II • Spirulina – Wunderkuchen der Azteken
Vor rund 500 Jahren beobachteten die spanischen Eroberer Mittelamerikas, wie die Azteken feine Netze auf einem See auslegten und damit einen grünen Brei von der Wasseroberfläche abschöpften; dieser wurde in der Sonne getrocknet und zu Fladen verarbeitet. Dem merkwürdigen blaugrünen „Wunderkuchen“, tecuitlatl genannt, schrieben die Einheimischen geheimnisvolle, stärkende Wirkungen zu. Trotz des hohen Ansehens, das Spirulina damals genoss – aus nichts anderem bestand nämlich der grüne Wunderkuchen –, geriet die „Algen-Fischerei“ in Mexiko für Jahrhunderte in Vergessenheit. Noch heute gedeiht im Texcocosee im Hochland Mexikos Spirulina; weltweit wiederentdeckt wurde die Mikroalge jedoch in Afrika: 1964 fiel dem belgischen Botaniker Jean Leonard auf den Eingeborenenmärkten im Tschad ein merkwürdiger blaugrüner Kuchen auf. Wie er hergestellt wurde, das konnte er am Tschadsee beobachten, wo Angehörige des Kanembu-Stammes mit Strohkörben einen blaugrünen Schaum von der Wasseroberfläche schöpften und diesen zu „Kuchen“ trocknen ließen. Der von ihm veröffentlichte Bericht über den gedörrten „Algenschaum“ führte zu ersten Forschungen über Spirulina in Frankreich und Japan. Dabei wurde u.a. erstmals der erstaunlich hohe Gehalt an hochwertigem Eiweiß (genauer an essenziellen, also lebenswichtigen Aminosäuren) festgestellt – es ist mehr darin enthalten als in allen anderen Nahrungsmitteln, jeweils bezogen auf das Trockengewicht.
Ziel der damaligen Bemühungen war es vor allem, mithilfe von Spirulina den Hunger in der „Dritten Welt“ zu lindern. Spätere Forschungen zeigten allerdings, dass diese Mikroalge eine ideale Nahrungsergänzung für alle Menschen darstellt. Sowohl bei chronischer Mangelernährung als auch bei der heute weit verbreiteten „modernen“ Fehlernährung können schon geringe regelmäßige Mengen zahllose heilende und harmonisierende Wirkungen entfalten. Aus diesem Grund wurde in mehreren Ländern Versuche unternommen, Spirulina in künstlichen Gewässern zu züchten.
Mit Sonne und Soda
Die Biologen kennen 35 verschiedene Spirulina-Arten. Spricht man heute von „Spirulina-Algen“, ist jedoch in der Regel nur eine einzige gemeint: Spirulina platensis (sie wird auch unter dem Namen Spirulina pacifica vertrieben). So beziehen sich alle Forschungen und Untersuchungen von Heilwirkungen auf diese Sorte. Die Algenzellen haben nur 4–8 Tausendstel Millimeter Durchmesser und bilden Spiralen von 2–4 Hunderstel Millimetern Durchmesser, weshalb man von „Mikroalgen“ spricht. Die verschiedenen blaugrünen Spirulina-Arten kommen fast überall auf der Erde vor: im Erdreich, in Seen und Meeren, vom Äquator bis hoch in den Norden. Für die Nutzung als Lebensmittel gedeihen sie jedoch in den Tropen am besten und dort speziell in alkalischen Soda-Seen bei einem basischen pH-Wert um 9–10 und bei einer Wassertemperatur von 30–45 Grad Celsius.
Natürliche „Spirulina-Seen“ gibt es heute noch in Äthiopien, Kenia, Mexiko, Peru und im Tschad. Die meisten der heutigen Spirulina-Produkte stammen jedoch aus künstlichen „Seen“ (es handelt sich um moderne „Farmen“ mit mehreren großen Becken), wo sie ohne Pestizide, Fungizide oder ähnliche künstliche „Pflanzenschutzmittel“ gezüchtet werden. Solche Algenplantagen gibt es mittlerweile in Chile, China, Indien, Japan, Kuba, Mexiko, Südafrika, Taiwan, Thailand und den USA (dort in Kalifornien und auf Hawaii). In großen Bassins wird aus Wasser, Soda (also Natriumkarbonat, das einfache kohlensaure Natrium) und verschiedenen Spurenelementen ein optimales Milieu für die winzigen Algen bereitet, so dass manche Hersteller mehr als eine Tonne Algen pro Tag und Hektar ernten können. Wie viel das wirklich ist, zeigt der Vergleich mit anderen Eiweiß-Lieferanten: Um die gleiche Menge Eiweiß zu erhalten, würde man beim Anbau von Sojabohnen eine 26-mal größere, bei Getreide eine 36-mal größere und bei der Rinderzucht sogar eine über 300-mal so große Anbaufläche benötigen. Außerdem ist der Wasserverbrauch pro Kilogramm Eiweiß weit geringer. Bei Spirulina sind es 2100 Liter, bei Sojabohnen 9000 Liter und bei Rindfleisch sogar rund 100 000 Liter. Die weltweit größten Spirulina-Hersteller in Kalifornien und auf Hawaii gewinnen zurzeit jährlich zwischen 500 und 700 Tonnen der blaugrünen Power-Nahrung – mit steigender Tendenz.
