Wie ich Gärtner wurde
Als Kind habe ich Gartenarbeit gehasst.
Ich mochte den ganzen Garten meiner Eltern nicht.
Er war ein typischer Garten, wie er Anfang der Sechziger Jahre des letzten Jahrtausends in Folge des Wirtschaftswunders angelegt wurde. Recht groß für heutige Verhältnisse, mit ein paar Obstbäumen, ein paar Beerensträuchern, einem großen Rosenbeet mit der berühmten ‘Gloria Dei’, die von Nelken eingerahmt wurde, ein paar verstreuten Stauden wie Phlox und Eisenhut, ein paar Wacholdern im Heidegarten, einer Hänge-Zierkirsche am Eingang und einem Cotoneaster. Hauptsächlich bestand der Garten aber aus der großen, mittigen Rasenfläche und einigen Serbischen Fichten drum herum. Der Knaller des Gartens war zweifellos das Planschbecken aus Beton (Pool sagte man dazu nicht). Rund zwei Meter tief, innen leuchtend hellblau angemalt, mit einem Beckenrand aus weißen Kacheln, die sich im Laufe der Jahre im Frost auflösten. Das Wasser war natürlich nicht geheizt, wurde aber bewegt von einem lebensgroßen, steinernen Pinguin, der lustig Wasser durch seinen Schnabel spritzte.
Anfang der siebziger Jahre war wohl die Erinnerung an den Hunger der Kriegszeit verflogen, denn es wurde nichts mehr „eingeweckt“ und deshalb verschwanden die meisten Obstbäume. Und das Planschbecken. Und der Heidegarten. Dafür zogen jetzt Rhododendren ein und noch mehr Serbische Fichten. Der Begriff pflegeleicht ist keinesfalls eine Erfindung der letzten zehn Jahre. Der Garten war unendlich öde und erstarrt. Rosen, Rasen, Rhododendron war die Abfolge von der Terrasse des Hauses. Und da mein Fußball öfter entweder in den Rosen landete oder in einer Waschbetonschale mit Geranien, die mitten im Rasen stand, wurde Fußballspielen im Garten verboten.
Statt den Garten nutzen zu können, wurde ich immer häufiger zu seiner Pflege herangezogen. Spannende Arbeiten warteten auf mich. Rasen abharken nach dem Mähen. Laub abharken vom Rasen. Kantenstechen zwischen Rasen und Rosenbeet. Dornenheckenschnitt zusammen harken. Helfen. Schnur halten. Leiter halten. Mund halten. Mal mit anfassen.
Nie im Leben schaffe ich mir einen Garten an!
Allerdings gab es auch andere Gärten in der Nachbarschaft. Gärten mit Stauden wie dem Tränenden Herz und Geißbart, der mich als Kind mit seiner Höhe und den weißen Rispen schwer beeindruckt hat. Diese Stauden fand ich geheimnisvoll und schön, genau wie die Kuhschellen im Urlaub bei meiner Tante in Tirol oder die Buschwindröschen bei uns im nahen Wald.
Der nächste Kontakt mit Pflanzen war viel erfreulicher als der im elterlichen Garten. Ich hatte mehrere Aquarien. Und dazu gehören eben nicht nur Fische, sondern auch Pflanzen. Auf diese Weise bekam ich zum ersten Mal Kontakt mit der botanischen Nomenklatur. Wenn auch nur der tropischen Unterwasserpflanzen. Aber auch da lernt man, dass ohne Rücksicht auf das Wollen einer Pflanze, das Wachsen nicht funktioniert. Und man lernt die Grundzüge der Gestaltung. Denn ob auf der winzigen Fläche eines Aquariums oder der eines Gartens: Die Gesetze, einen Raum interessant zu gestalten, ihm Tiefe zu geben und ihn größer wirken zu lassen als er ist, sind dieselben.
