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Unser König

Friedrich der Große und seine Zeit - Ein Lesebuch

AutorJens Bisky
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783644110311
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Schöngeist und Scheusal: Zum 300. Geburtstag Friedrich des Großen Der König, der das Staunen seines Jahrhunderts war, lässt sich nicht auf eine Formel bringen, weder glorifizieren noch verdammen, bis heute nicht: «Für einen Prozess gegen den Preußenkönig», so Jens Bisky, «ist es längst zu spät, über ein Verfahren zu seiner Seligsprechung hätte er nur gespottet. Weil es so viel über ihn zu sagen gibt, weil er immer wieder Kontroversen auslöst, ist er ?unser König?: der umstrittenste Monarch der deutschen Geschichte, Vorbild und Schreckbild. Keiner der Versuche, ihn ganz zu historisieren, ihn als einen ?normalen? Herrscher des 18. Jahrhunderts erscheinen zu lassen, hat bisher die Faszination auslöschen können, die von seiner Person und seine Zeit ausgeht.» «Schriftstellerischer Schwung und kompositorisches Geschick ... Bisky verfügt über einen organisierenden Blickpunkt, der sich bewährt.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung) «Jens Bisky versteht es, mit wenigen Strichen eine historische Situation zu umreißen.» (Heinz D. Kittsteiner)

Jens Bisky, geboren 1966 in Leipzig, studierte Kulturwissenschaften und Germanistik in Berlin. Er war lange Jahre Feuilletonredakteur der «Süddeutschen Zeitung» und arbeitet seit 2021 am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er ist Autor mehrerer viel beachteter Bücher, darunter «Geboren am 13. August» (2004), «Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit» (2011) und «Berlin. Biographie einer großen Stadt» (2019). 2017 verlieh ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay.

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Leseprobe

UNSER KÖNIG


Im ersten Sommer der neuen deutschen Einheit sorgte Friedrich der Große wieder für Streit, obwohl er schon mehr als zweihundert Jahre tot war. Sein Sarg hatte bis 1943 in einer Gruft hinter dem Altar der Potsdamer Garnisonkirche neben dem Sarg seines Vaters, Friedrich Wilhelms I., gestanden. Adolf Hitler, der sich zu Propagandazwecken gern im Glanz der preußischen Geschichte sonnte, aber binnen kurzem alles zerstörte, was von Preußen bis dahin lebendig geblieben war, ließ auch den Königen keine Ruhe. 1943 befahl er, die sterblichen Überreste in das Hauptquartier Hermann Görings, des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, in Wildpark bei Potsdam zu bringen. Das war nur die erste Station einer Irrfahrt. Zusammen mit anderen Schätzen wurden die Särge in das Kalibergwerk Bernterode bei Heiligenstadt evakuiert, wo die Amerikaner während der Befreiung Thüringens sie fanden und nach Marburg abtransportierten. In der Elisabethkirche setzte man die Königssärge bei. 1952 wurden sie auf die Burg Hohenzollern überführt, von wo sie 1991, da die Nachkriegszeit endgültig vorbei schien, heimkehren sollten. Der historische Sonderzug mit dem 1905 gebauten Kronprinzenwagen brauchte fünfzehn Stunden vom Bahnhof Hechingen, bis er am 17. August in Potsdam eintraf. Dort drohten, wie der «Spiegel» damals schrieb, «Riesenrummel und militärischer Mumpitz»1: Bundeswehroffiziere hielten Totenwache im Ehrenhof des Schlosses Sanssouci, Helmut Kohl nahm an der Beisetzung teil, als Privatperson, nicht als Bundeskanzler. Golo Mann nannte das eine «absolute Geschmacklosigkeit». Die «Aktion Sarg und Asche», wie Witzbolde die Rückkehr der Könige getauft hatten, polarisierte. Wer befürchtet hatte, das neue Deutschland würde preußischer werden als die gute alte Bonner Republik, fand schlimmste Ahnungen bestätigt. Die Mehrzahl im Lande hielt Friedrich für eine bedeutende historische Gestalt, in Umfragen nach den «großen Deutschen» kam er nach Adenauer, Luther und Bismarck auf einen stolzen vierten Platz. Aber die meisten wollten ihn doch lieber im schwäbischen Abseits ruhen lassen oder wünschten, wenn es denn schon sein musste, eine Überführung in aller Stille.

