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Deutsche Geschichte

Von 1806 bis heute

AutorGünter Naumann
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843800310
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Im ersten Band wurde die Deutsche Geschichte bis zum Jahre 1806 vorgestellt. In diesem Band wird sie bis zur Gegenwart fortgeführt.Nachgezeichnet werden auch hier die großen politischen Zusammenhänge anhand markanter Ereignisse. Weil jedoch ab dem 19. Jahrhundert wirtschaftliche Entwicklungen und soziale Konflikte in zunehmendem Maße die Politik beeinflussen, wird der Wirtschafts- und Sozialgeschichte größere Aufmerksamkeit gewidmet. Auch die weltweiten Verflechtungen, die in der fortschreitenden wirtschaftlichen und politischen Integration ihren Ausdruck finden, sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Deutschland Gegenstand der vorliegenden Darstellung.

Dr. Günter Naumann, geb. 1936 in Leipzig, studierte von 1957-1963 und promovierte 1968. Erst seit 1989/90 waren ihm Forschungen undPublikationen zur Regionalgeschichte Sachsens möglich. Dazu gehören u.a. die Bücher 'Sächsische Geschichte in Daten', 'Meißner Geschichte in Daten', 'Meißner Chronik 1989-1996', 'Landkreis Meißen - Landschaft, Geschichte, Aktuelles' (1998).

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Leseprobe

6. Vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang des Deutschen Kaiserreiches (1806-1918)


Spätestens mit dem Frieden von Lunéville (1801) hatte das durch die Französische Revolution reformierte Frankreich in die inneren Verhältnisse Deutschlands eingegriffen und nicht nur dessen herrschaftliche Organisationsform, das Alte Reich, zum Einsturz gebracht, sondern vor allem auch die überkommene Gesellschaftsordnung infrage gestellt. Die alte, ständisch gegliederte Gesellschaft, welche die Entfaltung des Einzelnen und damit vor allem auch die wirtschaftliche Entwicklung behinderte, war nicht mehr leistungsfähig genug, um zu überleben.

Deshalb setzten mit der Auflösung des Alten Reiches (1806) und der totalen Niederlage Preußens (1806/1807) Reformbestrebungen ein, welche zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Neuorientierung führten. Am umfassendsten wurden diese Reformen zunächst in Preußen vorangetrieben (1807/13). Die Reformierung des Heerwesens war Voraussetzung dafür, dass es gelang, in den Befreiungskriegen (1813/15) die napoleonische Fremdherrschaft abzuschütteln. Die Einführung der Gewerbefreiheit bildete die Voraussetzung für den in den 1830er Jahren einsetzenden wirtschaftlichen Umbruch (Industrialisierung).

Das Ergebnis der Neuordnung der politischen Verhältnisse durch den Wiener Kongress (1815) war unbefriedigend. Obgleich die in der napoleonischen Zeit bzw. durch den Wiener Kongress zustande gekommene wesentliche Reduzierung der territorialen Zersplitterung den Weg zur nationalstaatlichen Einheit Deutschlands frei gemacht hatte, konstituierte sich mit dem »Deutschen Bund« (1815-1866) nur eine lockere Vereinigung souveräner Staaten. Die Selbstständigkeit der deutschen Territorien hatte damit ihre höchste Ausprägung erreicht. Angesichts der Interessengegensätze zwischen den beiden übermächtigen Bundesstaaten Österreich und Preußen war der Deutsche Bund außenpolitisch nicht handlungsfähig. Stattdessen betätigte er sich nach innen, um die auf weitere Modernisierung drängenden liberalen Kräfte niederzuhalten (Restauration). Gestärkt wurde der Liberalismus durch die revolutionären Ereignisse von 1830 und 1848, zu durchgreifenden Veränderungen kam es hingegen nicht.

Günstiger gestalteten sich die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Unter Führung Preußens kam es zur Gründung des »Deutschen Zollvereins« (1834), wodurch unter Ausschluss Österreichs die deutschen Territorialstaaten zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammengeschlossen wurden.