Irgendwann zu dieser Zeit habe ich eine Fahrt durch England gemacht. Auf meiner Tour lag auch Sissinghurst Castle, das laut Reiseführer einen berühmten Garten haben sollte. Ich hatte keine Ahnung, dass man überhaupt Gärten besichtigen kann und dementsprechend unbeholfen bin ich damals durch diese fantastische Anlage gestolpert. Die Besucher, die andächtig die Pflanzenschilder abschrieben und die Pflanzen beim Namen kannten, fand ich nur kurios britisch. Trotzdem ich nicht eine einzige Pflanze kannte, hat mich der Garten beeindruckt und ich kann mich tatsächlich noch genau an die unterschiedlichen Räume dieses Gartens und seine verschiedenen Stimmungen erinnern.
1964 waren Pusteblumen der letzte Schrei.
Mit einem eigenen, rund tausend Quadratmeter großen Garten wurde der nächste Schritt auf dem Weg zum Gärtner getan. Allerdings interessierte mich damals nur die Möglichkeit, durch den Bau eines Teiches meine Fische mit Wasserflöhen versorgen zu können. Den Rest des Gartens habe ich meiner damaligen Frau überlassen. Für Rosen. Für die Bepflanzung des Teiches habe ich den ersten Pflanzenkatalog in die Hand bekommen. Von der Firma Karl Wachter, dem Spezialisten für Wasserpflanzen. Dieser Katalog hatte neben den Wasser- und Sumpfpflanzen auch noch ein großes Sortiment an „normalen“ Stauden im Angebot, die immer mit komischen Kürzeln wie GR1 oder FS2 beschrieben wurden. Die Einordnung der Pflanzen in Lebensbereiche, die hinter diesen Kürzeln stand, fand ich einleuchtend und verständlich.
Daraufhin wurde das Buch von Richard Hansen und Friedrich Stahl „Die Stauden und ihre Lebensbereiche“ gekauft und dann anhand dieses Buches und des Wachter-Kataloges ein erstes Beet im Schatten geplant und bepflanzt. Den Plan habe ich noch. Viel zu kleinteilig und viel zu viel durcheinander würde ich aus heutiger Sicht sagen. Aber keine groben Fehler in der Pflanzenauswahl. Und so ging das weiter. Es kamen mehr und mehr Kataloge ins Haus. Der Rasen wurde immer kleiner, denn hier entstand noch ein Beet und dort noch ein Beet. Alle akribisch geplant und mit Buntstift gezeichnet. Meiner damaligen Frau blieben bei diesem Eifer nur ein paar Rosen im Garten.
Rund drei Jahre später, der Rasen war auf eine Fläche geschrumpft, die knapp zum Aufstellen eines Liegestuhles reichte, erfuhr ich von der Existenz der Gesellschaft der Staudenfreunde, die sich, welch Glück, in zwei Wochen in einem Garten in Hamburg-Langenhorn treffen sollten. Also bin ich dort hingeradelt, habe mich beim Gastgeber Herrn Denkewitz vorgestellt und bin mit vielen anderen an einem Samstag im Mai bei schönstem Wetter durch dessen Garten gegangen. Es war wieder wie einst in Sissinghurst. Beeindruckend, umwerfend, verwirrend, aber ich kannte nicht eine Pflanze. Denn die normalen Pflanzen der Pflanzenkataloge waren hier nicht zu finden. Der Garten war vollgestopft mit Seltenheiten, Raritäten, Sonderformen und Eigenzüchtungen. Für normale Stauden, wie ich sie kannte und in meinem Garten hatte, war hier längst kein Platz mehr. Aber man zeigte Verständnis mit Neulingen wie mir, erklärte alles und gab von den Pflanzenschätzen bereitwillig ab.