Friedrich hätte gewiss gelacht über den Aufwand, den man mit seinem Sarg trieb in einer Zeit, da es Preußen nicht mehr gab und das von ihm eroberte Schlesien endgültig zu Polen gehörte. Aber niemand hätte sich im Umbruch der frühen neunziger Jahre wundern dürfen, dass über den großen Herrscher und seine Bedeutung wieder einmal gestritten wurde. Das war immer so gewesen: Wenn die Deutschen über ihr Selbstverständnis nachdachten, spielte auch Friedrich II. von Preußen eine Rolle. Kein anderer König ist ihnen als Person so nahe gerückt wie dieser. In den sechsundvierzig Jahren seiner Herrschaft hatte er Wert darauf gelegt, dass seine Untertanen sich direkt an ihn wenden konnten; persönlich entschied er über die Heiratsgesuche seiner Offiziere und begleitete diese gern mit sarkastischen oder frivolen Kommentaren; im Felde ließ er sich von den Soldaten duzen; auf Inspektionsreisen prunkte er mit seinem formidablen Gedächtnis für die Schicksale einfacher Leute und kleinste Einzelheiten. Friedrich war ein Monarch neuen Typs. Die Fortschritte des Verkehrs und der Technik erlaubten späteren Herrschern zweifelsohne häufigere Auftritte und ermöglichten eine weitere Verbreitung der Bilder von ihnen. Aber die mittelalterlich kostümierte, pathetisch schlichte oder neuzeitlich pompöse Inszenierung der Majestät sorgte im Regelfall für Distanz. Friedrich dagegen war in seinen späten Regierungsjahren schon volkstümlich geworden, er wurde zur Legende im 19. Jahrhundert und zum Klischee im frühen 20.; so hatte sich noch keine Generation mit ihm gelangweilt.

Das Interesse an Friedrich II. war gewachsen in dem Maße, in dem Preußen die kleindeutsche Einigung vorangetrieben hatte. Nach und nach erschienen die Schriften und Briefe des Königs, Erinnerungen von Zeitgenossen und Biographien. Nachfolger und nachgeborene Generationen setzten sich zu ihm ins Verhältnis; jeder entwarf sein Friedrich-Bild. Friedrichs Leben bot dem Nachdenken abwechslungsreichen Stoff: Da war der hochbegabte Jüngling, der einen grausamen Konflikt mit seinem Vater auszustehen hatte; da war der Kronprinz, der sich – mehr unter Zwang denn aus Leidenschaft – in Verwaltungsfragen einarbeitete und bald darauf in Rheinsberg eine preußische Freundschaftsidylle in Szene setzte; und da war der junge Monarch, der Glanz nach Berlin und Potsdam brachte und die erste günstige Gelegenheit wahrnahm, sein Territorium zu vergrößern. Mit der glücklichen Eroberung Schlesiens war Kriegsruhm verbunden, der vornehmste, den ein Herrscher in Friedrichs Zeit erwerben konnte. Die neue Provinz musste mehrfach verteidigt werden. Im Siebenjährigen Krieg, den Friedrich mit dem ruchlosen Einfall in Sachsen eröffnete, gelangte Preußen, gelangte auch er an das Ende seiner Kräfte. Das Unglücksjahr 1759, gipfelnd in der Niederlage bei Kunersdorf, bezeichnet einen Wendepunkt in seinem Leben.

Ein Wunder schien es ihm wie den Zeitgenossen, dass er einer übermächtigen Koalition aus Feinden sieben Jahre standzuhalten vermochte. Am Ende hatte er nichts gewonnen, lediglich den Status quo ante zementiert. In den siebenundzwanzig letzten Jahren seiner Herrschaft war Friedrich bemüht, Preußens Stellung unter den europäischen Großmächten zu festigen. Dies glückte und ermöglichte ihm in der ersten polnischen Teilung eine weitere Vergrößerung seiner Staaten. Er ging räuberisch vor wie 1740, aber diesmal ohne Blutvergießen und mit der Zustimmung Österreichs und Russlands, die vom Raub profitierten. Schließlich installierte er Preußen mit Hilfe des Fürstenbunds als norddeutsche, protestantische Schutzmacht. Wer immer die Landkarte Europas künftig verändern wollte, musste ein Auge darauf haben, wie man sich in Berlin dazu stellte.

