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E-Book

Familientherapie der Essstörungen

AutorGünter Reich
VerlagHogrefe Verlag Göttingen
Erscheinungsjahr2003
Seitenanzahl174 Seiten
ISBN9783840913907
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Der Band stellt die Praxis der familientherapeutischen Behandlung von Essstörungen dar. Er beschreibt familiäre Zusammenhänge und Hintergründe von Essstörungen, insbesondere die Familiendynamik von Magersucht und Bulimie.

Ein mehrphasiges Therapiekonzept zur familientherapeutischen Behandlung dieser Störungen wird vorgestellt und anhand zahlreicher Fallbeispiele illustriert. Die beiden Krankheitsbilder und verwandte Störungen werden bezüglich der Diagnose, der Verbreitung, der gesundheitlichen Folgen, der psychischen Begleiterkrankungen sowie der multifaktoriellen Verursachung vorgestellt.

Es werden soziale, biologisch-genetische und psychische Einflüsse beschrieben. Das Hauptaugenmerk gilt den familiendynamischen Zusammenhängen, die auf Grund von klinischen Beobachtungen und empirischen Untersuchungen zu einem integrativen Modell der Entstehung von Magersucht und Bulimie zusammengefasst werden. Hieraus wird ein mehrphasiges Modell der Familienbehandlung beider Erkrankungen entwickelt, das auch auf die Behandlung der Binge Eating Störung übertragbar ist.

Das therapeutische Vorgehen wird an fünf Fallbeispielen erläutert. Dabei wird ausführlich auf die Behandlungsstrategien sowie auf behandlungstechnische Schwierigkeiten eingegangen.

Der Autor

PD Dr. phil. Günter Reich, geb. 1952. 1970-1977 Studium der Psychologie in Göttingen. Anschließend Weiterbildung in Paar- und Familientherapie, Psychoanalyse und Psychotherapie in Göttingen. 1986 Promotion. Ausbilder in psychoanalytischer Familien- und Paartherapie, Lehranalytiker und Dozent am Lou Andreas-Salomé-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie in Göttingen. 2000 Habilitation. Seit 1998 Leiter der Ambulanz für Familientherapie und für Essstörungen an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Göttingen. 

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis und Einleitung
  2. 1 Beschreibung der Störungsbilder
  3. 2 Wie entstehen Essstörungen?
  4. 3 Familie und Essstörungen
  5. 4 Familiendynamik bei Anorexie – Klinische Beobachtungen
  6. 5 Familiendynamik bei Bulimie – Klinische Beobachtungen
  7. 6 Idealtypische Unterscheidung zwischen Bulimie und Anorexie
  8. 7 Sind die dargestellten Muster spezifisch?
  9. 8 Empirische Befunde
  10. 9 Die familientherapeutische Behandlung von Anorexie und Bulimie
  11. 10 Behandlungsverläufe
  12. 11 Schlussfolgerungen
  13. Literatur
Leseprobe

2 Wie entstehen Essstörungen? (S. 21-22)

2.1 Die multifaktorielle Pathogenese
Familienbeziehungen können auf verschiedene Weise zur Entstehung von Essstörungen beitragen. Oft wirken, wie bei anderen seelischen Erkrankungen, mehrere Faktoren zusammen, die sich wechselseitig in ihrer Wirkung verstärken können. Essstörungen wie Anorexia nervosa und Bulimia nervosa sowie vermutlich auch die Binge Eating Störung sind durch das Zusammenspiel soziokultureller, biologischer, Persönlichkeits- und familiärer Faktoren bedingt. Bevor die familiären Faktoren näher dargestellt werden, sollen die anderen kurz beleuchtet werden, damit diese Störungen in ihrem Gesamtkontext gesehen werden können.

