede Frau an sich ketten.“ Wie wahr! Im Klavierunterricht kann man kleine Kinder, die verzweifelt versuchen, ihre Dickfingerchen oktavenweit zu spreizen und gleichzeitig so flachzukrallen, dass die drauf gelegte Münze nicht hinunterfällt, zu masochistischer Unterwürfigkeit dressieren. Ob es um Können geht oder ums Aussehen – Kettenmeisterschaft erlangt, wer die Rolle des Lehrmeisters übernommen hat, Mutter inbegriffen. Und: Klavierspiel ist elitär – und daher unsolidarisch! –, man schwitzt nicht in der Gruppe, steht nicht im permanenten Vergleich zu anderen wie auch dem eigenen Unzulänglichkeitsbild im überdimensionierten Spiegel, bestenfalls „darf“ man gelegentlich servil vierhändig spielen mit dem unerreichbaren Meister des schwarzweißen Tastenlabyrinths, um vielleicht – irgendwann, wenn man perfekt genug ist, nicht nur das Instrument, sondern auch die Kompositionen erarbeitet zu haben – in Augenblicken ausgelassener Selbstvergessenheit mit gleich rebellischen Freunden frei zu improvisieren ...

Im Ballett-Tanz hingegen paart sich der Masochismus des Körpertrainings mit dem sadistischen Hochgefühl der Körperbeherrschung, mit der Schmerzlust der Muskeldehnung, der Zeigelust, den mehr oder weniger entblößten Körper in ungeahnten Positionen präsentieren zu dürfen, und der Lust zu wissen, welch‘ heftige Gefühlsreaktionen man unter Vorwand hehrster Motive – „Nur der Kunst weiht ich mein Leben ...“ – legitimst in der Zuschauerschaft auslösen wird. Tanz provoziert Sehnsucht, Begierde, Abwehr, Empörung – je nach biopsychischer Beweglichkeit der Betrachter.

 

Tanz und Erotik gehören zusammen

 

Schaulust zählt zur Autoerotik: Den Körper der Tanzenden mit dem distanzierten (in diesem Wort hat sich die Buchstabenkombination „tanz“ eingeschlichen!) Auge in Besitz zu nehmen, sich einzufühlen in den Stellvertreterkörper, der das wagt und auch vollendet, was man sich selbst nicht traut und nicht zutraut, schafft eine Verbindung von Gefühlen, Empfindungen, Ahnungen und Gedanken – und ist damit eine Möglichkeit, eigene Ganzheit zu erleben, ohne körperlich aktiv werden zu müssen.

Wen die Emotion des Schauens aber zur Motion der Annäherung „motiviert“, erlebt den „Kick“ der Anbahnung: Auf jemand anderen zugehen ist auch immer ein Aus-sich- Herausgehen und damit risikobehaftet. Das angeblich so neckische Hin- und Herziehen in folkloristischen Tänzen kann leicht als Machtkampf enttarnt werden: Während etwa im machistischen Tango der Frau wenig Möglichkeiten abseits von Hingabe bleiben, herrscht im berührungslosen Flamenco aber sehr wohl Gleichberechtigung. Im standardisierten Gesellschaftstanz hingegen ist die Paardynamik längst dem Reglement gewichen: Die Macht liegt in der Etikette.

Der Tanz war in unseren Breiten überhaupt lange Zeit das Ziel mannigfacher Verbote: So durfte zwischen Kreuzerfindung (3. Mai) und Kreuzerhöhung (14. September) nicht getanzt werden, weniger der sommerlichen Sinnlichkeit wegen, sondern um den ungehinderten Fortgang der Landarbeit nicht zu gefährden. Ausnahmen gab es nur für Verlobungen, Hochzeiten, „Schießen“, besondere Abrechnungs- oder Zunft­­tage und der Tag, an dem die Kirche geweiht worden war. Und dann durften nur geladene Gäste daran teilnehmen – aber die zur Überwachung bestimmten Gerichtsdiener duldeten meist die so genannten Winkeltänze.

Tanzschulen und Ballveranstaltungen dienten aber ebenso wie die volkstümlichen Tanzereien auf Kirchtagsfesten traditionell der...

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