Selten habe ich so freigiebige und großzügige Menschen getroffen wie bei den Staudenfreunden in Hamburg, denn mir wurden Pflanzen geschenkt, die es nirgends zu kaufen gab oder für die sonst extrem hohe Preise verlangt werden. „Hier, nimm mal mit!“, hieß es dann, „Und wenn die Pflanze bei mir mal eingeht, dann bekomm ich wieder ein Stück zurück.“
Geprägt durch die Bekanntschaft mit einigen echten Freaks der Staudenszene wurde mein Garten mehr und mehr zum Sammlergarten. Ich habe alles gesammelt und in den Garten geschleppt, was schwierig zu halten, langsam wüchsig oder selten ist. Sammlungen von seltenen Farnen, Elfenblümchen, Schneeglöckchen, Lenzrosen, Alpenveilchen, Phloxen und Salomonssiegeln besiedelten mehr oder weniger erfolgreich zusammen mit Tausenden von anderen Pflanzen meinen Garten. Mehr oder weniger erfolgreich bedeutet, dass die Zahl der Pflanzen, die meinen Garten nicht überlebten, beschämend hoch war. Lilien aus den Bergwiesen des Himalayas fühlen sich in einem Hamburger Vorort nicht wirklich heimisch und geben nach spätestens zwei Jahren einfach auf.
Ständig habe ich den Garten umgebaut, habe wild experimentiert und dabei Erfahrungen gesammelt.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass es gut war, Raritäten und zimperliche Pflanzen einmal kennengelernt zu haben, es für meine Nerven und das Aussehen des Gartens aber erheblich vorteilhafter ist, sich mit den Stauden zu beschäftigen, die gut sind, weil sie in meinem Garten gut funktionieren.
Die Idee, mein erworbenes Wissen über Stauden beruflich zu nutzen, ist mir erst gekommen, als ein Garten- und Landschaftsbauer aus der Nachbarschaft mich gefragt hat, ob ich ihm bei der Bepflanzung eines Gartens helfen könnte. Ich hatte immer gedacht, dass das eigentlich zum Grundwissen seines Berufes gehört, wurde dann aber belehrt, dass man sich im Garten- und Landschaftsbau nur in absoluten Ausnahmefällen mit Stauden und Staudenpflanzungen beschäftigt.
So habe ich begonnen, die Gärten anderer Menschen zu bepflanzen. Als Gärtner habe ich mich zu diesem Zeitpunkt aber nicht bezeichnet. Dafür war ich mir zu unsicher. Ich mache was mit Stauden, war die Antwort auf die Frage nach meinem Beruf.
Ein paar Jahre der Berufserfahrung später habe ich in der Gärtnerei von Ernst Pagels Stauden bestellt. Ich bin nach Leer in Ostfriesland gefahren, um meine Pflanzen abzuholen und mir die Gärtnerei anzusehen. Dort angekommen, wurde ich von Ernst Pagels, dem Züchter einer Vielzahl von unglaublich schönen und dabei robusten Stauden begrüßt. Was ich denn machen würde in Hamburg wurde ich gefragt und wo ich denn gelernt hätte. Ernst Pagels selbst hatte beim Großmeister Karl Foerster gelernt. Ich habe dann erklärt, dass ich in meinem eigenen Garten gelernt hätte. „Na ja“, meinte da Ernst Pagels, „das macht ja nichts. Hauptsache, man hat Freude an der Sache.“ Und dann lud er mich ein, die Gärtnerei zu besichtigen. Fein, machen wir mal. Aber komisch nur, der sonst so hellwache, alte Herr hatte an dem Tag einen absoluten Gedächtnisausfall. Nicht eine Pflanze seiner Gärtnerei kannte er mehr. Immer musste er mich fragen „Na, Herr Pfenningschmidt, kennen Sie die denn? Das ist ja auch eine ganz tolle und stabile … na, wie heißt sie denn noch? Ich komm jetzt nicht drauf!“ Ich durfte dann antworten und dann fiel ihm auch der Name wieder ein. Aber wie hieß doch gleich noch die weiße...