2.2 Soziale Einflüsse

Die Verbreitung von Anorexie, Bulimie und auch Binge Eating Störungen scheint eng mit dem Nahrungsmittelüberfluss und den in den letzten Jahrzehnten drastisch veränderten Lebensgewohnheiten der westlichen Zivilisation, z. B. dem Bewegungsmangel, einher zu gehen. Anorexie und Bulimie sind zudem deutlich mit den hier verbreiteten Wertesystemen (z. B. Leistung und Wettbewerb) und dem Körperideal verbunden, zudem mit den spezifischen Rollenkonflikten von Frauen (vgl. Reich, 1999).

Ein erheblicher Teil junger Mädchen und Frauen in westlichen Gesellschaften ist anfällig für Essstörungen (Krüger et al., 2001). Restriktives Essverhalten und ein extremes Schlankheitsideal gehen in starkem Maße mit der Zugehörigkeit zu höheren sozialen Schichten und dem entsprechenden Wertesystem einher (Ogden & Thomas, 1999). Diätverhalten ist ein wesentlicher Vorläufer von Essstörungen (Pudel, 2001). In nicht-westlichen Gesellschaften nimmt die Prävalenz von Essstörungen mit der von Diätverhalten zu (Hsu, 1996).

Zeitgleich mit dem sich verbreitenden Nahrungsmittelüberfluss werden die Grenzen für Übergewicht zunehmend enger gezogen und Übergewichtigkeit entsprechend diskriminiert. Figur und Aussehen werden als vom Willen gesteuert und der Selbstkontrolle unterworfen angesehen, wobei der für Gewicht und Figur ebenfalls bedeutsame konstitutionelle Faktor verleugnet wird. Das Nichterreichen gesetzter oder selbst gesetzter Standards für Gewicht, Figur oder Körperumfang wird dem eigenen Versagen zugeschrieben werden und treibt zu verstärkter Selbstkontrolle an. Hinzu kommt eine Auflösung verbindlicher Rhythmen und Regeln für das Essen. Dieses wird in einer „Gastro-Anomie" individualisiert. Die hierbei notwendige Selbstkontrolle kann oft nicht geleistet werden. Dies führt zur „Übersteuerung" oder „Untersteuerung" des Essverhaltens oder zu einem Wechsel zwischen beidem (Habermas, 1990a; Pudel, 2001).

2.3 Weibliche Rollenkonflikte

Anorexie und Bulimie sowie, in geringerem Maße, die Binge Eating Störung sind „Frauenkrankheiten". Bei den ersten beiden Essstörungen sind zu 95% Frauen betroffen, bei der letztgenannten zu ca. 66%. Insbesondere Bulimie und Anorexie sind eng mit weiblichen Rollenkonflikten verknüpft. Bulimische Patientinnen stehen unter einem ungeheuren Druck, verschiedenen, auch sich völlig widersprechenden sozialen Rollen genügen zu wollen. Hierbei überfordern sie sich (Timko et al., 1987). Bei bulimischen Frauen finden sich häufiger eine stärkere Außenorientierung und eine stärkere Sozialangst als bei nicht essgestörten Frauen. Gleichzeitig erleben sie sich in stärkerem Maße als unecht. Diese Faktoren wiederum sind mit einer abwertenden Einstellung zum eigenen Körper verbunden (Striegel-Moore et al., 1993).

Von daher übernehmen Bulimikerinnen das soziale Ideal der Schlankheit sehr viel stärker als nicht essgestörte Frauen (Habermas, 1990b).

Im Idealbild der „Superfrau" wollen sie unabhängig sein, einen Mann haben, aber ihn nicht benötigen, in einem Status-Beruf mit gutem Verdienst Karriere machen, eine erfolgreiche Ehe führen, perfekte Kinder haben, dabei schlank und schön sein. Abwertungen des Aussehens verstärken die Neigung zur Entwicklung von Essstörungen. Abwertungen sind anscheinend direkt vom BMI abhängig. Sie wirken direkt auf die Köperzufriedenheit. Körperunzufriedenheit beeinflusst das globale seelische Funktionieren und restriktives Verhalten. Restriktives Essverhalten und (beeinträchtigtes) globales seelisches Funktionieren wiederum beeinflussen direkt bulimisches Verhalten (Van den Berg et al., 2002).

