Einleitung
Welche Frau fühlt sich schon wie eine Königin? Und wie viele würden sich gar als wilde Frauen bezeichnen? Königin und wilde Frau – zahlreiche Frauen spüren zwar die Faszination dieser Bilder, doch leider erlauben sich die wenigsten diese Facetten ihrer Weiblichkeit. Was viele Frauen heute bewegt, ist vor allem die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sind auf der Suche nach dem Potenzial, das in ihnen steckt. Sie möchten sich nicht vom Beruf bestimmen lassen, aber auch nicht von den Erwartungen von Mann und Kindern. Moderne Frauen möchten ihr eigenes Leben leben. Sie möchten entdecken, wozu sie fähig sind, wenn sie sich nicht von den Erwartungen anderer her definieren, sondern aus ihrer eigenen Kraft. Zugleich leiden sie oft daran, dass sie sich unverstanden und allein gelassen fühlen auf ihrem Weg der »Frauwerdung«.
Bei einem internationalen Frauentag, an dem auch einige afrikanische Frauen teilnahmen, meinten diese, dass sie als einzelne Frauen nicht so stark seien wie die deutschen Frauen, aber aus ihrem Miteinander viel Stärke ziehen könnten. Zudem erzählten sie von ihrem Eindruck, dass die meisten Frauen in Deutschland unzufrieden seien. Tatsächlich haben sich viele Frauen heute auf den Weg gemacht, um aus ihrer Opferrolle und der ihnen oft anerzogenen Selbstentwertung auszubrechen, die zu genau dieser sogar nach außen hin sichtbaren Unzufriedenheit führen. Sie trauen ihrem Frausein jetzt etwas zu. Sie hören auf, immer nur die Männer für ihre eigene Misere verantwortlich zu machen. Sie söhnen sich aus mit den Wunden, die ihnen das Leben geschlagen hat, und gehen einen neuen Weg der inneren Freiheit.
Weil sie sich selbst achten und sich in ihrem Frausein wertschätzen, lassen sich diese Frauen nun nicht mehr durch abwertende Bemerkungen kleinmachen. Sie wissen um ihren weiblichen Wert, und das gibt ihnen Freude an ihrem Frausein und führt sie zu neuer Leichtigkeit. So beginnen viele Frauen nun, selbst zu leben. Wenn Frauen zusammenkommen, können sie miteinander weinen, aber noch viel lieber lachen sie herzhaft miteinander. In diesem Lachen steckt Kraft. Da spüren die Frauen, dass sie aus sich selbst leben können und keine Lust mehr haben, nur über die anderen zu jammern, die sie daran hindern, wirklich zu leben.
Die feministische Bewegung der siebziger Jahre hat vor allem um die Gleichberechtigung der Frau gekämpft. Dabei war es wichtig, alte Klischees der Frauenrolle zurückzuweisen. Jedoch geriet man in Gefahr, die Frau dem Mann anzupassen, anstatt die Eigenheit und das Anderssein der Frau zu betonen. Heute geht es der feministischen Bewegung mehr darum, zwar gleiche Rechte für die Frau zu fordern, aber zugleich auch das Anderssein der Frau herauszustellen. Schon rein biologisch hat die Frau andere Seiten entwickelt als der Mann. Gerade im Anderssein von Mann und Frau liegt ja auch das besondere Potenzial. Dabei geht es nicht darum, die Frau auf ein bestimmtes Bild festzulegen.
Norbert Bischof und seine Frau Doris Bischof-Köhler, beide Professoren an der Universität Zürich, haben, ausgehend von der Biologie und Entwicklungspsychologie, dargestellt, dass Frauen schon von Urzeiten an in bezug auf Sexualität, Fortpflanzung, Erziehung der Kinder und Nahrungsbeschaffung andere Verhaltensweisen entwickelt haben als die Männer. Und was die Biologie in unser Wesen eingeschrieben hat, lässt sich nicht einfach auslöschen.
Das soziologische Argument, dass das Anderssein von Mann und Frau nur durch die Erziehung bedingt ist, stimmt so nicht. So bestehen beispielsweise Unterschiede in der Einstellung der Geschlechter zu Erfolg und Misserfolg schon in der Kindheit: »Jungen neigen dazu, Erfolg im wesentlichen als Resultat der eigenen Kompetenz zu verbuchen. Misserfolge dagegen auf Pech oder äußere Umstände zurückzuführen. Bei Mädchen besteht die Tendenz, sich bei Misserfolg selbst die Schuld zu geben, während Erfolg nicht als Resultat des eigenen Könnens, sondern als ›Glück gehabt‹ erlebt wird.« (Bischof, S. 113) Gleiche Behandlung von Männern und Frauen führt nach Bischof darum eher zur Benachteiligung der Frauen. Denn die Leistung ist immer noch nach männlichen Maßstäben definiert. »Wirkliche Gleichberechtigung dagegen lässt sich nur erreichen, wenn man die Unterschiede ernst nimmt und in der Sozialisation ganz gezielt den Stärken und Schwächen jedes Geschlechts Rechnung trägt.« (Bischof, S. 115)
Gleichmacherei dagegen führt zur Langeweile. Die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau erzeugt ja gerade eine Spannung, die beiden ihre ureigene Energie schenkt und sie gegenseitig inspiriert. Ihre Verschiedenheit bedeutet Fülle und Reichtum, sie ist die Grundvoraussetzung für lebendige Beziehungen. Was Frauen heute brauchen, ist nicht Gleichbehandlung, sondern Mut zu sich selbst. Sie sollten ihre Wertmaßstäbe nicht nach dem Männlichkeitsideal ausrichten, sondern ihre eigene Identität finden. Sie sollten ihren eigenen, typisch weiblichen Stil aufwerten. Erst dann haben die Frauen gleiche Chancen wie die Männer.