In der Revolution von 1848/49 versuchte das Bürgertum, dem politischen Liberalismus zum Durchbruch zu verhelfen, d. h. es sollten ein auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung beruhender Verfassungs- und Rechtsstaat geschaffen, den rechtlich gleichgestellten Bürgern freiheitliche Grundrechte garantiert sowie die freie Entfaltung der Persönlichkeit ermöglicht werden. Auch die nationalstaatliche Einheit Deutschlands sollte herbeigeführt werden. Beide Ziele wurden nicht erreicht.

Die Jahrzehnte nach der gescheiterten Revolution standen politisch im Zeichen der Wiederherstellung und Erhaltung der alten monarchistischen Gesellschaftsordnung (Restauration) und wirtschaftlich im Zeichen der industriellen Revolution, in deren Verlauf sich der Wirtschaftsliberalismus (Marktwirtschaft) durchsetzte, in welchem nicht der Staat, sondern die privaten Wirtschaftsteilnehmer den Wirtschaftsprozess bestimmten. Der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung veränderte die sozialen und politischen Verhältnisse.

Mit der Gründung des »Deutschen Reiches« (1871) wurde durch Preußen die nationalstaatliche Einheit Deutschlands unter Ausschluss Österreichs erzwungen (preußisch-kleindeutsche Lösung). Deutschland stieg in den folgenden Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich zur Weltmacht auf. Bedeutsamstes Kennzeichen des deutschen Kaiserreiches wurde dessen durch die Industrialisierung bedingte wirtschaftliche Modernität bei gleichzeitiger politischer Rückständigkeit. Durch die Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg, welche das Ende der Monarchie nach sich zog, wurde das Deutsche Reich in eine tiefe Krise gestürzt.

In die Zeit des deutschen Kaiserreiches fiel etwa mit dem Jahr 1890 eine Epochengrenze der Weltgeschichte. Die Weltpolitik wurde ab jetzt endgültig durch das Wirtschaftswachstum infolge der Industrialisierung sowie durch eine immense Bevölkerungszunahme geprägt. Diese beiden Faktoren sprengten den Rahmen der bisherigen Politik. Ging es bisher in der europäischen Politik lediglich um nationalstaatliche Grenzen und um das europäische Gleichgewicht, so ging es jetzt um Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Die Politik der Nationalstaaten wurde in den Dienst dieser beiden Ziele gestellt. Die Industrie-Nationen gingen dazu über, die Welt unter dem Gesichtspunkt des Zugewinns von Rohstoffquellen und Absatzmärkten unter sich aufzuteilen, sei es durch den Erwerb von Kolonien oder durch die machtpolitische Sicherung von Einflusssphären. Alle Erdteile und Weltmeere wurden in einem globalen System der Machtverteilung und der Machtrivalität miteinander verflochten; das europäische Staatensystem ging im Weltstaatensystem auf. England, Russland und Frankreich hatten sich bereits große Imperien aufgebaut. Jetzt kamen Deutschland, Japan und die USA als Konkurrenten hinzu. 1895 begann Japan mit dem Krieg gegen China seine koloniale Expansion; 1898 stießen die USA in den pazifischen Raum vor. Mit den USA war eine außereuropäische Großmacht angetreten, die seit dem 1. Weltkrieg das Schicksal Europas entscheidend bestimmen sollte. Die etwa 1890 begonnene Epoche, in der es um die machtpolitische Beherrschung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten geht, wird auch als die Epoche des Imperialismus bezeichnet. Dieser Imperialismus hat seitdem auch die Geschichte Deutschlands entscheidend beeinflusst, zumal Industrialisierung und Bevölkerungswachstum nicht nur die Grundlage der imperialistischen Außenpolitik bildeten, sondern über die Entfaltung der Arbeiterbewegung auch zu innenpolitischen Veränderungen führten.