Klammert man Schriften und Aussagen des Königs vorerst aus und blickt allein auf sein Handeln, sind kaum Anzeichen für das vielberedete «Königtum der Widersprüche» (Theodor Schieder) zu entdecken. Sichtbar wird im Rückblick vielmehr ein erstaunlich kohärentes Programm. Friedrich wollte seine Territorien sinnvoll vergrößern, weitgehende Unabhängigkeit vom Reich und dem Hause Habsburg gewinnen, uneingeschränkter Souverän einer starken Macht sein. Das ist ihm gelungen. In diesem Sinne besteht kein Gegensatz zwischen dem Überfall auf Schlesien und der Trockenlegung des Oderbruchs, zwischen Justizreform und der Ausplünderung Sachsens. All das diente der Macht des Hauses Brandenburg und dem souveränen Territorialstaat, zu dem Preußen allmählich wurde.

Um es so zu sehen, muss man sich allerdings von zwei Postulaten ehrwürdiger Tradition verabschieden. Am meisten in die Irre führt die nationale Deutung, führt die Frage, inwiefern und wann und wann nicht und mit welchem Erfolg Friedrich zum Wohl der deutschen Einigung gewirkt habe. Deutschland war für ihn in erster Linie ein geographischer Begriff. Auch hat er sich gelegentlich überlegt, wie die deutsche Sprache und Literatur dem überlegenen Niveau der französischen näher kommen könne. Er war nicht der Einzige seiner Zeit, den die Kulturkonkurrenz umtrieb. Ein Staat aller Deutschen aber, ein Nationalstaat, wie ihn die Franzosen in ihren Revolutionskriegen nach 1789 erkämpften, lag außerhalb seines Horizonts, weil er auch außerhalb des im 18. Jahrhundert politisch Möglichen lag. Friedrich war kein Phantast. Insofern mussten sich selbst die größten borussischen Historiker in die Tasche lügen, wenn sie Friedrich als Vorkämpfer deutscher Einheit feierten. Solche Versuche zogen scharfe Polemiken auf sich. Ob nun Onno Klopp im Namen der Bismarck unterlegenen großdeutschen Partei, Franz Mehring für die Sozialdemokraten des Kaiserreichs, Werner Hegemann aus Zorn über gelehrte wie ungelehrte Kriecherei noch in der Weimarer Republik oder Rudolf Augstein nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs Friedrich den Prozess machte – sie alle führten schwungvoll vor Augen, dass Friedrich sich für Deutschland und die «deutsche Frage» nicht interessiert hatte. Diese stand zu seinen Lebzeiten nicht auf der Tagesordnung.

Andere überschätzen den Autor Friedrich, den «Philosophen von Sanssouci». Aber nicht seine Briefe, Gedichte und philosophischen Dialoge erklären ihn, so interessant sie sein mögen, sondern seine Taten. Bei jeder Zeile dieses wirkungsbewussten, seine Umwelt genau beobachtenden Menschen ist zu fragen, was er damit erreichen wollte. Er verfolgte einen Zweck, wenn er schrieb. Und sei es nur den, sich zu entspannen, so wie er es im Mai 1742 seinem Freund, dem Sohn eines venezianischen Kaufmanns, Francesco Algarotti, erläuterte: «Von allen Lebensweisen ist die des Studiums, glaube ich, die glücklichste, weil man lernt, sich selbst genug zu sein und Bücher, Dinte und Nachdenken lassen uns, in welchem Verhältnisse wir uns auch befinden, niemals zu Schanden werden. Sobald der Krieg beendiget sein wird, werden Sie mich als Philosoph sehn und dem Studium mehr ergeben, als jemals.»2 Das klingt suggestiv. Der König schreibt aus dem Feldlager des ersten Krieges um Schlesien, wenige Tage zuvor hatten die Österreicher bei Chotusitz eine Niederlage einstecken müssen. Der eroberungslustige Monarch wollte dem Italiener vor allem ein Kompliment dafür machen, dass er sich so intensiv den Wissenschaften widmete, und ihn einladen, um im Feldlager einen Gesprächspartner zu haben.

Das philosophische Gespräch diente dem König zur Erholung, zur Schulung und Selbstverständigung, zum Training der...

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