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Einleitung: Essen, Familie, Essstörungen8
1 Beschreibung der Störungsbilder12
1.1 Was sind „Essstörungen“?12
1.2 Epidemiologie: Die Verbreitung von Essstörungen13
1.3 Diagnostik und klinische Erscheinungsformen14
1.4 Körperschema-Störungen19
1.5 Komorbidität19
1.6 Prognose19
2 Wie entstehen Essstörungen?21
2.1 Die multifaktorielle Pathogenese21
2.2 Soziale Einflüsse21
2.3 Weibliche Rollenkonflikte22
2.4 Genetische und andere biologische Faktoren23
2.5 Persönlichkeitsfaktoren23
2.6 Die Adoleszenz als „vulnerable Phase“ für die Entstehung von Essstörungen24
3 Familie und Essstörungen28
3.1 Die kausale und moderierende Rolle der Familie28
3.2 Direkte Einflüsse der Familie auf das Essverhalten29
3.3 Familiäre Beziehungen und Essstörungen31
4 Familiendynamik bei Anorexie – Klinische Beobachtungen32
4.1 Anorexie als Ausdruck von Konflikten um „die Grenze“32
4.2 Familien anorektischer Patientinnen32
4.3 Väter in Familien anorektischer Patientinnen und der ödipale Konflikt36
4.4 Die Rolle des Essens in Familien anorektischer Patientinnen37
4.5 Auslösende Situationen für Anorexie37
4.6 Anorexie als Versuch zur Lösung interpersoneller Konflikte38
5 Familiendynamik bei Bulimie – Klinische Beobachtungen41
5.1 Bulimie als Ausdruck von Konflikten um Identität und Intimität41
5.2 Familien bulimischer Patientinnen41
5.3 Väter in Familien bulimischer Patientinnen und der ödipale Konflikt45
5.4 Die Rolle des Essens in Familien bulimischer Patientinnen47
5.5 Auslösende Situationen für Bulimie47
5.6 Bulimie als Versuch zur Lösung interpersoneller Konflikte48
6 Idealtypische Unterscheidung zwischen Bulimie und Anorexie51
7 Sind die dargestellten Muster spezifisch?52
8 Empirische Befunde54
8.1 Untersuchungen zu Familien anorektischer und bulimischer Patientinnen54
8.2 Die „Mischgruppe“: Familien bulimischer Anorektikerinnen57
8.3 Sexueller Missbrauch bei Anorexie und Bulimie58
8.4 Familien von Patientinnen mit Binge Eating Störung58
8.5 Und die Männer?59
9 Die familientherapeutische Behandlung von Anorexie und Bulimie63
9.1 Familientherapie in der Behandlung von Essstörungen63
9.2 Die Indikation zur Familientherapie und mögliche Kontra- Indikationen64
9.3 Allgemeine Gesichtspunkte der Familientherapie bei Essstörungen67
9.4 Die drei Phasen der Anorexie-Behandlung79
9.5 Die drei Phasen der Bulimie-Behandlung84
10 Behandlungsverläufe89
10.1 Familie Meixner: „Warum ist sie so schnell groß geworden?“ Therapie bei einer Patientin mit restriktiver Anorexie89
10.2 Familie Weiß: „Da ist noch eine Rechnung offen“. Kombinierte Einzel- und Familienbehandlung einer Patientin mit bulimischer Anorexie101
10.3 Familie Dauer: „Wer etwas für sich beansprucht, schädigt andere.“ Behandlung einer Anorexie bei einer jungen Erwachsenen115
10.4 Familie Lungendorf: „Das geht niemanden etwas an.“ Makel und Verbergen in der Therapie einer Patientin mit Bulimie124
10.5 Familie Naumann: „Zweiundzwanzig Jahre lang waren wir eine ganz normale Familie ...“ Behandlung bei einem Patienten mit bulimischer Anorexie147
11 Schlussfolgerungen163
Literatur165

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