6.1. Wirtschaft und Gesellschaft


Die Bevölkerung

Die Bevölkerung ist das Fundament der Gesellschaft und der Wirtschaft. Die Bevölkerung auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches (in den Grenzen von 1914) umfasste 1800 24,5 Mio., 1820 26,3 Mio., 1840 32,8 Mio., 1870 40,8 Mio., 1890 49,5 Mio. sowie 1914 67,8 Mio. und – vergleichsweise – 1925 ohne Elsass-Lothringen 67,4 Mio. sowie 1939 79,6 Mio. Menschen.

In der ersten Hälfte des 19. Jh. war die Bevölkerungszunahme hauptsächlich durch Geburtenüberschüsse bedingt und betraf insbesondere die nordöstlichen Agrarregionen infolge stimulierender Agrarverfassungen, während sie in der zweiten Jahrhunderthälfte vor allem auf dem Absinken der Sterblichkeit beruhte. Als nach der Agrarkrise Mitte der 1840er Jahre (Missernte von 1846/47, gefolgt von der für Deutschland letzten Hungersnot in Friedenszeiten sowie von Epidemien) ab den 1860er Jahren wieder ein Bevölkerungswachstum einsetzte, ging dieses nicht mehr vornehmlich von den Agrarregionen, sondern von den industriellen Führungsregionen aus. Geschaffen wurden die durch den Bevölkerungszuwachs erforderlichen zusätzlichen Arbeitsplätze zunächst durch die Intensivierung der Landwirtschaft (v. a. im preußischen Norddeutschland) sowie durch das vorübergehende Ausweichen auf die heimgewerbliche, vor allem textile Produktion im ländlichen Raum. Dadurch kam es zur Nutzung des großen Arbeitskräftepotenzials der landarmen und landlosen Bevölkerung in den dichtbesiedelten Regionen (z. B. Schlesien), wo bereits Ende des 18. Jh. handelskapitalistische Verleger die Warenproduktion aufs Land verlegt hatten, um der Reglementierung durch die Zünfte zu entgehen. Entscheidend für die Schaffung neuer Arbeitsplätze wurde allerdings die in den 1840er Jahren zum Durchbruch kommende Industrialisierung, wodurch eine Verelendungskatastrophe abgewendet werden konnte. Stark benachteiligt wurde durch die Industrialisierung allerdings die heimgewerbliche Textilproduktion, welche durch die seit der Mitte des 19. Jh. in Deutschland errichteten mechanisierten Textilfabriken sowie die Markterweiterung infolge der Eisenbahn (Eindringen billigerer englischer Textilwaren) zusammenbrach. Wegen der damit verbundenen Verelendung der Handweber kam es zum Schlesischen Weberaufstand (4.6.-6.6.1844), welcher durch preußisches Militär blutig niedergeschlagen wurde. Aber auch die mechanisierte Baumwollspinnerei und -weberei konnte keine Spitzenstellung auf dem Weltmarkt erringen.

Durch die Industrialisierung konnte die Bevölkerungsexplosion arbeitsplatzmäßig vorerst nicht aufgefangen werden, und es kam zu mehreren Auswanderungswellen, die bis um 1890 andauerten. Zwischen 1815 und 1835 wanderten rund 0,5 Mio. Menschen insbesondere aus Südwestdeutschland nach fußläufig erreichbaren Ländern, wie nach Holland, Polen und Russland, aus. Zwischen 1846 und 1855 wanderten rund 1,1 Mio. Menschen vor allem nach den USA aus. Unter ihnen befanden sich wegen der gescheiterten Revolution von 1848/49 viele politische Flüchtlinge. Durch den amerikanischen Bürgerkrieg (1861/64) flaute die Auswanderung in die USA zunächst ab, stieg danach aber wieder an und lag zwischen 1865 und 1874 bei rund 100.000 und in der ersten Hälfte der 1880er Jahre bei rund 170.000 Menschen pro Jahr, um Mitte der 1890er Jahre deutlich zurückzugehen.

Noch während der Amerika-Auswanderung setzte in Deutschland eine Binnenwanderung ein, die zunächst als Nahwanderung in Erscheinung trat (Wanderung aus dem ländlichen Umfeld in die industriellen Standorte), aber schließlich in die...

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