PUBERTÄTSSPEZIFISCHES VERHALTEN
8. Unser Sohn unterliegt raschen Stimmungswechseln, kann man dabei helfen?
Die Launen unseres 16-jährigen Sohnes unterliegen zurzeit heftigen Schwankungen. Mal ist er total aufgedreht und fröhlich, mal ein regelrechter «Stinkstiefel», mal zu Tode betrübt. Was können die Ursachen sein?
Häufig haben Stimmungsschwankungen etwas mit der Pubertät zu tun. Jan (16) zum Beispiel sagte während einer Beratungssitzung: «Meistens bin ich ziemlich mies drauf, aber manchmal auch genau das Gegenteil. Dieses ständige Auf und Ab nervt total. Warum kann mein Leben nicht gleichmäßiger verlaufen?» Niklas (15) machte ähnliche Erfahrungen: «Manchmal hab ich für kurze Zeit super Laune und finde das Leben megageil, dann bin ich wieder voll depri, denke über den Sinn von allem nach, kann mich zu nichts aufraffen und bin traurig, einfach so. In der Schule haben wir mal über Identität gesprochen, die man als Jugendlicher noch nicht so für sich gefunden hat. Also auf mich trifft das voll zu.»
In der Tat spielt die Suche nach Identität eine beträchtliche Rolle. Sie kann extreme Stimmungsschwankungen auslösen, die sich von Lebenslust und narzisstischen Höhenflügen im Sinne von «Mir gehört die Welt!» bis hin zu Niedergeschlagenheit, Ängsten und einem Ohnmachtsgefühl dem Leben gegenüber erstrecken können. Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erik Erikson bezeichnete die Pole an den Enden dieses Spannungsfeldes als Identität und Identitätsdiffusion. Auf der Suche nach Identität fühlen sich Jugendliche selbstbewusst, stark und authentisch, laufen aber immer auch Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Was Jugendliche dann von Eltern brauchen, ist ein Regulativ, jemand, der ihnen liebevoll spiegelt, wo ihre Fähigkeiten und Talente liegen, aber auch, was ihre Schwächen sind. Rückmeldungen helfen bei der Bildung von Identität. Schulnoten, Anerkennung in der Clique, erste Liebeserfahrungen, aber auch Kritik und Wertschätzung der Eltern vermitteln Jugendlichen ein Bild von sich selbst. Auch wenn es sich die meisten Jungs nicht gerne anmerken lassen, aber die Meinung der Eltern wiegt viel.
Eltern neigen manchmal dazu, ihrem Sohn zu wenig zuzutrauen und vor allem auf die Schwächen zu schauen. Die Schule, die er nicht schafft, der Computer, vor dem er ständig hockt, das Chaos, das er nicht geregelt bekommt, die Regeln, an die er sich nicht hält. Viele Eltern haben hohe Erwartungen an ihre Söhne und sind enttäuscht, wenn sie diesen Erwartungen nicht entsprechen. Doch hohe Erwartungen produzieren Gegenwehr und Distanz. Eine Identität aufzubauen heißt, sich selbst differenziert kennenzulernen. Versuchen Sie, sich von Ihren Erwartungen zu lösen, und finden Sie gemeinsam mit Ihrem Sohn heraus, was für ein Mensch er ist, was er gut kann, in welchen Bereichen er Unterstützung benötigt und wo seine Grenzen liegen.
Fazit: Stimmungsschwankungen sind vor allem auf Selbstwertkrisen in der Pubertät zurückzuführen. Helfen Sie Ihrem Sohn auf der Suche nach seiner Identität, indem Sie ihm eine Rückmeldung über seine Stärken und Schwächen geben.
9. Unser Sohn ist spätabends topfit und morgens oft müde
Fast täglich streiten wir uns mit unserem Sohn (15), weil er noch aufbleiben will. Er ist tatsächlich spätabends noch topfit, kommt aber am nächsten Morgen nicht aus dem Bett. Ich habe gelesen, dass das etwas mit hormonellen Veränderungen in der Pubertät zu tun haben soll. Aber wir können ihm doch nicht erlauben, so lange wach zu bleiben, wie es ihm passt?
Das lange Aufbleiben Jugendlicher hat tatsächlich eine körperliche Ursache: Während der Pubertät produziert die Zirbeldrüse im Gehirn das müde machende Hormon Melatonin mit einer täglichen Verzögerung von bis zu zwei Stunden. Wenn Eltern also bei den «Tagesthemen» längst weggedöst sind, fühlen sich Heranwachsende oft noch topfit. Leider baut sich das Melatonin am nächsten Morgen auch mit der gleichen Verspätung ab, sodass Jugendliche dann vor Müdigkeit kaum aus dem Bett kommen. Der Tag-Nacht-Rhythmus gerät durcheinander. Um dem Rechnung zu tragen, diskutiert man bereits an einigen Schulen, den Unterricht eine Stunde später beginnen und enden zu lassen. Häufig aber sind es die Jugendlichen selbst, die dies nicht wollen, weil sie dann eine Stunde von ihrem freien Rest-Tag verlieren würden.
