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E-Book

Die großen Revolutionen der Welt

AutorProf. Dr. Jürgen Nautz
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783843800341
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Hört man das Wort 'Revolution' fällt einem wohl am ehesten die Französische Revolution oder die Orangene Revolution, vielleicht noch die Industrielle oder die Sexuelle Revolution ein. Dieses Buch spannt einen Bogen von den Ereignissen, die wir in den vergangenen Jahren in Osteuropa beobachtet haben, zu den Anfängen einer langen Reihe von Revolutionen. Die 'großen' politischen stehen im Mittelpunkt, ohne die Vielzahl von kleineren Revolutionen und Aufständen aus dem Auge zu verlieren. Und es werden auch nicht die Verbindungslinien zwischen anderen Revolutionen vergessen, etwa der industriellen und der sexuellen.Überblick über politische Revolutionen, aber auch über die Industrielle oder die Sexuelle Revolution

Dr. Jürgen Nautz ist ao. Univ. Prof. für Wirtschaftsgeschichte am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien, mehrfach Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin, Visiting Fellow am Duitsland Instituut, Universiteit van Amsterdam. Publikationen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie zu Problemen der Zivilgesellschaft und zur Kulturgeschichte.

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Leseprobe

Revolution! – Revolution? – Einige einleitende Bemerkungen


»Revolutionen sind Zeiten, in denen der Arme
seiner Rechtschaffenheit, der Reiche seines Reichtums
und der Unschuldige seines Lebens nicht sicher ist.«

(Joseph Joubert, 1754 - 1824)

»Die Revolutionen sind die
Lokomotiven der Geschichte.«

(Karl Marx, 1818 - 1883)

De revolutionibus orbium coelestium, so heißt das Hauptwerk von Nikolaus Kopernikus, das in seinem Todesjahr 1543 bei Johannes Petreius in Nürnberg erschienen ist und unser Weltbild im wahrsten Wortsinn »umdrehte«. Das Buch handelt von den Kreisbewegungen der Himmelskörper. Kopernikus begründete mit seinen Theorien ein neues, nachmittelalterliches Weltbild. Das spätlateinische Wort revolutio (Zurückwälzen, Umdrehung) wurde im 15. Jahrhundert zu einem Fachausdruck der Astronomie, in der »Revolution« die Umdrehung der Himmelskörper bezeichnete. Erst im 16. Jahrhundert begann sich die Bedeutung des Wortes zu verändern. Es fand Eingang in das Vokabular der politischen Geschichte und bezeichnete nun auch die Rückkehr zu einem politischen, gesellschaftlichen Zustand, wie er vor unerwünschten Entwicklungen geherrscht hatte. Dem lag im Wesentlichen die Auffassung zugrunde, dass Menschen, Gruppen oder ganze Gesellschaften durch Verderbnis (corruptio) bedroht waren, wenn eine gesellschaftliche oder politische Ordnung ihre guten Eigenschaften vergaß. Das hatte den Verlust der Tugend (virtus) zur Folge, die normalerweise dafür Sorge trägt, dass individuelles und allgemeines Wohl miteinander verbunden bleiben. An einem solchen Punkt war es, so hat es z. B. Niccoló Machiavelli (1469 - 1527) formuliert, geboten, die [ursprüngliche] Ordnung wiederherzustellen, also an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Ein solches Verlangen nach der Rückkehr zum alten Recht ist bis in die Neuzeit nicht selten. So betrachtet waren die Vorgänge 1688/89 in England, die nach der Cromwell-Republik und dem Bürgerkrieg die Monarchie – freilich in veränderter Konstruktion – wiederherstellten, eine Revolution und wurden auch schon von den Zeitgenossen sogenannt: Glorious Revolution.