Im Buch »Kämpfen und Lieben«, dem analogen Werk für Männer, sind 18 archetypische Bilder mit biblischen Männergestalten verbunden worden. Die meisten Archetypen treffen für Männer wie für Frauen zu, auch wenn Frauen sie anders mit Leben füllen. Auch in diesem Buch möchten wir uns daher auf archetypische Bilder für die Frau beziehen und sie nun mit einer biblischen Frauengestalt verbinden. Dabei geht es uns nicht um die Erforschung der Bibelstellen und ihres Hintergrunds, sondern um die Entfaltung des archetypischen Bilds, das wir in der biblischen Gestalt entdecken.
Heute werden häufig negative Bilder für Frauen hochstilisiert. Da wird die »Zicke« gepriesen, die besser lebt. Die Furie wird als Vorbild hingestellt. Manche Frauen bezeichnen sich als moderne Hexe und sind stolz auf diesen Titel. Selbst eine Prostituierte wird als Vorbild der Freiheit von allen gesellschaftlichen Normen auf einmal positiv gesehen. Gegenüber dieser Verfälschung archetypischer Bilder möchten wir, ausgehend von den biblischen Frauengestalten, diese Bilder zurechtrücken. Archetypische Bilder haben auch eine reinigende Kraft. So steckt in den negativen Bildern, die die Medien heute als Vorbild hinstellen, immer auch ein Stück Wahrheit. Aber es bedarf der Läuterung durch den Archetyp, damit die eigentliche Bedeutung und Kraft der Bilder sichtbar werden.
Eine griechische Autorin hat einmal sieben archetypische Bilder für die Frau beschrieben: die Liebende, die Mütterliche, die Priesterin, die Künstlerin, die Kämpferin, die Königin und die wilde Frau. Wir haben in ähnlicher Weise 14 Archetypen ausgewählt und sie mit den biblischen Frauengestalten in Bezug gesetzt. 14 ist seit jeher eine heilende Zahl. Bei den Babyloniern gab es 14 helfende Götter. Und im christlichen Bereich gibt es die 14 Nothelfer. Ebenso ist 14 eine weibliche Zahl. Sie markiert die Hälfte eines Monatszyklus, der für jede Frau eine wichtige Bedeutung hat. Wir glauben, dass in den 14 Bildern das Wesen der Frau und das Potenzial, das in ihr steckt, zum Ausdruck kommen.
Die hier vorgestellten 14 Bilder sollen Frauen also helfen, ihr eigenes Wesen zu entdecken und aus dem inneren Reichtum ihres Frauseins zu leben. Des weiteren sollen die Bilder Frauen den Weg weisen, die Wunden zu heilen, die ihnen falsche Frauenbilder geschlagen haben, und helfen, zu ihrer eigenen Ganzheit, zu ihrem »Heil« zu finden.
Als Titel haben wir über unser Frauenbuch die beiden archetypischen Bilder der wilden Frau und der Königin gesetzt. In diesen Bildern kommen für uns am besten die Grundeigenschaften zum Ausdruck, die eine Frau lebendig halten. Gemeinsam erzeugen sie Energie. Wenn eine Frau die wilde Frau und die Königin in sich zulässt, dann wird sie auch alle anderen Bilder mit Kraft erfüllen, sei es das Bild der Mütterlichen, mit dem die feministische Bewegung so große Probleme hatte, oder das Bild der Liebenden, der Künstlerin oder der Prophetin.
Manchen mag der Buchtitel provozierend erscheinen. Andere mögen ihn als modische Welle abtun. Wir jedoch glauben, dass gerade die Bilder der »Königin« und der »wilden Frau« Frauen zu ihrem eigentlichen Wesen führen und sie mit dem Potenzial in Kontakt bringen, das in ihrer Seele bereit liegt. Uns geht es daher in diesem Buch darum, diese beiden Pole so miteinander zu verbinden, dass Sie, liebe Leserinnen, neue Lust am Leben und neue Lust an Ihrem Frausein gewinnen.
Noch ein Wort zum Werdegang dieses Buches: Es ist entstanden aus vielen Gesprächen zwischen uns Autoren. Außerdem haben wir Manuskripte und Texte benutzt, die bei verschiedenen Frauenseminaren und aus dem Hören auf das, was Frauen uns erzählt haben, entstanden sind. Wir haben unsere gemeinsamen Texte immer wieder miteinander besprochen und darüber diskutiert. Unsere gemeinsame Arbeit am Thema wird in diesem Buch auch durch die unterschiedlichen Schrifttypen, in denen die jeweils von uns einzeln verfassten Absätze gekennzeichnet sind, nachvollziehbar:
- Texte in Schriftart ohne Serifen: Anselm Grün,
- Texte in Schriftart mit Serifen: Linda Jarosch
So spiegelt schon die äußere Form des Textes das Gespräch wider, das wir über ein Jahr hinweg geführt haben. Wir haben die einzelnen Frauenbilder alphabetisch nach ihren alttestamentlichen Namen angeordnet. Unseren Leserinnen möchten wir empfehlen, das Buch kapitelweise zu lesen und über die Bilder im einzelnen nachzudenken oder auch zu meditieren.
Keineswegs erheben die vorliegenden Gedanken den Anspruch, die einzig mögliche Sicht zu sein. Jede Frau wird und soll ihr persönliches Selbstverständnis entwickeln. Unser Buch will Frauen Mut machen, selbst das...