Der Gehalt an Eiweiß und anderen wertvollen Inhaltsstoffen von Spirulina (siehe unter „Sinfonie der Nährstoffe“, S. 26 ff.) bis hin zu der eingangs erwähnten besonders hohen Biophotonen-Energie variiert mit der jeweiligen Zusammensetzung des Wassers; sie ist das Geheimnis der Hersteller. Neben dem optimalen Wachstumsmilieu in den Becken benötigt die Mikroalge viel Sonne, weshalb die meisten Spirulina-Farmen in der Nähe des Äquators liegen. Die Sonnenenergie benötigt die Alge, um die zahlreichen verschiedenen Vitalstoffe aufzubauen; außerdem speichert sie die Energie direkt in Form von Biophotonen (siehe dazu unter „Lichtvoller Quell der Vitalität“, S. 10 ff.).
Ausgehend von wilder Spirulina aus den natürlichen Soda-Seen der Erde haben die Algen-Züchter jeweils verschiedene Spirulina-Stämme kultiviert oder, besser ausgedrückt, die Algen haben sich dem jeweiligen Zuchtmilieu angepasst. So kann Spirulina je nach Hersteller, Anbauort und Jahreszeit unterschiedliche Qualitäten aufweisen – wie das etwa auch bei Äpfeln gleicher Sorte aus verschiedenen Anbaugebieten und Ländern der Fall ist. Auch durch die Art der als „Algenfutter“ verwendeten Mineralien (ob diese etwa aus Pflanzen gewonnen werden, tierischen oder mineralischen Ursprungs sind) und ihre unterschiedliche Mischung im Wasser wird die Qualität von Spirulina beeinflusst. Ebenso wirkt sich die Verarbeitungen auf die fertigen Produkte aus, so dass die Algen-Tabletten oder -Pulver sich zum Teil erheblich unterscheiden, was Farbe, Geschmack, Inhaltsstoffe und Biophotonen-Menge anbelangt.
Um die Algen zu ernten, wird das „grüne Wasser“ mehrfach gesiebt und der Brei, den man erhält, getrocknet. Letzteres geschieht in Form von Gefrier- oder Schnellspray-Trocknung, wodurch hitze- und luftempfindliche Vitalstoffe wie Enzyme, essenzielle Aminosäuren und Beta-Carotin weitgehend erhalten bleiben. Die hohe Kunst liegt hier darin, die Temperatur um 40 Grad (oder besser noch etwas darunter) zu halten. Bei etwa 42 Grad beginnen viele Eiweiße und Vitalstoffe zu denaturieren, d.h., sie zersetzen sich und werden somit als Nährstoffe wertlos.
TIPP
Qualitativ besonders hochwertige Spirulina-Produkte erkennen Sie an der dunklen blaugrünen Farbe der Tabletten und des Pulvers. Hellgrüne Tabletten können größere Mengen an meist wertlosen oder sogar störenden Zusätzen enthalten wie Sojalezithin, Magnesiumstearat oder Silicea, die als Presshilfe verwendet wird.
Dem bloßem Auge fällt dieses faszinierende Kleinstlebewesen in der Natur erst auf, wenn sich die einzelligen Algen bereits zu tausenden größeren Ketten und Spiralen aneinander gereiht haben und eine völlig unscheinbare grüne „Suppe“ bilden. Unter dem Mikroskop betrachtet aber machen sie ihrem Namen alle Ehre: Seltsame blaugrüne Gebilde winden sich wie lange Sprungfedern vor dem Auge. In der Entwicklungsgeschichte des Lebens gelten diese Kleinstspiralen als die Ursund Muttersubstanz aller Pflanzen, als „Urahne“ des gesamten Pflanzenreiches also. Sie sind gewissermaßen die Erfinder der Photosynthese: mithilfe des Sonnenlichts verwandeln sie das Kohlendioxid der Luft zusammen mit Wasser in Mehrfachzucker (dazu gehört auch Stärke) und setzen dabei Sauerstoff frei. Genau auf diese Weise haben die Urahnen der heute lebenden Mikroalgen vor über drei Milliarden Jahren unsere Atmosphäre erschaffen, ohne die die meisten Lebewesen nicht existieren könnten.
Von den heute lebenden, rund 30 000 verschiedenen Algenarten ist die Familie der blaugrünen Mikroalge die ursprünglichste. Obwohl sie als pflanzliche Urform gilt, ist sie selbst noch gar keine „echte“ Pflanze, denn dazu fehlt ihr eine entscheidende Eigenschaft: Anders als alle anderen Gewächse (und Tiere) haben diese Mikroalgen in ihren Zellen keinen von einer Membran umhüllten Zellkern. Stattdessen liegen ihre Gene, die Erbsubstanz, inmitten des Zellplasmas. Dass haben sie gemeinsam mit einer anderen Gruppe von Mikroorganismen: mit bestimmten Bakterienarten, die wiederum als Urform tierischen Lebens gelten. In der Biologie werden die blaugrünen Mikroalgen daher als „Cyanobakterien“ bezeichnet. Kein Wunder also, dass sich Darmbakterien und Spirulina so gut „verstehen“, die Darmflora wird...