In unserem heutigen Geschichtsbewusstsein spielt der – zumeist positiv besetzte – Begriff der »Revolution« eine enorm wichtige Rolle. Das heutige Verständnis von Revolution als gewaltsamer oder zumindest plötzlicher politischer oder gesellschaftlicher Umsturz bestehender Zustände und Machtverhältnisse entstand erst im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Französischen Revolution. Später wurde der Begriff verallgemeinert und für grundlegende Veränderungen, plötzlichen Wandel und Neuerung gebräuchlich. Revolutionen markieren »Bruchstellen der Entwicklung aus tiefer Vergangenheit in die Gegenwart«, wie es Hans Peter Hye formuliert hat. Dies hängt zusammen mit dem uns eigenen Fortschrittsdenken, zu dem uns nicht unwesentlich das Gedankengut der Aufklärung verholfen hat; wiederum eine wichtige Voraussetzung für Revolutionen: Sie sind das Bemühen, dem »lichten Fortschritt« gegen die »finsteren Mächte der Reaktion« zum Sieg zu verhelfen. Trotz der weitestgehend entzauberten russischen Oktoberrevolution markiert die Revolution (des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) in unserem Bewusstsein vor allem eine wichtige Strecke auf dem Weg aus dem Feudalismus hinein in die bürgerliche Gesellschaft. Entscheidend ist dabei die Sichtweise ebendieser bürgerlichen Gesellschaft. In dieses Bild passen je nach Begriffsverständnis auch diejenigen Ereignisse, die als »friedliche Revolutionen« Eingang in unser Geschichtsbild gefunden haben. Im Sinne des Marxismus-Leninismus wären dies noch Konter-Revolutionen gewesen, also kein Fort- sondern Rückschritt.

Im Laufe dieses Textes wird sich herausstellen, dass man Revolutionen nicht nur nach ihren Zielsetzungen, sondern auch an ihren Trägerschichten orientiert, einteilen kann: In »bürgerlichen Revolutionen« hat sich das Bürgertum die politische Macht erstritten. So zum Beispiel in Frankreich in den Jahren 1789, 1830 und 1848; in Deutschland für kurze Zeit 1848/49 und wiederum 1918/19, als die Weimarer Republik als bürgerlich-parlamentarische Demokratie aus der Novemberrevolution hervorging.

Proletarische Revolutionen gab es in Russland, in China und z. B. Laos. Träger sind hier diskriminierte unterbürgerliche Schichten und Bauern (das Proletariat), die ihren Kampf nicht nur gegen die Aristokratie, sondern auch gegen das Besitzbürgertum, die Bourgeoisie geführt haben, um das System des Kapitalismus durch ein sozialistisches beziehungsweise kommunistisches Regime auszutauschen.

Der Marxismus, und in seiner Nachfolge auch die Ausdifferenzierungen des Kommunismus, haben explizite Revolutionstheorien entwickelt. Der Marxismus betrachtet Revolutionen als gesetzmäßige Erscheinungen der Klassengesellschaften und erklärt sie aus dem Zurückbleiben der sozialökonomischen Verhältnisse, der sogenannten Produktionsverhältnisse, hinter der technisch-industriellen Entwicklung, den sogenannten Produktivkräften. Im Kampf gegen die herrschenden Klassen, die die überkommenen Produktionsverhältnisse mit Hilfe der Staatsgewalt verteidigen, bewirken die unterdrückten Klassen als Träger der neuen Produktivkräfte eine »ruckartige Nachholung verhinderter Entwicklung«, mit der die Aufhebung dieses Widerspruchs vollzogen wird. In der Revolution wird die herrschende reaktionäre Klasse gestürzt. Die revolutionäre Klasse erobert die Staatsmacht und beseitigt die alten Produktionsverhältnisse und errichtet ihre eigene Herrschaft. In diesem Sinne ist jede soziale Revolution zugleich eine politische Revolution. Karl Marx hat im Vorwort zu seinem Werk »Die Kritik der Politischen Ökonomie« 1859 Revolutionen wie folgt beschrieben:

»In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.«

Lenin hat später in seiner Schrift »Der ›linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus« darauf hingewiesen, dass eine gesamtnationale Krise vorhanden sein müsse, damit es wirklich zu einer Revolution komme und nicht bloß zu einem Putsch. Über diese Bedingungen sagt Lenin in seinem im Mai 1920 in deutscher Sprache erschienenen Buch:

»Das Grundgesetz der Revolution, das durch alle Revolutionen und insbesondere durch alle drei russischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts bestätigt worden ist, besteht in Folgendem: Zur Revolution genügt es nicht,...

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