Wenn Sie sich täglich wegen des Zubettgehens mit Ihrem Sohn streiten, dann befinden Sie sich bereits in einem zähen Machtkampf. Vielleicht hilft es, den Fokus zu verschieben: Entscheidend ist ja nicht, wann er ins Bett geht. Entscheidend ist, ob er den Tag einigermaßen wach übersteht oder aber so unausgeschlafen ist, dass er dem Unterricht kaum folgen kann. Wenn er seinen Schulpflichten konzentriert nachkommt, können Sie darauf vertrauen, dass er seinen Tag-Nacht-Rhythmus im Griff hat. Ist dies nicht der Fall, sollten Sie mit ihm eine Schlafenszeit vereinbaren, die die hormonell bedingte Müdigkeitsverzögerung berücksichtigt. Ansonsten behelfen sich viele Schüler auch damit, nach der Schule einen kurzen, nicht länger als 30-minütigen Mittagsschlaf zu halten, der ihnen wieder Energie für den restlichen Tag gibt und zudem den Vorteil hat, dass sich das Gelernte besser setzen kann.
Fazit: In der Pubertät bringt das Hormon Melatonin den Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander. Achten Sie darauf, dass Ihr Sohn seinen schulischen Pflichten konzentriert nachkommen kann, ansonsten vereinbaren Sie mit ihm eine Zubettgehzeit.
10. Warum läuft plötzlich alles nur noch im Zeitlupentempo ab?
Bei meinem Sohn (14) spielt sich das Leben neuerdings in Zeitlupe ab. Egal, ob er sich im Badezimmer aufhält oder seine Hausaufgaben machen soll: Man nimmt sich für alles sehr, sehr viel Zeit. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Trödeln, verträumt sein und sich «sehr, sehr viel Zeit» nehmen sind Begleiterscheinungen der Pubertät. Sie schreiben ja auch «neuerdings», also scheint Ihr Sohn in jüngeren Jahren über ein lebhafteres Temperament verfügt zu haben.
Meistens drückt Trödeln eine Mischung aus Widerstand, Provokation und Motivationslosigkeit aus. Man findet die Eltern blöd, hat keine Lust auf alles Mögliche und ist innerlich mit der Frage beschäftigt: «Was ist eigentlich los in meinem Leben?», und: «Wieso fühlt sich das alles so bescheuert an?» Dieser Frust verschafft sich ein Ventil: Termine verschludern, den Eltern in großer Entfernung hinterhertrödeln, Anordnungen im Schneckentempo ausführen oder sich in Zeitlupe zu den Hausaufgaben niederlassen. Die Mutter eines 14-Jährigen sagte in einem Elterngespräch: «Neulich mussten wir eine Sporthose für ihn kaufen, die er am nächsten Tag für die Schule brauchte und unbedingt haben wollte. Wir hatten nicht viel Zeit, weil die Geschäfte bald zumachten. Während ich wie eine Irre durch die Fußgängerzone gerannt bin, schlurfte mein Sohn in hundert Metern Abstand hinterher. Ich hatte das Gefühl, einen Betonklotz hinter mir herzuziehen! Dabei ging es um seine Hose.» Eine andere Mutter sagte: «Mein Sohn macht aus allem eine Lebensaufgabe. Ob es darum geht, die Socken glattzuziehen, bevor er sie in die Wäsche wirft, oder die Spülmaschine auszuräumen. Inzwischen habe ich mir angewöhnt zu sagen: ‹Lieber Basti, ich würde gerne ein neues Projekt in Auftrag geben: Würdest du bitte dein T-Shirt, das auf dem Sofa liegt, in dein Zimmer bringen?›»
Warum soll man sich beeilen, wenn Eltern, Lehrer und alle anderen Druck ausüben? Man will das Tempo selbst bestimmen, und wenn es zwei Tage dauert, bis die Socken entkrempelt sind. Sollen die Eltern doch sehen, was sie davon haben, so dämliche Anordnungen zu erteilen!
Zeitlupentempo und passiver Widerstand gehören zur Pubertät wie fettige Haare und Mitesser. Sie sind ein unterschwelliges Auflehnen gegen Autoritäten und Druck und gehören damit zum Selbstfindungsprozess. Wenn Sie fordern und antreiben, bieten Sie Ihrem Sohn eine wichtige Reibungsfläche, denn auf einer unbewussten Ebene will er sich ja an Ihnen abkämpfen. Insofern bleibt Ihnen nicht viel übrig, als sich gemeinsam mit Ihrem Sohn durch diese Phase hindurchzubeißen.
Fazit: Trödeln ist ein Ausdruck passiven Widerstands. Nehmen Sie es gelassen, bieten Sie sich aber auch immer wieder als Reibungsfläche an, indem Sie immer mal wieder Druck ausüben.
11. Unser Sohn lebt im Schweinestall
Unser Sohn (16) weigert sich, sein Zimmer aufzuräumen. Es sieht im wahrsten Sinne des Wortes aus wie ein Schweinestall. Mein Mann und ich sind völlig ratlos. Wie können wir ihn dazu bringen, Ordnung zu halten?
Nur wenige Pubertätskonflikte erhitzen Eltern mehr als die «Schweineställe» ihrer Söhne. Kein Wunder: Das, was sich in so manchen Jugendzimmern abspielt, widerspricht vollkommen unserer erwachsenen Ästhetik. Damit meine ich nicht nur Pizzareste und verschimmelte Wurstbrote, man fragt sich auch fassungslos, wie der Heranwachsende in einem solchen Chaos etwas wiederfinden, geschweige denn überleben kann. Jugendliche haben einen anderen Maßstab, was Ordnung und Sauberkeit betrifft, ja, es scheint fast, als spiegele der Zustand des Zimmers den inneren Zustand des Jugendlichen. So chaotisch es oft in jugendlichen vier...